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Selection and use of exoskeletons in the workplace – The new DGUV Information 208-062 “Humans and Workplace – Selection and Use of Exoskeletons”
Exoskeletons are increasingly being tested and used in companies as a work ergonomics measure. Companies have many unanswered questions about topics such as how they work, their potential for reducing strain, possible applications, occupational safety regulations, and the correct test procedures and introduction of exoskeletons in the workplace. The aim of the newly created DGUV Information 208-062 is to provide a comprehensible and practical document that guides those responsible for safety and health in companies step by step through the process of selecting an exoskeleton.
Auswahl und Einsatz von Exoskeletten im Betrieb – Die neue DGUV Information 208-062 „Mensch und Arbeitsplatz – Auswahl und Einsatz von Exoskeletten“
Exoskelette werden als arbeitsergonomische Maßnahme vermehrt in Betrieben getestet und eingesetzt. Von Seiten der Unternehmen bestehen viele offene Fragen zu Themen wie Funktionsweise, Potenzial zur Entlastung, Einsatzmöglichkeiten, arbeitsschutzrechtlichen Rahmenbedingungen oder der korrekten Erprobung und Einführung von Exoskeletten im Betrieb. Ziel der neu erstellten DGUV Information 208-062 ist eine verständliche und praxistaugliche Schrift, die die Verantwortlichen für Sicherheit und Gesundheit in den Betrieben Schritt für Schritt durch den Prozess der Auswahl eines Exoskeletts führt.
Kernaussagen
Problemstellung und Ziel
Exoskelette bieten eine neue Möglichkeit der Prävention von Muskel-Skelett-Erkrankungen als personenbezogene Maßnahme. Sie können an Arbeitsplätzen mit körperlicher Belastung dazu beitragen, diese Belastung zu reduzieren (Luger et al. 2022). Allerdings muss für jeden einzelnen Arbeitsplatz geprüft werden, ob der Einsatz eines Exoskeletts eine nachhaltige Entlastung bewirkt und welches Exoskelett für den jeweiligen Einsatzbereich am besten geeignet ist. Dazu ist eine Bewertung der Eignung von Exoskeletten notwendig, für die bislang keine einheitlichen und verlässlichen Standards existieren. Die Auswahl und Bewertung gestaltet sich für Unternehmen aufgrund der großen Produktvielfalt am Markt als schwierig (Weidner et al. 2020). Exoskelette unterscheiden sich je nach Zielkörperregion, Konstruktion, Bauweise sowie mechanischer und biomechanischer Funktionsweise. Außerdem sind sie meist speziell für bestimmte Einsatzgebiete entwickelt, die in gewerblichen Arbeitsumgebungen in unterschiedlicher Form, Häufigkeit und Intensität auftreten können (Ralfs et al. 2023).
Das Ziel der DGUV-Information 208-062 „Auswahl und Einsatz von Exoskeletten“ ist es, eine fundierte Grundlage für die Bewertung von Exoskeletten im gewerblichen Bereich bereitzustellen. Dafür wird ein systematisches Vorgehen in mehreren Schritten dargestellt, ergänzt durch Checklisten, Leitfragen, Diagramme und Empfehlungen für das weitere Vorgehen. So sollen verlässliche und vergleichbare Untersuchungsergebnisse ermöglicht und die Auswahl eines passenden Exoskeletts für den jeweiligen Anwendungsfall erleichtert werden.
Zielgruppe sind Verantwortliche für Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz im Betrieb, die den Einsatz von Exoskeletten planen oder begleiten.
Grundlegendes zu Exoskeletten
Exoskelette sind technische Systeme, die am Körper getragen werden und durch mechanische Kopplung auf ihn einwirken. Im beruflichen Kontext sollen sie die Funktionen des Muskel-Skelett-Systems bei körperlicher Arbeit unterstützen.
