Springe auf Hauptinhalt Springe auf Hauptmenü Springe auf SiteSearch
„Leitfaden Berufskunde und Tätigkeitsanalyse“

Leitfaden für die interdisziplinäre Begutachtung in Fragen der ­Berufskunde und Tätigkeitsanalyse

Das PDF dient ausschließlich dem persönlichen Gebrauch! - Weitergehende Rechte bitte anfragen unter: nutzungsrechte@asu-arbeitsmedizin.com.

Vorwort

Die Begutachtung im Bereich Berufskunde und Tätigkeitsanalyse ermöglicht es, physiologische Daten und medizinische Diagnosen systematisch mit beruflichen Profilen abzugleichen.

Sie stellt allerdings hohe interdisziplinäre Anforderungen an die Gutachterinnen und Gutachter; sie müssen Informationen aus verschiedenen Fachgebieten interpretieren und zusammenführen können.

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag hat bereits zentrale Merkmale dieses Handlungsfeldes definiert und auch die fachlichen Voraussetzungen für die Bestellung von Gutachterinnen und Gutachtern beschrieben (DIHK 2016).

Eine Handreichung zum Thema Berufskunde und Tätigkeitsanalyse, die explizit auch Erkenntnisse aus den verschiedenen betroffenen Wissenschaften berücksichtigt, fehlt aber bislang.

Für den vorliegenden Leitfaden haben sich daher Expertinnen und Experten um das Thema „berufskundliche Begutachtung“ versammelt und relevante Wissensbestände aus ihren Fachdisziplinen zusammengetragen.

Wir wünschen den Leserinnen und Lesern dieser Handreichung eine gewinnbringende Lektüre sowie Hilfestellung für die Begutachtungspraxis und freuen uns über Rückmeldungen und weitere Anregungen.

Bamberg im Herbst 2022

Teja Wolfgang Grömer

Inhaltsverzeichnis

1  Das Sachgebiet Berufskunde und Tätigkeitsanalyse

1.1 Das Sachgebiet und seine Bedeutung

1.2 Fachliche Bestellungsvoraussetzungen

1.2.1 Vorbildung und Zugänge

1.2.2 Notwendige Kenntnisse

1.2.3 Nachweise

1.3 Öffentliche Bestellung und Vereidigung

2 Berufswissenschaftliche Grundlagen

2.1 Teilbereiche der Berufskunde

2.2 Begriffsgeschichte und Funktionen des Berufs

2.3 Definitionen und institutionelle Berufsforschung

2.4 Beruf und Ausbildung

2.4.1 Entstehung des dualen Systems

2.4.2 Anerkannte Ausbildungsberufe

2.4.3 Schulische Berufsausbildungen außerhalb von BBiG/HwO

2.4.4 Entstehung und Veränderung von Berufen

2.5 Ausübung eines Berufs

2.5.1 Berufswahlfreiheit

2.5.2 Reglementierung und Anerkennung der Qualifikation

2.6 Die Klassifikation der Berufe (KldB) – eine tätigkeits­basierte Systematik zur Einordnung von Erwerbsberufen

2.6.1 Entstehung

2.6.2 Struktur

2.7 Der Deutsche Qualifikationsrahmen (DQR) – ein kompetenzbasierter Rahmen zur Einordnung von Bildungsabschlüssen

2.7.1 Entstehung und Systematik

2.7.2 Niveaustufen und Qualifikationen

2.8 Das BERUFENET der Bundesagentur für Arbeit – eine Datenbank zur gezielten Recherche von Berufsinformationen

2.9 Weitere berufskundliche Informationsquellen

2.9.1 Standardwerke zur arbeitsmedizinischen Berufskunde und zu arbeitsmedizinisch relevanten Belastungen und Gefährdungen

2.9.2 Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA)

2.9.3 Deutsche gesetzliche Unfallversicherung (DGUV)

2.9.4 Ausbildungsordnungen des BiBB

3 Die berufskundliche Begutachtung

3.1 Umgang mit berufskundlichen Informationen

3.2 Professiogramme

3.3 Professiogramme in berufskundlichen Gutachten

3.4 Praktisches Vorgehen zur Erstellung von Professiogrammen

3.5 Anforderungsanalytik in berufskundlichen Gutachten

3.5.1 Psychische Anforderungen

3.5.2 Physische Anforderungen

3.6 Zumutbarkeit

3.7 Eignung für einen Beruf

4 Tätigkeitsanalyse

4.1 Methoden und Durchführung von Tätigkeitsanalysen

4.2 Gutachterliche Tätigkeitsanalyse

4.3 Aufbau einer gutachterlichen Tätigkeitsanalyse

4.3.1 Einleitung der gutachterlichen Tätigkeitsanalyse

4.3.2 Tätigkeitsanalytische Rahmenangaben zum Arbeitssystem

4.3.3 Arbeitsorganisatorische Angaben

4.3.4 Ökonomische Rahmenbedingungen

4.3.5 Erarbeitete Liste der Tätigkeiten

4.3.6 Weiterführende Bewertungen aus der Tätigkeitsanalyse

5 Spezielle berufskundliche und tätigkeitsanalytische Fragestellungen

5.1 Sozialrecht

5.1.1 Arbeitsunfähigkeit nach § 92 SGB V durch die Richtlinie des gemeinsamen Bundesausschusses

5.1.2 Rente wegen Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI, Erwerbsminderung nach § 8 SGB II

5.1.3 Rente wegen Berufsunfähigkeit nach § 240 SGB VI

5.1.4 Besonderes berufliches Betroffensein nach § 56 SGB VII

5.1.5 Medizinische Rehabilitation (§ 42 SGB XI), Leitungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 49 SGB XI) und Medizinisch-beruflich orientierte Rehabilitation (MBOR)

5.2 Zivilrecht

5.2.1 Frage der privaten Berufsunfähigkeit

5.2.2 Frage der Erwerbsfähigkeit in Unterhaltsverfahren

5.3 Typische Fragestellungen an die Gutachterin und den Gut­achter für Berufskunde und Tätigkeitsanalyse

5.3.1 Erarbeiten eines Tätigkeitsprofils als Grundlage für die medi­zinische Begutachtung

5.3.2 Beurteilung der Möglichkeit der Tätigkeit mittels der Infor­mationen aus medizinischen Begutachtungen

1 Das Sachgebiet Berufskunde und Tätigkeitsanalyse

1.1 Das Sachgebiet und seine Bedeutung

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) hat Merkmale des Handlungsfeldes Berufskunde definiert und fachliche Voraussetzungen für die Bestellung von Gutachterinnen und Gutachtern beschrieben (DIHK 2016). Die DIHK-Definition des Sachgebiets unterscheidet zwar explizit Berufskunde und Tätigkeitsanalyse1, geht aber von miteinander verwobenen Teilaspekten eines Sachgebiets aus. Die Ausführungen des DIHK sollen wegen ihrer Bedeutung gerade für das Bestellungsverfahren öffentlicher und ver­eidigter Sachverständiger zunächst wiedergegeben werden (DIHK 2016, S. 2):

„Die Berufskunde als ‚Lehre vom Beruf‘ befasst sich mit der Sammlung, Dokumentation und Interpretation aller mit spezifischen Berufen zusammenhängenden Fakten sowie der Ableitung von Folgerungen auf konkrete Einzelfragen oder künftige Entwicklungen. Wesentliche Teilaspekte der Berufskunde sind u.a. die Entstehung und Veränderungen von Berufen, Fragen der Berufsanforderungen, -eignung,
Aus- und Weiterbildung und der Berufsvergleich.

Nicht umfasst sind die unmittelbare [medizinische, Anm. d. Verf.] Untersuchung von Menschen oder Feststellung subjektiver Leistungsmöglichkeiten oder -einschränkungen. Aus diesen Anknüpfungstatsachen sind vielmehr die berufskundlichen Folgerungen abzuleiten.

Berufskundliche Gutachten werden zu berufskundlichen Fragestellungen in sozialrechtlichen, arbeitsrechtlichen, privatrechtlichen und versicherungsrechtlichen Streitigkeiten erstellt, um Gerichten und Behörden Entscheidungen auch zu schwierigen beruflichen Sachverhalten zu ermöglichen. Im Rahmen von rentenrechtlichen Streitigkeiten wird insbesondere untersucht, auf welche Tätigkeiten der Betroffene mit dem festgestellten Restleistungsvermögen noch verwiesen werden kann.

Der berufskundliche Gutachter2 muss sich sowohl zu der sozialen als auch der medizinischen Zumutbarkeit der benannten Verweisungstätigkeiten äußern. Zunehmend werden Anfragen/Aufträge von Gerichten zu sozialversicherungsrechtlichen Streitigkeiten erteilt.

Im versicherungsrechtlichen Umfeld geht es um die Beurteilung von individuellen beruflichen Tätigkeiten und ihrer weiteren Ausführbarkeit. Diese ebenfalls auf der Grundlage eines von medizinischer Seite definierten Restleistungsvermögens.

In diesem Umfeld muss sich der berufskundliche Gutachter zur sozialen und medizinischen Zumutbarkeit, insbesondere zu Fragen der finanziellen Vergleichbarkeit und tarif­lichen Eingruppierung sowie im Einzelfall auch zu weiteren Fragen der Berufsanforderungen äußern und Berufsvergleiche anstellen.

Mit Hilfe der Tätigkeitsanalyse erfolgt die unmittelbare Untersuchung und Beschreibung konkreter, menschenbezogener Vorgänge und Gegebenheiten, wie z.B. von Berufen, Arbeitsfeldern und Arbeitsplätzen, Berufszielen, beruflichen Aufgaben, Arbeitsabläufen und Arbeitsverrichtungen, des Umfeldes von Arbeitsplätzen oder soziologischen (organisationssoziologische) Bedingungen.

Nicht umfasst sind z.B. Betriebsablaufuntersuchungen aus rein technologischer Sichtoder die Bewertung von Betriebsunterbrechungsstörungen oder die Bewertung von Verdienstausfallschäden.“

Berufskunde und Tätigkeitsanalyse nehmen somit eine entscheidende Rolle bei der Beurteilung von berufsbezogenen Sachverhalten ein.

Mit den Inhalten der Berufskunde beschäftigen sich viele Institutionen (z. B. Arbeitsverwaltung, Berufsverbände, Sozialpartnerinnen und Sozialpartner, Gerichte); sie sind kein typischerweise in medizinischen Gutachten mit Ausnahme von teils arbeitsmedizinischen Gutachten ausreichend geklärtes Gebiet. Die Berufskunde umfasst den gesamten Bereich des beruflichen Lebens wie Vor-, Aus- und Weiterbildung, Aufgaben und Tätigkeitsbereiche, Qualifikation, Personal- und Sozialstrukturen, Arbeitsrecht usw. Handelt es sich um medizinische Probleme im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit, so spricht man von einer arbeitsmedizinischen Berufskunde. Dabei liegt der Schwerpunkt auf körperlichen und psychischen Voraussetzungen, auf Belastungen, Beanspruchungen und Gefährdungen, auf gesundheitlicher Prävention und Rehabilitation.

Die Einholung medizinischer Daten geschieht dabei nicht durch die berufskundlichen Gutachterinnen und Gutachter, die Beurteilung muss sich aber grundsätzlich auf medizinische Daten stützen. Das bedeutet, dass berufskundliche Gutachterinnen und Gutachter entsprechende Daten interpretieren können müssen.

