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Tuberkulose in der betriebs­ärztlichen Praxis

Epidemiologie der Tuberkulose

Vor der COVID-19-Pandemie war Tuberkulose (TB) weltweit die häufigste Todesursache durch einen einzelnen Erreger. Im Jahr 2020 sind 1,3 Millionen Menschen an TB gestorben; das sind doppelt so viele wie an HIV/AIDS Verstorbene. Die COVID-19-Pandemie hat zu einer Unterversorgung der TB-Erkrankten geführt. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Anzahl der registrierten Erkrankungen je nach Region und Land um bis zu 80 % gesunken, während die Anzahl der Todesfälle in allen Weltregionen außer Europa gestiegen ist. Die Pandemie hat daher die Fortschritte bei der Prävention und Behandlung der TB, die in den vergangenen Jahren erreicht wurden, teilweise wieder rückgängig gemacht. Im Vergleich zum Jahr 2015 hätten im Jahr 2020 laut der End-TB-Strategie der WHO 35 % weniger Todesfälle aufgrund von TB auftreten sollen. Erreicht wurde lediglich eine Reduktion um 9,2 %. Das Ziel, bis zum Jahr 2030 eine Reduktion der Todesfälle um 90 % zu erreichen, scheint daher in weite Ferne gerückt zu sein (WHO 2021).

In Deutschland ist die TB selten geworden – im Jahr 2020 betrug die TB-Inzidenz 5,0/100.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Mit insgesamt 4127 TB-Fällen wurden 2020 die niedrigsten Zahlen seit Einführung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) registriert. Nachdem die Fallzahlen in den Jahren 2015 und 2016 mit jeweils fast 6000 Fällen deutlich angestiegen waren, wurden 2017 und 2018 mit jeweils rund 5500 Fällen wieder geringere Zahlen registriert und im Jahr 2019 wurde mit 4812 Fällen eine weitere Abnahme beobachtet. Dieser Trend setzte sich 2020 fort. Entsprechendes gilt für die Inzidenz, die im Jahr 2018 noch bei 6,6/100.000 Einwohnerinnen und Einwohnern lag und 2019 auf 5,8 gesunken ist (–12,4 %). Mit der aktuellen Inzidenz von 5,0 ergibt sich ein erneuter Rückgang von 14,2 % gegenüber dem Vorjahr. Damit sind die Fallzahlen und auch die Inzidenzen bereits das zweite Jahr in Folge deutlich gesunken. Inwiefern die aktuelle Entwicklung der registrierten TB-Fallzahlen dabei durch die COVID-19-Pandemie beeinflusst wurde oder ob es sich um die weitere Fortführung eines generellen rückläufigen Trends handelt, bleibt abzuwarten (RKI 2021).

Migration aus einem Land mit hoher TB-Inzidenz sowie hohes Alter vor allem bei Männern sind Risikofaktoren für eine TB in Deutschland. Nicht jede Form der TB ist infektiös. Die extrapulmonalen Formen (29 % aller erfassten Tuberkulosen) sind in der Regel nicht infektiös. Bei der Lungen-TB (71 %) ist die Mehrzahl der Fälle offen, das heißt infektiös (2495 von 2903 Fällen [86 %]). Bei 50,3 % der Lungentuberkulosen (1460 Fälle) lag eine mikroskopisch positive Form vor, bei der die Infektiosität am höchsten ist (RKI 2021). Diese Erkrankten können daher auch Beschäftigte im Gesundheitswesen (BiG) infizieren.

