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Psychosoziale Notfallversorgung in Unternehmen

Ergebnisse einer Bestandsaufnahme

S. Rehmer*

M. Juds*

A. Freudewald

N. Niewrzol

P. Wagner

(eingegangen am 11.12.2024, angenommen am 09.04.2025)

Psychosocial emergency care in companies – Results of an inventory

Objective and Data Basis: The lack of scientific insights into organizational models and approaches for psychosocial support during workplace emergencies prompted a research project at SRH University, supported by DGUV. The study explored perspectives from companies, accident insurance providers, voluntary PSNV-B teams, and external service providers across four sub-projects.

Methods: Eight qualitative and quantitative studies were conducted, each with a screening phase and an in-depth survey. In addition, a secondary data analysis of an existing data set was carried out.

Results: Organizations face a diverse range of emergencies, for which partial preventive measures in psychosocial emergency care (PSNV) have been implemented. There is considerable potential for improvement, particularly in organizational and individual measures, as well as in documentation and reporting practices. Employees affected by emergencies report a lack of specific preparedness, limited documentation, insufficient acute-phase support, and deficits in follow-up care. Accident insurance providers offer a wide array of services for psychosocial emergency care, emphasizing the importance of tailored prevention and rehabilitation measures. They also highlight the need for enhanced information provision and management systems. One in every four to six missions of voluntary PSNV-B teams had a workplace-related cause. Such missions are considered more complex, requiring additional personnel and specialized training. Six months post-intervention, up to 50 % of the individuals supported in workplace contexts reported clinically significant symptoms and experiencing limitations in their professional lives. External service providers vary in size, organizational structure, and the scope of their services. However, there is a lack of consistent quality criteria concerning provider qualifications, ongoing training, and the standards upon which services are based.

Conclusions: With scientifically proven effective measures, companies could be supported even better and more clearly in establishing good emergency prevention and in providing good psychosocial emergency care for em­ployees when an emergency occurs.

Keywords: psychosocial emergency care – occupational emergencies – mental health hazards – occupational accidents – prevention

ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2025; 60: 283 –295

Psychosoziale Notfallversorgung in Unternehmen – Ergebnisse einer Bestandsaufnahme

Ziel und Datenbasis: Da auf Grundlage der wissenschaftlichen Literatur nicht dargestellt werden konnte, welche Modelle und Vorgehensweisen Unternehmen wählen, um eine psychosoziale Betreuung bei Notfällen im Arbeitskontext zu ermöglichen, wurde in einem Forschungsprojekt an der SRH University, unterstützt durch die DGUV, eine Bestandsaufnahme unter Beachtung der verschiedenen Perspektiven von Unternehmen, Unfallversicherungsträgern, ehrenamtlichen PSNV-B-Teams und externen Anbietenden in vier Teilprojekten durchgeführt.

Methoden: Die Untersuchung umfasste insgesamt acht qualitative und quantitative Studien mit jeweils einem Screening und einer Intensivbefragung in jedem Teilprojekt. Zusätzlich erfolgte eine Sekundärdatenanalyse eines bestehenden Datensatzes.

Ergebnisse: In Unternehmen treten viele verschiedene Notfälle auf, für die teilweise präventive Maßnahmen der Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) ergriffen werden – Ausbaupotenziale bestehen vor allem bei organisatorischen und personenbezogenen Maßnahmen sowie beim Dokumentations- und Meldeverhalten. Von Notfällen betroffene Beschäftigte berichten einen Mangel an spezifischer Notfallvorbereitung, eingeschränkte Dokumentation und unzureichende Unterstützung in der Akutphase sowie Defizite in der weiterführenden Betreuung. Unfallversicherungsträger zeigen eine hohe Bandbreite in den Angeboten zur Psychosozialen Notfallversorgung, unterstreichen die Bedeutung von angepassten Präventions- und Rehabilitationsmaßnahmen und heben die Notwendigkeit einer verbesserten Informationsbereitstellung und -verwaltung hervor. Jeder vierte bis sechste Einsatz von PSNV-B-Teams hatte einen betrieblichen Anlass. Betriebliche Einsätze gelten als komplexer und erfordern mehr Personal sowie spezifische Schulungen. Sechs Monate später berichteten bis zu 50 % der betreuten Betroffenen über klinisch relevante Symptome und von Einschränkungen im Berufsalltag. Externe Anbietende unterscheiden sich in Größe und Betriebsform sowie in der Breite ihrer Angebote. Bezüglich der Qualifizierung und Weiterbildung der Anbietenden sowie der Standards, auf denen Angebote basieren, fehlen einheitliche Qualitätskriterien.

Schlussfolgerungen: Mit wissenschaftlich bestätigten wirksamen Maßnahmen könnten Unternehmen noch besser und evident unterstützt werden, eine gute Notfallprävention zu etablieren und bei Eintritt eines Notfalls eine gute psychosoziale Notfallversorgung der Beschäftigten zu ermöglichen.

Schlüsselwörter: Psychosoziale Notfallversorgung – betriebliche Notfälle – psychische Gesundheitsgefährdungen – Arbeitsunfall – Prävention

Einleitung

Das weite Spektrum psychischer und psychosozialer Unfallfolgen kann nach Angenendt (2021) von Unversehrtheit über passagere normale Reaktionen bis hin zu schweren und chronischen Traumafolgestörungen variieren. In dynamischer Wechselwirkung bestimmen sie im Einzelfall die psychische Unfallverarbeitung, die Ergebnisse der mittel- und langfristigen Behandlung sowie der psychosozialen Rehabilitation (ebd.). Im Kontext einer stärkeren Fokussierung auf die psychische Gesundheit in der Arbeitswelt kommt psychischen Gesundheitsgefährdungen und -schäden aufgrund von Unfällen, oder allgemeiner: Notfällen im Arbeitskontext, als Thema des Arbeitsschutzes eine hohe Aufmerksamkeit zu1. Mit dem Begriff Notfall ist eine unerwartete, plötzliche Extremsituation gemeint (DGUV 2017b; Hausmann 2021). Diese ist von kurzer Dauer, hat einen klaren Anfang und ein Ende und geht häufig mit dem Erleben von Angst, Bedrohung oder Hilflosigkeit einher (DGUV 2015b, 2017a; Hausmann 2021). Notfälle im Arbeitskontext sind zum Beispiel schwere oder tödliche Arbeits- und Wegeunfälle, medizinische Notfälle oder verbale und körperliche Gewalttaten oder plötzliche Todesfälle (DGUV 2015a; Hausmann 2021; VBG 2022).

Zur Prävalenz von Notfällen im Arbeitskontext und betroffenen Personen gibt es keine konkreten Zahlen, allerdings zeigt die Gesundheitsberichterstattung des Bundes, dass ca. 30 % aller durch Unfälle getöteten Personen in Deutschland während der Arbeit oder auf dem Weg von und zur Arbeit stattfinden (Robert Koch-Institut 2014). Zudem bewegt sich nach Schäfer et al. (2019) die Gesamtheit aller traumaassoziierten Gesundheitskosten in einer Größenordnung zwischen 524,5 Mill. Euro und 3,3 Mrd. Euro jährlich. Diese Kosten entstehen auch durch psychische Gesundheitsschäden bei Notfällen. Aktuelle Zahlen der Unfallversicherungsträger zeigen, dass 2023 in Deutschland 599 tödliche und knapp eine Million nicht tödliche Arbeits- und Wegeunfälle in Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft und der öffentlichen Hand ereignet haben (DGUV 2024). Für (potenzielle) psychische Gesundheitsschäden bei Notfällen wird die Dunkelziffer hoch eingeschätzt, denn häufig werden Geschehnisse nicht gemeldet, wenn keine Arbeitsunfähigkeit besteht und kein körperlicher Schaden ersichtlich ist, wenn beispielsweise Gewalttaten bagatellisiert werden oder keine Meldung weiterer Betroffener wie Zeuginnen und Zeugen oder Ersthelfender erfolgt, die ebenfalls am Geschehen beteiligt waren (Höller 2022).