1.2 Fachliche Bestellungsvoraus­setzungen

Beauftragte Gutachterinnen und Gutachter sollten für die Beantwortung von Fragen geeignet qualifiziert sein. Mit Gutachterin oder Gutachter wird dabei die ein Gutachten erstellende Person bezeichnet. Gutachterinnen und Gutachter sind auch im Bereich Berufskunde oft ausgewiesene Sachverständige. Beide Begriffe werden daher oft synonym gebraucht. Wenngleich der Begriff der oder des Sachverständigen nicht rechtlich definiert wird, werden zur Qualitätssicherung durch Verbände und Einrichtungen Qualifikationen nicht selten durch ein Prüfverfahren (Zertifizierung oder öffentliche Bestellung) bestätigt, um Auftraggebenden eine Orientierung zu erleichtern. Öffentlich bestellte Sachverständige für gewisse Arten von Gutachten werden rechtlich klar vorrangig gehört (§ 404 ZPO), haben jedoch auch eine vorrangige Verpflichtung zur Erstellung von Gutachten (§ 407 ZPO). Sachverständige müssen über eine für die Fragestellung zutreffende besondere fachliche Qualifikation und Erfahrung verfügen, wie in den Sachverständigenordnungen für eine Bestellung herausgestellt wird (etwa: Sachverständigenordnung der IHK für Oberfranken Bayreuth, 24.07.2017, § 2 (1)). Sie müssen selbst prüfen, ob sie für die Beantwortung von Fragen kompetent sind (§ 407a ZPO). Auch an der Gutachtenerstellung beteiligte Expertinnen und Experten aus benachbarten Fachgebieten müssen sich bei interdisziplinären Fragen für die betreffende Fragestellung als fachkundig erklären.

Im Falle eines Fehlens der für eine konkrete Fragestellung erforderlichen Kenntnisse oder im Falle eines Interessenskonfliktes wie einer Befangenheit müssen Sachverständige die Auftraggebenden unverzüglich darüber verständigen (§ 407a ZPO).

Die fachlichen Bestellungsvoraussetzungen für das Fachgebiet Berufskunde und Tätigkeitsanalyse werden vom DIHK unter den Überschriften „Vorbildung“ und „Kenntnisse“ ausführlich beschrieben (DIHK 2016, S. 3 f.).

1.2.1 Vorbildung und Zugänge

Das Sachgebiet beinhaltet umfangreiche u. a. betriebs- und volkswirtschaftliche, soziologische, historische, arbeits- und berufspsychologische sowie pädagogische aber auch arbeitsmedizinische, sozialversicherungsrechtliche, privatversicherungsrechtliche und arbeitsrechtliche Aspekte. Insofern die spätere fachliche Orientierung den Anforderungen des Sachgebiets genügt, ist es daher mit einer Vielzahl von Ausbildungen zugänglich. Die weitere Konkretisierung der Zugangsvoraussetzungen wird im Folgenden ebenfalls im Wortlaut wiedergegeben:

„Zu fordern ist wenigstens:

  • Abgeschlossenes Fach- oder Hochschulstudium, möglichst mit naturwissenschaftlicher, sozialer, medizinischer oder einschlägiger rechtlicher Ausrichtung.
  • Nachweis einer daran anschließenden mindestens fünfjährigen praktischen Erfahrung im personalberatenden oder vermittelnden Bereich, der Aus- und Weiterbildung, als Personalleiter, Betriebspsychologe oder in einer anderen für eine im Bereich Berufskunde und Tätigkeitsanalyse für eine Gutachtertätigkeit förderliche Stellung wie z.B. auch arbeits- und sozialrechtliche Ausrichtungen.
  • Nachweise für umfangreiche gutachterliche Tätigkeit und Erfahrungen bei der selbständigen Erstellung von Gutachten.“
  • Auch eine arbeitswissenschaftliche Ausrichtung in Studium und Tätigkeit ist aus Voraussetzung geeignet.

    Der DIHK betont als Voraussetzung für eine Gutachterinnen- und Gutachtertätigkeit, dass das Sachgebiet, da es Arbeitsinhalte aus vielen verschiedenen Disziplinen beinhaltet, mit unterschiedlichen Vorbildungen ausgeübt werden kann.

    Als notwendiges formales Zugangskriterium zählt zum einen ein abgeschlossenes Hochschulstudium. Dies ist insofern bedeutsam, da damit die Fähigkeit gesichert wird, sich mit Hilfe wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden mit dem Thema Berufskunde auseinanderzusetzen.

    Ergänzend hierzu wird zum anderen eine mindestens fünfjährige praktische Erfahrung gefordert, die in der Schnittmenge von psychologischen, pädagogischen, ökonomischen und juristischen Tätigkeitsfeldern erworben werden kann.

    Die Autorinnen und Autoren stützen diese These der Zugänglichkeit aus verschiedenen Fachgebieten, wobei die berufskundliche Qualifikation den Umgang mit berufskundlicher Information voraussetzt, der spezifisch nachgewiesen werden muss. Dabei passt der notwendige Nachweis eines Fach- oder Hochschulstudiums zu der notwendigen wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema Berufskunde in der Begutachtung, da Hochschulen auf Tätigkeiten vorbereiten, die die Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden erfordern (§ 2 (1) HRG).

    1.2.2 Notwendige Kenntnisse

    Die zum Nachweis der besonderen Sachkunde nach § 36 GewO erforderlichen Kenntnisse müssen in jeweils unterschiedlicher Tiefe vorliegen. Zu deren Ausdifferenzierung wird folgende Taxonomie verwendet (DIHK
    2016, S. 3 f.):

  • Grundkenntnisse [1],
  • vertiefte Kenntnisse [2],
  • Detailkenntnisse [3].
  • Auf der Grundlage dieser taxonomischen Unterscheidung werden generelle Aufgaben und notwendige Kenntnisse in den einzelnen Teilgebieten präzisiert:

    „Der Sachverständige muss auf dem Gebiet der Berufskunde und Tätigkeitsanalyse vertiefte Kenntnisse besitzen. Er muss Gerichten und Behörden Entscheidungen auch zu schwierigen beruflichen Sachverhalten ermöglichen. Da er oft nicht auf Fachliteratur zurückgreifen kann, ist auf das eigenständige Ermitteln und Bewerten beruflicher Fakten besonderen Wert zu legen.

    Der Sachverständige muss in der Lage sein, ärztliche Befundberichte und sozialmedizinische Gutachten aus den verschiedenen fachärztlichen Bereichen zu verwerten. Hierzu benötigt er Kenntnisse der arbeitsmedizinischen Fachsprache.

    Er muss die körperlichen Arbeitsbedingungen (Belastungsprofil) des jeweiligen Berufsbildes herausarbeiten und feststellen können, ob und/oder inwieweit der Betroffene diese mit dem festgestellten Restleistungsvermögen ausüben kann.

    Im Einzelnen ergeben sich folgende Anforderungen an den fachlichen Kenntnisstand:

  • Sachverständigenwesen und Informationsmanagement
  • Quellen zur Gewinnung von berufskundlichen Informationen [3]
  • Kriterien für die Verarbeitung von berufskundlichen Informationen [3]
  • Berufskundliche Arbeitsmittel [3]
  • Teilgebiet Berufskunde
  • Das Entstehen, der Wandel und der Untergang von Berufen [2]
  • Aus- und Weiterbildung, Ausbildungs- und Schulformen, duale Ausbildung [2]
  • Der Berufswechsel bei Ausbildungs- und Weiterbildungsberufen [2]
  • Kenntnisse der einzelnen Berufsbereiche (z.B. Elektro-, Metall-, kaufmännisch) [1]
  • Kenntnisse zu berufstypischen Krankheitsbildern [2]
  • fachbezogene, medizinische Grundkenntnisse [1]
  • Kenntnisse der berufskundlich relevanten, medizinischen Terminologie und Gutachtentechnik [2]
  • Teilgebiete Tätigkeitsanalyse
  • Methoden und Durchführung von Tätigkeitsanalysen [2]
  • Erfassen von Berufszielen über die Tätigkeitsanalyse [2]
  • Erkunden von beruflichen Aufgaben mit Hilfe der Tätigkeitsanalyse [2]
  • Erkennen von Arbeitsabläufen oder Arbeitsverrichtungen [2]
  • Organisationssoziologische Bedingungen von Tätigkeiten und Berufen [2]
  • allgemeine rechtliche Kenntnisse
  • Kenntnisse im Verfahrensrecht (SGG, ZPO) [1]
  • Kenntnisse im Arbeits- und Tarifrecht [2]
  • Kenntnisse der relevanten Regelungen zur gesetzlichen Rentenversicherung (SGB VI) [2]
  • Kenntnisse der relevanten Regelungen zur gesetzlichen Unfallversicherung, insbesondere zu Arbeitsunfall, Berufskrankheit und Haftungsprivileg (§§7ff. und §§104ff. SGB VII) [2]
  • Kenntnisse im Versicherungsrecht (insb. §172 VVG) [2]
  • Kenntnisse im Zivilrecht [1]
  • Allgemeine Rechtskenntnisse Sachverständigentätigkeit
  • Die „Allgemeinen Rechtskenntnisse Sachverständigentätigkeit“ sind Bestandteil dieser Bestellungsvoraussetzungen.

  • Sachgebietsspezifische Rechtskenntnisse
  • Berufsbildungsrecht (z.B. BBiG, Ausbildungsordnungen) [3]
  • Grundzüge und aktuelle Entwicklungen der Rechtsprechung der Sozialgerichte, insbesondere zur Thematik der Verweisungstätigkeiten [3]
  • Grundzüge und aktuelle Entwicklungen der Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte zu Fragen der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung [3]
  • Arbeitsschutz, Arbeitsmedizin im für das Sachgebiet relevanten Bereich [3.]“
  • Günstig sind auch Kenntnisse zu Anerkennungsbegründungen für internationale Berufszertifikate sowie für Barrieren einer solchen Anerkennung. Bedarf besteht überall dort, wo Mitarbeitende mit Migrationshintergrund in Deutschland an Arbeitsstellen verunfallen oder geschädigt werden beim Beurteilen der Restfähigkeiten und der Suche nach Ersatz-Einsatz-Berufsfeldern bzw. Arbeitsstellen, die den Restfähigkeiten genügen oder umgekehrt.

    1.2.3 Nachweise

    Die notwendigen Kenntnisse werden durch Vorlage folgender Dokumente nachgewiesen:

  • Nachweis des Studienabschlusses (Hochschule für angewandte Wissenschaft oder Universität)
  • Beschreibung der 5-jährigen Berufserfahrung im Sinne der Förderlichkeit für die Berufskunde
  • Nachweis über eine umfangreiche gutachterliche Tätigkeit und Erfahrungen in der selbständigen Erstellung von Gutachten. In der Regel wird dies durch die Vorlage einer Liste mit Gutachten mit Fragestellung und Auftraggebern in anonymisierter Form erreicht.
  • Einreichen von drei berufskundlichen und einem tätigkeitsanalytischen Gutachten als Arbeitsproben, die eine Bewertung auch der fachlichen Qualifikation erlauben.
  • In der Bewertung der Qualifikation ist wesentlich, dass berufskundliche Fragestellungen fachlich qualifiziert beantwortet werden können. Der Einsatz der Kenntnisse muss in den Arbeitsproben deutlich werden.

