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Recht

Freistellungsansprüche zum Stillen – Mutterschutzrecht

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Entitlement to Time off for Breastfeeding – Maternity Protection Law

Allgemeines

Bereits alte Fassungen des deutschen „Mutterschutzgesetzes“ enthielten Regelungen für stillende Frauen (vgl. z. B. § 6 Abs. 2 MuSchG1 i. d. F. v. 30.01.19522). Auch hier fanden sich Schutzmaßnahmen auf der einen Seite, sowie Freistellungsansprüche im heutigen Sinne auf der anderen Seite. Mittlerweile handelt es sich aber bei den stillbezogenen Mutterschutzvorgaben im Wesentlichen um eine Umsetzung europarechtlicher Vorgaben. So fordert die europäische „Mutterschutzrichtlinie“ (RL 92/85/EWG als zehnte Einzelrichtlinie i. S. v. Art. 16 Abs. 1 RL 89/391/EWG), dass auch stillende Frauen entsprechend zu schützen sind. Richtlinien der Europäischen Union (EU) sind lediglich hinsichtlich ihrer Ziele verbindlich, überlassen allerdings den Mitgliedsstaaten die Wahl der Form und der Mittel der Umsetzung (vgl. Art. 288 UAbs. 3 AEUV). Seit dem 01.01.2018 finden sich die europarechtlichen Vorgaben einheitlich im novellierten Mutterschutzgesetz3 (MuSchG)4.

Neben Schutzmaßnahmen, die für stillende Frauen (bzw. das zu stillende Kind) getroffen werden müssen, ist das Stillen an sich auch mutterschutzrechtlich geschützt.

Stillbezogene Schutzaspekte spielen zwar in der Praxis momentan noch eine eher untergeordnete Rolle. Dies begründet sich im Wesentlichen aus dem Umstand, dass nach Ablauf der nachgeburtlichen Schutzfristen von 8 beziehungsweise 12 Wochen (vgl. § 3 Abs. 2 MuSchG) die Mütter regelhaft erst einmal Elternzeit nach §§ 15 ff. BEEG in Anspruch nehmen.

Ein neues Rollenverständnis, andere Formen der Arbeit, aber auch finanzielle Aspekte führen dazu, dass der Umstand des Stillens von Arbeitgebern zunehmend nicht mehr gänzlich vernachlässigt werden kann. Entscheidend ist hier auch der rechtlich normierte Umstand, dass vom Grundsatz her die Frau nach dem Ende eines Beschäftigungsverbots (und folglich auch nach Beendigung der nachgeburtlichen Beschäftigungsverbote nach § 3 Abs. 2 MuSchG) einen Rechtsanspruch darauf hat, entsprechend den vertraglich vereinbarten Bedingungen weiterbeschäftigt zu werden (§ 25 MuSchG). Frauen, die sich (aus welchen Gründen auch immer) für diesen Weg entscheiden, dürfen keine Nachteile durch den Umstand entstehen, dass sie ihr Kind noch stillen müssen beziehungsweise wollen.

Das Stillen schützt Neugeborene nachweislich vor bestimmten Kinderkrankheiten. Gestillte Säuglinge leiden seltener an Atemwegs- und Magen-Darm-Infektionen und weisen ein geringeres Risiko auf, an Allergien, Typ-II-Diabetes und Adipositas zu erkranken als nicht gestillte Säuglinge. Mütter, die stillen, stärken die emotionale Bindung zu ihrem Kind und erhöhen ihr Wohlbefinden; zudem ist Stillen mit einem verminderten Risiko für verschiedene Krebserkrankungen der Mütter assoziiert5. Fehlende Voraussetzungen für das Stillen, auch während einer Beschäftigung, können die Gesundheit von Mutter und Kind spürbar beeinträchtigen.

Beschäftigungsverbot versus ­Freistellungsanspruch

Bevor der mutterschutzrechtliche Freistellungsanspruch im Detail beschrieben wird, ist es erforderlich herauszustellen, dass es auch in Bezug auf das Stillen betriebliche Beschäftigungsverbote geben kann. In diesen Fällen ist es dem Arbeitgeber verwehrt, die stillende Frau mit den entsprechenden Tätigkeiten weiter zu beschäftigen. Das MuSchG schützt die Frau auch ausdrücklich in der Stillzeit und will ihr vom Grundsatz her auch während der Stillzeit eine Weiterarbeit ermöglichen (vgl. § 1 Abs. 1 MuSchG).