Unternehmen sind nach dem Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG, 1996/31.05.2023) dazu verpflichtet, für die Sicherheit und Gesundheit ihrer Mitarbeitenden Fürsorge zu tragen. Dies umfasst auch Maßnahmen zur Vermeidung und Bewältigung psychischer Gesundheitsschäden, die durch Notfälle entstehen können. Die DGUV verweist im Grundsatz 306-001 (DGUV 2017) auf ein Gesamtkonzept im Umgang mit traumatischen Ereignissen, das drei Handlungsphasen umfasst: Entsprechend der DGUV-Terminologie umfasst dies Maßnahmen der Primärprävention (Prävention), der Sekundärprävention (Akutversorgung und weiterführende Betreuung) sowie der Tertiärprävention (Rehabilitation und Wiedereingliederung) zur Vermeidung und Bewältigung potenzieller psychischer Gesundheitsschädigung vor und nach Notfällen in Unternehmen. Dieses Gesamtkonzept können Unternehmen im Rahmen einer Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) umsetzen (s. ➥ Abb. 1, nächste Seite).

Da auf Grundlage der wissenschaftlichen Literatur nicht dargestellt werden konnte, welche Modelle und Vorgehensweisen Unternehmen wählen, um eine psychosoziale Notfallversorgung bei Notfällen im Arbeitskontext zu ermöglichen und es darauf aufbauend wenig Evidenz gab, welche betrieblichen Parameter eine gute psychosoziale Notfallversorgung von Beschäftigten vor und nach Notfallsituationen im Arbeitskontext ausmachen, wurden diese beiden Aspekte im Forschungsprojekt „Psychosoziale Notfallversorgung in Unternehmen – eine Bestandsaufnahme zur Umsetzung in Deutschland“ (DGUV, Projekt-Nr. FF-FP0475) umfassend untersucht.

Das Forschungsprojekt im Überblick

Die Bestandsaufnahme zur psychosozialen Notfallversorgung in Unternehmen erfolgte durch ein multiperspektivisches Vorgehen, bei dem vier unterschiedliche Zielgruppen berücksichtigt wurden: Unternehmen, Unfallversicherungsträger, ehrenamtliche PSNV-B-Teams und externe Anbietende. Durch diese Berücksichtigung verschiedener Perspektiven sollte eine möglichst umfassende und vollständige Situationsbeschreibung der psychosozialen Notfallversorgung mit betrieblicher Indikation in Deutschland erreicht werden. In jedem der vier Teilprojekte erfolgte methodisch eine Kombination zweier Erhebungsschritte. Zunächst wurde mittels eines breiten Screenings eine allgemeine Übersicht der aktuellen Umsetzungssituation erhoben. Daran anschließend fanden gezielte Intensivbefragungen mit ausgewählten Stichproben statt, um detailliertere Informationen zu spezifischen Fragestellungen zu gewinnen. Das Projekt hatte einen Zeitrahmen von Januar 2022 bis März 2025. Für weiterführende Detailanalysen wurde eine Verlängerung bis September 2025 gewährt.

Das Ziel des Forschungsvorhabens war eine deutschlandweite Bestandsaufnahme zur Umsetzung der psychosozialen Notfallversorgung in Unternehmen. Konkret sollten sowohl die empirisch vorgefundenen betrieblichen Umsetzungen erfasst und beschrieben werden als auch betriebliche Faktoren und Maßnahmen eruiert werden, welche die psychosoziale Notfallversorgung nach plötzlich auftretenden Extremsituationen im Arbeitskontext positiv oder negativ beeinflussen.

Für die Forschungstransparenz, die Prä-Registrierung des Forschungsvorhabens sowie der Fragestellungen und der Möglichkeit der Replizierbarkeit der Forschung, wurden zum Projektstart das methodische Design und die Fragestellungen in der DGUV-Forum (Ausgabe 7-8) veröffentlicht (vgl. Rehmer et al. 2022).

Im Folgenden werden für jedes der vier Teilprojekte jeweils Zielstellung und Methode, die Ergebnisse der untersuchten Forschungsfragen, Diskussion und Schlussfolgerung dargestellt. Final wird ein Fazit gezogen und ein Ausblick auf weitere Forschung gegeben.

Teilprojekt 1 – Zielgruppe Unternehmen

Zielsetzung und Methoden

Unternehmen sind nach dem Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG, 1996/31.05.2023) dazu verpflichtet, für die Sicherheit und Gesundheit ihrer Mitarbeitenden Fürsorge zu tragen. Bislang fehlten jedoch systematische Erkenntnisse darüber, wie Unternehmen diese Anforderungen in Bezug auf psychische Gesundheitsgefährdungen bei Notfällen im Rahmen der Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention praktisch umsetzen und welche Erfahrungen Beschäftigte in diesem Kontext machen. Ziel des Teilprojekts war eine deutschlandweite Bestandsaufnahme der Umsetzung psychosozialer Notfallversorgung in Unternehmen entsprechend des DGUV-Modells (Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention) sowie die Identifikation betrieblicher Einflussfaktoren aus Sicht von Unternehmen und betroffenen Beschäftigten.

Studie 1: Zunächst fand ein Screening mittels quantitativer Online-Befragung bei 2388 Unternehmen unterschiedlicher Betriebsgrößen, Branchen (gemäß NACE-Klassifikation) und Unfallversicherungsträger statt. Befragt wurden hier Personen, die im Unternehmen verantwortlich für die PSNV-Konzepte waren oder darüber fachlich Auskunft geben konnten. Dies umfasste unter anderem Unternehmerinnen/Unternehmer, Fachkräfte für Arbeitssicherheit, Beauftragte für das betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) sowie Betriebsärztinnen und Betriebsärzte. Der eingesetzte Fragebogen
(36 geschlossene und offene Fragen) wurde auf Basis wissenschaftlich etablierter Erkenntnisse (z. B. DGUV-Modell der Prävention) entwickelt und deskriptiv ausgewertet. Beispiel-Items sind „Wie viele Beschäftigte arbeiten in Ihrem Betrieb?“ (ordinal) oder „Welche Maßnahmen zur Vorbeugung von psychischen Gesundheitsgefährdungen bei Notfällen gibt es in Ihrem Betrieb?“ (nominal, Mehrfachauswahl).

Studie 2: In der anschließenden Intensivstudie wurden 199 Beschäftigte tiefergehend mittels einer quantitativen Online-Befragung (48 Fragen) befragt, die selbst direkt oder indirekt von betrieblichen Notfällen betroffen waren. Diese Gruppe umfasste direkt betroffene Personen, Ersthelfende, Augenzeuginnen/Augenzeugen sowie Personen, die zwar nicht unmittelbar anwesend waren, aber dennoch psychisch betroffen waren (z. B. Kolleginnen und Kollegen). Die Teilnehmenden arbeiteten in Unternehmen unterschiedlicher Größe und Branche (u. a. Gesundheitswesen, öffentliche Verwaltung, verarbeitendes Gewerbe, Handel und Logistik). Der Fragebogen integrierte validierte Items bestehender Skalen (z. B. zur subjektiven Betroffenheit: „Wie stark sind Sie psychosozial von dem Notfall betroffen gewesen?“; ordinal/intervallskaliert) sowie eigens entwickelte Items basierend auf wissenschaftlicher Literatur. Ein Pretest sicherte die Verständlichkeit der Items. Aufgrund multipler Tests wurde eine Bonferroni-Korrektur durchgeführt (p < 0,000263) zur Sicherung der inferenzstatistischen Ergebnisse. Die qualitativen Daten wurden nach Mayring ausgewertet, mit sehr guter Interrater-Reliabilität (Kappa = 0,92).

Abb. 2: Gegenüberstellung des Dokumentations- und Meldeverhalten in Unternehmen mit und ohne Gefährdungsbeurteilung
Fig 2: Comparison of documentation and reporting practices in companies with and without risk assessments

Untersuchte Forschungsfragen und Ergebnisse

Forschungsfrage 1: Wie werden Beschäftigte in Unternehmen in Deutschland nach Notfällen (plötzlich auftretenden Extrem­situationen) psychosozial betreut?