Unterscheidungsmerkmale von Exoskeletten
Exoskelette unterscheiden sich nach ihrem Antriebsprinzip (aktive und passive Systeme), der unterstützten Körperregion (z. B. Schulter oder Rücken), der Bauform (körpernah oder körperfern), den verwendeten Materialien (hart oder weich) sowie ihrer mechanischen und biomechanischen Wirkungsweise (z. B. Zug- oder Druckkraft).
Passive Exoskelette nutzen die Energie, die die nutzende Person selbst aufbringt, und speichern diese in Bauteilen wie Federn oder elastischen Bändern, um sie später mechanisch wieder freizugeben. Aktive Exoskelette verfügen hingegen über eine externe Energiequelle, etwa elektrische oder pneumatische Antriebe.
Für den Einsatz in gewerblichen Arbeitsumgebungen gibt es Exoskelette zur Unterstützung des Rückens, der oberen Extremitäten (z. B. Schulter, Arme, Hände) sowie der unteren Extremitäten (z. B. Hüfte, Beine). Am häufigsten kommen Exoskelette zur Entlastung von Schultern und Rücken zum Einsatz.
Funktionsweise von Exoskeletten
Je nach Antriebsprinzip, Zielregion, Bauform und Material unterscheiden sich die Wirkungsweisen von Exoskeletten. Sie wirken durch das Aufnehmen oder Umlenken von Kräften und können dadurch Ermüdungserscheinungen und Überbelastungen besonders beanspruchter Körperbereiche reduzieren. Außerdem können sie eine Verbesserung der Körperhaltung bewirken.
Die meisten derzeit erhältlichen Exoskelette bieten jedoch nur eine teilweise Unterstützung an. Allein durch den Einsatz von Exoskeletten können Gefährdungen durch Muskel-Skelett-Belastung für die nutzende Person an ergonomisch ungünstigen Arbeitsplätzen nicht vermieden, sondern nur verringert werden.
Geeignete Tätigkeiten für den Einsatz von Exoskeletten
In der gewerblichen Praxis können Exoskelette belastende Bewegungen und Körperhaltungen, insbesondere Zwangshaltungen wie Rumpfbeugung oder Arbeiten über Kopf, erleichtern.
Sowohl passive als auch aktive Systeme haben je nach Tätigkeit unterschiedliche Unterstützungseffekte. Aktive Exoskelette bieten in der Regel eine regelbare Unterstützung während der Verrichtung einer Arbeitsaufgabe, was vor allem bei Arbeiten mit variierenden Bewegungsabläufen und Lasten vorteilhaft ist. Passive Modelle eignen sich eher für Tätigkeiten mit konstanten Bewegungen und gleichbleibenden Gewichten.
Exoskelette zur Entlastung des unteren Rückens unterstützen hauptsächlich bei tiefem Vorbeugen, etwa beim Anheben von Lasten vom Boden, jedoch meist nicht beim Tragen, Ziehen oder Schieben von Lasten. Schulterentlastende Systeme sind hauptsächlich bei Arbeiten mit erhobenen Armen in oder über Schulterhöhe hilfreich, etwa bei Montagetätigkeiten über Kopf. Eine Kraftsteigerung bei der Handhabung schwerer Lasten ist hierbei normalerweise nicht gegeben.
Exoskelette sind nur dann sinnvoll, wenn andere ergonomische Maßnahmen wie die Anpassung der Arbeitshöhe oder technische Hilfsmittel wie Gabelstapler, Kräne oder
Vakuumheber nicht möglich oder bereits ausgeschöpft sind.
Voraussetzungen für den Einsatz von Exoskeletten im Betrieb
Vor einer Einführung von Exoskeletten an Arbeitsplätzen muss die grundsätzliche Eignung geprüft werden:
Die Auswahl des richtigen Exoskeletts
Für die Auswahl eines geeigneten Exoskeletts ist ein bestimmtes Vorgehen zu beachten. Zunächst erfolgt eine Vorbereitung, die eine Analyse der Tätigkeiten, des Arbeitsumfelds sowie der Unternehmensstruktur und -kultur umfasst. Zudem müssen Einflussfaktoren und Zielsetzungen für die Auswahl des Systems identifiziert beziehungsweise festgelegt werden.