Stillbezogene mutterschutzrelevante Gefährdungen können sich in zweierlei Hinsicht ergeben. Zum einen können sich bestimmte Arbeitssituationen negativ auf die Frau auswirken, so dass dies Einfluss auf das Stillen an sich haben kann. Weiterhin ist aber auch möglich, dass bestimmte Gefahrstoffe zwar keine unmittelbaren Auswirkungen auf den Gesundheitszustand der Frau haben, aber über die Laktation auch auf das zu stillende Kind übertragen werden können. Insofern ist in der Gefährdungsbeurteilung nach § 10 Abs. 1 MuSchG auch zu berücksichtigen, welchen Gefährdungen eine stillende Frau bei Ausführung der ihr obliegenden Tätigkeiten ausgesetzt ist. Seit dem 01.01.2018 ist die mutterschutzbezogene Gefährdungsbeurteilung unabhängig davon durchzuführen, ob bereits schwangere oder stillende Frauen im Betrieb tätig sind.

So sind auch die Gefährdungen für Stillende zu erheben und beim Stillen eines Kindes auch die erforderlichen Schutzmaßnahmen zu treffen (vgl. § 9 Abs. 1 MuSchG). Wesentlich ist hierbei, dass es sich um vorgelagerte Verpflichtungen handelt. Die Schutzmaßnahmen dienen somit dem Erhalt der Stillfähigkeit. Dies ist zu unterscheiden von dem Umstand, der Frau zu ermöglichen, das Kind zu stillen.

In bestimmten Tätigkeitsbereichen kann sich auch für stillende Frauen ergeben, dass die Tätigkeit eine unverantwortbare Gefährdung i. S. v. § 9 Abs. 2 S. 2 MuSchG darstellt. Dies ist z. B. der Fall, wenn die Frau bestimmten Gefahrstoffen gegenüber exponiert ist oder in Räumen mit Überdruck arbeitet (vgl. hierzu richtungsweisend § 12 MuSchG). Ergibt die Gefährdungsbeurteilung eine entsprechende Tätigkeit, so hat der Arbeitgeber die Tätigkeiten durch Schutzmaßnahmen umzugestalten. Ist dies nicht möglich, muss er die Frau auf einen freien und zumutbaren anderen Arbeitsplatz umsetzen. Ist auch dies nicht möglich, so ergibt sich ein betriebliches Beschäftigungsverbot (vgl. § 13 Abs. 1 MuSchG). Weiterhin existieren noch weitere Tatbestände in den §§ 3–9 MuSchG, die auch für stillende Frauen gelten (z. B. das grundsätzliche Verbot der Nachtarbeit nach § 5 MuSchG). Hierbei handelt es sich ebenfalls jeweils um Beschäftigungsverbote (vgl. § 2 Abs. 3 MuSchG).

Liegen diese vor, so enthält die stillende Frau einen Mutterschutzlohn nach § 18 MuSchG. Auch dies ist ein wesentlicher Unterschied zum Freistellungsanspruch.

Beschäftigungsverbote weisen jeweils einen Bezug zur Stillfähigkeit auf, während der Freistellungsanspruch das Stillen an sich ermöglichen soll.

Beschäftigungsverbote und Freistellungsansprüche scheiden sich somit gegeneinander aus. Eine Freistellung nach § 7 Abs. 2 MuSchG kann nur dann erfolgen, wenn tatsächlich auch eine Arbeitsleistung erbracht wird. Der Freistellungsanspruch belastet den Arbeitgeber nur mit einer Entgeltfortzahlungspflicht für die erforderlichen Stillzeiten, durch die die Arbeitsleistung unterbrochen wird. Insofern besteht dann kein Anspruch auf Entgeltzahlung, wenn das Stillen außerhalb der Arbeitszeit erfolgt.