Aus Sicht der Unternehmen: In Unternehmen treten viele verschiedene Notfälle auf, für die teilweise präventive Maßnahmen der psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) ergriffen werden. Insbesondere technische Maßnahmen werden dabei bereits von den meisten Unternehmen als umgesetzt angegeben. Besonderer Verbesserungsbedarf besteht hingegen im Bereich der organisatorischen und personenbezogenen Maßnahmen sowie im Dokumentations- und Meldeverhalten.

Detail: Auf einer Skala von 1 (eher unwahrscheinlich) bis 4 (sicher) ergab sich anhand der Mittelwerte (M) über alle Unternehmen hinweg folgendes Ranking der Notfallarten zur Eintretenswahrscheinlichkeit:

  • Wege- und Verkehrsunfälle (M = 2,49)
  • medizinische Notfälle (M = 2,25)
  • verbale Gewalt (M = 2,13)
  • plötzliche Todesfälle (M = 2,01)
  • Brände (M = 1,76)
  • Arbeitsunfälle mit schwerer oder tödlicher Verletzung (M = 1,72)
  • gewaltsame körperliche Übergriffe (M = 1,58)
  • Suizid und Suizidversuche (M = 1,45)
  • sexuelle Übergriffe/sexuelle Gewalt (M = 1,42)
  • Angriffe durch Tiere (M = 1,34)
  • Raubüberfälle, Geiselnahmen und Amokläufe (M = 1,25)
  • Notfallarten mit starker gesetzlicher Regulierung, wie Brände oder Verkehrsunfälle, werden in der Gefährdungsbeurteilung deutlich häufiger berücksichtigt als beispielsweise Gewaltformen oder plötzliche Todesfälle sowie Suizide.

    Zudem ist das Dokumentations- und Meldeverhalten für psychische Gesundheitsgefährdungen, im Vergleich zu körperlichen Schädigungen, deutlich geringer und nimmt zusätzlich mit dem Grad der Betroffenheit (direkt Betroffene, kollegiale Ersthelfende, Augenzeuginnen/Augenzeugen) weiter ab.

    Die befragten Unternehmen schätzen insgesamt ihre psychosoziale Notfallversorgung im Mittelwert nur mit M = 39,11 von 100 Punkten ein, wobei der Median bei 0 liegt – viele Betriebe geben also an, bislang gar keine entsprechenden Strukturen zu haben.

    Detail: Bemerkenswert sind die Ergebnisse zur Dokumentation beziehungsweise Meldehäufigkeit in der Gegenüberstellung der Unternehmen mit und ohne Gefährdungsbeurteilung (GBU), wie in ➥ Abb. 2 dargestellt. Hier zeigen sich die gleichen Trends, aber mit einer deutlichen absoluten Verschiebung der Werte. Das bedeutet auch, dass das grundsätzliche Dokumentations- beziehungsweise Meldeverhalten in Unternehmen ohne GBU deutlich geringer ist und psychische Gesundheitsgefährdungen bei betroffenen Beschäftigten nahezu nicht dokumentiert oder gemeldet werden.

    Aus Sicht betroffener Beschäftigter: Von Notfällen betroffene Beschäftigte berichteten in ihren Unternehmen einen Mangel an spezifischer Notfallvorbereitung, eingeschränkte Dokumentation und unzureichende Unterstützung. Besonders Frauen waren schlechter auf Notfälle vorbereitet und berichteten vermehrt von fehlender Betreuung und negativen Reaktionen, wie ignoriert werden oder Schuldvorwürfen.

    Detail: Die Ergebnisse in ➥ Abb. 3 zeigen einen klaren Trend über die verschiedenen Phasen der Notfallversorgung hinweg. Während Maßnahmen in der Vorbereitung und Akuthilfe noch relativ häufig angeboten wurden, sinkt die Inanspruchnahme und Verfügbarkeit von Maßnahmen in den späteren Phasen deutlich. Ein ähnlicher Abwärtstrend zeigt sich bei der Bewertung der Maßnahmen. Während die Maßnahmen in der Vorbereitung noch häufiger als „gut“ oder „befriedigend“ bewertet werden, verschlechtern sich die Bewertungen in den späteren Phasen.

    Insgesamt zeigt sich ein signifikanter Zusammenhang zwischen dem Erhalten von Maßnahmen und der Anzahl dieser mit der Bewertung. Desto mehr Maßnahmen erhalten wurden in einer Phase, desto besser wurde diese bewertet (vgl. ➥ Abb. 4).

    Prävention: 59,4 % der Befragten berichteten von einer allgemeinen Notfallvorbereitung im Unternehmen, spezifische Schulungen erhielten jedoch nur 32,73 %. Frauen fühlten sich schlechter vorbereitet als Männer; so bewerteten 38,3 % der Frauen die Vorbereitung als „ungenügend“, gegenüber nur 20 % der Männer. Ältere Beschäftigte (über 50 Jahre) und Führungskräfte fühlten sich insgesamt besser vorbereitet als jüngere Mitarbeitende und Personen ohne Führungsverantwortung. Im Mittel wurde die Vorbereitung mit der Schulnote M = 3,77 bewertet (1 = sehr gut, 6 = ungenügend). Am geringsten war das Wissen bei sexueller und verbaler Gewalt sowie Raubüberfällen. Augenzeuginnen/Augenzeugen fühlten sich besonders schlecht vorbereitet. Eine bessere Bewertung der Präventionsmaßnahmen korrelierte mit geringerer psychosozialer Betroffenheit und geringerer Betroffenheit durch Betreuungstätigkeiten (s. Abb. 4).

    Akutphase: Direkt nach einem Notfall erhielten Männer signifikant mehr Unterstützungsmaßnahmen (M = 2,54) als Frauen (M = 1,25; t(110) = 3,84, p < 0,001, Cohen’s d = 0,73). Besonders jüngere Beschäftigte berichteten über fehlende Betreuung und Frauen über negative Reaktionen, wie ignoriert zu werden oder Schuldzuweisungen. Frauen waren doppelt so häufig von solchen negativen Erfahrungen betroffen wie Männer, insbesondere nach sexueller Gewalt und plötzlichen Todesfällen. Personen in helfenden Rollen fühlten sich dagegen besser unterstützt als direkt Betroffene und Augenzeuginnen/Augenzeugen. Die Akutbetreuung wurde mit einer durchschnittlichen Schulnote von M = 4,04 bewertet. Positivere Bewertungen hingen mit einer höheren Anzahl angebotener Maßnahmen zusammen (vgl. Abb. 4).

    Nachsorge: Nur 32,2 % der Befragten erhielten psychosoziale Unterstützung in der Nachsorge. Frauen berichteten häufiger von fehlenden Angeboten und einer zusätzlichen Betroffenheit dadurch. Ältere Beschäftigte und Führungskräfte nutzten und bewerteten Nachsorgemaßnahmen häufiger positiv als jüngere Beschäftigte und Mitarbeitende ohne Führungsverantwortung. Insgesamt erhielt die Nachsorge die Schulnote M = 4,00. 45,1 % der Männer bewerteten die Nachsorge als „gut“ oder „sehr gut“, wohingegen 38,3 % der Frauen sie als „mangelhaft“ oder „ungenügend“ einstuften. Eine bessere Bewertung der Nachsorge korrelierte positiv mit der Bewertung von Rehabilitation und Wiedereingliederung (vgl. Abb. 4).

    Rehabilitation: Maßnahmen zur Rehabilitation durch den Unfallversicherungsträger wurden insgesamt seltener genutzt. Männer berichteten häufiger von spezifischen Angeboten wie wohnortnahen Therapieplätzen oder psychologischer Beratung. Jüngere Beschäftigte äußerten den Wunsch nach intensiverer Begleitung während der Therapie und empfanden die Maßnahmen oft als unzureichend. Die Rehabilitation wurde durchschnittlich mit der Schulnote M = 4,07 bewertet. Eine bessere Bewertung der Rehabilitation stand im Zusammenhang mit einer besseren Bewertung der Wiedereingliederung (vgl. Abb. 4).

