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Ein persönliches Plädoyer für die Mitarbeit bei Leitlinien der ­Fachgesellschaft DGAUM

Das PDF dient ausschließlich dem persönlichen Gebrauch! - Weitergehende Rechte bitte anfragen unter: nutzungsrechte@asu-arbeitsmedizin.com.

A personal statement for participating in the development of guidelines of the professional society DGAUM

The development of medical guidelines according to the rules of the Association of the Scientific Medical Societies in Germany (AWMF) is a core responsibility of scientific medical societies, including the German Society for Occupational and Environmental Medicine. The target audience of occupational medicine guidelines is not only patients, but the general public - specifically, individuals in the working world. This statement argues that participating in the development of guidelines is not only an academic duty but also a personally enriching and enjoyable experience.

Ein persönliches Plädoyer für die Mitarbeit bei Leitlinien der Fachgesellschaft DGAUM

Leitlinienerstellung nach AWMF-Kriterien ist Kernaufgabe wissenschaftlicher medizinischer Fachgesellschaften, so auch der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin (DGAUM). Zielgruppe arbeitsmedizinischer Leitlinien sind nicht nur Patientinnen und Patienten, sondern generell Bürgerinnen und Bürger, konkret solche in der Arbeitswelt. Im vorliegenden Plädoyer wird ausgeführt, dass es nicht nur eine akademisch gebotene Aufgabe ist, bei Leitlinien mitzuwirken, sondern dass diese Mitarbeit auch persönlich sehr bereichernd ist und Freude macht.

Kernaussagen

  • Leitlinienarbeit ist Kernaufgabe wissenschaftlicher medizinischer Fachgesellschaften, so auch der DGAUM.
  • Leitlinien der DGAUM zielen einerseits auf Patientinnen und Patienten, andererseits auch auf die gesamte arbeitende Bevölkerung.
  • Die Mitarbeit an Leitlinien stärkt eigene wissenschaftlich-praktische Fähigkeiten und ist persönlich bereichernd und macht Freude.
  • Für jüngere Kolleginnen/Kollegen kann die Mitarbeit an Leitlinien zur Erweiterung des Erkenntnishorizonts beitragen und die Bekanntheit im eigenen und in benachbarten Fach­gebiet/en erhöhen.
  • Leitlinien im Selbstverständnis der AWMF

    In der Präambel zum Regelwerk „Leitlinien“ der AWMF (Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher medizinischer Fachgesellschaften) wird ausgeführt: „Leitlinien sind systematisch entwickelte Aussagen, die den gegenwärtigen Erkenntnisstand wiedergeben, um die Entscheidungsfindung von Ärzt*innen sowie Angehörigen von weiteren Gesundheitsberufen und Patient*innen/Bürger*innen für eine angemessene Versorgung bei spezifischen Gesundheitsproblemen zu unterstützen. Sie sollten auf einer systematischen Sichtung und Bewertung der Evidenz und einer Abwägung von Nutzen und Schaden alternativer Vorgehensweisen basieren.

    Leitlinien sind wichtige Instrumente der Qualitätsentwicklung im Gesundheitswesen. Ihr vorrangiges Ziel ist die Verbesserung der medizinischen Versorgung durch die Vermittlung von aktuellem Wissen, das vorzugsweise systematisch recherchiert und kritisch bewertet wird.

    Leitlinien unterscheiden sich von anderen Quellen aufbereiteten Wissens (systematische Übersichtsarbeiten, Health Technology Assessments [HTA] mit oder ohne Metaanalysen) durch die Formulierung von klaren Handlungsempfehlungen, in die auch eine klinische Wertung der Ziele mit Relevanz für Patient*innen/Bürger*innen, Aussagekraft und Anwendbarkeit von Studienergebnissen eingeht.“