Grundsätzliches zum Freistellungsanspruch

Anders als die Vorgängerfassung6 enthält die jetzige Fassung des MuSchG eine zeitliche Begrenzung des Freistellungsanspruchs. Ein Freistellungsanspruch besteht lediglich während der ersten 12 Monate nach der Entbindung (vgl. § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG). Die alten Freistellungsregelungen sollten bei der Novellierung mit Wirkung zum 01.01.2018 beibehalten werden, allerdings sah der Gesetzgeber eine Befristung als erforderlich an, damit ein Interessensausgleich zwischen den Belangen des Arbeitgebers und den Belangen der Frau sichergestellt ist7. Die Vorteile des Stillens nehmen mit zunehmendem Lebensalter des Kindes ab. Regelhaft wird sich daher ein Stillen über die 12 Monate hinaus weder ernährungsphysiologisch noch immunologisch als sonderlich sinnvoll erweisen. Die Gründe für ein weiteres Stillen sind allerdings in der Praxis vielfältig und es ist somit natürlich nicht ausgeschlossen, dass ein längeres Stillen im Einzelfall sogar möglicherweise empfehlenswert ist. Sinn und Zweck der 12-Monats-Regelung liegt allerdings im Interessensausgleich zwischen dem Anspruch des Arbeitgebers an der Arbeitsleistung der bei ihm beschäftigten Mutter einerseits und andererseits dem allgemeinen Interesse der Bewahrung von Mutter und Kind vor Gefahren für Gesundheit und Kindesentwicklung, die mit dem Arbeitseinsatz der Mutter verbunden sind.8 Dieser Interessensausgleich erfordert nach Ansicht des Gesetzgebers, den Arbeitgeber über das erste Lebensjahr des Kindes hinaus mit den Kosten und Schwierigkeiten betrieblicher und organisatorischer Art, die mit der Stillzeitgewährung verbunden sein können, nicht mehr zu belasten.

Die Vorschrift des § 7 Abs. 2 MuSchG gibt stillenden Müttern, die nach der Entbindung in das Erwerbsleben zurückkehren, für die Zeit des Stillens einen bezahlten Anspruch auf Freistellung von der Arbeit gegenüber dem Arbeitgeber. Damit wird die Ernährung des Säuglings mit Muttermilch gefördert9. Dies beruht insbesondere darauf, dass das Stillen eines Säuglings in der Regel jeder anderen Ernährungsweise aus gesundheitlichen Gründen vorzuziehen ist, da die Milch der Mutter aus ernährungsphysiologischer und immunologischer Sicht nach heutigen Erkenntnissen in der Regel die beste Ernährung für den Säugling ist. Wie eingangs bereits erwähnt, liegt das Stillen darüber hinaus auch im gesundheitlichen Interesse der Mutter.

Für die Stillzeitgewährung nach § 7 Abs. 2 MuSchG allerdings unwesentlich ist, „warum“ die Frau ihr Kind stillt. Dies kann die Frau somit allein und in freier Selbstbestimmung entscheiden. Weiterhin ist auch unerheblich, ob das Kind ausschließlich gestillt wird oder ob die Ernährung zusätzlich durch anderweitige Lebensmittel erfolgt. Entscheidend bleibt allein, dass zumindest „auch“ gestillt wird10.

Abgesehen von Schülerinnen und Studentinnen im Rahmen der schulischen und hochschulischen Ausbildung (diese können rechtstheoretisch auf ihre nachgeburtliche Schutzfrist verzichten; vgl. § 3 Abs. 3 MuSchG) beträgt der Freistellungsanspruch selbst allerdings keine vollen 12 Monate. Dies begründet sich aus dem Umstand, dass nach der Entbindung eine (für die Frauen vom Grundsatz her nicht disponible) Schutzfrist von 8 beziehungsweise 12 Wochen in Kraft tritt (vgl. § 3 Abs. 2 MuSchG), in der keine Beschäftigung der Frau erfolgen darf. Insofern kann sich hier auch kein Freistellungsanspruch verwirklichen. Die 12 Monate stellen somit im Wesentlichen lediglich einen Berechnungsbezugspunkt her. Sofern allerdings die Frau nach der nachgeburtlichen Schutzfrist auf die Elternzeit nach §§ 15 ff. BEEG verzichtet (bzw. während der Elternzeit i. S. v. § 15 Abs. 4 BEEG tätig ist), so hat sich einen Anspruch auf entsprechende Stillzeiten, der in zeitlicher Hinsicht 12 Monate nach der erfolgten Entbindung andauert.