    Wiedereingliederung: Wiedereingliederungsmaßnahmen wurden vor allem von älteren Beschäftigten genannt. Männer berichteten häufiger über strukturierte Maßnahmen wie angepasste Arbeitszeiten oder Weiterbildungen. Frauen kritisierten das Fehlen von Unterstützung und fühlten sich bei der Rückkehr an den Arbeitsplatz oft alleingelassen. Mitarbeitende unter 30 Jahren erhielten seltener Wiedereingliederungsangebote und wünschten sich mehr Unterstützung beim Übergang zurück in den Beruf. Die Wiedereingliederung wurde mit einer durchschnittlichen Schulnote von M = 4,29 bewertet. Die Korrelationsmatrix zeigt, dass eine positivere Bewertung der Wiedereingliederung mit einer besseren Rehabilitation sowie einem besseren allgemeinen Befinden einhergeht (vgl. Abb. 4).

    Betroffenheit: Die psychosoziale Betroffenheit durch den Notfall lag im Mittel bei M = 3,04, wobei 39,72 % der Betroffenen angaben, stark (4) oder sehr stark (5) betroffen gewesen zu sein. Auffällig war, dass Gewaltereignisse im Allgemeinen (z. B. sexuelle Übergriffe M = 4,20 oder verbale Gewalt M = 3,67) und bei Männern insbesondere gewaltsame körperliche Übergriffe eine starke psychosoziale Betroffenheit auslösten (M = 3,50). Direkt betroffene Personen waren am stärksten betroffen (M = 3,50), gefolgt von Augenzeuginnen/Augenzeugen (M = 2,92) und Ersthelfenden (M = 2,72). Als die prägendsten Betroffenheitsfaktoren nannten die Befragten:

  • Ohnmacht, Hilflosigkeit und Kontrollverlust (26,05 %): Besonders ausgeprägt bei Helfenden und Augenzeuginnen/Augenzeugen.
  • Angst vor einer erneuten Situation (14,29 %): häufigste Angst bei direkt Betroffenen.
  • Physische Betroffenheit durch die Verletzung (12,61 %): vor allem bei direkt betroffenen Personen.
  • Dokumentation und Meldung: Insgesamt berichteten 68,39 % der Befragten, dass der Notfall dokumentiert wurde. Eine offizielle Meldung an den Unfallversicherungsträger erfolgte jedoch nur bei 44,81 % der Fälle. Besonders relevant: Die interne Dokumentation eines Notfalls erhöhte die Wahrscheinlichkeit einer Meldung um das 6,8fache. Zudem hatten 60,26 % der Befragten bereits mindestens einen weiteren Notfall im Arbeitskontext erlebt.

    Forschungsfrage 2: Welche internen und externen betrieblichen Faktoren und Maßnahmen beeinflussen eine psychosoziale Notfallversorgung nach plötzlich auftretenden Extremsituationen im Arbeitskontext positiv oder negativ?

    Aus Sicht der Unternehmen: Hinderlich bei der Umsetzung psychosozialer Betreuung in Unternehmen waren vor allem fehlende Informationen, Ressourcen und die Priorisierung anderer Themen, wobei knapp die Hälfte der Befragten angab, dass das Thema betriebsintern noch nicht präsent war; förderlich hingegen war die Unterstützung durch externe Dienstleistende und Informationsmaterialien der Unfallversicherungsträger.

    Aus Sicht betroffener Beschäftigter: Positive Faktoren sind beispielsweise Qualifikation, Schulung und klare Zuständigkeiten im Notfallmanagement, wobei betriebliche Erstbetreuende eine wichtige Rolle spielen, während mangelnde Vorbereitung, Kommunikationsdefizite und strukturelle Schwächen negative Auswirkungen haben, besonders bei Frauen.

    Externe Unterstützung durch Kriseninterventionsteams, medizinische Fachkräfte und die Nachsorge durch Unfallversicherungsträger ergänzen die betriebsinternen Maßnahmen, wobei externe Unterstützung jedoch nicht immer optimal genutzt wird.

    Diskussion

    Die vorliegenden Ergebnisse zeigen, dass Maßnahmen der psychosozialen Notfallversorgung in Unternehmen bisher unzureichend implementiert sind, insbesondere auf organisatorischer und personenbezogener Ebene. Technische Maßnahmen werden zwar häufig genannt, was jedoch vor allem ihre etablierte Präsenz im Arbeitsschutz widerspiegelt. Diese Diskrepanz wurde bereits in Studien zur betrieblichen Gesundheitsförderung beschrieben, wo technische Maßnahmen dominieren und organisatorische oder personenbezogene Ansätze vernachlässigt werden. Ein Grund dafür ist, dass technische Maßnahmen unmittelbare, messbare Effekte erzielen, klare rechtliche Vorgaben erfüllen und leichter dokumentiert werden können. Dagegen erfordern organisatorische und personenbezogene Maßnahmen kontinuierlichen Aufwand, sind verhaltensabhängig und schwerer nachzuweisen, was ihre Umsetzung erschwert (Schmitt-Howe u. Hammer 2019).

    Ein weiterer relevanter Befund ist, dass Maßnahmen, die gesetzlich klar regulierte Ereignisse betreffen (z. B. Brände, Verkehrsunfälle), häufiger umgesetzt werden als solche für psychische Gesundheitsgefährdungen infolge von Gewalt oder plötzlichen Todesfällen. Während Schutzmaßnahmen bei Bränden durch klare gesetzliche Vorgaben wie § 10 ArbSchG, die ASR A2.2 sowie DGUV-Informa­tionen konkret geregelt sind (DGUV 2020), existieren für Gewalt am Arbeitsplatz vorrangig Empfehlungen und Handlungshilfen, jedoch keine vergleichbar verbindlichen Vorschriften (DGUV 2023). Eine differenzierte Betrachtung der Zusammenhänge zwischen Geschlecht, Notfallart und erlebter psychosozialer Versorgung unterstreicht dieses Defizit. Frauen haben in der vorliegenden Studie signifikant schlechtere Notfallvorbereitung und unzureichendere Betreuung berichten. Eine vertiefte Analyse zeigt jedoch, dass diese Unterschiede weniger auf das Geschlecht an sich als vielmehr auf die Art der erlebten Notfälle zurückzuführen sind. Männer waren häufiger von klassischen, arbeitsschutzrechtlich gut eingebetteten Notfällen betroffen, wie schweren Arbeitsunfällen oder Wegeunfällen. Frauen hingegen waren überproportional häufig mit plötzlichen Todesfällen, verbaler oder sexueller Gewalt betroffen.

    Schlussfolgerung

    Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass die Psychosoziale Notfallversorgung in deutschen Unternehmen bisher unzureichend umgesetzt wird und insbesondere Ereignisse wie Gewalt, Suizide und plötzliche Todesfälle werden wenig berücksichtigt. Eine gute Psychosoziale Notfallversorgung in Unternehmen führt zu einer geringeren psychosozialen (Fehl-)Belastung betroffener Beschäftigter und damit zu weniger psychischen Gesundheitsschäden und betrieblichen Folgen. Ein betriebliches Betreuungskonzept sollte alle Phasen der Prävention auf allen Ebenen (TOP) beinhalten. Eine Gefährdungsbeurteilung ist die Grundlage, dass psychische Gesundheitsgefährdungen bei Notfällen dokumentiert und gemeldet werden. Die Unterschiede in der Versorgung sind dabei Ausdruck branchenspezifischer und notfallartenspezifischer Unterschiede, die sich in der Praxis und in der rechtlichen Verankerung widerspiegeln. Für eine verbesserte PSNV in Unternehmen bedarf es, neben den schon gennannten Empfehlungen, eines stärkeren Fokus auf Notfallarten, die bislang nicht ausreichend durch Arbeitsschutz und Gefährdungsbeurteilungen abgedeckt werden. Das Thema PSNV in Unternehmen muss weiter protegiert werden damit Arbeitsgebende sich entsprechend der gesetzlichen Vorgaben und im Sinne der Fürsorgepflicht mit der Primärprävention (Prävention), der Sekundärprävention (Akutversorgung und weiterführende Betreuung) sowie der Tertiärprävention von psychischen Gesundheitsgefährdungen bei Notfällen auseinandersetzen, damit betroffene Beschäftigte im Ernstfall Unterstützung erhalten.