    Leitlinien in der Arbeitsmedizin

    Dank der strukturierten AWMF-Vorgaben sind Leitlinien in der Arbeitsmedizin nicht prinzipiell anders aufgebaut als in anderen medizinischen Fächern, und sie dienen den im vorangegangenen Abschnitt skizzierten Zielen. Zielgruppe sind eben nicht nur Patientinnen und Patienten, sondern generell Bürgerinnen und Bürger, konkret solche in der Arbeitswelt. Aspekten der Prävention und der Kompensation wird in arbeitsmedizinischen Leitlinien dabei besonderer Raum gegeben. Es ist wichtig, gerade auch diese zentralen Inhalte arbeitsmedizinischen Handelns zur Verhütung arbeitsbedingter Gesundheitsbeeinträchtigungen und zur sachgerechten Rehabilitation und Entschädigung auf Basis medizinisch-wissenschaftlicher Evidenz zu konsentieren. Insofern ist die Erstellung von und Mitarbeit an Leitlinien zentrale Aufgabe der wissenschaftlichen Fachgesellschaft DGAUM (Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin).

    Dabei kann man hinsichtlich der Federführung prinzipiell zwei Gruppen von Leitlinien unterscheiden:

  • Federführung Arbeitsmedizin, Mitwirkung anderer Fächer: Leitlinien, bei denen die Arbeitsmedizin genuin führend ist (z. B. zur Wirkung von Blei, Beryllium u. a.);
  • Federführung anderer Fächer, Mitwirkung Arbeitsmedizin: Leitlinien, die – überwiegend organbezogen – primär von anderen Fachgesellschaften erstellt werden, in die arbeitsmedizinische Aspekte im Interesse und zum Wohle der Exponierten beziehungsweise Erkrankten eingebracht werden (z. B. Asthma, Ovarialkarzinom). Hierzu sei auf Beispiel 1 verwiesen.
  • Gerade bei der zweiten Gruppe von Leitlinien ist die Aufmerksamkeit der Arbeitsmedizin und auch der zentralen Koordinationsstelle der AWMF gefordert, da in unseren klinischen Nachbarfächern die „Vigilanz“ für arbeitsmedizinische Themen unterschiedlich und mitunter bedauernswert gering ausgeprägt ist: Während es für die DGAUM langjährig positiv etabliert ist, beispielsweise von der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin via AWMF für Leitlinien zu Themen interstitieller, obstruktiver und ma­ligner Lungen- und Atemwegserkrankungen zur Mitarbeit eingeladen zu werden, ist dies beispielsweise bei Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems oder auch bei onkologischen Fragestellungen anderer Organsysteme als der Lunge keineswegs selbstverständlich.

    In letztgenannten Leitlinien finden sich dann vielfach Abschnitte zur Ätiologie, die aber klinisch-praktisch von begrenztem Nutzen sind, beispielsweise, wenn vage einzelne Literaturhinweise gleichwertig neben publizierten und gut begründeten Einstufungen der Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe der Deutschen Forschungsgemeinschaft („MAK-Kommission“) oder Einstufungen der IARC (International Agency for Research on Cancer) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) stehen, die aber in anderen Fächern kaum bekannt sind. Nahezu regelhaft fehlt dann auch der Hinweis, wann der begründete Verdacht auf eine Berufskrankheit meldepflichtig ist – mit der Folge, dass eine relevante Zahl von Verdachtsfällen auf Berufskrankheit nicht gemeldet wird. Leidtragende sind also immer wieder die Erkrankten.

    Eigene Erfahrungen in der Mitarbeit bei Leitlinien

    Über die letzten gut 25 Jahre durfte der Verfasser an etwa 20 Leitlinien zuzüglich deren in fünfjährlichen Abständen fälligen Aktualisierungen mitarbeiten (s. unten Erklärung zum Interessenkonflikt), teils direkt nominiert, teils als Vertreter. Die Intensität dieser Mitarbeit variierte dabei je nach objektivem Bedarf und selbst mitgebrachter Qualifikation. Nicht selten waren eine Überraschung andere Fachvertreterinnen und -vertreter über die produktive Mitwirkung unseres ansonsten mitunter eher wenig und als marginal wahrgenommenen Fachs überrascht. Stets wurde positiv aufgenommen, dass arbeitsmedizinische Beiträge zu Leitlinien immer (!) zugunsten des präventiven Gesundheitsschutzes oder auch – bei eingetretenem Gesundheitsschaden – zu potenziellen Gunsten der Erkrankten – etwa im Sinne der Meldung des Verdachts einer Berufskrankheit – formuliert werden. Unsere präventive und „pro Patientin/Patient“ orientierte Herangehensweise führt somit praktisch immer zu positiver Einstellung gegenüber arbeitsmedizinischen Beiträgen.