Eine eher nur theoretische Fragestellung taucht in Bezug auf den Aspekt auf, „wer“ überhaupt stillt. Gerade in Bezug auf die Schutzmaßnahmen, aber auch auf den Freistellungsaspekt, kann die Frage von Relevanz sein, ob es nur das eigene Kind sein darf, das gestillt wird. In der ersten Betrachtung erscheint dies folgerichtig und auch sachbezogen.

Allerdings war in der Entstehungsgeschichte der heutigen Fassung des Mutterschutzgesetzes auch ein Thema, „wer“ überhaupt eine „Frau“ i. S. d. Mutterschutzrechts ist11. Letztendlich entschied man sich für eine sehr pragmatische Lösung, indem nüchtern legaldefiniert wurde, dass das
MuSchG für „jede“ Person gilt, die schwanger ist, ein Kind geboren hat oder stillt (§ 1 Abs. 4 MuSchG). Folglich ist alleiniges Auslösekriterium, „dass“ gestillt wird. Die (allerdings eher rechtstheoretische) Konstellation, dass nicht die Frau stillt, die das Kind auch entbunden hat, ist folglich auch von den Schutzmaßnahmen und auch vom Freistellungsanspruch nach § 7 Abs. 2 MuSchG umfasst. In Bezug auf die Frist ist aber weiterhin auf die Entbindung des zu stillenden Kindes abzustellen.

Der Freistellungsanspruch suspendiert im Ergebnis die Frau von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung, verhindert, dass die in Anspruch genommene Zeit weder vor- noch nachgearbeitet werden muss und gewährt über § 23 Abs. 1 MuSchG auch weiterhin, dass durch die Inanspruchnahme der Stillzeit kein Entgeltausfall entsteht. Da es sich (wie bereits erwähnt) bei der Freistellung nach § 7 Abs. 2 MuSchG um kein Beschäftigungsverbot i. S. v. § 2 Abs. 3 MuSchG handelt, stellt die Weiterzahlung der Bezüge durch den Arbeitgeber auch keinen Mutterschutzlohn nach §18 MuSchG dar, so dass auch keine Erstattung von der Umlagekasse U2 erfolgt. Die Kosten für die Stillpausen sind somit allein vom Arbeitgeber zu tragen.

Rechtsnatur der Freistellung

Eine Freistellung i. S. v. § 7 Abs. 2 MuSchG entfaltet nicht nur insofern eine Wirksamkeitsdimension, dass der Frau der entsprechende Zeitraum „zur Verfügung gestellt“ wird. Sie bedeutet vielmehr, dass die Frau bei normal weiterbestehendem Beschäftigungsverhältnis von der Arbeitspflicht entbunden wird, diese Zeit aber auch nicht nacharbeiten muss. Der Anspruch auf Entlohnung besteht weiterhin auch für die zum Stillen erforderliche Zeit. Durch dieses Instrumentarium ist gewährleistet, dass die Frau nicht aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus auf das Stillen verzichtet. Durch die Einbeziehung des Freistellungsanspruchs in das MuSchG entfaltet dieser Anspruch weiterhin eine öffentlich-rechtliche Natur. Der Verstoß ist bußgeldbewehrt (vgl. § 32 Abs. 1 Nr. 4 MuSchG) und weiterhin haben die zuständigen Aufsichtsbehörden auch die Möglichkeit, mit den Mitteln des Verwaltungszwanges diesen Anspruch durchzusetzen (vgl. § 29 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 MuSchG).

Weiterhin entfaltet der Freistellungsanspruch allerdings auch eine zivilrechtliche Dimension. Über die allgemeinen Fürsorgepflichten nach § 618 BGB werden die Verpflichtungen des MuSchG auch in das Zivilrecht transformiert. Insofern hat die stillende Frau (für die 12 Monate nach der Entbindung) einen zivilrechtlichen Anspruch auf eine entsprechende Freistellung (§ 618 BGB i. V. m. Abs. 2 MuSchG). Dies ist insofern von Bedeutung, als dass die Ansprüche aus § 616 BGB abdingbar sind, die aus § 618 BGB resultierenden Ansprüche dagegen nicht (vgl. § 619 BGB). Insofern ist es auch nicht möglich, den Freistellungsanspruch zivilrechtlich abzubedingen beziehungsweise dass die Frau vertraglich auf den Anspruch verzichtet. Neben den erwähnten Ordnungswidrigkeiten- und verwaltungsrechtlichen Folgen kann somit im Ergebnis ein Verstoß gegen § 7 Abs. 2 MuSchG auch vertragliche (§ 280 BGB) und deliktische (§§ 823 ff. BGB) Schadensersatzansprüche auslösen. Weiterhin ist § 7 Abs. 2 MuSchG auch ein Schutzgesetz i. S. v. § 823 Abs. 2 BGB. Wird ihr die Stillzeit nach § 7 Abs. 2 MuSchG nicht gewährt, so entsteht hieraus ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB.