    1.3 Öffentliche Bestellung und Vereidigung

    Die für die jeweilige Region zuständige Industrie- und Handelskammer (IHK) ist die nach Landesrecht von der Landesregierung bestimmte zuständige Stelle für die Bestellung von Sachverständigen für Berufskunde nach § 36 Gewerbeordnung (GewO). Dabei sieht die GewO vor, dass Sachverständige Personen mit besonderer Eignung sind (vgl. oben aufgeführte Nachweise), die in der Lage sind, Tatsachen festzustellen.

    Die Sachverständigen sollten zudem unabhängig und weisungsfrei sein und ihre Leistungen persönlich, gewissenhaft und unparteiisch erbringen. Auch sieht die Gewerbeordnung vor, dass Mindestanforderungen an Gutachten formuliert sowie Fortbildung und Erfahrungsaustausch gefördert werden sollen.

    Nach Antrag erfolgt die Überprüfung nach Regelungen der jeweiligen IHK. Die Überprüfung der Eignung wird beispielsweise durch Bewertung der Arbeitsproben durch Fachgutachterinnen und Fachgutachter und ein Gespräch zur Überprüfung (Fachgespräch) vor einem Sachverständigenausschuss erreicht. Es kann auch notwendig sein, Referenzpersonen zu benennen. Anfallende Kosten der Überprüfung haben dabei die und der Antragstellende zu tragen, ggf. auch für Übersetzungen von Arbeitsproben oder Zeugnissen.

    Sachverständige sind auch nach ihrer Benennung angehalten bzw. verpflichtet, sich regelmäßig fortzubilden und ggf. dies den für Sachverständige zuständigen Bereich der Industrie- und Handelskammern nachzuweisen.

    2 Berufswissenschaftliche Grundlagen

    2.1 Teilbereiche der Berufskunde

    Die Berufskunde ist ein Handlungsfeld, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstand. Im Gefolge der aufkommenden Berufsberatung und Arbeitsvermittlung wurden berufsbezogene Arbeitshilfen und Anschauungsmaterialien benötigt. Die Sammlung entsprechender Dokumente und Unterlagen wurde zunehmend systematisiert. Die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, welche 1927 mit dem Gesetz für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) geschaffen wurde, gab in den Jahren 1927 bis 1936 das mehrbändige Werk „Handbuch der Berufe“ heraus, womit sich die Berufskunde als beschreibende Lehre etablieren konnte (Arimond 1959). Die seit den frühen 1950er Jahren bis 2004 erschienenen „Blätter zur Berufskunde“ sind als Fortsetzung dieses Handbuchs zu verstehen (Dauenhauer 1976, S. 25). Auch das Grundwerk ausbildungs- und berufskundlicher Informationen („gabi“, Stothfang u. Weber 1983 S. 7–8, S. 191–195) wurde später nicht mehr aktualisiert.

    1968 wurde das „Handbuch der Berufskunde“ von Molle erstmals aufgelegt. Molle hatte 1965 einen Leitfaden der Berufsanalyse veröffentlicht (ref. in Stooß u. Stothfang 1985, S. 53). In seinem Handbuch zur Berufskunde machte der Autor darauf aufmerksam, dass Berufskunde aus praktischen Bedürfnissen heraus entstanden ist und „kein forschender Wissenschaft entspringender Erkenntniszweig“ sei (Molle 1968a, S. 35 und 1968b):

    Zugleich unterschied er drei Arten der Berufskunde, die

  • allgemeine Berufskunde,
  • spezielle Berufskunde und
  • nachwuchspolitische Berufskunde.
  • Unter der allgemeinen Berufskunde fasst Molle generelle berufsbezogene Themen wie die Geschichte der Berufe, die Lehre vom Beruf (Berufsbegriff), die Berufs-Nomenklatur (Berufsbezeichnungen), die Berufsgliederung (Ordnung, Systematik und Klassifikation der Berufe), die Berufsstatistik und schließlich die allgemeinen Fragen der Berufswahl, -neigung, -eignung, und -aufklärung zusammen. Zwar seien von diesen Themen auch die besonderen Erscheinungsformen der einzelnen Berufe betroffen, aber es gehe hier um Wissensgebiete, die im „Querschnitt aller Berufe (…) überwiegend grundsätzliche allgemeine Bedeutung haben“ (Molle 1968a, S. 35).

    Im Gegensatz zur allgemeinen Berufskunde werden mit der speziellen Berufskunde die Einzelphänomene angesprochen. Es geht hier also um die Einzelheiten der verschiedenen Berufe, um damit die jeweils speziellen Merkmale herauszustellen. Bei diesen speziellen Berufsmerkmalen handelt es sich u. a. um die jeweiligen Aufgaben, Tätigkeiten und Anforderungen eines Berufs oder auch um Art und Grad der Qualifikation und der notwendigen Schulbildung (ebd., S. 113). Fushöller (1981) führt in Bezug auf die spezielle Berufskunde auch einzelne Gruppierungen bzw. Aggregationen von Berufen als Gegenstand an. Dieser Aspekt verdeutlicht den fließenden Übergang zur allgemeinen Berufskunde.

    Molle (1968a, S. 247) spricht weiterhin von einer nachwuchspolitischen Berufskunde und der Anwendung berufskundlichen Wissens im Rahmen öffentlicher oder privater Maßnahmen, die „zur Beeinflussung des Berufslebens, seiner Gestaltung und Entwicklung, vor allem aber der Berufsnachwuchsführung und der dabei angewendeten Politik dienen“. Gemeint ist damit eine Umsetzung und Anwendung in verschiedenen Beratungs- und Orientierungsformaten.

    Die daran anknüpfende Diskussion, ob es sich bei der Berufskunde um ein Fachgebiet handelt, das lediglich beobachtet und beschreibt, also sich primär sammelnd und ordnend mit den verschiedenen Facetten von Berufen beschäftigt, oder ob es nicht vielmehr doch eine wissenschaftliche Disziplin ist – forschend und auf Theoriebildung bedacht –, soll an dieser Stelle nicht ausführlich behandelt werden; sie dauert letztlich bis heute an.

    Allerdings existieren zu Berufen nicht nur beschreibende Arbeiten, sondern eine Vielzahl von wissenschaftlichen Arbeiten und spezifische qualitativ hochwertige wissenschaftliche Fachzeitschriften, die sich mit dem Beruf und der Arbeitstätigkeit beschäftigen. Auch wenn keine Übereinstimmung herrscht, ob Berufskunde selbst wissenschaftlich ist oder nicht, existieren doch wissenschaftliche Grundlagen für die Berufskunde, die es der berufskundlichen Gutachterin oder dem berufskundlichen Gutachter ermöglichen, ihre und seine Aussagen auf wissenschaftliche Erkenntnisse zu stützen.

    Die Ausführungen in den Abschnitten des Kapitels 2 sind im Sinne einer Allgemeinen Berufskunde zu verstehen. Sie beschäftigen sich mit allgemeinen berufswissenschaftlichen Grundlagen. Vorgestellt werden ausgewählte Erkenntnisse der Berufssoziologie und Berufspädagogik, aber auch der Begriffs- und Sozialgeschichte und des Bildungs- und Arbeitsrechts.

    Die Ausführungen im Kapitel 3, die die Gutachterin und den Gutachter konkret in ihren und seinen Fragestellungen betreffen, sind Phänomene der speziellen Berufskunde.

    2.2 Begriffsgeschichte und Funktionen des Berufs

    Der Begriff „Beruf“ hat im deutschen Sprachraum eine lange Tradition. Er entstand in der Reformationszeit als Sprachvariation von Berufung, die Luther 1522 zur Übersetzung der Bibel ins Deutsche nutzte, also aus theologischen Überlegungen und nicht aus der mittelalterlichen Arbeitsrealität heraus. Im neuen Begriff trafen erstmals Arbeit und Ethos zusammen. Von diesem religiösen Ursprung löste sich der Beruf, indem er Arbeitsweltbezüge integrierte. Schon im frühen 17. Jahrhundert wurde er in Verbindung mit Begriffen wie Hantierung, Verrichtung und Handwerk verwendet. Im Zuge der Aufklärung verschob sich die Gewichtung immer mehr zugunsten der weltlichen Bedeutungen, die zudem um Aspekte wie Selbstbestimmung und Neigung sowie Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft erweitert wurden (Sailmann 2018).

    Mit der Abschaffung des Ständewesens und der Überwindung des zünftischen Protektionismus durch die Einführung der Gewerbefreiheit zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde die freie Wahl des Berufes ermöglicht. Gleichzeitig wurde der Beruf zu einer wichtigen Informationsgröße am sich entwickelnden freien Arbeitsmarkt. Berufe bündeln für beide Marktseiten – Arbeitgebende und Arbeitnehmende – verlässliche Informationen über Ausbildungen und Qualifikationen, Arbeitsanforderungen und Tätigkeitsprofile sowie Karriere- und Verdienstmöglichkeiten. Dadurch wurde der Beruf auch zu einer statistischen Größe für Volkszählungen und zum Gegenstand der Wirtschafts-, Sozial- und Erziehungswissenschaften. Im Zuge dieser Entwicklungen drang er zum einen immer mehr in die Alltagssprache ein, zum anderen wurde er zu einem Wegbereiter des modernen Sozialstaates und zu einer festen Größe sowohl im Bildungs- als auch im Beschäftigungssystem. Der und dem Einzelnen dient der Beruf zur Qualifizierung und Selbstverwirklichung und damit zur Lebensplanung; er bietet ihr und ihm Erwerbschancen und damit die Möglichkeit zur Sicherung des Lebensunterhalts. Zugleich integriert er sie und ihn in die Gesellschaft und trägt zur Sozialisation bei, weist ihr und ihm aber auch eine Position in der Sozialstruktur zu (ebd.)

    Das Ausbildungssystem ist – insbesondere im deutschsprachigen Raum – auf den Beruf ausgerichtet; es orientiert sich – pädagogisch wie auch juristisch – an dem Ziel der Beruflichkeit. Er erfüllt aber auch zentrale Funktionen für die Steuerung von Unternehmen und damit für das Beschäftigungssystem. Mit seiner Hilfe lassen sich benötigte Qualifikationen beschreiben, betriebliche Einsatzmöglichkeiten bestimmen und erforderliche Weiterbildungsbedarfe ermitteln. Mittels berufsförmiger Arbeit können gesellschaftlich notwendige Aufgaben erfüllt werden und er ist eine zentrale Größe am Arbeitsmarkt. Der Beruf ist sowohl Bestandteil persönlicher Identitätsbildung und Absicherung als auch gesellschaftlicher Ordnung und Arbeitsteilung; er verbindet – wie kaum eine andere Institution – Individuum und Gesellschaft (ebd.).