Die TB verläuft typischerweise in zwei Phasen. Nach dem Eindringen der Erreger (Mycobacterium tuberculosis [MTB]) über die Atemwege entwickelt sich ein Granulom in der Lunge, in dem MTB eingekapselt wird und viele Jahre überleben kann. Die Bildung des Granuloms dauert etwa drei Monate und wird, abgesehen von möglichen unspezifischen Symptomen, nicht bemerkt. Gelingt die Abkapselung nicht, kann sich direkt eine aktive TB entwickeln. Bei einer gelungenen Abkapselung kann es zu einer Elimination oder zu einem dauerhaften Überleben mit geringer Replikationsrate von MTB kommen. Bei Schwächung des Immunsystems durch Alkohol, Stress, Krebs, Autoimmunerkrankungen oder durch immunsuppressive Therapien besteht die Gefahr einer Reaktivierung der verbleibenden MTB und zur Entwicklung einer aktiven TB.

Um die TB weltweit auszurotten, muss in Ländern mit ehemals hoher und heute niedriger TB-Inzidenz die latente Infektion mit Mycobacterium tuberculosis (LTBI) betrachtet werden. In diesen Ländern entwickeln sich die meisten TB-Fälle als Reaktivierungen einer LTBI. Deshalb sollte bei Risikopersonen mit einer LTBI eine präventive Chemotherapie erwogen werden (➥ Tabelle 1).

Tuberkuloserisiko bei Beschäftigten im Gesundheitswesen

Vor der COVID-19-Pandemie wurden jährlich etwa 800 bis 1000 Infektionen als Berufskrankheit der Ziffer BK 3101 bei der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) angezeigt. Fast die Hälfte der Fälle betraf dabei die TB (Nienhaus 2018). Trotz der Abnahme der TB in der Bevölkerung haben BiG ein erhöhtes Risiko für eine Infektion, wie eine Studie aus Hamburg zeigt. Mittels Genomsequenzierung lassen sich Stämme von MTB differenzieren und Infektionspfade somit nachverfolgen. In einer Studie, die auch 55 Beschäftigte mit einer offenen TB einschloss, war die Wahrscheinlichkeit für eine frische Infektion (Übertragungsweg bestätigt) für BiG am größten (Odds Ratio 3,1, 95%-KI 1,6–5,9; Diel et al. 2018). Bei einem Vergleich der Ergebnisse von arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen hatten 7,2% der BiG und 2,0 % der Beschäftigten außerhalb des Gesundheitswesens einen positiven Interferon-Gamma-Release-Assay (IGRA). Die Odds Ratio betrug 4,9, (95%-KI: 1,3–43,7) nach Kontrolle für Alter und Geschlecht sowie Migrationshintergrund (Hermes et al. 2020). Dabei ist zu bedenken, dass die BiG anlassbezogen untersucht wurden, während die übrigen Beschäftigten wegen eines anderen arbeitsmedizinischen Untersuchungsanlasses im Rahmen einer Promotion zusätzlich mit dem IGRA getestet wurden. Es wurden also exponierte BiG mit nicht exponierten anderen Beschäftigten verglichen.

Tabelle 2:  Tätigkeiten oder Tätigkeitsbereiche mit einem erhöhten Infektionsrisiko (nach Nienhaus et al. 2017)

Tabelle 2: Tätigkeiten oder Tätigkeitsbereiche mit einem erhöhten Infektionsrisiko (nach Nienhaus et al. 2017)

Nicht alle BiG haben ein erhöhtes Infektionsrisiko. Nach Auswertung der einschlägigen Literatur und Diskussion im Expertenkreis wurden daher Tätigkeiten und Bereiche festgelegt, in denen von einem erhöhten Infektionsrisiko ausgegangen wird. Eine TB bei einem BiG begründet fast immer den Verdacht auf Vorliegen einer Berufskrankheit und sollte daher gemeldet werden. Im Berufskrankheitenverfahren kann dann bei den in ➥ Tabelle 2 gelisteten Tätigkeiten auf den Nachweis einer Infektionsquelle (Index­person) verzichtet werden. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit einer Anerkennung und vereinfacht die Verfahren (Nienhaus et al. 2017). In den vergangenen Jahren wurden etwa 250 bis 300 Berufskrankheiten aufgrund einer TB anerkannt (➥ Abb. 1). Dabei betraf seit dem Jahr 2010 der größere Anteil die LTBI. Der starke Rückgang der anerkannten Fälle im Jahr 2020 ist möglicherweise ein Effekt der COVID-19-Pandemie. Wahrscheinlich wurden weniger arbeitsmedizinische Vorsorgen auf TB durchgeführt und damit auch weniger Fälle gemeldet.