Wie bereits erwähnt, müssen die Freistellungszeiten weder vor- noch nachgearbeitet werden (§ 23 Abs. 1 S. 2 MuSchG). Auch eine Anrechnung auf die Ruhepausen ist nicht möglich (§ 23 Abs. 1 S. 3 MuSchG). Weiterhin entsteht auch kein Entgeltausfall.

Verlangen der Frau

Der Freistellungsanspruch entsteht weiterhin dann, wenn die Frau es verlangt (§ 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG). Dies setzt folglich eine entsprechende Willensbekundung der Frau voraus. Die stillende Frau muss also dem Arbeitgeber gegenüber erklären, dass sie diese Zeiten aktiv wahrnehmen will. Da sie (ausdrücklich auch bedingt durch § 7 Abs. 2 MuSchG) bei einem entsprechenden Verlangen ihre Rechte in zulässiger Weise ausübt, darf sie auch nicht durch die Wahrnehmung dieses Rechts benachteiligt werden (vgl. § 612a BGB). Das Begehr ist an keine Formvorschriften gebunden. Aus Beweisgründen empfiehlt sich allerdings zumindest eine gewisse Vertextlichung des Verlangens (z. B. als E-Mail in Textform i. S. v. § 126b BGB).

Zeitansatz

Für welche Zeit genau ein entsprechender Freistellungsanspruch besteht, ist einzelfallbezogen zu betrachten. § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG besagt lediglich, dass bei einem entsprechenden Verlangen „mindestens“ zweimal täglich ein Freistellungsanspruch für jeweils eine halbe Stunde oder einmal täglich für eine Stunde besteht. Sofern die zusammenhängende Arbeitszeit mehr als 8 Stunden beträgt, so soll auf Verlangen der Frau zweimal eine Stillzeit von mindestens 45 Minuten oder (wenn in der Nähe der Arbeitsstätte keine Stillgelegenheit vorhanden ist), einmal eine Stillzeit von mindestens 90 Minuten gewährt werden (§ 7 Abs. 2 S. 2 MuSchG). Hierbei ist aber auch weiterhin zu beachten, dass stillende Frauen vom Grundsatz her nicht länger als 8,5 Stunden (bei minderjährigen Frauen: nicht länger als 8 Stunden) täglich beschäftigt werden dürfen (§ 4 Abs. 1 S. 1 MuSchG).

Eine entsprechende Arbeitszeit gilt dann als „zusammenhängend“, wenn sie nicht durch eine Ruhepause von mehr als zwei Stunden unterbrochen wurde (vgl. § 7 Abs. 2 S. 3 MuSchG).

Erforderliche Zeit

Wie bereits Erwähnung gefunden hat, enthält das Mutterschutzgesetz in § 7 Abs. 2 MuSchG lediglich Mindestzeiten der Freistellung. Auf der anderen Seite bedeutet aber eine Freistellung im mutterschutzrechtlichen Sinn nicht, dass hier die Verpflichtung zur Arbeit während der Stillzeit in Gänze suspendiert wird. Ausweislich des Gesetzeswortlautes gilt der Freistellungsanspruch nur „für die zum Stillen erforderliche“ Zeit. Es kann folglich nur die Zeit freistellungsrechtlich in Anspruch genommen werden, die in tatsächlicher Hinsicht für das Stillen benötigt wird.

Die „Erforderlichkeit“ ist hier allerdings großzügig auszulegen. Insbesondere stellt die Möglichkeit des Abpumpens der Muttermilch keine Erforderlichkeitseinschränkung dar.