    2.3 Definitionen und institutionelle Berufsforschung

    Definitionen der Berufssoziologie

    Es gibt im deutschen Sprachraum mittlerweile zahlreiche Definitionen des Berufsbegriffs. Die wohl berühmtesten deutschsprachigen Arbeiten zum Berufsbegriff stammen von Weber. Auf der Grundlage statistischer Erhebungen im damaligen Großherzogtum Baden rekonstruierte er die religiösen Ursprünge der Berufskonzeption und veröffentlichte seine Analyseergebnisse in der Studie Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. Sie erschien 1904/05 erstmals in Teilveröffentlichungen (Band 20 und 21) im Archiv für Sozialwissenschaften und Sozialpolitik und in einer veränderten und ergänzten zweiten Fassung im Jahr 1920.
    Darin begreift er den Beruf als Instanz religiöser Sozialisation. Auch in der Folgezeit setzte er sich intensiv mit ihm auseinander und analysierte in seinem Werk Wirtschaft und Gesellschaft (1922) die Wesensmerkmale des Berufs. Weber betrachtete ihn als soziologische Grundkategorie des Wirtschaftens und seine Definition lautet:

    „Beruf soll jene Spezifizierung, Spezialisierung und Kombination von Leistungen einer Person heißen, welche für sie Grundlage einer kontinuierlichen Versorgungs- oder Erwerbschance ist“ (Weber 1922/1985, S. 80).

    An gleicher Stelle fügt er auch noch den Qualifizierungsaspekt hinzu: „Zum Gegenstand selbständiger und stabiler Berufe werden nur Leistungen, welche ein Mindestmaß von Schulung voraussetzen und für welche kontinuierliche Erwerbschancen bestehen“ (ebd.).

    Webers Definition wurde zur Basis aller weiteren; sie betonte erstmals explizit die dauerhaften persönlichen Erwerbschancen mittels auf Qualifikation beruhender Leistungsfähigkeit.

    Ausgehend von ihr wurden im Folgenden zahlreiche weitere Definitionen mit jeweiligen spezifischen Schwerpunktsetzungen entwickelt. Schelsky (1965) betrachtet bis in die 1960er Jahre hinein den Beruf – d. h. das in ihm an die Person gebundene fachliche Können – als zweite soziale Sicherheit neben der Familie. Beck et al. (1980, S. 20) sehen ihn personenbezogen, d. h. dass er durch das individuelle Arbeitsvermögen, das am Arbeitsmarkt angeboten und nachgefragt wird, gekennzeichnet ist und nicht durch notwendige oder tatsächliche Tätigkeiten. In diesem Sinne definieren sie Berufe als „relativ tätigkeitsunabhängige, gleichwohl tätigkeitsbezogene Zusammensetzungen und Abgrenzungen von spezialisierten, standardisierten und institutionell fixierten Mustern von Arbeitskraft, die unter anderem als Ware am Arbeitsmarkt gehandelt und gegen Bezahlung in fremdbestimmten, kooperativ-betrieblich organisierten Arbeitszusammenhängen eingesetzt werden.“ Kurtz (2005) betont die Scharnierfunktion des Berufs zwischen Erziehungs- und Wirtschaftssystem, die bis auf die Ebene der kleineren Einheiten und Personen hinab reicht. Und nach Baethge3 (2004, S. 2) stellt der Beruf in Deutschland die zentrale Kategorie für die gesellschaftliche Statusorganisation dar, für ihn ist „Deutschland bis zum heutigen Tag – wie kaum eine andere Gesellschaft eine Berufsgesellschaft.“

    Für die Arbeitsmedizin wird eine pragmatische Definition vorgeschlagen:

    „Der Beruf stellt die Gesamtheit aller mit einer regelmäßigen Tätigkeit im Zusammenhang stehenden Bedingungen dar; er macht für eine qualifizierte Tätigkeit eine Ausbildung erforderlich“ (Pressel 2011).

    Definition des Statistischen Bundesamtes

    Der Beruf wurde mit der Entstehung des Deutschen Nationalstaates 1871 zunehmend zu einer statistischen Größe zur Ermittlung von Arbeitsmarkt- und Wirtschaftsdaten. Mit der Einführung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) von 1927 ging das Recht zur Durchführung von Erhebungen über die Lage am Arbeitsmarkt auf die Arbeitsverwaltung (Reichsanstalt) über und auch für deren Vermittlungsarbeit war der Beruf von entscheidender Bedeutung. Das bestehende berufsbezogene Systematisierungskonzept wurde daher weiter ausgeweitet und an den Wandel der Tätigkeitsinhalte innerhalb der Berufe, sowie an Informationsbedarfe und Vermittlungssysteme angepasst.

    In der Bundesrepublik Deutschland wurde vom Bundesministerium für Arbeit und dem Statistischem Bundesamt eine erste Systematik der Berufe von 1949/50, IV herausgegeben. Die dort verwendete erste amtliche Berufsdefinition der Berufsstatistik (Berufszählung), ist auch für die heute gültige Klassifikation der Berufe (vgl. 2.6) noch gültig: Sie besagt:

    „Hierunter sind die auf Erwerb gerichteten, besonderen Kenntnisse und Fertigkeiten sowie Erfahrung erfordernden und in einer typischen Kombination zusammenfließenden Arbeitsverrichtungen zu verstehen, durch die der Einzelne an der Leistung der Gesamtheit im Rahmen der Volkswirtschaft (diesen Begriff im weitesten Sinne aufgefasst) mitschafft, und die in der Regel auch die Lebensgrundlage für ihn und seine nichtberufstätigen Angehörigen bilden.“

    Beiträge aus dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und Definitionen der Arbeitsmarktforschung

    Das IAB wurde 1967 gegründet. Es beschäftigt sich mit Ursachen und Strukturen gesamtwirtschaftlicher Arbeitsmarktentwicklungen. In diesem Zusammenhang analysiert es u. a. auch die betriebliche Arbeitsnachfrage und untersucht die Strukturierung des Arbeitsmarktes durch Berufe.

    Aufgrund dieses Forschungsgegenstandes sind Veröffentlichungen des IAB generell bedeutsam für berufskundliche Fragestellungen. Besonders erwähnenswert sind aufgrund ihrer Bezüge zum Berufskonzept aber auch zwei mittlerweile eingestellte Reihen:

    Zum einen Beiträge zur Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (BeitrAB). Die Buchreihe deckte das ganze Themenspektrum der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung ab. Mit dem Band 306 (2006) wurde sie eingestellt und mit der Reihe IAB-Bibliothek fortgeführt.

    Zum anderen die Vierteljahresschrift Mitteilungen aus dem IAB (MittAB); in ihr wurden Forschungsergebnisse aus dem IAB sowie einschlägige anderer, auch internationaler Autoren veröffentlicht. Mit Heft 4/2003 wurde die Reihe eingestellt und bis 2011 als Zeitschrift für ArbeitsmarktForschung (ZAF) weitergeführt, nachfolgend als Journal for Labour Market Research.

    Insbesondere in diesen Reihen des IAB gibt es Beiträge mit explizit berufskundlichen Themen, z. B. zum Berufsvergleich (Wolfsteiner 1977) oder zur Entstehung von Berufen (Dostal 2006) und es finden sich auch relevante Berufsdefinitionen:

  • Nach Lahner und Ulrich (1970, S. 34) genügen aus pragmatischer Sicht folgende Berufsbestimmungen:
  • „Der wirtschaftliche Aspekt: Die Tätigkeit, die dem Beruf zugrunde liegt, dient dem Lebensunterhalt und dem Erwerb von Gütern.
  • Der fachliche und stoffliche Aspekt: Das Arbeitsgebiet, die Aufgabe und das Ergebnis der Arbeit ist festlegbar und gegenüber anderen Aufgaben, Arbeitsgebieten und Arbeitsergebnissen abgrenzbar.
  • Der ‚Blumenstrauß‘-Aspekt: Die Aufgaben, die Funktionen, die Tätigkeiten und Verrichtungen sind mehr oder weniger vollkommen gruppiert. Die Elemente dieser Gruppierung können gleichartig oder sehr verschiedenartig sein. Wesentlich ist, dass die Kombination ein bestimmtes charakteristisches oder institutionell festgelegtes Bild ergibt.“
  • Dostal et al. (1998, S. 440) sehen verschiedene Merkmale als relevant für die Charakterisierung von Beruf und betonen mit der Aufnahme des Kompetenzbegriffs zusätzlich, wie bedeutsam Werthaltungen bei der Berufsausübung sind:
  • So besitzen zum einen „Bündel von Qualifikationen im Sinne charakteristischer Ausprägungen und Anordnungen von Wissen (Sachverhalte kennen und anwenden sowie Arbeitstechniken/Fertigkeiten beherrschen) und Sozialkompetenz (als eine Bündelung typischer Verhaltensweisen, Orientierungen und Werthaltungen)“ berufsbeschreibenden Charakter, zum anderen spielen „Aufgabenfelder, die den Qualifikationsbündeln zugeordnet sind und die durch eine Kombination aus Arbeitsmitteln, Objekt (Gegenstand) und Arbeitsumfeld geprägt sind, eine große Rolle.“

    Beiträge des Bundesinstituts für Berufsforschung (BIBB) und Definition aus der Berufspädagogik

    Das BIBB wurde 1970 auf der Basis des 1969 eingeführten Berufsbildungsgesetzes (BBiG) gegründet. Es wirkt laut BBiG mit an der Vorbereitung von Ausbildungsordnungen und sonstigen ausbildungsrelevanten Rechtsverordnungen, an der Vorbereitung des Berufsbildungsberichts sowie an der Durchführung der Berufsbildungsstatistik. Zudem führt es auch das Verzeichnis der anerkannten Ausbildungsberufe. Darüber hinaus fördert es Modellversuche und wissenschaftliche Begleituntersuchungen und beteiligt sich an der internationalen Zusammenarbeit in der beruflichen Bildung. Außerdem übernimmt es weitere Verwaltungsaufgaben des Bundes zur Förderung der Berufsbildung (BBiG 2020). Während sich das IAB mit der Verwertung von Qualifikationen befasst, beschäftigt sich das BIBB mit deren Entstehung; es liefert insbesondere aus dem Bereich der beruflichen Aus- und Weiterbildung berufskundlich nutzbare Informationen. Beide – BIBB und IAB – sind Mitglieder in der Arbeitsgemeinschaft Berufsbildungsforschungsnetz AG BFN, ebenso wie weitere Forschungsinstitute, die sich mit beruflicher und betrieblicher Bildung befassen, und wirtschafts- und berufspädagogische Lehrstühle. Seitens der Berufspädagogik finden sich auch zahlreiche Berufsdefinitionen. Exemplarisch soll die von Schelten (2004) angeführt werden, die neben Tätigkeitsbezug und Erwerbschancen den Qualifizierungsaspekt besonders betont:

    „Beruf bezeichnet auf Erwerb gerichtete Arbeitsverrichtungen, die in einer typischen Kombination zusammengehen. Die Arbeitsverrichtungen erfordern besondere Qualifikationen (Gesamtheit von Kenntnissen und Verständnissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten, Haltungen und Arbeitserfahrungen), die einen in der Regel mehrjährigen Ausbildungsgang, z.B. Ausbildungsberuf, voraussetzen.“

    Alle genannten Institutionen liefern vor dem Hintergrund ihrer spezifischen wissenschaftlichen Ausrichtung für die Gutachterin und den Gutachter berufskundlich verwertbare Beiträge. Den angeführten Definitionen des Berufs, bei denen es sich tatsächlich nur um eine kleine Auswahl handelt, ist sinngemäß die Klausel gemein:

    Eine typische Kombination von Arbeitsverrichtungen, die zur Durchführung eine vorherige Qualifizierung erfordern und Beschäftigungs- und Erwerbsmöglichkeiten eröffnen.

