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Urteil des Landesozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 06.09.2021 – L 2 U 159/20

Schutzimpfung auf Veranlassung des Arbeitgebers1

Tatbestand

Der Kläger ist gelernter Koch mit abgeschlossener Meisterprüfung und bei einem Dienstleister für Unternehmen aus der Gesundheitsbranche als Gastronomieleiter tätig. Mit Schreiben vom 23.09.2009 bat der Arbeitgeber die Abteilungsleiter, ihm Mitarbeiter zu melden, die beabsichtigten, an einer Schutzimpfung gegen Influenza A (H1N1 – Schweinegrippe) teilzunehmen. Der Impfstoff werde vom Gesundheitsamt kostenlos zur Verfügung gestellt. Die Teilnahme sei freiwillig. Grundsätzlich stehe es jedem Beschäftigten frei, sich auch vom Hausarzt impfen zu lassen. Impfberechtigt seien alle Mitarbeiter, die im Rahmen ihrer Tätigkeit Patientenkontakt hätten. Der Kläger nahm an der Impfung vom 09.11.2009 teil.

Die Internistin Dr. P. gab im Arztbrief vom 07.02.2017 an, der Kläger leide seit März 2014 unter unklaren Fieberschüben mit Arthralgien und Exanthemen. Sie diag­nostizierte eine seronegative rheumatoide Arthritis, Differenzialdiagnose andere Fie­bererkrankungen mit Arthralgien. Im Entlassungsbericht der stationären medizinischen Rehabilitation zu Lasten der Rentenversicherung wurden ein noch unklares autoinflammatorisches Syndrom, ein Fibromyalgie-Syndrom, psychologische Faktoren bei autoinflammatorischem Prozess, ein Diabetes mellitus und eine arterielle Hypertonie diagnostiziert. Zur Anamnese heißt es in dem Bericht, der erste Krankheitsschub sei im Juni 2013 aufgetreten.

Mit Schreiben vom 22.03.2017 beantragte der Kläger bei der beklagten Berufsgenossenschaft die Überprüfung, ob ein „BG-Fall“ vorliege. Er gab an, es seien alle Mitarbeiter, die Patientenkontakt gehabt hätten, aufgefordert worden, sich impfen zu lassen. Die Abteilungsleiter habe man mündlich aufgefordert, sich impfen zu lassen, um als Vorbild zu dienen. Er selbst gehe täglich einmal für ein bis zwei Stunden auf die Stationen, um das Essen zu kontrollieren. Außerdem sei er als Ernährungsberater tätig und suche dabei Patienten auf.

Mit Bescheid vom 02.05.2017 lehnte die Beklagte Entschädigungsleistungen mit der Begründung ab, ein Arbeitsunfall liege nicht vor. Eine allgemeine Grippeschutzimpfung stehe selbst dann nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, wenn sie vom Arbeitgeber empfohlen und finanziert werde. Gleiches gelte für eine Schweinegrippe-Impfung, soweit sie nicht vom Arbeitgeber gefordert werde beziehungsweise wenn man nicht einer erhöhten Gefährdung ausgesetzt sei. In dem Schreiben vom 23.09.2009 sei ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass die Teilnahme an der Impfung freiwillig sei. Die Impfung sei weder angeordnet noch empfohlen worden. Vielmehr habe es sich lediglich um eine Information über die Möglichkeit der Impfung gehandelt. Dass die Abteilungsleiter aufgefordert worden seien, sich impfen zu lassen, sei nicht belegt. Außerdem lasse sich auch hieraus keine Pflicht zur Impfung ableiten. Zudem sei eine erhöhte Gefährdung des Klägers durch die versicherte Tätigkeit nicht zu erkennen. Ein direkter Patientenkontakt im Sinne einer Arbeit am Patienten selbst liege nicht vor. Für die Ausübung der versicherten Tätigkeit habe der Kläger die Impfung nicht benötigt.

Widerspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Der Kläger hatte betont, er habe als Gastronomieleiter erkrankte Mitarbeiter vor Ort auf den Stationen mit zum Teil hochinfektiösen Patienten bei der Essensausgabe, Ernährungsberatungen und Patientengesprächen vertreten müssen. Er sei der Auffassung gewesen, es habe zu seinen Pflichten als Arbeitnehmer gehört, der Empfehlung zur Impfung nachzukommen. Auch habe damals das Robert Koch-Institut (RKI) allen Beschäftigten im Gesundheitsdienst und in der Wohlfahrtspflege mit Kontakt zu Patienten oder infektiösem Material empfohlen, sich impfen zu lassen. Im Nachgang zu dem Schreiben vom 23.09.2009 habe der kaufmännische Direktor nachgefragt, welche Mitarbeiter des Klägers sich impfen lassen wollten. Auf seine Antwort, nur wenige Beschäftigte machten von dem Angebot Gebrauch, habe der kaufmännische Direktor ihm ausdrücklich empfohlen, als Vorgesetzter mit gutem Beispiel voranzugehen und sich auf jeden Fall impfen zu lassen. Nur wegen dieser Empfehlung habe er sich impfen lassen. Die Impfung stehe daher im direkten sachlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit. Ohne die Impfung wäre es nicht zu dem Impfschaden gekommen. Die Impfung sei auf Veranlassung und Kosten des Arbeitgebers vorgenommen worden.

Kein wesentlicher sachlicher ­Zusammenhang

Auch das Berufungsgericht sah bei der Impfung vom 23.09.2009 die Kriterien eines Arbeitsunfalls nicht als erfüllt an. Arbeitsunfälle seien nach § 8 Abs. 1, S. 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit. § 8 Abs. 1, S. 1 SGB VII setze, wie sich aus der Verwendung des Begriffs „infolge“ ergäbe, voraus, dass die zum Unfall führende Tätigkeit in einem rechtlich wesentlichen inneren beziehungsweise sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stand. Versicherte Tätigkeit war vorliegend diejenige des Klägers als Gastronomieleiter, für die nicht festgestellt werden könne, dass die Teilnahme an der Impfung am 09.11.2009 in einem rechtlich wesentlichen sachlichen beziehungsweise inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit des Klägers als Beschäftigter stand.

Eine nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versicherte Tätigkeit als „Beschäftigter“ setze tatbestandlich voraus, dass der Verletzte eine eigene Tätigkeit in Eingliederung in das Unternehmen eines anderen (vgl. § 7 Abs. 1 SGB IV) zu dem Zweck verrichtet, dass die Ergebnisse seiner Verrichtung diesem und nicht ihm selbst unmittelbar zum Vorteil oder Nachteil gereichen. Maßgeblich sei, ob die so genannte Handlungstendenz, mit der der Versicherte die zum Unfall führende Tätigkeit verrichtet, darauf gerichtet ist, eine im inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehende Verrichtung auszuüben.

Verpflichtung im Rahmen des ­Direktionsrechts

Das sei der Fall, wenn die Verrichtung zumindest dazu ansetzt und darauf gerichtet ist, eine eigene objektiv bestehende Haupt- oder Nebenpflicht beziehungsweise ein Recht aus seinem Beschäftigungsverhältnis zu erfüllen oder der Versicherte eine objektiv nicht geschuldete Handlung vornimmt, um eine vermeintliche Pflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis zu erfüllen, sofern er nach den besonderen Umständen seiner Beschäftigung zur Zeit der Verrichtung annehmen durfte, ihn treffe eine solche Pflicht.