Auch wenn (wie bereits erwähnt) § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG Mindestzeiten enthält, so können Stillzeiten aufgrund der Unterschiedlichkeit der Verhältnisse und des tatsächlichen Bedürfnisses nicht einheitlich normiert werden12. Sofern folglich mehr als die in § 7 Abs. 2 MuSchG benannte Zeit benötigt wird, so erstreckt sich der Freistellungsanspruch auch auf diese „Mehrzeiten“. Der Bezug zum tatsächlichen Zeitaufwand bleibt auch dann bestehen, wenn die Frau lediglich in Teilzeit arbeitet. Ist es allerdings Frauen mit geringer täglicher Arbeitszeit möglich und zumutbar, die Stillzeiten außer­halb der Arbeitszeiten zu legen, so ist ein Stillen während der Arbeitszeit nicht mehr als „erforderliche“ Zeit anzusehen, dies ergibt sich aus den Rücksichtnahmepflichten der Frau (§ 241 Abs. 2 BGB). Ob dies allerdings tatsächlich „zumutbar“ ist, bedarf der Einzelfallabwägung und -entscheidung. Theoretisch kann der Zumutbarkeitsaspekt somit auch generell dazu führen, dass der Freistellungsanspruch nach § 7 Abs. 2 MuSchG gar nicht mehr zum Tragen kommt (wenn es der Frau „zumutbar“ ist, gänzlich außerhalb der Arbeitszeit zu stillen). Dies kommt aber nur nach sorgfältiger Einzelfallprüfung in Frage, da sich die Erforderlichkeit auch nach den Bedürfnissen des Kindes auszurichten hat13.

Die Erforderlichkeit umfasst nicht nur den bereits erwähnten Mindestzeitraum, sondern vielmehr auch die Häufigkeit und Lage der Stillzeiten14.

Die „zum Stillen erforderliche“ Zeit umfasst weiterhin nicht nur das Stillen an sich, sondern auch die Zeiten, die das Stillen selbst erst ermöglichen. Was hier als „erforderlich“ anzusehen ist, ist nach objektiven Maßstäben zu bewerten. Bei der Beurteilung dessen, was als Stillzeit erforderlich ist, sind in erster Linie die Belange des Mutterschutzes zu berücksichtigen. Hintergrund dafür ist, dass das MuSchG nach seinem Sinn und Zweck die besonderen Belastungen der Mutter und ihre Stellung im Berufsleben im Interesse der Gesunderhaltung von Mutter und Kind ausgleichen. Zur Stillzeit i. S. v. § 7
Abs. 2 MuSchG gehören folglich auch die Zeiten für die Vorbereitungen, die Wegezeiten zu einem Stillraum oder zur häuslichen Wohnung sowie die Zeit, die die Mutter benötigt, um das Stillen in Ruhe und in gehöriger Weise durchzuführen15. Auch die Zeiten zurück zur Tätigkeitsstätte gehören zum erforderlichen zeitlichen Umfang. Auch wenn an die Erforderlichkeit keine allzu strengen Maßgaben zu richten sind, so greifen auch hier die der Frau obliegenden Treue- und Rücksichtnahmepflichten nach den §§ 241 Abs. 2, 242 BGB. Hieraus folgt dann auch, dass die Frau grundsätzlich gehalten ist, durch zumutbare organisatorische Maßnahmen die Stillzeiten in angemessenen Grenzen zu halten und damit auch die betrieblichen Belange des Arbeitgebers zu berücksichtigen.

Nachweis

Grundsätzlich bedarf es in den ersten 12 Monaten nach der Entbindung des Kindes keines gesonderten Nachweises der „Erforderlichkeit“ des Stillens, sofern feststeht, „dass“ die Frau stillt. Wie bereits Erwähnung gefunden hat, bleibt das „Ob“ des Stillens alleinige und freie Entscheidung der betroffenen Frau. Übersteigt die benötigte Zeit zum Stillen allerdings wesentlich die in § 7 Abs. 2 MuSchG benannten Zeiträume, so kann die Mutter aufgrund von § 242 BGB verpflichtet sein, den erhöhten Bedarf nachzuweisen (z. B. lange Fahrtwege). Solange sich die Erforderlichkeit aus der Notwendigkeit ergibt, dass das Kind häufiger als sonst üblich gestillt werden muss, so kann der diesbezügliche Nachweis auch durch ein ärztliches Attest erfolgen. Verlangt der Arbeitgeber ausdrücklich ein entsprechendes Attest, so muss er auch für die diesbezüglichen Kosten aufkommen16 (§ 9 Abs. 6 S. 2 MuSchG).