    2.4 Beruf und Ausbildung

    Berufsinhaberin und Berufsinhaber zu sein setzt damit einen passenden berufsqualifizierenden Abschluss voraus. Dieser kann in Deutschland – in Abhängigkeit vom Abschluss im allgemeinbildenden Schulwesen – im dualen System, im Schulberufssystem oder im Hochschulsystem erworben werden. Der daran anknüpfende Übergang ins Beschäftigungssystem – die sogenannte zweite Schwelle4 – wird in Deutschland meist erfolgreich überwunden. So werden z. B. im dualen System Ausgebildete zu 72 % von ihrem Ausbildungsbetrieb übernommen (BMBF 2022, S. 93).

    Mit zunehmendem Lebensalter steigt allerdings die Wahrscheinlichkeit, nicht mehr im erlernten Beruf tätig zu sein. Sie ist mit 40 % der Absolventinnen und Absolventen hochrelevant (Zielgruppenbewertung [...] Oberschachtsiek 2016, S. 13).

    Aus individueller Sicht kann ein Berufswechsel unter anderem mit einer höheren Entlohnung, einer höheren Arbeitszufriedenheit oder einem besseren Einbringen der eigenen Kompetenzen einhergehen und so zu einer Verbesserung der Beschäftigungssituation führen (Roth 2019, S. 26). Daher darf weder von der Ausbildung auf die gegenwärtige Tätigkeit noch umgekehrt vom aktuellen Ausübungsberuf auf die Ausbildung geschlossen werden. Dennoch sind Kenntnisse des Ausbildungssystems für die Begutachtung von zentraler Bedeutung, weshalb es im Folgenden in seinen grundlegenden Elementen erläutert wird.

    2.4.1 Entstehung des dualen Systems

    Die anthropologische Konstante, aus der heraus sich der Beruf als Kulturphänomen entwickelt hat, ist Arbeit. Zum Beruf wird Arbeit aber erst in Verbindung mit Spezialisierung, d. h. einer auf einem Lern- oder Erfahrungsprozess beruhenden Expertise.

    Die Verbindung von Arbeit und Spezialisierung ist bereits in den Arbeitsvorstellungen von Antike und Mittelalter grundgelegt und auch empirisch auffindbar, z. B. in der Vielzahl der damals bereits vorhandenen Tätigkeitsfelder in Landwirtschaft, Handwerk, Handel und Dienstleistung. Bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren diese Lern- und Spezialisierungsprozesse vor allem an den Zusammenschluss in der Zunft gebunden. Erst mit deren Abschaffung konnte der individuelle Beruf zum organisierenden Prinzip der Ausbildung werden, der – trotz der Zunahme der Industrialisierung und der Entstehung von Fortbildungsschulen – bis zum Beginn des 20 Jahrhunderts vom Handwerk dominiert wurde.

    Eine erste industrielle Berufsdifferenzierung in Facharbeiterinnen und Facharbeiter, Angelernte sowie Hilfsarbeiterinnen und Hilfsarbeiter entstand bereits vor dem Ersten Weltkrieg. Kurz danach begann die Metallindustrie ein eigenes auf dem Lehrgangskonzept beruhendes Modell der Berufsausbildung einzuführen. Das erste industrielle Berufsbild – die Maschinenschlosserin und der Maschinenschlosser – wurde 1925 entwickelt (Sailmann 2021).

    Für die Entstehung der Ausbildung in ihrer heutigen Form leisteten von betrieblicher Seite sowohl Handwerk als auch Industrie ihren Beitrag. Der Berufsgedanke des Handwerks mit seiner ethischen Komponente wirkte in den Industriesektor hinein, der keine historisch gewachsene Form von Beruflichkeit kannte. Die Industrie wiederum entwickelte ordnungspolitische und didaktische Konzepte, z. B. Berufsbild oder Lehrgang, die sich auch für die Ausbildung im Handwerk als fruchtbar erwiesen. Zudem wurden die betrieblichen um schulische Ausbildungskonzepte ergänzt und der Besuch der Berufsschule zur Pflicht.

    Diese in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstandene Verbindung von betrieblicher und berufsschulischer Ausbildung bildet die Grundlage für das „duale System“, das bis heute die Ausbildung in Deutschland prägt (ebd.).

    Als Fachbegriff wurde es zum ersten Mal in einem Gutachten des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen aus dem Jahre 1964 verwendet. Juristisch gestärkt wurde es durch die Verabschiedung des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) 1969, in dem der Betrieb als Lernort rechtlich abgesichert und Berufsfähigkeit – berufliche Handlungsfähigkeit – als Zielkategorie festgelegt wurde.

    „Die Berufsausbildung hat die für die Ausübung einer qualifizierten beruflichen Tätigkeit in einer sich wandelnden Arbeitswelt notwendigen beruflichen Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten (berufliche Handlungsfähigkeit) in einem geordneten Ausbildungsgang zu vermitteln. Sie hat ferner den Erwerb der erforderlichen Berufserfahrungen zu ermöglichen“ (BBiG 2020, § 1 Abs. 3).

    Absolventinnen und Absolventen einer dualen Ausbildung besitzen die fachlichen Kenntnisse und Fertigkeiten, die sie für die Ausübung einer qualifizierten beruflichen Tätigkeit befähigen. Sie ermöglicht zum einen berufliche Mobilität, d. h. Beschäftigungsmöglichkeiten auch über den Ausbildungsbetrieb hinaus. Zum anderen ist sie das Fundament für den Erwerb weiterer Qualifikationen und damit für den Ausbau der beruflichen Kompetenzen. Das BBiG, das 2005 und 2020 reformiert wurde, regelt gemeinsam mit der Handwerksordnung die handwerkliche, industrielle, kaufmännische und verwaltende sowie die landwirtschaftliche und hauswirtschaftliche Berufsausbildung in Deutschland. Durch ein berufsbezogenes Bildungsrecht mit solcher
    Regelungsbreite hebt sich Deutschland von vielen anderen Ländern ab (Berichte des Cedefop, Europäisches Zentrum für die Förderung der Berufsbildung). Es bildet die Grundlage dafür, dass das entlang von Beruflichkeit organisierte deutsche Ausbildungssystem als Erfolgsmodell betrachtet wird (Sailmann 2021).

    2.4.2 Anerkannte Ausbildungsberufe

    Eine Übersicht zu den Ausbildungsberufen des dualen Systems liefert das im gesetzlichen Auftrag vom BIBB veröffentlichte Verzeichnis der staatlich anerkannten Ausbildungsberufe (BIBB 2022)5. Dieses Verzeichnis führt alle 324 (Stand 2023, Anm. d. Verf.) staatlich anerkannten Ausbildungen in Industrie und Handwerk, im öffentlichen Dienst, in der Hauswirtschaft, der Landwirtschaft, der Seeschifffahrt und in den freien Berufen auf. Ihr erfolgreicher Abschluss mit zertifizierter Prüfung berechtigt zum Führen der entsprechenden Berufsbezeichnung. Jährlich beginnen gegenwärtig ca. 500.000 Jugendliche eine Ausbildung in einem staatlich anerkannten Ausbildungsberuf im dualen System.

    Der Begriff „(staatlich) anerkannter Ausbildungsberuf“ ist durch Berufsbildungsgesetz und Handwerksordnung festgelegt. Die Regelungen in § 4 Absatz 1 BBiG bzw. § 25 Absatz 1 HwO bilden die rechtliche Grundlage für die inhaltliche Durchführung der betrieblichen Berufsausbildung. Diese Ausbildungsordnungen beinhalten auch Hinweise zur sachlich-zeitlichen Gliederung der Ausbildung – den Ausbildungsrahmenplan; sie werden von den zuständigen Fachministerien im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) erlassen und müssen für jeden Beruf vorliegen. Für den berufsschulischen Bereich im dualen System werden sie durch die Rahmenlehrpläne der Kultusministerkonferenzen (KMK) ergänzt.

    Die Möglichkeit, einen beruflichen Abschluss in einem anerkannten Ausbildungsberuf gemäß BBiG/HwO zu erwerben, bieten neben dem dualen System auch einige Berufsfachschulen in vollzeitschulischer Form an. In drei Bundesländern (Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz) sind die Abschlussprüfungen der schulischen Ausbildungen per Rechtsverordnung den innerhalb des Anwendungsbereichs des BBiG/HwO erworbenen Prüfungszeugnissen (Prüfungen der zuständigen Stellen) gleichgestellt. In den anderen Bundesländern besteht keine Gleichstellung, aber die Möglichkeit der Zulassung zur Kammerprüfung (Zöller 2015).

    Die Bezeichnung „staatlich anerkannt“ unterscheidet sich von „staatlich geprüft“ dadurch, dass die Prüfung von der sogenannten zuständigen Stelle (meist Kammern, insbesondere IHK und HWK) durchgeführt wird oder aber Ausbildung und Prüfung im Ausland absolviert und als gleichwertig anerkannt werden – im Gegensatz zur Staatsprüfung, wie es sie für bestimmte Bildungsgänge an Berufsfachschulen6, Schulen des Gesundheitswesens oder Fachschulen bzw. -akademien gibt.

    Personen, die einen Berufsabschluss im Ausland erworben haben, haben auf Grundlage des Berufsqualifikationsfeststellungsgesetzes (BQFG), gültig seit 01.04.2012, einen gesetzlichen Anspruch auf Durchführung eines Feststellungsverfahrens. Im Rahmen dieses Feststellungsverfahrens wird überprüft, ob und inwieweit ein im Ausland erworbener Abschluss mit einem deutschen Abschluss übereinstimmt. Dabei wird unter anderem bereits gesammelte Berufserfahrung berücksichtigt. Liegen keine wesentlichen Unterschiede vor, so wird die Gleichwertigkeit des ausländischen Abschlusses mit dem entsprechenden deutschen Beruf bescheinigt. Werden im Verfahren wesentliche Unterschiede festgestellt, so erhält der Antragstellende einen Bescheid, aus dem die übereinstimmenden und die noch
    fehlenden Qualifikationen hervorgehen.

    Vom BQFG werden alle Berufe umfasst, die in der unmittelbaren Zuständigkeit des Bundes liegen. Dies ist zum Beispiel für die 324 staatlich anerkannten Ausbildungsberufe der Fall. Für den Bereich der nichthandwerklichen Gewerbeberufe sind die IHK die zuständige Stelle.

    Für Jugendliche, die aufgrund einer Behinderung keinen anerkannten Ausbildungsberuf erlernen können, entwickeln die zuständigen Stellen auf der Basis von anerkannten Ausbildungsberufen sogenannte Ausbildungsregelungen (§ 66 BBiG und § 42r HwO). Diese Berufe werden oftmals als Fachpraktikerin und Fachpraktiker bezeichnet. Sie haben nur Gültigkeit im Zuständigkeitsbereich der jeweiligen zuständigen Stelle, allerdings gibt es für einige Ausbildungsregelungen mittlerweile eine Empfehlung des Hauptausschusses des BIBB, z. B. für den*die „Fachpraktiker*in für Medientechnologie Druck“ vom 14.12.2016.