Es sei nicht erwiesen, dass die Teilnahme an der Grippeschutzimpfung am 09.11.2009 der Erfüllung einer objektiv bestehenden Haupt- oder Nebenpflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis diente. Dies würde voraussetzen, dass der Kläger durch Tarifvertrag, Arbeitsvertrag oder Weisung des Arbeitgebers im Rahmen des Direktionsrechts verpflichtet war, an der Impfung teilzunehmen. Das sei nicht der Fall gewesen. Eine Verpflichtung aus Tarif- oder Arbeitsvertrag bestand nicht; eine solche wurde vom Kläger auch nicht behauptet. Auch lasse sich eine Weisung des Arbeitgebers im Rahmen des Direktionsrechts nicht feststellen. Zwar habe die Verwaltung des Arbeitgebers mit Schreiben vom 23.09.2009 die Abteilungsleiter gebeten, Mitarbeiter zu melden, die beabsichtigten, an einer Schutzimpfung gegen Influenza A (H1N1 – Schweinegrippe) teilzunehmen. Dieses Schreiben sei aber lediglich als Impfangebot, nicht aber als Verpflichtung zur Teilnahme an der Impfung anzusehen. Denn es heiße in dem Schreiben ausdrücklich, die Teilnahme an der Impfung sei freiwillig. Hingewiesen wurde auf eine Impfberechtigung für alle Mitarbeiter, die im Rahmen ihrer Tätigkeit Patientenkontakt hätten, von einer Impfpflicht sei nicht die Rede gewesen.

Subjektive Vorstellung nicht ­genügend

Auch dass der Kläger aufgrund der objektiven Umstände subjektiv davon ausgehen durfte, zur Teilnahme an der Impfung verpflichtet zu sein, lasse sich nicht feststellen. Zwar habe der Kläger im Widerspruchs- und im Klageverfahren durchaus nachvollziehbar vorgebracht, er habe sich aufgrund seiner Patientenkontakte, seiner Vorbildfunktion als Vorgesetzter und der Impfempfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) veranlasst gesehen, an der Grippeschutzimpfung teilzunehmen. Allein die subjektive Vorstellung, durch die Impfung auch den Interessen seines Arbeitgebers dienlich zu sein, reiche jedoch nicht aus, um Versicherungsschutz zu begründen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei die Annahme einer solchen Pflicht vertretbar, wenn der Beschäftigte nach den besonderen Umständen seiner Beschäftigung zur Zeit der Verrichtung der zum Unfall führenden Tätigkeit (ex ante) und nach Treu und Glauben annehmen durfte, ihn treffe eine solche Pflicht. Entscheidend sei dabei, ob der Verletzte von seinem Standpunkt aus aufgrund objektiver Anhaltspunkte der Auffassung sein durfte, seine Verrichtung sei von ihm geschuldet, um den Interessen des Unternehmens zu dienen. Dafür reichten aber subjektive Vorstellungen ohne bestätigende objektive Anhaltspunkte nicht aus. Versicherungsschutz bestehe nach der Rechtsprechung des BSG dann, wenn der Beschäftigte aus gutem Grund der Auffassung sein könne, sich betriebsdienlich zu verhalten, wohingegen Versicherungsschutz zu verneinen sei bei einer Handlung mit der Absicht, andere Zwecke zu verfolgen als die Erfüllung des Versicherungstatbestands der Beschäftigung, auch wenn das Handeln zugleich dem Unternehmen objektiv nützlich sei.

So verhalte es sich im vorliegenden Fall. Der Kläger erfülle durch die Teilnahme an der Grippeschutzimpfung objektiv keine Haupt- oder Nebenpflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis und er könne nach den objektiven Umständen des Falles auch nicht der Auffassung sein, er erfülle eine Pflicht aus dem Arbeitsverhältnis. Weder habe es eine Anweisung des Arbeitgebers noch eine Impfpflicht durch die STIKO gegeben, sondern nur eine allgemeine Empfehlung.