Geeignete Räumlichkeiten zum ­Stillen

Fraglich ist auch weiterhin, ob der Arbeitgeber zum Stillen geeignete Räumlichkeiten bereitstellen muss. Diese Frage ist streng zu unterscheiden von der Fragestellung, welche Freistellungszeit als „erforderlich“ i. S. v. § 7 Abs. 2 MuSchG anzusehen ist. Die Frage, „wo“ die Frau stillt, liegt vom Grundsatz her in ihrer freien selbstbestimmten Entscheidung. Auch ein vorhandener Stillraum belässt ihr folglich die Entscheidung, ob sie dort ihr Kind auch stillen will. Regelmäßig wird das Kind aber nicht am Arbeitsplatz beziehungsweise in unmittelbarer Nähe davon anwesend sein. Unabhängig davon bleibt aber die Frage, ob ein Arbeitgeber zumindest für die Möglichkeit des arbeitsortnahen Stillens eine Räumlichkeit zur Verfügung stellen muss.

Das MuSchG selbst gibt hierzu nur schemenhaft eine Antwort. Hier hat der Arbeitgeber lediglich sicherzustellen, dass stillende Frauen ihre Tätigkeiten (soweit erforderlich) kurz unterbrechen können müssen (§ 9 Abs. 3 S. 1 MuSchG). Darüber hinaus muss er auch sicherstellen, dass sich stillende Frauen währen der Pausen und Arbeitsunterbrechungen unter geeigneten Bedingungen hinlegen, hinsetzen und ausruhen können muss (§ 9 Abs. 3 S. 2 MuSchG). Im Ergebnis bedingt dies auch die Bereitstellung geeigneter Räumlichkeiten, wobei das MuSchG selbst die „Stillmöglichkeit“ nicht erwähnt. Auch das Arbeitsstättenrecht erwähnt lediglich die geeigneten Bedingungen für stillende Mütter (vgl. Nr. 4.2 Abs. 1 S. 4 Anhang ArbStättV). Die Regeln der ArbStättV werden allerdings regelhaft durch „Technische Regeln für Arbeitsstätten“ konkretisiert, die vom Ausschuss für Arbeitsstätten erlassen werden (vgl. § 7 ArbStättV). Sofern diese Regeln im Gemeinsamen Ministerialblatt veröffentlicht wurden, so wird von Rechts wegen vermutet, dass der Arbeitgeber die diesbezüglichen Anforderungen der
ArbStättV erfüllt (gesetzliche Vermutungswirkung; § 3a Abs. 1 S. 3 ArbStättV).

Fraglich ist im Ergebnis, ob § 9 Abs. 3 S. 2 MuSchG lediglich bedeutet, dass eine an sich stillende Frau sich unter geeigneten Bedingungen hinlegen und hinsetzen muss oder damit auch der Umstand gemeint ist, dass die Frau dort stillen kann (sofern sie sich frei und selbstbestimmt zum Stillen in den Räumlichkeiten des Arbeitgebers entscheidet). Gleiches gilt für Nr. 4.2 Abs. 1 S. 4 Anhang ArbStättV). Im untergesetzlichen Regelwerk findet sich allerdings die Aussage, dass bei Beschäftigung stillender Mütter die Einrichtungen zum „Stillen“ am Arbeitsplatz oder in unmittelbarer Nähe vorhanden sein müssen (Nr. 6 Abs. 1 ASR A4.2). Weiterhin heißt es dort auch, dass die Einrichtungen zum „Stillen“ gepolstert und mit einem wasch- oder wegwerfbaren Belag ausgestattet sein müssen (Nr. 6 Abs. 2 ASR A4.2). Ausgehend von der gesetzlichen Vermutungswirkung nach § 3a Abs. 1 S. 3 ArbStättV ist folglich davon auszugehen, dass ein Arbeitgeber dann seine arbeitsstättenrechtlichen Verpflichtungen nach der ArbStättV nachkommt, wenn er auch zum Stillen geeignete Räumlichkeiten vorhält. Die Einrichtung von Stillräumen kann weiterhin aber auch von der zuständigen Aufsichtsbehörde angeordnet werden (§ 29 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 MuSchG).