    Nach Artikel 37 Abs. 3 des Einigungsvertrages (EV) werden in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) erworbene Prüfungszeugnisse nach der Systematik der Ausbildungsberufe und der Systematik der Facharbeiterabschlüsse anerkannten Ausbildungsberufen gleichgestellt. Beispielsweise wird der ehemalige DDR-Ausbildungsberuf Apothekenfacharbeiterin und Apothekenfacharbeiter dem aktuell anerkannten Ausbildungsberuf Pharmazeutisch-kaufmännische Angestellte und Pharmazeutisch-kaufmännischer Angestellter zugeordnet. Bestimmte dort erlernte Ausbildungsberufe werden im Übrigen (bei zweijähriger Ausbildungszeit) auch bei der Bestimmung der Qualität des bisherigen Berufs (bei der Prüfung der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 SGB VI – 5.1.3) mit aktuell anerkannten Ausbildungsberufen gleichgestellt, wenn sie damals sowohl in der Bundesrepublik als auch in der DDR als Facharbeiterin und Facharbeiter anerkannt waren (LSG Erfurt, Urteil vom 28.01.2014 – L 6 R 698/11; Keller in jurisPR-SozR 23/2014 Anm. 4). Im Gegensatz zur Bundesrepublik Deutschland war in der DDR für diese Berufsausbildungen ein Abschluss der polytechnischen Oberschule mit zehn Klassen erforderlich. Damit lag eine höhere Ausbildungsreife vor, weswegen auch die Ausbildungszeit insgesamt kürzer gewählt werden konnte.

    Eine rechtliche Gleichstellung von in verschiedenen Gesellschaftssystemen ausgeübten Berufsausbildungen war eine wichtige Grundlage, um den Wert der Qualifikationen für den Erfolg auf dem Arbeitsmarkt rechtlich zu untermauern. In der Sichtung von Erwerbsbiografien aus dem Übergang zeigt sich sehr häufig, dass die Kenntnisse der DDR-Ausbildungsberufe gefragt waren. Der Ausbildungsberuf und die mit ihm einhergehenden Erwerbsmöglichkeiten spielten nicht selten für Veränderungen des Arbeits- und Wohnorts im Rahmen der Wiedervereinigung eine wichtige Rolle, hatten starken Einfluss auf die berufliche wie auch die private Biografie.

    Im Verzeichnis der anerkannten oder als anerkannt geltenden Ausbildungsberufe wird zudem die Klassifikation der Berufe angewendet (KldB 2010 (2020), vgl. 2.6). Zusätzlich ist die Zuordnung des Berufes zum Niveau des Deutschen Qualifikationsrahmens (DQR, vgl. 2.7) aufgeführt.

    2.4.3 Schulische Berufsausausbildungen außerhalb von BBiG/HwO

    Betrachtet man die vollzeitschulischen Ausbildungsgänge, so gilt es zwischen Ausbildungsgängen mit einem beruflichen Abschluss gemäß BBiG/HwO (vgl. 2.3.2) und Ausbildungsgängen mit einem beruflichen Abschluss außerhalb BBiG/HwO zu differenzieren.

    Letztere absolvieren etwa ein Viertel aller Auszubildenden in Deutschland, d. h. sie befinden sich in nicht-akademischen schulischen Ausbildungen außerhalb des dualen Systems.

    Das Spektrum dieser Ausbildungsangebote ist allerdings sehr breit und die Schülerzahlen variieren je nach Variante sehr stark. In Bezug auf seine rechtlichen Grundlagen ist dieser Ausbildungsbereich daher auch sehr heterogen.

    Zu unterscheiden sind zunächst Ausbildungsgänge nach Bundesrecht und solche nach Landesrecht. Zu den Ausbildungen nach Bundesrecht außerhalb BBiG/HwO zählen die sogenannten Gesundheitsfachberufe wie z. B. Altenpflege, Gesundheits- und Kranken-/Kinderkrankenpflege, Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie. Die Ausbildungen in diesen nicht-akademischen Heil- und Hebammenberufen erfolgen auf der Grundlage der jeweiligen Berufsgesetze (z. B. Pflegeberufegesetz oder Gesetz über den Beruf der Ergotherapeutin und des Ergotherapeuten) sowie der entsprechenden bundesgesetzlich geregelten Ausbildungs- und Prüfungsverordnung. Die Ausbildungsdauer in diesen Berufen beträgt in der Regel drei Jahre.

    Zu den Ausbildungsgängen nach Landesrecht zählen zum einen Gesundheits-, Erziehungs- und Sozialberufe, wie etwa staatlich anerkannte Altenpflegehelferinnen und Altenpflegehelfer oder Familienpflegerinnen und Familienpfleger, zum anderen Assistentenberufe wie z. B. staatlich geprüfte/r bekleidungstechnische/r Assistentin/Assistent oder staatlich geprüfte/r internationale/r Touristikassistentin/-assistent. Die Ausbildungsdauer der landesrechtlich geregelten Berufe liegt in der Regel bei zwei Jahren. Rechtsgrundlage für die Berufsabschlüsse bilden die jeweiligen Schulgesetze der Länder (Sekretariat der KMK 2015a). Angeboten werden die Ausbildungen außerhalb BBiG/HwO je nach Bundesland und Ausbildungsberuf insbesondere an Berufsfachschulen, Schulen des Gesundheitswesens und z. T. an Fachschulen (Zöller 2015).

    2.4.4 Entstehung und Veränderung von Berufen

    Der stetige Wandel in der Arbeits- und Wirt­schaftswelt führt auch zu Änderungen bei Berufsanforderungen. Typischerweise ist es allerdings der technische Fortschritt, der die Entstehung oder den Wandel der Berufe befördert (Dostal 2006, S. 23).

    Modernisierungsdruck kann aber auch durch neue gesetzliche Vorgaben oder gesellschaftliche Veränderungen entstehen.

    Das BIBB unterzieht die anerkannten Ausbildungsberufe einer ständigen Prüfung. Bei Bedarf werden Ausbildungsordnungen unter Federführung des BIBB angepasst und modernisiert – im Inhalt und damit einher gehend oftmals auch in der Bezeichnung.

    Sie können aber auch komplett neu entwickelt werden (meist zunächst auf der Basis einer Erprobungsverordnung).

    Auf dem relativ neuen technischen Bereich der integrierten Gebäudetechnik mit Effektoren und Affektoren (typischerweise KNX-Systeme) hat das BIBB (2021) beispielsweise mit der Entwicklung des neuen Ausbildungsberufs Elektronikerin und Elektroniker für Gebäudesystemintegration reagiert.

    Berufe können aber auch aufgehoben werden, z. B. wurde 2021 die Bauten- und Objektbeschichterinnen und -beschichter durch Nachfolgeberufe ersetzt. 2013 beispielsweise gingen elf Metallaltberufe – z. B. Kabeljungwerkerin und Kabeljungwerker oder Teilezurichterin und Teilezurichter – in der Fachkraft für Metalltechnik auf (Sailmann 2021).

    In der aktuellen Erwerbslandschaft konkurrieren daher Berufe mit vergleichbaren Profilen, die ggf. nach unterschiedlichen Ausbildungsordnungen erlernt wurden, um die gleichen betrieblichen Stellen. Es ist daher
    aus gutachterlicher Perspektive notwendig, sich einerseits mit der aktuellen Ausbildungsverordnung als Ausdruck des gegenwärtigen Berufsbildes auseinanderzusetzen. Ist die Ausbildungsverordnung bereits älter und gab es mittlerweile schon eine oder mehrere Modernisierungen, lohnt andererseits der Blick auf die tatsächliche Situation des Berufs, z. B. auf reale Anpassungen an neue technische Entwicklungen.

    2.5 Ausübung eines Berufs

    2.5.1 Berufswahlfreiheit

    Ein eigenständiges Berufsrecht als Teil des Arbeitsrechts existiert – anders als das Berufsbildungsgesetz als Teil des Bildungsrechts – nicht. Der gesamtgesellschaftlichen Bedeutung des Berufs wird der Gesetzgeber durch Rechtsnormen auf unterschiedlichen Ebenen, im Verfassungsrecht durch die Berufswahlfreiheit, gerecht.

    Die Berufswahlfreiheit war im Deutschen Kaiserreich de jure nur in den Verfassungen von Teilstaaten vorhanden. Auch die Weimarer Reichsverfassung (WRV) vom 11. August 1919 enthielt in Art. 111 explizit nur die Garantie der wirtschaftlichen Freizügigkeit, worin man jedoch auch die Gewährleistung der Freiheit der Berufswahl erkennen konnte. In Art. 151 Abs. 3 der WRV wurde zudem die Freiheit des Handels und Gewerbes nach Maßgabe der Reichsgesetze gewährleistet (Breuer 2010, S. 67).

    Diese Norm umfasste nicht nur die Zulassung, sondern auch die Ausübung und ging insofern über die Regelung der fortgeltenden Gewerbeordnung hinaus. Der Gewährleistung der Freizügigkeit – und damit Berufswahlfreiheit – haftete in der Weimarer Reichsverfassung jedoch eine Gesetzesabhängigkeit an, d. h., die Freizügigkeit war reichgesetzkräftiges Grundrecht und kein vorstaatliches Grundrecht. Sie konnte durch den Reichsgesetzgeber nach dessen wirtschaftspolitischen Vorstellungen und Zielen beschränkt werden (Sailmann 2018, S. 69).

    Erst im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland von 1949 wurde die Berufswahlfreiheit von dem Recht auf Freizügigkeit abgekoppelt. Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz (GG; Stand 15.11.2019) lautet: „Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.“ Er garantiert sowohl die Freiheit der Berufswahl als vorstaatliches Recht7 als auch die Freiheit der Berufsausübung. Ergänzt wird dieses Grundrecht durch die inhaltliche Präzisierung: Beruf im Sinne des Art. 12, Abs. 1 GG, „ist jede auf Dauer angelegte und der Schaffung und Erhaltung der Lebensgrundlage dienende Tätigkeit.“8

    2.5.2 Reglementierung und Anerkennung der Qualifikation

    Der Wortlaut des Art. 12 Abs. 1 GG deutet darauf hin, dass zusätzliche gesetzliche Eingriffe bei der Berufsausübung möglich sind, während die Berufswahl weiterer juristischer Regelung entzogen ist. Das Bundesverfassungsgericht hat hierfür die Stufentheorie entwickelt, wonach der Gesetzgeber umso begrenzter ist, je mehr die Regelung die Berufswahl berührt und umso freier ist, je mehr es sich um reine Ausübungsregelungen handelt (Avenarius 1985, S. 62).

    Für die Aufnahme der Berufsausübung sind allerdings gesetzliche Regelungen insbesondere als Qualifizierungsvorgaben zum Schutze des Gemeinwohls möglich, die sich mittelbar auch auf die Berufswahlfreiheit auswirken. Diese können etwa Zulassungsvoraussetzungen umfassen (Art. 74 Nr. 19 GG). Solche Zulassungsvoraussetzungen dienen zum Schutz der Allgemeinheit, etwa der Gesundheit, andere Zulassungsvoraussetzungen regulieren den Arbeitsmarkt oder die Qualität (vgl. z. B. § 7 HwO). Die Berufswahlfreiheit darf nur eingeschränkt werden, soweit es der Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter erfordert.