    Neben dem als sinnstiftend empfundenen Beitrag zu Leitlinien im Sinne des präventiven Gesundheitsschutzes gibt es auch fünf weitere persönlich als positiv wahrgenommene Nebeneffekte der Mitarbeit an Leitlinien:

  • Da Leitlinienarbeit prinzipiell auf intensiver Literaturdurchsicht als Evidenzgrundlage basiert, ist es stets erforderlich, den neuesten Stand der Literatur durchzusehen. Das bedeutet tage- und wochenendlange Knochenarbeit. Dies gilt selbstverständlich auch auf Gebieten, auf denen der Verfasser sich selbst arbeitsmedizinisch-pneumologisch-allergologisch vergleichsweise parkettsicher fühle. Diese „gefühlte Parkettsicherheit“ einer regelmäßigen Kalibrierung an der internationalen Literatur zu unterziehen, führt immer zu einer Erweiterung des Horizonts. Hieraus resultiert eine Steigerung der Qualität der eigenen präventiven, klinischen und gutachterlichen Arbeit.
  • Durch die Notwendigkeit, im iterativen Prozess der interdisziplinären Leitlinien­erstellung immer wieder an Abstimmungsrunden teilzunehmen, ist eine intensive Beschäftigung auch mit den nicht im engeren Sinne arbeitsmedizinischen Aspekten der Materie erforderlich. Hierdurch erweitert sich der Wissensstand über unsere klinischen Nachbarfächer, was wiederum zur besseren Beratung von Patientinnen und Patienten beiträgt.
  • Der Verfasser durfte zahlreiche Kolleginnen und Kollegen benachbarter Fachgebiete aus dem gesamten Bundesgebiet kennenlernen, die von ihren Fachgesellschaften zur Mitarbeit delegiert worden waren. So entstanden Bekanntschaften und fachliche Freundschaften über Fächergrenzen hinweg – verbunden mit der Möglichkeit, diese Kolleginnen und Kollegen außerhalb der Leitlinienarbeit für Fachfragen niederschwellig zu konsultieren. In umgekehrter Richtung erreichen den Verfasser arbeitsmedizinische Fragen dieser klinisch und wissenschaftlich tätigen Kolleginnen und Kollegen, die erkennen lassen, dass inzwischen ein Mitdenken arbeitsmedizinischer Aspekte stattfindet.
  • AWMF-Leitlinien spielen erfreulicherweise eine zunehmend wichtige Rolle in (u. a. gerichtlichen) Auseinandersetzungen. Der Begriff der Leitlinie an sich ist nicht geschützt und wurde beziehungsweise wird teils mit einer gewissen Beliebigkeit verwendet. In Gerichtsverfahren, vorrangig im Berufskrankheitenverfahren, aber auch in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten bei Berufsunfähigkeits- und anderen Versicherungen gutachterliche Einschätzungen und Empfehlungen konkret auf AWMF-Leitlinien basieren zu können, hilft der Gerichtsbarkeit, sich an übergeordneten und konsentierten Maßstäben zu orientieren. Damit ordnet sich die persönlich-individuelle Einschätzung gewissermaßen in die Leitplanken von AWMF-Leitlinien ein und macht der Gerichtsbarkeit Entscheidungen leichter, weil deren Grundlage transparent nachvollziehbar ist.
  • Zunehmend werden Leitlinien, teilweise gekürzt oder in der Form zentraler Aussagen, zusammengefasst, national und international publiziert. Dies ist wünschenswert und dringend erforderlich. Daraus resultieren – einen qualitativ wie quantitativ relevanten eigenen Beitrag vorausgesetzt – in der Regel Koautorenschaften in solchen Publikationen. Dieser Aspekt ist bei der universitären leistungsorientierten Mittelvergabe (LOM) zunehmend und existenziell relevant. Da diese Publikationen aufgrund ihrer bei AWMF-Leitlinien zu Recht unterstellten Validität eine hohe Chance haben, zitiert zu werden, leisten sie auch einen Beitrag zur eigenen akademischen Publikationsmetrik (z. B. h-Index), die beim akademischen Vorankommen relevant ist.
  • Fazit