    Teilprojekt 2 – Zielgruppe Unfallversicherungsträger

    Zielsetzung und Methoden

    Die Unfallversicherungsträger in Deutschland sind zentrale Akteure, wenn es um die Unterstützung von Unternehmen bei der Umsetzung einer Psychosozialen Notfallversorgung geht. Jedoch existieren bislang kaum Analysen darüber, wie die Träger ihr Angebot konkret gestalten und welche Maßnahmen der Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention umgesetzt werden.

    Ziel dieses Teilprojekts war die Analyse der bestehenden und geplanten Unterstützungsmaßnahmen der Unfallversicherungsträger entsprechend des DGUV-Modells in der Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention sowie die Eruierung von deren Ideen für die Weiterentwicklung ihrer Angebote.

    Studie 3: Zunächst erfolgte im Screening eine umfassende Sammlung von verschiedenen Dokumenten wie Broschüren, Flyer und anderen Textmaterialien, die sich mit der Psychosozialen Notfallversorgung befassen mittels Dokumentenanalyse bei allen 34 (31) Unfallversicherungsträgern. Studie 4: Für die anschließende Intensivstudie wurden Ansprechpartnerinnen und -partner aus den Bereichen Prävention und Rehabilitation der Unfallversicherungsträger befragt, die von den Trägern explizit für die Studie benannt wurden. Die insgesamt 21 leitfadengestützten qualitativen Interviews (41 offene und teilstrukturierte Fragen) fanden sowohl online als auch persönlich vor Ort statt. Der Interviewleitfaden wurde aus validierten Leitfäden ähnlicher Studien und dem DGUV-Präventionsmodell abgeleitet. Beispiel-Items sind „Welche Maßnahmen zur Prävention von Notfällen erachten Sie als sinnvoll?“ (offen, qualitativ-nominal) oder „Welche Schwierigkeiten sehen Sie bei der Durchführung dieser Präventionsmaßnahmen?“ (offen, qualitativ-nominal). Die Auswertung der Interviews erfolgte mittels qualitativer Inhaltsanalyse nach Mayring und Quantifizierung mit nachfolgender deskriptiver Auswertung. Zur Sicherstellung der Zuverlässigkeit wurde die Interrater-Reliabilität mittels Cohen‘s Kappa bestimmt, die eine sehr gute Übereinstimmung zwischen den Kodierenden zeigte (Kappa = 0,94).

    Untersuchte Forschungsfragen und Ergebnisse

    Forschungsfrage 3: Welche Hilfestellungen beziehungsweise Unterstützungen bieten Unfallversicherungsträger im Bereich
    PSNV für ihre Mitgliedsunternehmen an?

    In der Dokumentenanalyse wurden insgesamt 118 Dokumente von 31 Unfallversicherungsträgern identifiziert. Zur inhaltlichen Aufschlüsselung wurden die Daten auch separat in vier Gruppen betrachtet: Berufsgenossenschaften (BG), Unfallkassen (UK), Feuerwehr-Unfallkassen (FUK) und sonstige Unfallversicherungsträger (Sonstige). Die am häufigsten gefundenen Dokumente waren die DGUV Vorschrift 25 zur Überfallprävention, die Broschüre „Trauma – was tun?“, die DGUV Information 206-023 zu betrieblicher psychologischer Erstbetreuung und die DGUV Information 205-027 zur Prävention von Übergriffen auf Einsatzkräfte.

    In den Interviews nannten die Unfallversicherungsträger verschiedene Maßnahmen, um Unternehmen in der psychosozialen Notfallversorgung zu unterstützen:

  • Prävention: Dazu zählen Informationsmaterialien, Schulungen und Seminare zur Ausbildung von betrieblich psychologischen Erstbetreuenden.
  • Akuthilfe: Unterstützung erfolgt durch Sorgentelefone, Hotlines oder externe Psychologen oder Psychologinnen vor Ort. Diese Angebote sind vor allem in der direkten Notfallsituation hilfreich.
  • Rehabilitation und Wiedereingliederung: Die UVT fördern die Rehabilitation und Wiedereingliederung Betroffener durch Therapieangebote und finanzielle Entlastung.
  • Als zentrale Herausforderung wird von den UVT die uneinheitliche Ausbildung der betrieblich psychologischen Erstbetreuenden und Rollenkonflikte angegeben. Zudem gaben sie an, dass eine standardisierte Dokumentation von Notfällen mit psychischer Gesundheitsgefährdung ausgebaut werden kann, um gezielte Maßnahmen abzuleiten.

    Forschungsfrage 4: Welche Ideen und Pläne haben die Unfallversicherungsträger wie Unternehmen zukünftig bei der psychosozialen Betreuung nach plötzlich auftretenden Extremsituationen im Arbeitskontext unterstützt werden können?

    Die Unfallversicherungsträger nannten mehrere Initiativen, um die psychosoziale Notfallversorgung in Unternehmen zu stärken:

  • Digitale Weiterbildung: Der Ausbau von Onlinemodulen und hybriden Seminaren soll die Weiterbildung flexibler und zugänglicher machen.
  • Wissensaustausch: Plattformen für den Austausch zwischen betrieblich psychologischen Erstbetreuenden sowie regelmäßige Auffrischungskurse sind vorgesehen, um Kompetenzen zu erhalten und auszubauen.
  • Spezifische Anpassungen: Die Angebote sollen stärker an branchenspezifische Anforderungen und die Bedürfnisse vulnerabler Gruppen angepasst werden.
  • Diskussion

    Die Ergebnisse verdeutlichen, dass Unfallversicherungsträger (UVT) eine zentrale Rolle in der psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) einnehmen, gleichzeitig jedoch vor strukturellen Herausforderungen stehen. Insbesondere gaben sie an, dass die uneinheitliche Qualifikation betrieblicher psychologischer Erstbetreuender und das Fehlen verbindlicher Standards die Wirksamkeit der PSNV-Maßnahmen erschweren. Auch die Literatur zur psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt hebt hervor, dass klare Zuständigkeiten, standardisierte Prozesse und spezifische Qualifikationen essenziell sind, um Betroffene adäquat zu unterstützen (DGUV 2017a; Parpart 2016).

    Darüber hinaus zeigen sie einen deutlichen Bedarf nach einer systematischen Erfassung und Dokumentation psychischer Gesundheitsgefährdungen auf. Bisher fokussieren Unfallanzeigen und Gefährdungsbeurteilungen vorrangig physische Verletzungen, während psychische Gesundheitsgefährdungen oft unzureichend erfasst werden (Höller 2022). Dies erschwert nicht nur eine bedarfsgerechte Versorgung, sondern auch die Weiterentwicklung von Präventions- und Rehabilitationsmaßnahmen (DGUV
    2015a).

    Schlussfolgerung

    Die Untersuchung zeigt, dass Unfallversicherungsträger bereits wesentliche Elemente der Psychosozialen Notfallversorgung in Unternehmen unterstützen, gleichzeitig aber vor Herausforderungen wie fehlenden Standards und mangelnder Erfassung von Notfällen stehen. Sie betonen die Notwendigkeit von klaren Qualifikationsstandards, einer verbindlichen Dokumentation und einer systematischen Qualitätssicherung. Nur so kann die PSNV als integraler Bestandteil des Arbeitsschutzes nachhaltig gestärkt werden.

    Abb. 3: Gegenüberstellung der Maßnahmen in der psychosozialen Notfallversorgung in Unternehmen und deren Bewertung
    Fig 3: Comparison of measures in psychosocial emergency care in companies and their evaluation

    Teilprojekt 3 – Zielgruppe ehrenamtliche PSNV-Teams

    Zielsetzung und Methoden

    In Deutschland gibt es ungefähr 320 ehrenamtliche Dienste der Psychosozialen Notfallversorgung für die Bevölkerung, sogenannte PSNV-B-Teams, wie beispielsweise Kriseninterventions- oder Notfallseelsorgeteams. Diese werden überwiegend durch Einsatzorganisationen wie Feuerwehr, Polizei und Rettungsdienste alarmiert, um betroffene Personen bei Notfällen im häuslichen Bereich oder öffentlichen Raum in der Akutsituation zu betreuen. Darüber hinaus finden auch regelmäßig Alarmierungen zu betrieblichen Notfällen, wie Arbeits- und Wegeunfällen oder Notfällen in Schulen statt. Bisher fehlten jedoch systematische Erkenntnisse über die Häufigkeit und den Verlauf solcher betrieblichen Einsätze sowie zu den Erfahrungen der eingesetzten Teams.