    Voraussetzung für die Ausübung eines Berufes sind typischerweise abgeschlossene Qualifizierungsphasen von längerer Dauer. Mit dem Abschluss einer solchen Ausbildungsphase, in der Regel mit einer Prüfung und bei Bestehen einer Zertifikatsausstellung (z. B. Gesellenbrief), gilt ein Beruf als erlernt.

    Der erlernte Beruf wiederum ist Voraussetzung für den Zugang zu rechtlich oder marktwirtschaftlich definierten Tätigkeiten.

    Darüber hinaus ist in Deutschland die Berufsausübung in bestimmten Berufen an eine Anerkennung der beruflichen Qualifikation gebunden.9 Diese Berufe werden als reglementierte Berufe bezeichnet. Eine Definition der reglementierten Berufe nach nationalem Recht gibt es nicht. Jedoch findet sich in Art. 3 Abs. 1 lit. a) der EU-Richtlinie über die Anerkennung von Berufsqualifikationen (RL 2005/36/EG) eine Definition:

    „Ein reglementierter Beruf ist eine berufliche Tätigkeit oder eine Gruppe beruflicher Tätigkeiten, bei der die Aufnahme oder Ausübung oder eine der Arten der Ausübung direkt oder indirekt durch Rechts- und Verwaltungsvorschriften an den Besitz bestimmter Berufsqualifikationen gebunden ist. Eine Art der Ausübung ist insbesondere die Führung einer Berufsbezeichnung, die durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften auf Personen beschränkt ist, die über eine bestimmte Berufsqualifikation verfügen“ (Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags -WD-DB- 2019).

    Durch die Vielzahl von Rechtsquellen und Regelungsgebern bestehen keine einheitlichen Indikatoren, aus denen ohne weiteres abgelesen werden kann, dass ein Beruf reglementiert ist. Im Zweifel entscheidet sich diese Frage durch Auslegung der Normen, die den konkreten Beruf regeln. Die Reglementierung dient nicht nur dem Verbraucherschutz. Über dieses Anliegen hinaus sollen auch weitere hochrangige Rechtsgüter geschützt werden. Zu nennen wären u. a. der Schutz von Leben und Gesundheit, das Vertrauen in eine ordnungsgemäße Rechtspflege und die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die allgemeine Verkehrssicherheit von Maschinen, Anlagen, Fahrzeugen und Bauwerken sowie deren sichere Verwendung.

    Nach der vorgenannten Definition knüpft die Reglementierung von Berufen an den Besitz bestimmter Berufsqualifikationen.

    Nicht reglementiert sind allerdings – bis auf einen – alle über 300 staatlich anerkannten Ausbildungsberufe. Für diese Berufe gibt es keine gesetzliche Vorschrift zur Berufsausübung. An den erfolgreichen Abschluss einer solchen Ausbildung schließt sich in der Regel ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis an, d. h,. die Zertifikatsinhabenden übernehmen nicht die eigenverantwortliche Führung eines Gewerbebetriebes, sondern begeben sich unter die Verantwortung einer Inhaberin und eines Inhabers bzw. Betriebsleiterin und Betriebsleiters. Diese oder dieser muss allerdings die zur Berufsausübung notwendige Anerkennung der erforderlichen Berufsqualifikationen haben (ebd.). Die Ausnahme unter den staatlich anerkannten Ausbildungsberufen ist die und der Pharmazeutisch-kaufmännische Angestellte. Diesem Beruf wird eine besondere Bedeutung zugemessen, da Pharmazeutisch-kaufmännische Angestellte im Geschäftsbetrieb einer Apotheke mit Arzneimitteln umgehen und somit eine besonders verantwortungsvolle Tätigkeit ausführen. Die Reglementierung ergibt sich hier aus § 3 Abs. 5a der Apothekenbetriebsordnung.

    Eine weitere Form, in der eine duale Berufsausbildung zur Ausübung eines reglementierten Berufes berechtigt, ermöglicht § 7b HwO. Hiernach ist eine Gesellin oder ein Geselle in einem Handwerksberuf der Anlage A der HwO berechtigt, einen solchen Betrieb zu führen, wenn sie oder er diesen Beruf bereits sechs Jahre ausgeübt hat, davon vier Jahre in leitender Position. Diese Regelung stellt somit im Verhältnis zum Meister-Abschluss einen alternativen Weg dar, einen Handwerksbetrieb nach Anlage A der HwO zu leiten. Die Besonderheit besteht hierbei, dass vor allem die Berufserfahrung hier Anknüpfungspunkt der Reglementierung ist (ebd.).

    Aktuell (Stand 2021) gibt es 376 Berufe und 40 Studienfächer, bei denen eine Anerkennung der beruflichen Qualifikation notwendig ist. Zu den Berufen zählen (WD-DB 2019):

    Ausbildungsberufe außerhalb von BBiG/HwO

    Hierbei handelt es sich insbesondere um die Berufe im Gesundheitsbereich, die kein Studium voraussetzen, zu deren Ausübung jedoch das Bestehen einer landes- oder bundesrechtlich geregelten Prüfung vorausgesetzt wird (vgl. 2.3.3). Maßgeblich sind hier spezielle, die Ausbildung regelnde Bundes- und Landesgesetze, aus denen sich dann auch die Anforderungen für die jeweiligen Staatsprüfungen ergeben (ebd.). Beispiele für diese Berufe sind u. a. der 2020 neu entstandene Beruf der Pflegefachfrau und des Pflegefachmanns10, in dem Gesundheits- und Krankenpflege sowie Altenpflege in einem Ausbildungsgang zusammengeführt wurden, aber auch die Physiotherapeutin und der Physiotherapeut oder die Hebamme und der Entbindungspfleger. Letztere können auf der Grundlage einer seit 2009 bestehenden Modellklausel auch mittels eines primärqualifizierenden Studiums erlernt werden.

    Meisterinnen- und Meisterberufe

    Um einen der in der Handwerksordnung, Anlage A – zulassungspflichtige Handwerke11 – aufgeführten Handwerksberufe selbstständig ausüben zu dürfen, wird in Deutschland der erfolgreiche Abschluss der Meister-Prüfung in diesem Handwerksberuf vorausgesetzt. Die Voraussetzungen zur Erlangung des Meister-Abschlusses ergeben sich aus den Prüfungsverordnungen des jeweiligen Meisterhandwerks (WD-DB 2019).

    Während bei Berufen der Anlage A (z. B. Gerüstbauerin und Gerüstbauer, Bäckerin und Bäcker, Friseurin und Friseur) die reine Ausübung des Berufes reglementiert ist, beschränkt sich für die Berufe unter Anlage B der HwO die Reglementierung auf das Führen des Meistertitels – zulassungsfreie Handwerke (z. B. Brauerin und Brauer und Mälzerin und Mälzer) oder handwerksähnliche Gewerbe (z. B. Änderungsschneiderin und Änderungsschneider). An den Meistertitel werden durch Rechtsvorschriften (HwO, jeweilige Meisterprüfungsverordnung) der Nachweis ganz konkreter Berufsqualifika­tionen geknüpft, die durch die entsprechende Meisterprüfung nachgewiesen werden. Bei der zulassungspflichtigen Existenzgründung gibt Ausnahmeregelungen von der Notwendigkeit des Führens eines Meistertitels für
    z. B. langjährige Gesellinnen/Gesellen.

    Weiterbildungsberufe

    Hierbei handelt es sich um Spezialisierungsberufe auf der Grundlage von Weiterbildungsabschlüssen. Sie betreffen unterschiedliche Branchen, z. B. in der Pflege die Fachkrankenpflegerin und der Fachkrankenpfleger, z. B. Notfallpflege, Onkologie, Psychiatrie, oder in der Schifffahrt, z. B. Lotsin und Lotse oder Schiffsoffizierin und Schiffsoffizier (WD-DB 2019).

    Beamtenlaufbahnen

    Hierzu zählen verschiedene Beamtenberufe des einfachen, des mittleren, des gehobenen und des höheren Dienstes, z. B. im Inneren Dienst, im Archivdienst oder im Auswärtigen Dienst.

    Hochschulberufe (Studienberufe)

    Das Studium an einer Hochschule mit einer bestimmten Mindestanzahl von Semestern sowie das Bestehen der entsprechenden Abschlussprüfung sind in vielen Berufen Grundlage für den Nachweis der zur Berufsausübung geforderten Berufsqualifikationen. Berufe, deren Ausübung ein erfolgreich abgeschlossenes Hochschulstudium voraussetzt, können in zwei Gruppen unterteilt werden.

    Zum einen handelt es sich um Berufe mit hochschulintern geregelten Studienabschlüssen in Form von Bachelor und/oder Master, vormals Magister oder Diplom. Dem Bestehen gleichgestellt ist die Verleihung des entsprechenden akademischen Grades. Beispiele sind typischerweise die Ingenieurberufe.

    Zum anderen zählen hierzu Berufe mit landesrechtlich geregelten Staatsexamina (nach Studium). Die Abschlussprüfung wird nicht durch die jeweilige Hochschule, sondern durch Staatsexamen vor einem staatlichen Prüfungsamt abgelegt. Der rein universitären Ausbildung mit dem erstem Staatsexamen schließt sich in der Regel ein Vorbereitungsdienst an, der mit einem weiteren Staatsexamen abgeschlossen wird. Beispiele hier sind u. a. Lehrerberufe, Arztberufe, Apothekerinnen und Apotheker und Juristinnen und Juristen (ebd.).

    2.6 Die Klassifikation der Berufe (KldB) – eine tätigkeitsbasierte Systematik zur Einordnung vonErwerbsberufen

    Aus den bisherigen Ausführungen ergeben sich zwei Implikationen für die Verwendung des Berufsbegriffs. Typisch sind zwei wesentliche Aspekte: zum einen der gelernte Beruf, d. h. die erworbene und zertifizierte Qualifikation – der Ausbildungsberuf, zum anderen die Beschreibung der aktuellen beruflichen Tätigkeit – der Erwerbs- oder Ausübungsberuf. Dieser Einteilung folgt auch die von der Bundesagentur für Arbeit verwendete Klassifikation der Berufe (KldB).

    2.6.1 Entstehung

    Entstanden ist die Klassifikation der Berufe aus der Verwendung des Berufskonstrukts für Volkszählungen. Diese setzte mit Beginn des Deutschen Kaiserreichs 1871 ein und beruhte darauf, dass der Beruf dem Standes- oder Klassenbegriff als statistisches Analyseinstrument überlegen war. In dem auf ökonomische Entwicklung ausgerichteten deutschen Nationalstaat wurde die Erfassung der faktischen Spezialisierung der Menschen immer wichtiger, sowohl für das Gemein­wesen als auch für die einzelnen Unternehmen. Der Beruf hatte mehr Tiefenschärfe als die Konstrukte Stand und Klasse; er lieferte der Gesellschaft und der Wirtschaft belastbare Informationen über Qualifizierung und Expertentum der Bevölkerung und war daher aussagekräftiger (Sailmann 2018, S. 155).

    Der erfolgreiche Einsatz des Berufs als statistisches Instrument für die Analyse von Arbeitsmarkt- und Wirtschaftsdaten hatte zwei weitere wichtige Effekte. Zum einen forcierte er seine Verwendung in der wissenschaftlichen Diskussion; so gründen beispielweise die Untersuchungen Webers auf arbeitsmarktstatistischen Ergebnissen (vgl. 2.3). Zum anderen trug er wesentlich dazu bei, dass der Berufsbegriff in die Alltagssprache eindrang. Der Ausdruck „Beruf“ ist erst nach 1900 in den allgemeinen Sprachgebrauch gekommen, ein Grund dafür war seine Verwendung in amtlichen Statistiken und Veröffentlichungen (Sailmann 2018, S. 155).