Im Anschluss folgen begleitete Test- und Erprobungsphasen, bei denen die Eignung des Exoskeletts für den jeweiligen Arbeitsplatz sowohl subjektiv als auch objektiv bewertet wird.
Abschließend werden die Ergebnisse der Testphase ausgewertet, die die Grundlage für eine erfolgreiche Auswahl und Einführung des Exoskeletts bilden.
Vorbereitung
Die Basis für die Auswahl eines Systems bildet die Analyse der Tätigkeiten, bei denen ein Exoskelett unterstützen soll (Haupttätigkeiten) oder nicht behindern darf (Nebentätigkeiten). Wichtig für die richtige Auswahl ist auch die Kompatibilität mit Werkzeugen und anderen Hilfsmitteln.
Aus den erfassten Tätigkeiten und Bewegungsmustern muss erkannt werden, welche Körperregion besonders belastet ist (Engpassbetrachtung) und daher unterstützt werden sollte. Das gewählte Exoskelett sollte genau diesen belasteten Körperbereich
adressieren. Wird beispielsweise hauptsächlich der untere Rücken beansprucht, empfiehlt sich ein Exoskelett zur Unterstützung dieses Bereichs.
Weitere relevante Aspekte bei der Systemauswahl sind das Arbeitsumfeld sowie die Unternehmensstruktur und -kultur.
Vor der Auswahl eines passenden Systems ist es wichtig, verschiedene Eigenschaften hinsichtlich Arbeitsplatz, Nutzenden und in Frage kommende Exoskelette als Einflussgrößen zu berücksichtigen. Diese Eigenschaften fließen in übergeordnete Leitmerkmale ein und beeinflussen deren Ausprägung:
Diese Leitmerkmale bestimmen mit den Querschnittsthemen Tragekomfort, Sicherheit, Robustheit und Wartung maßgeblich die Eignung von Exoskeletten für den Einsatz in unterschiedlichen Arbeitsabläufen.
Sobald die Grundlagen und Einflussfaktoren klar sind, kann ein Exoskelett ausgewählt werden, das am besten zu den Anforderungen passt. Hierfür eignet sich das folgende schrittweise Vorgehen:
Durchführung der Erprobung
Bevor ein Exoskelett getestet wird, sollten geeignete Methoden zur Bewertung der Einsatzsituation und der Unterstützung festgelegt werden.
Dafür steht eine Kriterien-Methoden-Matrix zur Verfügung, die verschiedene Verfahren auflistet. Objektive Methoden, wie Messungen der körperlichen Belastung, eignen sich besonders für wissenschaftliche Feld- oder Laborstudien. Subjektive Methoden, etwa Befragungen, sind gut für innerbetriebliche Testphasen geeignet. Idealerweise werden beide Methodenarten kombiniert, um ein umfassendes Bild zu erhalten.
Diese Verfahren dienen dazu, verschiedene Kriterien wie das Belastungsempfinden und die Reduktion der Belastung zu beurteilen.
Test- und Erprobungsphasen sind eine sinnvolle Möglichkeit, um die Unterstützung durch Exoskelette zu bewerten. Ein einheitliches, systematisches Vorgehen stellt sicher, dass belastbare und vergleichbare Ergebnisse erzielt werden. Optimalerweise erfolgen die Tests direkt am jeweiligen Arbeitsplatz.
Eine arbeitsmedizinische Begleitung sollte bereits während der Testphasen vorhanden sein, um mögliche Beschwerden (z. B. Hautreizungen) frühzeitig zu erkennen.
Auswertung der Erprobungsphase
Neben einer sorgfältigen Planung und Durchführung bildet die Auswertung der Testphase die Basis für die erfolgreiche Auswahl und Einführung eines passenden Exoskeletts.