Abb. 1:  Anerkannte Berufskrankheiten wegen einer aktiven Tuberkulose (TB) oder einer latenten TB Infektion (LTBI) in den Jahren 2006 bis 2020

Abb. 1: Anerkannte Berufskrankheiten wegen einer aktiven Tuberkulose (TB) oder einer latenten TB Infektion (LTBI) in den Jahren 2006 bis 2020

Arbeitsmedizinische Vorsorge

Die arbeitsmedizinische Vorsorge sollte gezielt erfolgen. Da die aktive TB bei BiG so selten geworden ist, dient die Vorsorge vor allem der Diagnose einer LTBI. Dabei ist die Diagnose einer frischen Übertragung von besonderem Interesse (s. unten). Reihenuntersuchungen oder Einstellungsuntersuchungen auf TB sind nur noch bei Risikopersonen, wie zum Beispiel Migrantinnen und Migranten aus Hochinzidenzländern, sinnvoll. Bei Personen mit immunmodulierender Therapie, die nicht bereits im Rahmen der Therapie auf TB untersucht werden, kann eine Untersuchung im Rahmen der Einstellung auf TB ebenfalls sinnvoll sein. Die Untersuchungsanlässe für eine Vorsorge auf TB sind in der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge im Anhang Teil 2 geregelt (ArbMedVV 2008/2019). Danach sollen Pflichtvorsorgen durchgeführt werden

  • bei gezielten Tätigkeiten mit Mycobacterium bovis oder Mycobacterium tuberculosis (Risikogruppe 4),
  • bei nicht gezielten Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffen der Risikogruppe 4 bei Kontaktmöglichkeit zu infizierten Proben oder Verdachtsproben oder erkrankten oder krankheitsverdächtigen Personen in Forschungseinrichtungen oder Laboratorien,
  • bei nicht gezielten Tätigkeiten in TB-Abteilungen und anderen pulmologischen Einrichtungen und Tätigkeiten mit regelmäßigem Kontakt zu erkrankten oder krankheitsverdächtigen Personen hinsichtlich Mycobacterium bovis oder Mycobacterium tuberculosis.
  • Angebotsvorsorge soll vom Betrieb ermöglicht werden, wenn keine Pflichtvorsorge vorgesehen ist, aber als Folge einer Exposition gegenüber biologischen Arbeitsstoffen

  • mit einer schweren Infektionskrankheit gerechnet werden muss und Maßnahmen der postexpositionellen Prophylaxe möglich sind oder
  • eine Infektion erfolgt ist (nach ArbMedVV, Anhang Teil 2 (2)).
  • Die TB ist eine schwere Infektionskrankheit und eine postexpositionelle Prophylaxe ist mit der präventiven Chemotherapie möglich. Zu beachten ist, dass der Gesetzgeber hier nicht streng zwischen Prophylaxe und Prävention unterschieden hat. Von Prophylaxe wird bei der TB gesprochen, wenn nach einem engen Kontakt zu einer infektiösen Person mit der Chemotherapie begonnen wird, ohne dass bereits ein immunologischer Test die Infektion bestätigt hat. Kleine Kinder entwickeln häufiger als Erwachsene nach der Infektion direkt eine aktive TB. Deshalb wird typischerweise bei Kindern unter fünf Jahren nach Kontakt mit der Prophylaxe begonnen, ohne das Ergebnis eines Immuntests abzuwarten. Ähnliches gilt für Menschen mit ausgeprägtem Immundefizit. Die präventive Chemotherapie erfolgt bei allen anderen, nachdem ein Immuntest eine Infektion belegt hat (Schaberg et al. 2017).