    Die Datenerhebung im Teilprojekt 3 erfolgte dreistufig. Studie 5:
    Zunächst wurden mittels einer deutschlandweiten quantitativen Erhebung Daten zu betrieblichen Einsätzen von ehrenamtlichen PSNV-B-Teams erfasst. Von den über 320 PSNV-B-Teams konnten insgesamt elf Teams gewonnen werden, ursprünglich mit dem Ziel, idealerweise jeweils ein Team aus jedem der 16 Bundesländer einzubeziehen. Die ausgewählten Teams repräsentierten dabei sowohl städtische als auch ländliche Regionen. Ziel dieses Screenings war die systematische Erfassung der Anzahl betrieblicher Einsätze („Wie viele betriebliche Einsätze hatten Sie im letzten Jahr?“, metrisch) sowie spezifischer Einsatzindikationen (z. B. „Arbeitsunfall“, nominal), um auf dieser Basis eine Quotenberechnung für die nachfolgende Intensivstudie durchführen zu können.

    Studie 6: Die anschließende Intensivstudie beinhaltete einen retrospektiven Erfahrungsaustausch mit den ehrenamtlichen PSNV-B-Teams, der teils online, teils vor Ort stattfand. Je nach Team nahmen einzelne Personen teil oder das gesamte Team war bei den Gesprächen anwesend. Dabei wurden detaillierte Angaben zu konkreten betrieblichen Einsätzen erfasst, unter anderem zu Einsatzsetting (Bundesland, nominal), Einsatzindikation (z. B. „medizinischer Notfall“, nominal), Einsatzdauer (in Minuten, metrisch), Anzahl und Merkmalen der betreuten Personen (Geschlecht, nominal; Alter, metrisch; Status wie Betroffene/r, Angehörige/r, Augenzeug/in, nominal) sowie zur Einschätzung der Betreuung aus Sicht der PSNV-Kräfte („Wie erfolgreich war die Betreuung?“, ordinal). Die eingesetzten standardisierten Fragebögen (Einsatzdokumentationsbögen) enthielten validierte Items und wurden ergänzend durch offene Items zur qualitativen Reflexion („Anmerkungen zum Einsatz“, qualitativ) erweitert. Die quantitativen Daten der Intensivstudie wurden mittels deskriptiver Statistik (SPSS) ausgewertet. Die qualitativen Anmerkungen wurden durch eine qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring ausgewertet.

    Zusätzlich wurde eine umfassende Sekundärdatenanalyse eines längsschnittlichen Datensatzes mit 30 PSNV-B-Einsätzen mit betrieblichem Hintergrund durchgeführt, um ergänzende Erkenntnisse zur Praxis und möglichen längerfristigen Wirkungen der PSNV-B-Einsätze zu gewinnen. Der Datensatz umfasste drei Messzeitpunkte: die Akutbetreuung (Fremdbeurteilung durch die Einsatzkräfte), eine Befragung zwei Wochen nach dem Ereignis sowie eine erneute Befragung sechs Monate nach dem Ereignis (jeweils Selbstbeurteilungen der betreuten Personen). Erhoben wurden unter anderem klinische Maße mit validierten Fragebögen zu depressiven Symptomen, Schlafstörungen, posttraumatischen Belastungsreaktionen sowie Beeinträchtigungen im alltäglichen Leben und Arbeiten. Beispielhafte Items lauteten „Wie sehr fühlen Sie sich aktuell durch depressive Symptome belastet?“ oder „Erleben Sie seit dem Ereignis Einschränkungen im beruflichen Alltag?“. Die Auswertung erfolgte deskriptiv. Ziel dieser Sekundäranalyse war es, Häufigkeit, Praxis und mögliche längerfristige Auswirkungen betrieblicher Einsätze ehrenamtlicher PSNV-B-Teams systematisch zu erfassen und praxisnahe Erkenntnisse für deren gezielte Unterstützung und Weiterentwicklung im Rahmen des DGUV-Präventionsmodells abzuleiten.

    Untersuchte Forschungsfragen und Ergebnisse

    Forschungsfrage 5: Wie häufig haben die Einsätze ehrenamtlicher PSNV-B-Teams einen betrieblichen Anlass?

    Die Einsatzquote von Einsätzen mit betrieblichem Anlass beträgt 17,16 % (bei N = 1382; Range: 10,26–25,64 %). Im Sekundärdatensatz konnten 15,06 % der Einsätze mit einem betrieblichen Anlass nachgewiesen werden.

    Forschungsfrage 6: Wie erleben PSNV-B-Einsatzkräfte die Einsätze im betrieblichen Bereich?

    Die qualitative Inhaltsanalyse von insgesamt 276 Antworten in den teilstrukturierten Erfahrungsaustauschen zeigte, dass sich für die PSNV-B-Einsatzkräfte die psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) im betrieblichen Kontext deutlich von der im öffentlichen oder privaten Bereich unterscheidet. Besonders herausfordernd nannten sie die komplexen Anforderungen durch interne Rollen und hierarchische Strukturen in Unternehmen, die in 20,29 % der Aussagen als zentral hervorgehoben wurden, da sie die Offenheit der Betroffenen beeinträchtigen und die Arbeit der PSNV-B-Einsatzkräfte erschweren. Als weiteren wesentlichen Aspekt gaben sie den Mangel an struktureller Unterstützung an, wie fehlende Rückzugsräume und betriebliche Ressourcen, die in 17,39 % der Aussagen als notwendig für eine effektive Betreuung der vielen Betroffenen identifiziert wurden. Emotionale Barrieren, insbesondere die Zurückhaltung von Führungskräften und Mitarbeitenden, beeinflussten die Kommunikation und erforderten eine besonders sensible Intervention, was in 11,59 % der Antworten der PSNV-B-Einsatzkräfte thematisiert wurde.

    Der differenzierte Blick auf Einsätze in Unternehmen, Schulen und bei Wegeunfällen zeigt, dass diese durch heterogene Betroffenengruppen, fehlende Rückzugsräume und hohe organisatorische Anforderungen gekennzeichnet sind. Gemeinsame Herausforderungen umfassen den Umgang mit psychisch stark beanspruchten Personen, die Notwendigkeit individualisierter Betreuung sowie die Beeinflussung durch äußere Faktoren wie mediale Aufmerksamkeit. Unterschiede bestanden insbesondere in den Zielgruppen, den räumlichen Gegebenheiten und den systemischen Anforderungen, wobei Schulen oft über etablierte Krisenstrukturen verfügen, während Wegeunfälle häufig durch unstrukturierte Abläufe erschwert werden. Die Haltung und Unterstützung von Leitungspersonen spielten in Unternehmen und Schulen eine zentrale Rolle für die Akzeptanz und Wirksamkeit von PSNV-Maßnahmen, während bei Wegeunfällen die Zusammenarbeit mit Behörden entscheidend war.

    Die Analyse von Weiterbildungsbedarfen der PSNV-B-Einsatzkräfte ergab sechs Hauptkategorien mit unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten. Als häufigste Kategorie betonten sie die Integration betrieblicher Aspekte (34,42 %), insbesondere durch Module zu betrieblichen Einsätzen und Betriebsbesichtigungen, um spezifische Arbeitskontexte besser zu verstehen. Mit jeweils 15,58 % der Nennungen wurden die Kategorien Umgang mit Betroffenengruppen, Wissen über Unfallversicherungen sowie Selbstfürsorge und Reflexion hervorgehoben, wobei Schulungen zu spezifischen Betroffenengruppen, rechtlichen Rahmenbedingungen und persönlicher Reflexion angeregt wurden. Komplexe Einsätze (12,32 %) wurden als weitere Herausforderung angegeben, wobei Trainings für Großschadenslagen und Führungsqualifikationen vorgeschlagen wurden. Im Sekundärdatensatz zeigten sich im Erleben der Einsatzkräfte ebenfalls quantitative Unterschiede zwischen Einsätzen mit betrieblichem und nicht betrieblichem Anlass (N = 203, davon betrieblich n = 30).