Schutzimpfung grundsätzlich ­privatwirtschaftlich

Die Impfung möge zwar objektiv auch dem Interesse des Arbeitgebers gedient haben, Krankheitsausfälle durch eine Grippeerkrankung zu vermeiden. Es sei aber nicht ersichtlich, dass die Impfung aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers für seine Mitarbeiter wie auch für die Empfänger der Erzeugnisse der Küche oder der Patienten im Rahmen von Ernährungsberatungsgesprächen heraus erforderlich war. Diesen Schluss konnte der Kläger auch vom Empfängerhorizont her weder aus dem Schreiben vom 23.09.2009 noch aus einem zugunsten des Klägers als wahr unterstellten Hinweis auf eine Vorbildfunktion der Vorgesetzten ableiten. Vielmehr dienten die Hinweise auf die Möglichkeit der Impfung allein dem Gesundheitsschutz und der Gesundheitsvorsorge der Mitarbeiter. Aus diesem Grund unterliege eine allgemeine Grippeschutzimpfung nach der Rechtsprechung des BSG grundsätzlich nicht dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, selbst wenn sie vom Arbeitgeber empfohlen und finanziert wird.

Ausnahmen bei konkret-individueller Gefahr

Ausnahmsweise könne ein innerer beziehungsweise sachlicher Zusammenhang dann gegeben sein, falls für Versicherte aufgrund der Tätigkeit ein konkret erhöhtes Infektionsrisiko entstehe, die Schutzimpfung also durch die versicherte Tätigkeit erforderlich werde. Dies sei zum Beispiel anzunehmen bei einer Kinderkrankenschwester in der Notaufnahme, wo die Gefahr, am Influenza-Virus H1N1 zu erkranken durch Kontakt mit H1N1-infizierten Kindern konkret bestehe (vgl. dazu ASU 01/2015, S. 34f.). Mit einer solchen Tätigkeit sei die versicherte Tätigkeit des Klägers als Leiter des Krankenhaus-Caterers aber nicht zu vergleichen, auch nicht unter dem Aspekt, dass der Kläger die Abläufe der Essensausgabe in den Krankenhausstationen überwachte und Ernährungsberatung bei Patienten vornähme. Es sei nämlich nicht nachgewiesen und auch nicht vorgetragen, dass der Kläger einen unmittelbaren körperlichen Kontakt mit Patienten gehabt habe, wie das in der Notaufnahme einer Klinik üblich sei oder er in Bereichen tätig gewesen sei, in denen eine erhöhte Durchseuchungsrate mit dem H1N1-Virus zu erwarten war.

Da es bereits am sachlichen Zusammenhang zwischen der Impfung und der versicherten Tätigkeit des Klägers mangelte, konnte offen bleiben, ob aus medizinischer Sicht eine haftungsbegründende Kausalität zwischen der Schutzimpfung am 09.11.2009 und den seit März 2014 dokumentierten unklaren Fieberschüben mit Arthralgien und Exanthemen vorliege.

Interessenkonflikt: Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.

doi:10.17147/asu-1-167088

Kernaussagen

  • Freiwillige Schutzimpfungen stehen auch dann nicht unter dem Schutz der gesetzlichen ­Unfallversicherung, wenn sie vom Unternehmen empfohlen und finanziert werden.
  • Gesundheitsfolgen von Schutzimpfungen sind als Arbeitsunfälle zu entschädigen, wenn ­Beschäftigte durch Tarifvertrag, Arbeitsvertrag oder Weisung des Arbeitgebers im Rahmen des Direktionsrechts verpflichtet waren, an der Impfung teilzunehmen.
  • Allein die subjektive Vorstellung, durch die Impfung auch den Interessen seines Arbeitgebers dienlich zu sein, reicht nicht, um Versicherungsschutz zu begründen. Vielmehr muss zusätzlich aufgrund der Tätigkeit ein konkret erhöhtes Infektionsrisiko für den Versicherten entstehen, die Schutzimpfung also durch die versicherte Tätigkeit erforderlich werden.
  • Kontakt

    Reinhard Holtstraeter
    Rechtsanwalt; Lorichsstraße 17; 22307 Hamburg

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