    Die Vorsorge sollte eine Expositionsanamnese sowie die Erfassung typischer Symptome für eine TB beinhalten. Zu den typischen Symptomen einer TB gehören Nachtschweiß, Leistungsknick, ungewollte Gewichtsabnahme und hartnäckiger Husten. Bei der körperlichen Untersuchung kann die Auskultation der Lunge wichtige Hinweise liefern. Werden die Hinweise auf eine entsprechende Exposition gegenüber infektiösen Personen oder Materialien bestätigt und ergeben sich klinisch keine Hinweise auf eine aktive TB, sollte ein Immuntest durchgeführt werden. Als Standard gilt heute dabei der IGRA. Die IGRAs messen die zellvermittelte Immunantwort auf typische Antigene von MTB. Für Mycobacterium bovis ist er nicht geeignet. Kommerziell sind zwei verschiedene Testverfahren verfügbar, ein ELISA (Enzyme-linked Immunosorbent Assay)-Test, der die Freisetzung von spezifischem Interferon misst, und ein ELISpot (Enzyme-linked-immuno-Spot)-Test, der die Anzahl der Interferon-freisetzenden Lymphozyten zählt. Für die arbeitsmedizinische Praxis sind beide Testverfahren gleichwertig. Der ELISA-basierte Test ist von der Handhabung im Labor etwas weniger aufwendig, deshalb bieten die meisten Labore diesen Test an. Bei Personen mit einem Immundefizit kann der Elispot Vorteile bieten, da die Anzahl der Lymphozyten für die Auswertung standardisiert werden kann. Ein positiver IGRA erfordert eine Röntgenübersicht drei Monate nach der Exposition, um eine aktive TB auszuschließen. Erst danach ist die Diagnose LTBI gesichert.

    Ob es sinnvoll ist, einen IGRA durchzuführen, hängt von der Expositions- und Testanamnese ab. Einige Pneumologinnen und Pneumologen vertreten die Auffassung „Intention to test is intention to treat“. Das heißt, dass nur Personen, die bei positivem Befund eine präventive Chemotherapie durchführen wollen, getestet werden sollen. Das könnte zum Beispiel bedeuten, dass Personen mit einer langen Expositionsgeschichte oder mit einem positiven IGRA in der Vorgeschichte nicht getestet werden, weil bei ihnen, sofern keine weiteren Risikofaktoren vorliegen, eine präventive Chemotherapie nicht angezeigt ist. Allerdings sollte auch berücksichtigt werden, dass es aus betriebsärztlicher Sicht sinnvoll ist, einen Überblick über die infizierten BiG zu erhalten. Sollte die Rate der Infizierten auffällig hoch sein (über 10 %), müssten die Präventionsmaßnahmen auf den Prüfstand gestellt werden. Die Novelle der ArbMedVV ermöglicht nun ein solches gestaffeltes Vorgehen, da die Beschäftigten hinsichtlich des Untersuchungsumfangs beraten werden müssen und dann eventuell eine Untersuchung mit dem IGRA ablehnen können.

    Prävention von Übertragungen

    Überraschenderweise gibt es bisher wenige evidenzbasierte Empfehlungen zur Prävention von nosokomialen Übertragungen. Die TB wird oftmals erst verzögert diagnostiziert. Eine verzögerte Diagnose ist aber ein Risiko für nosokomiale Übertragungen, da infektiöse Personen mehrere Kontakte zu BiG haben können, bevor die richtige Diagnose gestellt wird. Die frühzeitige Diagnose, eventuell Isolierung und Behandlung der Erkrankten ist daher die wichtigste Präventionsmaßnahme. Eine gute Evidenz gibt es auch für die schützende Wirkung des Tragens von medizinischem Mund-Nasen-Schutz bei Erkrankten und für das Tragen von FFP2-Masken bei BiG. Diese Maßnahmen werden daher in den meisten internationalen Empfehlungen zur Prävention nosokomialer Übertragungen gelistet (Diel u. Nienhaus 2019). Darüber hinaus gibt es viele Maßnahmen, deren Wirksamkeit unterschiedlich gut belegt ist. Dazu gehört das regelmäßige Lüften nach außen, die Ventilation des Raums und das Filtern der Zuluft mit einem HEPA-Filter, eine Schleuse vor dem Zimmer, Unterdruck im Krankenzimmer und die Raumdesinfektion durch UV-Licht. In der Regel sind keine besonderen lüftungstechnischen Maßnahmen für die Isolierung erkrankter Personen notwendig. Anders verhält es sich, wenn Patientinnen und Patienten mit einer multiresistenten TB behandelt werden. Aber dieses sollte ohnehin nur in dafür spezialisierten Einrichtungen erfolgen (Schaberg et al. 2017).