    Forschungsfrage 7: Wie könnten Unternehmen bei der psycho­sozialen Betreuung nach Notfällen unterstützt werden?

    Die Ergebnisse der 36 Antworten der PSNV-B Einsatzkräfte verdeutlichten, dass ihrer Auffassung nach eine umfassende Unterstützung von Unternehmen bei der psychosozialen Betreuung nach Notfällen nur durch eine Kombination verschiedener Maßnahmen gewährleistet werden kann. Präventive Informations- und Sensibilisierungsmaßnahmen, gezielte Schulungen, klare organisatorische Strukturen sowie eine kontinuierliche Nachsorge bilden gemeinsam eine effektive Grundlage. Die Einbindung externer Partner, wie
    Unfallkassen, Betriebsärztinnen oder -ärzte und Dolmetscherinnen oder Dolmetscher, werden als sinnvoll angesehen, um die Versorgung zu optimieren und interdisziplinäre Ansätze zu fördern.

    Ergebnisse der Sekundärdatenanalyse

    Selbstauskunft der betreuten Personen: Sechs Monate nach dem Ereignis berichteten bis zu 50,0 % der betreuten Personen im betrieblichen Kontext über klinisch relevante Symptome. Am häufigsten wurden depressive Symptome (37,5 % leicht, 12,5 % mittelstark), posttraumatische Belastungsreaktionen (12,5 %) und Schlafstörungen (12,5 %) berichtet. Funktionale Beeinträchtigungen insgesamt zeigten sich bei 18,5 % der Befragten. Dieser Anteil blieb über den Verlauf stabil. Besonders relevant für den Unternehmenskontext: 56,2 % der Betroffenen erlebten auch sechs Monate nach dem Notfall einschränkende Auswirkungen im beruflichen Alltag.

    Diskussion

    Die Ergebnisse des Teilprojekts zeigen, dass betriebliche Notfälle einen relevanten Anteil an den Einsätzen ehrenamtlicher PSNV-B-Teams ausmachen. Mit rund jedem vierten bis sechsten Einsatz liegt der Anteil zwar unter dem der klassischen Einsätze im häuslichen oder öffentlichen Bereich, dennoch wird deutlich, dass in Unternehmen regelmäßig eine Akutbetreuung nach betrieblichen Notfällen durch ehrenamtliche PSNV-B-Teams erfolgt. In der bisherigen Forschung wurden Einsätze der PSNV-B-Teams vorrangig im zivilen Bereich untersucht, während betriebliche Kontexte bislang kaum systematisch betrachtet wurden (Rehmer et al. 2022).

    Die qualitativen Analysen verdeutlichen spezifische Herausforderungen betrieblicher Einsätze, insbesondere durch die Komplexität von Hierarchien, Rollen und betrieblichen Strukturen. Studien zur Krisenintervention im schulischen Kontext sowie bei Einsatzkräften selbst weisen ebenfalls auf die besondere Bedeutung struktureller und organisatorischer Rahmenbedingungen für die Wirksamkeit psychosozialer Unterstützung hin (Beerlage 2015; Schulten 2020). Insbesondere fehlende Rückzugsräume und eine geringe Offenheit der Betroffenen wurden auch dort als hinderliche Faktoren beschrieben.

    Auffällig ist die hohe psychische Betroffenheit der betreuten Personen im betrieblichen Kontext, die sich in der Sekundärdatenanalyse zeigt. Die Rate klinisch relevanter Symptome sechs Monate nach dem Einsatz ist vergleichbar mit internationalen Studien zu posttraumatischen Belastungen nach kritischen Ereignissen am Arbeitsplatz (Brooks et al. 2019).

    Schlussfolgerung

    Die Ergebnisse verdeutlichen, dass betriebliche Notfälle eine relevante, bislang jedoch wenig systematisch untersuchte Einsatzsituation für ehrenamtliche PSNV-B-Teams darstellen. Auch wenn solche Einsätze nicht zur regulären Einsatzindikation der Teams gehören, werden sie regelmäßig und insbesondere durch andere Einsatzorganisationen zu betrieblichen Notfällen alarmiert. Dies macht deutlich, dass PSNV-B-Teams in ihrer Ausbildung gezielt auf die besonderen Herausforderungen im betrieblichen Kontext vorbereitet werden sollten, um diesen Einsätzen professionell begegnen zu können. Gleichzeitig darf die Verfügbarkeit ehrenamtlicher PSNV-B-Teams nicht dazu führen, dass Unternehmen ihre gesetzliche Verantwortung zur Etablierung eigener Strukturen und Maßnahmen der psychosozialen Notfallversorgung vernachlässigen.

    Teilprojekt 4 – Zielgruppe externen Anbietende

    Zielsetzung und Methoden

    In Deutschland bieten zahlreiche externe Dienstleister psychosoziale Notfallversorgung für Unternehmen an. Bislang fehlte jedoch eine systematische Übersicht über diese externen Angebote sowie über Einflussfaktoren, die die Qualität und Inanspruchnahme durch Unternehmen bestimmen.

    Ziel des Teilprojekts 4 war es, externe Dienstleistungsangebote zur psychosozialen Notfallversorgung in Unternehmen zu analysieren und fördernde sowie hemmende Faktoren für die Nutzung dieser Angebote durch Unternehmen zu identifizieren.

    Studie 7: Zunächst fand ein Screening mittels systematischer Online-Recherche externer Anbieter statt. Es erfolgte eine schlagwortgeleitete Onlinerecherche, eine Recherche im Notfallpsychologie Register des BDP (neu unter notfallpsychologie.net) und auf LinkedIn. Schlagworte waren beispielsweise „Notfallpsychologie“, „Krisenintervention“, „Psychosoziale Notfallversorgung“, und „PSNV“ sowie Schlagwortkombinationen wie „Notfallpsychologie im Betrieb/Unternehmen“. Die Angebote der identifizierten externen Anbietenden wurden kategorisiert ausgewertet.

    Studie 8: In der anschließenden Intensivstudie wurden 40 ausgewählte Anbietende mittels schriftlicher Online-Interviews befragt. Der Interviewleitfaden enthielt geschlossene und offene Fragen, die basierend auf dem DGUV-Präventionsmodell und validierten Fragebogenitems aus vergleichbaren Studien entwickelt wurden
    (z. B.: „Welche Angebote der Primärprävention bieten Sie an?“ (nominal/dichotom), „Wie lange bieten Sie diese Angebote bereits an?“ (ordinal). Die quantitativen Daten der Intensivstudie wurden mittels deskriptiver Statistik (SPSS) ausgewertet. Die qualitativen Anmerkungen wurden durch eine qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring ausgewertet.

    Untersuchte Forschungsfragen und Ergebnisse

    Forschungsfrage 8: Wie unterstützen externe Anbietende Unter­nehmen in Deutschland bei der psychosozialen Betreuung der Beschäftigten nach plötzlich auftretenden Extremsituationen?

    Externe Anbietende unterscheiden sich in Größe und Betriebsform (am häufigsten Einzelunternehmen, gefolgt von GmbH und AG) sowie in der Breite und dem Systematisierungsgrad ihrer Angebote (die meisten Anbietenden sind deutschlandweit tätig). Die Zahl der Anbietenden ist überschaubar, aber ansteigend. Angeboten werden Maßnahmen in der Prävention, Akuthilfe und Nachsorge. Die am meisten nachgefragten Angebote sind Akutbetreuung/Sekundärpräventionen, Nachbetreuungen/Nachsorge, Beratung & Coaching sowie die Ausbildung betrieblich psychologischer Erstbetreuender (bpE).

    Die häufigste Grundqualifikation der Anbietenden ist ein Abschluss in Psychologie, gefolgt von Fachärztin oder -arzt für Arbeits- oder Betriebsmedizin. Weitere Qualifikationen umfassen Soziale Arbeit, Rettungsdienst, Feuerwehr, Theologie und andere. Einheitliche Qualitätsstandards und verbindliche Qualifikationskriterien fehlen bisher und erschweren die Vergleichbarkeit der Angebote.