Für die Auswertung empfiehlt es sich, die Methodik zur Auswahl von Exoskeletten (s. Abschn. „Vorbereitung“) unter Berücksichtigung der erfassten Daten und Eigenschaften zu wiederholen und gegebenenfalls zu verfeinern. Das grundlegende Vorgehen bleibt gleich, kann aber auf Grundlage der Testergebnisse in folgenden Punkten angepasst werden:
Wichtige Schritte im Ablauf sind:
Empfehlungen für den Einsatz und die Erprobung von Exoskeletten
Allgemeine Empfehlungen
Vor dem Einsatz von Exoskeletten ist stets zu prüfen, ob technische oder organisatorische Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen möglich sind. Der Einsatz personenbezogener Maßnahmen wie Exoskelette ist erst dann angebracht, wenn vorrangige Möglichkeiten ausgeschöpft sind.
müssen Risiken im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung ausgeschlossen werden.
Empfehlungen in Bezug auf Nutzbarkeit und Akzeptanz
Empfehlungen für die Erprobung von Exoskeletten im Betrieb
Interessenskonflikt: Das Autorenteam gibt an, dass keine Interessenskonflikte vorliegen.
Literatur
Bär M, Luger T, Seibt R, Rieger MA, Steinhilber B: Using a passive back exoskeleton during a simulated sorting task: influence on muscle activity, posture, and heart rate. Human Factors 2024; 66: 40–55. doi:10.1177/00187208211073192 (Open Access).
Crea S, Beckerle P, De Looze M, De Pauw K, Grazi L, Kermavnar T, Masood J: Occupational exoskeletons: A roadmap toward large-scale adoption. Methodology and challenges of bringing exoskeletons to workplaces. Wearable Technologies 2021; 2: e11. doi:10.1017/wtc.2021.11 (Open Access).
de Looze MP, Bosch T, Krause F, Stadler KS, O’Sullivan LW: Exoskeletons for industrial application and their potential effects on physical work load. Ergonomics 2015; 59: 671–681. doi:10.1080/00140139.2015.1081988 (Open Access).
Luger T, Bär M, Rieger MA, Steinhilber B: 708 Exoskeletons for reducing physical stress and strain in occupational tasks: a systematic review. Safety and Health at Work 2022; 13: 336. doi:10.1016/S2093-7911(22)00086-5
Ralfs L, Hoffmann N, Glitsch U, Heinrich K, Johns K, Weidner R (2023) Insights into evaluating and using industrial exoskeletons: Summary report, guideline, and lessons learned from the interdisciplinary project “Exo@Work”. Int J Ind Ergon 2023; 97 (1). doi:10.1016/j.ergon.2023.103494 (Open Access).
Weidner R, Linnenberg L, Hoffmann N, Prokop G, Edwards V: Exoskelette für den industriellen Kontext: Systematisches Review und Klassifikation. In: 66. Kongress der Gesellschaft für Arbeitswissenschaften: Digitaler Wandel, digitale Arbeit, digitaler Mensch. Berlin, 2020.
Online-Quelle
IFA – Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung: Gefährdungsbeurteilung für Exoskelette
www.dguv.de/medien/ifa/de/pra/ergonomie/gefaehrdungsbeurteilung_exoskel…;
Exoskelette werden als arbeitsergonomische Maßnahme vermehrt in Betrieben getestet und eingesetzt
KOAUTOREN UND KOAUTORIN
Priv.-Doz. Dr. Ulrich Glitsch
Institut für Arbeitsschutz der DGUV, Sankt Augustin
Stephan Huis
Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe, Mannheim
Daniel Kern
Berufsgenossenschaft Holz und Metall, Stuttgart
Kerstin Steindorf
Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft, Dresden
Lennart Ralfs
Universität Innsbruck, Professur Fertigungstechnik, Innsbruck
Ralf Schick
Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik, Mannheim