    Präventive Chemotherapie

    Wie oben beschrieben, sollen Risikopersonen mit einer LTBI präventiv behandelt werden, um das Risiko für eine Progression zur aktiven TB zu reduzieren. Die Erfolgsquote der präventiven Chemotherapie liegt bei etwa 80 %. Allerdings sind mögliche Nebenwirkungen zu beachten (Leberenzymerhöhung und sehr selten eine fulminante Hepatitis). Deshalb sollte nicht jeder positive IGRA-Test zu einer Behandlung führen. Vielmehr ist eine individuelle Risikoabwägung notwendig. Das Progressionsrisiko ist in den ersten Jahren nach der Infektion am höchsten. Im IGRA kann aber nicht erkannt werden, ob es sich um eine frische oder eine schon seit mehreren Jahren bestehende LTBI handelt. Deshalb ist die Expositionsanamnese wichtig. Wenn es in der Anamnese keine Hinweise auf eine länger zurückliegende Exposition gibt und der IGRA anlassbezogen wegen eines Kontakts zu infektiösen Personen oder Materialien durchgeführt wurde, spricht ein positiver IGRA nach Ausschluss einer aktiven TB durch eine Röntgen-Thoraxübersicht für eine frische LTBI. In Abhängigkeit von weiteren Risikofaktoren (s. Tabelle 1) sollte eine frischen LTBI behandelt werden. Dabei stehen mittlerweile verschiedene Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Die klassische Behandlung besteht aus einer Monotherapie mit Isoniazid (INH) für neun Monate. Mittlerweile gibt es aber auch gute Erfahrungen mit kürzen Behandlungsformen, bei denen entweder Rifampicin (RMP) als Monotherapie oder in Kombination mit INH für drei bis vier Monate gegeben wird. Diese Kurztherapien sind genauso effektiv wie die Langzeittherapie, haben aber eine bessere Compliance und weniger Nebenwirkungen. Die oben bereits genannte S2-Leitlinie wird zurzeit überarbeitet. Sie erscheint wahrscheinlich im Laufe dieses Jahres (2022). Darin werden die kürzeren Therapieformen empfohlen. Möglicherweise wird demnächst in Deutschland auch eine Therapie mit Rifapentin, kombiniert mit IHN einmal wöchentlich für drei Monate, also 12 Dosen, zugelassen. Bei allen Therapieformen ist eine begleitende Laborkontrolle notwendig, weshalb die präventive Chemotherapie in die Hände von Fachleuten (Pneumologinnen/Pneumologen).

    Wir haben das Progressionsrisiko zu einer aktiven TB bei 1700 BiG, bei denen eine LTBI als Berufskrankheit anerkannt worden war, untersucht. Dabei zeigte sich eine Progressionsrate, die mit einer kumulativen Inzidenz von 0,5 % deutlich geringer war als die bei Kontaktpersonen in Umgebungsuntersuchungen erwartete Rate von rund 10 %. Allerdings hatte einer von drei Versicherten eine präventive Chemotherapie durchgeführt. Bei den unter 30-Jährigen waren es sogar 52 %. Die Mehrzahl der LTBI-Fälle wurde im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge entdeckt (Zielinski et al. 2021). Diese Zahlen belegen die Wichtigkeit einer individuellen Beratung zur Durchführung einer präventiven Chemotherapie.