    Die Mitarbeit an AWMF-Leitlinien leistet einen wichtigen Beitrag zur wissenschaftsbasierten Weiterentwicklung der klinischen Arbeitsmedizin. Dies gilt sowohl für Leit­linien, bei denen unser Fach klar die Federführung hat, als auch für Leitlinien unserer klinischen Nachbarfächer. In letzteren Fällen geht es darum, arbeitsmedizinische Belange zum Gesundheitsschutz der gegenüber gesundheitsschädlichen Arbeitsstoffen Exponierten und Erkrankten mit potenziellen Berufskrankheiten einzubringen. Arbeitsmedizinische Leitlinienarbeit ist somit immer Arbeit zugunsten arbeitsbedingt Exponierter beziehungsweise Erkrankter. Die Mitarbeit an Leitlinien erweitert zudem den eigenen Horizont und ist in vieler Hinsicht persönlich bereichernd. Jüngere Kolleginnen und Kollegen seien daher herzlich eingeladen, bei „Tandem-Kooperationen“ zu Leitlinien beizutragen. Hiermit ist die Synergie zwischen alterfahrenen und frischen Talenten unseres Fachgebiets angesprochen.

    Interessenkonflikt: Der Autor hat bei etwa 20 Leitlinien vorrangig der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin (DGAUM), auch der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) und der Deutschen Gesellschaft für Klinische Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI) mitarbeiten dürfen, teils nominiert, teils als Vertreter (alphabetisch):

  • Aktuelle Empfehlungen zur Lungenfunktionsdiagnostik (nicht im AWMF-System umgesetzt)
  • Allgemeine Grundlagen der Medizinischen Begutachtung, S2k
  • Arbeitsplatzbezogener Inhalationstest, S2k
  • Diagnostik in der klinisch-praktischen Umweltmedizin, S3 geplant (oder S2k)
  • Diagnostik und Begutachtung der Berufskrankheit Nr. 4101 Quarzstaublungenerkrankung (Silikose) der Berufskrankheitenverordnung, S2k
  • Diagnostik und Begutachtung asbestbedingter Berufskrankheiten, S2k
  • Diagnostik und Therapie der exogen-allergischen Alveolitis (EAA), S2k
  • Ethische Leitlinien für Arbeitsmediziner (nicht im AWMF-System umgesetzt)
  • Fachärztliche Diagnostik und Therapie von Asthma, S2k
  • Funktionelle Körperbeschwerden, S3
  • Gesundheitsüberwachung bei Berylliumexposition und diagnostisches Vorgehen bei berylliumassoziierter Erkrankung, S3
  • Interdisziplinäre Diagnostik interstitieller Lungenerkrankungen im Erwachsenenalter, S1
  • Long- und Post-COVID (nicht im AWMF- System umgesetzt)
  • Nationale Versorgungs-Leitlinie Asthma, S3
  • Nationale Versorgungs-Leitlinie COPD, S3
  • Medizinisch klinische Diagnostik bei Schimmelpilzexposition in Innenräumen, S2k
  • Pharmakotherapie der idiopathischen Lungenfibrose (ein Update) und anderer progredienter pulmonaler Fibrosen, S2k
  • Prävention, Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Lungenkarzinoms – Living Guideline, S3
  • Rauchen und Tabakabhängigkeit, S3
  • Standardisierte Durchführung des nasalen und konjunktivalen Provokationstests bei allergischen Erkrankungen der oberen Atemwege, S2k
  • Online-Quelle

    AWMF-Regelwerk Leitlinien
    https://www.awmf.org/regelwerk/

    KONTAKT

    Prof. Dr. med. Dennis Nowak
    Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin; Ludwigs-Maximilians-Universität Klinikum; Ziemssenstraße 1; 80336 München

    Foto: LMU Klinikum

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