    Forschungsfrage 9: Welche internen und externen Faktoren hemmen oder fördern die Unterstützung der Unternehmen durch externe Anbietende bei der psychosozialen Betreuung der Beschäftigten nach plötzlich auftretenden Extremsituationen?

    Hemmende Faktoren umfassen vor allem organisatorische Probleme und fehlendes Wissen in Unternehmen, unklare Finanzierung sowie mangelnde monetäre und inhaltliche Wertschätzung. Als spezifische Systemprobleme der Unfallversicherungsträger nennen die Anbietenden mangelnde Anerkennung und Akzeptanz der notfallpsychologischen Angebote (z. B. bevorzugte Anerkennung von Approbationen) sowie bürokratische Hürden bei der Auftragsvergabe und Abrechnung, die die Zusammenarbeit erschweren können.

    Optimierungspotenzial sehen sie insbesondere auf der System- und Organisationsebene, der Entwicklung von Standards und der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und externen Anbietenden.

    Förderliche Faktoren für die psychosoziale Notfallversorgung in Betreiben durch externe Anbietende umfassen hauptsächlich die Vernetzung und persönlichen Kontakte der Anbietenden sowie die Unterstützung durch Unternehmen, Offenheit der Führungskräfte und das Wissen über PSNV-Angebote. Eine erhöhte Bekanntheit der PSNV-Angebote kann ebenfalls die Nachfrage fördern.

    Diskussion

    Die Ergebnisse verdeutlichen, dass externe Anbietende psychosozialer Notfallversorgung in Deutschland ein zunehmend relevantes, aber bislang wenig standardisiertes Unterstützungsangebot für Unternehmen darstellen. Die Vielfalt der Qualifikationen und Angebotsformen spiegelt die interdisziplinäre Ausrichtung des Feldes wider, führt jedoch auch zu einer fehlenden Vergleichbarkeit der Leistungen. Ähnlich wird in der Studie 4 des Teilprojekts 2 immer wieder ein Mangel an einheitlichen Qualitätsstandards kritisiert, der die Umsetzung und Wirksamkeit solcher Angebote erschwert (Juds et al. 2024). Besonders relevant ist die von den Anbietenden beschriebene Problematik der unklaren Zuständigkeiten und bürokratischen Hürden seitens der Unfallversicherungsträger. Hier zeigt sich, dass die fehlende Anerkennung notfallpsychologischer Angebote, insbesondere bei nicht-approbierten Fachkräften, eine wesentliche Barriere für die Kooperation und Nutzung externer Dienste darstellt.

    Schlussfolgerung

    Die Studie zeigt, dass externe Anbietende einen zentralen Beitrag zur psychosozialen Notfallversorgung in Unternehmen leisten können. Für eine nachhaltige Etablierung und Qualitätssicherung erscheint die Entwicklung verbindlicher Standards und Qualifikationskriterien erforderlich. Zudem sollten Schnittstellen zwischen externen Anbietenden, Unternehmen und Unfallversicherungsträgern klarer definiert und bürokratische Hürden abgebaut werden, um eine effektive Versorgung sicherzustellen.

    Fazit und Ausblick auf weitere Forschung

    In der durchgeführten Bestandsaufnahme gelang die Beschreibung der aktuellen Situation der Psychosozialen Notfallversorgung in Unternehmen und auch Informationen zu den von den untersuchten Akteuren und Akteurinnen wahrgenommenen hemmenden und förderlichen Faktoren konnten gegeben werden. Verschiedene Artikel zu detaillierten Ergebnissen der durchgeführten Studien sind teilweise schon erfolgt (z. B. Wagner et. al, 2023 oder Juds et. al 2024) oder für die Veröffentlichung in Vorbereitung.

    Eine Bestandsaufnahme kann jedoch nur ein erster Schritt sein und es ist weiterführend nötig, in einem zweiten Schritt die Wirksamkeit von Maßnahmen der Psychosozialen Notfallversorgung zu untersuchen, wie es auch von Drexler et al. (2019) oder Schöllgen u. Schulz (2016) empfohlen wird. Weiterführend sollte daher mit längsschnittlicher Interventionsforschung die Wirksamkeit von Maßnahmen der Psychosoziale Notfallversorgung für Unternehmen unterschiedlicher Branchen und Größen erforscht werden.

    Über die vier Teilprojekte hinweg konnten drei übergeordnete Handlungsfelder für weitere Forschungstätigkeiten identifiziert werden: die Versorgung (die Art und Weise wie die PSNV in Unternehmen organisiert ist), die (die Qualifizierung der inner- und außerbetrieblichen Akteurinnen/Akteure) und die Dokumentation (die Dokumentation der an Notfällen mit betrieblichen Anlass beteiligten Personen). In einer längsschnittlichen Interventionsforschung kann die Wirksamkeit von Maßnahmen in diesen Bereichen für Unternehmen unterschiedlicher Branchen und Größen weiterführend erforscht werden. Die Konzeption der Interventionen sollte auf Grundlage der Ergebnisse der Bestandsaufnahme erfolgen. Mit der Durchführung und einer Ergebnis- und Prozessevaluation der Interventionen können neben dem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn für die Präventions- und Rehabilitationsarbeit der Unfallversicherungsträger konkrete Konzepte und Materialien zu wirksamen Maßnahmen vorgelegt werden, die für die Beratung der Unternehmen bei der Umsetzung einer Psychosozialen Notfallversorgung genutzt werden können. Ebenso können durch nachgewiesen wirksame Maßnahmen Regulierungen angestoßen und Qualitätsanforderungen in den Bereichen Qualifizierung und Weiterbildung sowie den Standards, auf denen Angebote basieren, definiert werden. Mit wissenschaftlich bestätigten wirksamen Maßnahmen könnten Unternehmen noch besser und evident unterstützet werden eine gute Notfallprävention zu etablieren und wenn ein Notfall passiert eine gute psychosoziale Notfallversorgung der Beschäftigten zu ermöglichen.

    Interessenkonflikt: Das Autorenteam gibt an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.

    Literatur

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    DGUV – Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e.V.: DGUV Information 206-023: Standards in der betrieblichen psychologischen Erstbetreuung (bpE) bei traumatischen Ereignissen. DGUV, 2017a.

    DGUV – Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e.V.: DGUV Grundsatz 306-001: Traumatische Ereignisse – Prävention und Rehabilitation. DGUV, 2017b.

    DGUV – Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e.V.: DGUV Information 205-001: Betrieblicher Brandschutz in der Praxis. DGUV, 2020.

    DGUV – Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e.V.: Prävention von Gewalt am Arbeitsplatz. DGUV, 2023.

    DGUV – Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e.V.: Zahlen und Fakten: Arbeits- und Wegeunfallgeschehen. 2024. https://www.dguv.de/de/zahlen-fakten/au-wu-geschehen/index.jsp (abgerufen am 09.04.2025).

    Drexler H, Clarner A, Voss A, Fischmann W: Wirkungsanalyse von Erstbetreuungssystemen im öffentlichen Personennahverkehr (DGUV Projekt FF-FP 335). Erlangen, 2019.

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    Kontakt

    Prof. Dr. phil. Sabine Rehmer
    Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie
    Studiengangsleiterin Arbeits- und Organisationspsychologie, M. Sc.
    Leiterin des Forschungsprojektes „Psychosoziale Notfallversorgung in Unternehmen“
    SRH University of Applied Sciences Heidelberg
    Neue Straße 28–30, 07548 Gera
    sabine.rehmer@srh.de

    Abb. 4: Korrelationsmatrix
    Fig 4: Correlation Matrix

    Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit:

    39. Internationaler A+A Kongress 2025

    Die Autorin Sabine Rehmer ist Referentin des 39. Internationalen A+A Kongresses, der vom 4. bis 7. November 2025 in Düsseldorf parallel zur A+A Leitmesse stattfindet.

    Die Basi, Bundesarbeitsgemeinschaft für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit e. V., organisiert diese Veranstaltung, die zu den wichtigsten der Branche weltweit zählt – mit aktuellen Themen rund um Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin.

    Weitere Infos: www.basi.de