    Interessenkonflikt: Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.

    Literatur

    Diel R, Niemann S, Nienhaus A: (2018). Risk of tuberculosis transmission among healthcare workers. ERJ Open Research 2018; 4: 00161-2017.

    Diel R et al.: Protection of healthcare workers against transmission of Mycobacterium tuberculosis in hospitals: a review of the evidence. ERJ Open Research 2020; 6: 00317-2019.

    Hermes L et al.: Risk analysis of latent tuberculosis infection among health workers compared to employees in other sectors. Int J Environ Res Public Health 2020; 17: 4643.

    Nienhaus A, Brandenburg S, Teschler H: Tuberkulose als Berufskrankheit – Ein Leitfaden zur Begutachtung und Vorsorge. 4. Aufl. Landsberg/Lech: Ecomed, 2017.

    Nienhaus A: Infections in healthcare workers in Germany-22-year time trends. Int J Environ Res Public Health 2018; 15: 2656

    Schaberg T et al.: S2k-Leitlinie: Tuberkulose im Erwachsenenalter. Eine Leitlinie zur Diagnostik und Therapie, einschließlich Chemoprävention und -prophylaxe des Deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose e.V. im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e.V. Pneumologie 2017; 71: 325–397.

    Zielinski N et al.: Latent tuberculosis infection among health workers in Germany – A retrospective study on progression risk and use of preventive therapy. Int J Environ Res Public Health 2021; 18: 7053.

    doi:10.17147/asu-1-174359

    Weitere Infos

    ArbMedVV – Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge vom 18.12.2008, zuletzt geändert am 12.7.2019
    www.gesetze-im-internet.de/arbmedvv/

    Robert Koch-Institut (RKI): Bericht zur Epidemiologie der Tuberkulose in Deutschland für 2020. RKI Berlin 2021
    www.rki.de/DE/Content/InfAZ/T/Tuberkulose/Download/TB2020.pdf?__blob=pu…

    World Health Organization (WHO): Global tuberculosis report 2021. Geneva 2021. Licence: CC BY-NC-SA 3.0 IGO
    www.who.int/publications/i/item/9789240037021

    Kernaussagen

    • Die Anzahl infektiöser Tuberkulosefälle in der Bevölkerung ist gering, dennoch haben Beschäftigte im Gesundheitswesen ein erhöhtes Infektionsrisiko.

    • Die arbeitsmedizinische Vorsorge erfolgt gezielt nach engem oder längerem Kontakt zu ­infektiösen Personen oder Materialien (Angebotsvorsorge) oder wiederholt bei Tätigkeiten in der Pneumologie, auf TB-Stationen oder im Labor mit regelmäßigem Kontakt zu infektiösen Personen oder Materialien (Pflichtvorsorge).

    • Die arbeitsmedizinische Vorsorge beinhaltet die Anamnese zu Art und Dauer des Kontakts, zu typischen Symptomen (Gewichtsabnahme, Leistungsknick, Nachtschweiß, Husten) sowie eventuell einen Interferon Gamma Release Assay (IGRA) und eine Thoraxübersicht.

    • Die latente Tuberkuloseinfektion (LTBI) wird nach Ausschluss von typischen Symptomen durch einen positiven Immuntest (IGRA) und eine unauffällige Röntgenübersicht des Thorax diagnostiziert.

    • Nach der erstmaligen Diagnose einer LTBI ist eine individuelle Beratung durch eine/einen Pneumologin/Pneumologen zur präventiven Chemotherapie indiziert, deren Kosten im Rahmen eines Berufskrankheitenverfahrens von der Unfallversicherung übernommen werden können.

    Kontakt

    Prof. Dr. med. Albert Nienhaus
    Universitätsklinikum ­Hamburg-Eppendorf; Institut für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen (IVDP); Martinistr. 52, 20246 Hamburg

    Foto: privat

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