Beendigung des Stillens

Auch wenn das MuSchG hinsichtlich von Mitteilungspflichten anlässlich der Beendigung des Stillens keine Vorgaben enthält, so kann sich je nach Einzelfallkonstellation dennoch aus den aus § 241 Abs. 2, 242 BGB resultierenden Treuepflichten ergeben, dass eine Frau die Beendigung des Stillens dem Arbeitgeber mitteilt. Dies gilt sowohl hinsichtlich der Freistellungsansprüche nach § 7 Abs. 2 MuSchG als auch im Hinblick auf eventuell bestehende stillbedingte Beschäftigungsverbote. Dies gilt natürlich nur dann, wenn sie das Stillen dem Arbeitgeber auch schon mitgeteilt hat (zur Mitteilungsobliegenheit: § 15 Abs. 1 S. 2 MuSchG).

Behördliche Anordnungen

Die zuständige Aufsichtsbehörde kann in Einzelfällen Einzelheiten zur Freistellung zum Stillen nach § 7 Abs. 2 MuSchG und zur Bereithaltung von Räumlichkeiten, die zum Stillen geeignet sind, anordnen (§ 29 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 MuSchG).

Ordnungswidrigkeiten

Sofern der Arbeitgeber entgegen § 7 Abs. 2 MuSchG eine Frau nicht freistellt, so begeht er eine Ordnungswidrigkeit gemäß § 32 Abs. 1 Nr. 4 MuSchG. Der Tatbestand kann sowohl vorsätzlich als auch fahrlässig (folglich durch vermeidbare Unachtsamkeit) erfüllt werden. Die Geldbuße kann im Höchstmaß mit bis zu 30.000 EUR geahndet werden. Bei fahrlässiger Tatbegehung beträgt das Höchstmaß der Geldbuße 17.500 EUR (vgl. § 17 Abs. 2 OWiG). Erlangt der Arbeitgeber durch die Tatbegehung einen wirtschaftlichen Vorteil, so soll die Geldbuße den wirtschaftlichen Vorteil übersteigen (vgl. § 17 Abs. 4 S. 1 OWiG). Reicht das gesetzliche Höchstmaß von 30.000 EUR hier nicht aus, so kann dies auch überschritten werden (vgl. § 17 Abs. 4 S. 2 OWiG). Der Bußgeldkatalog des LASI17 sieht allerdings als Regelanwendung eine solch hohe Geldbuße nicht vor. Hier sind lediglich je
Tag und je Frau 400 EUR als Geldbuße vor­gesehen.

Interessenkonflikt: Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.

doi:10.17147/asu-1-350381

Weitere Infos

Gesetz zum Schutz von Müttern bei der Arbeit, in der Ausbildung und im Studium
https://www.gesetze-im-internet.de/muschg_2018/

Kernaussagen

  • Auch wenn Mütter nach der mutterschutzrechtlichen nachgeburtlichen Schutzfrist regelhaft in Elternzeit gehen, so ist nicht gänzlich unwahrscheinlich, dass die Frau auch noch während der Stillzeit ihre Tätigkeit wieder aufnimmt.
  • Neue Arbeitsformen und Vorstellungen von Arbeit werden in der Zukunft vermehrt dazu führen, dass sich Arbeitgeber auch mit diesem Umstand näher auseinandersetzen müssen.
  • Im Mutterschutzgesetz finden sich diesbezüglich entsprechende Regelungen, die zum einen betriebliche Beschäftigungsverbote behandeln, aber auch das Stillen an sich schützen wollen.
  • Abkürzungen

    Art. Artikel

    MuSchG Mutterschutzgesetz

    Abs. Absatz

    i.d.F.v. in der Fassung vom

    EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft

    RL Richtlinie

    i.S.v. im Sinne von

    UAbs. Unterabsatz

    AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union

    BEEG Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz

    BGBl Bundesgesetzblatt

    BR-Drs. Bundesratsdrucksache

    BeckOK ArbSchR Beck‘scher Online-Kommentar Arbeitsschutzrecht

    BGB Bürgerliches Gesetzbuch

    i.V.m. in Verbindung mit

    S. Seite; Satz

    Rn. Randnummer(n)

    ArbStättV Arbeitsstättenverordnung

    BAG Bundesarbeitsgericht

    ASR Technische Regeln für Arbeitsstätten

    OWiG Gesetz über Ordnungswidrigkeiten

    LASI Länderausschuss für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik

    Kontakt

    Patrick Aligbe, LL. M. (Medizinrecht)
    Stiftsbogen 102; 81375 München

    Foto: privat

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