    Nach dem Ersten Weltkrieg wurde nicht nur das Wort Beruf immer häufiger auch in der Umgangssprache verwendet, es wuchs auch die Zahl anderer mit ihm kombinierter Fachausdrücke ständig. Bereits in der Berufszählung von 1925 kam es zur Trennung der statistischen Verwendung von Gewerbe/ Wirtschaftszweig/Betrieb einerseits und Beruf andererseits. Erstmals wurde zwischen dem persönlichen Beruf und der wirtschaftssystematischen Zuordnung des Betriebs, in dem er ausgeübt wurde, klar unterschieden. Während noch 1907 von „hauptberuflich Erwerbstätigen in der ...“ [Bezeichnung des Gewerbes] gesprochen wurde, wies die Berufszählung von 1925 erstmals z. B. „insgesamt rund 825.000 Schlosser“ als Beruf aus (Molle 1968a, S. 150).

    Der Beruf blieb auch in der Folgezeit ein zentrales Konstrukt zur statistischen Erfassung und Beschreibung von Arbeitsmarktentwicklungen12. Durch das AVAVG von 1927 ging das Recht zur Durchführung von einmaligen und laufenden Erhebungen zur Schaffung von statistischem Datenmaterial über die Lage am Arbeitsmarkt auf die Reichsanstalt über, wobei sie auch alle hierzu erforderlichen Auskünfte von Behörden und Privatpersonen einholen konnte. Auch für die Vermittlungsarbeit der Arbeitsverwaltung war der Beruf von entscheidender Bedeutung. Das berufsbezogene Systematisierungskonzept wurde daher weiter ausgeweitet und an den Wandel der Tätigkeitsinhalte innerhalb der Berufe, sowie an Informationsbedarfe und Vermittlungssysteme angepasst. Eine erste Systematik der Berufe wurde im Nachkriegsdeutschland 1949/50 vom Bundesministerium für Arbeit und dem Statistischem Bundesamt herausgegeben. 1961 trat an die Stelle dieser Systematik der Berufe erstmals die Klassifikation der Berufe (KldB).13 Sie wurde 1970, 1975, 1988 und 1992 aktualisiert.

    Seit 2010 besteht in Deutschland eine komplette Neusystematisierung der Berufe, die KldB 2010. Sie wurde von der Bundesagentur für Arbeit gemeinsam mit dem IAB (Forschungsbereich Berufliche Arbeitsmärkte) im Austausch mit den Bundesministerien und dem Bundesamt für Statistik entwickelt und wird auch für die Arbeitsmarktstatistik genutzt.

    Diese Neuentwicklung war notwendig, da die vorherigen Klassifikationen rein deduktiv nach theoretischen Kenntnissen aufgebaut waren. Sie bildeten die Besonderheiten in den Strukturen des deutschen Arbeitsmarktes nicht mehr realitätsnah ab und lieferten keinen geeigneten Anknüpfungspunkt für eine praxistaugliche Klassifikation mehr.

    Im Unterschied zu diesen, gründet die neue Klassifikation auf empirischen Analysen zur Ähnlichkeit von Berufen. Zudem ist die KldB 2010 in hohem Maße kompatibel zur internationalen Berufsklassifikation, der ISCO-08 (International Standard Classification of Occupations 2008), wodurch die internationale Vergleichbarkeit von Berufsinformationen in den amtlichen Statistiken und in der Forschung deutlich verbessert wird. 2020 wurde die KldB 2010 erstmals überarbeitet (KldB 2010/2020)

    Tabelle 2:  Anforderungsniveaustufen der KldB (5. Stelle des KldB2010-Codes). (KldB 2010/2020, Seite 26 ff.)

    Tabelle 2: Anforderungsniveaustufen der KldB (5. Stelle des KldB2010-Codes). (KldB 2010/2020, Seite 26 ff.)
    Tabelle 3:  Gliederungsebenen der KldB (KldB 2010/2020, S. 6)

    Tabelle 3: Gliederungsebenen der KldB (KldB 2010/2020, S. 6)

    2.6.2 Struktur

    Beruf ist gemäß der KldB 2010/2020 ein Bündel von Tätigkeiten, das durch eine horizontale und eine vertikale Dimension konstituiert ist (➥ Tabelle 1). Die horizontale Dimension ist die Berufsfachlichkeit, die vertikale Dimension ist das Anforderungsniveau. Strukturgebende Dimension ist die
    Berufsfachlichkeit; sie bezieht sich auf Tätigkeiten und Fachkompetenzen, die in der Aus- und Weiterbildung und in der Berufsausübung erworben werden, z. B. Tätigkeitskompetenzen, Verfahrenskompetenzen, Produktkompetenzen. Einzelnen Berufen werden Kenntnisse und Fähigkeiten zugewiesen und sie werden nach bestehenden Ähnlichkeiten gruppiert. Die Klassifikation unterscheidet zehn Berufsbereiche, womit zunächst auch andere theoretische Zugänge zum Beruf gruppiert werden, d. h. es wird zunächst keine Trennung nach Ausbildungsart, Qualifikationsstufen, überfachlichen Kompetenzen („soft skills“), Arbeitsort, Tarifbereich oder Branchen vorgenommen.

    Die vertikale Unterscheidung in Anforderungsniveau dient dazu, die unterschiedlichen Komplexitätsgrade eines Berufes sachgerecht abbilden zu können. Sie sind eng an den formalen beruflichen Bildungsabschlüssen ausgerichtet, da in Deutschland das Anforderungsniveau für viele Berufe bzw. Arbeitsplätze stark zertifikatsorientiert ist. Häufig können jedoch auch die Berufserfahrung und/oder die informelle berufliche Ausbildung ein adäquates Substitut darstellen. Insgesamt lassen sich vier Niveaustufen unterscheiden (siehe ➥ Tabelle 2).

    Anknüpfend an die Kriterien Berufsfachlichkeit und Anforderungsniveau ist die KldB 2010/2020 als hierarchische Klassifikation mit fünf numerisch codierten Gliederungsebenen aufgebaut (➥ Tabelle 3).

    Auf der Ebene der Berufsgattungen erfolgt eine Untergliederung anhand der zweiten Dimension – dem Anforderungsniveau; die spezifischen zugehörigen Berufe werden zudem noch mit einer dreistelligen Endnummer kodiert.

    Der Berufsbereich 9 (KldB 2010 (2020), Band II, S. 1278), Sprach-, Literatur-, Geistes-, Gesellschafts- und Wirtschaftswissenschaften, Medien, Kunst, Kultur und Gestaltung hat beispielsweise folgende Hauptgruppen:

    91: Sprach-, literatur-, geistes-, gesellschafts- und wirtschaftswissenschaftliche Berufe

    92: Werbung, Marketing, kaufmännische und redaktionelle Medienberufe

    93: Produktdesign und kunsthandwerkliche Berufe, bildende Kunst, Musikinstrumentenbau

    94: Darstellende und unterhaltende Berufe.

    In der Hauptgruppe 1 finden sich als Berufsgruppe die Wirtschaftswissenschaften (914), mit den Untergruppen Berufe in den Wirtschaftswissenschaften ohne Spezialisierung (9140) oder mit sonstiger spezifischer Tätigkeitsangabe (9148). Beispiele für zugeordnete Berufe sind in der Untergruppe 9140 die Volkswirtin und der Volkswirt 91404-108 und die Ökonomin und der Ökonom 91404-109.

    Die Änderungsschneiderin und der Änderungsschneider als weiteres Beispiel ist ein Beruf in

  • Berufsbereich 2 (Rohstoffgewinnung, Produktion und Fertigung),
  • Berufshauptgruppe 8 (Textil- und Lederberufe),
  • Berufsgruppe 2 (Textilverarbeitung),
  • Berufsuntergruppe 2 (Berufe in der Bekleidungs-, Hut- und Mützenherstellung)
  • Berufsgattung 2 (Berufe in der Bekleidungs-, Hut- und Mützenherstellung – fachlich ausgerichtete Tätigkeiten).
  • Der Beruf gehört daher zur Systematikposition 28222. Diese umfasst alle Berufe in der Bekleidungs-, Hut- und Mützenherstellung, deren Tätigkeiten fundierte fachliche Kenntnisse und Fertigkeiten erfordern. Angehörige dieser Berufe führen in der industriellen Fertigung Näharbeiten aus, organisieren Fertigungsschritte, ändern oder reparieren Kleidung, stellen maßgeschneiderte Bekleidung her oder fertigen Hüte, Mützen und Brautschmuck in Einzel- oder Serienfertigung. Hierzu zählen u. a.:

    28222-110 Theaterschneiderin/-schneider

    28222-112 Musterschneiderin/-schneider

    28222-114 Änderungsschneiderin/-schneider

    28222-115 Zuschneiderin/Zuschneider (Bekleidung)

    28222-133 Modistin/Modist

    28222-145 Lederbekleidungsnäherin/-näher, -schneiderin/-schneider

    28222-147 Bekleidungstechnische Assistentin/Assistent

    28222-152 Maßschneiderin und -schneider

    28222-293 Textil- und Modenäherin/-näher

    28222-294 Textil- und Modeschneiderin/-schneider

    Die/der Änderungsschneider/in hat also die Ordnungsnummer 28222-114 (international: ISCO-08: Cutter, garment, 7532, S. 307 f.).

    Die Ausbildungsordnung dieses Berufes wird im Bundesgesetzblatt Jahrgang 2005 Teil I Nr. 28 vom 28.05.2005 geregelt. Damit ist der Beruf zunächst in seinem Rahmen definiert. Personen, welche die zweijährige Ausbildung nach Prüfung vor der Handwerkskammer absolviert haben, sind von Beruf Änderungsschneiderin und Änderungsschneider. Im Beruf tätig sind sie dann, wenn die aktuelle Tätigkeit im Kern Tätigkeiten im Sinne der KldB und der Ausbildungsordnung (Näh- und Änderungsarbeiten, Bügelarbeiten) umfasst.

    In der Klassifikation der Berufe sind auch Berufe abgebildet, die ohne spezifischen Bildungsabschluss ausgeübt werden können (z. B. Hauswartin und Hauswart 34102-105 oder Fuhrparkleiterin und Fuhrparkleiter 51593-102).

    2.7 Der Deutsche Qualifikationsrahmen (DQR) – ein kompetenz­basierter Rahmen zur Einordnung von Bildungsabschlüssen

    2.7.1 Entstehung und Systematik

    2008 wurde von den europäischen Institutionen der Europäische Qualifikationsrahmen (EQR) als Empfehlung verabschiedet; 2017 wurde er erstmalig überarbeitet.

    Er dient als Metarahmen, um nationale Bildungssysteme besser verstehen und Qualifikationen der allgemeinen und beruflichen sowie der akademischen Aus- und Weiterbildung europaweit besser vergleichen zu können. Dabei sollen die Qualifikationen nicht anhand von Bildungsgängen und zugehörigen Abschlüssen, sondern in Form von Lernergebnissen – Learning Outcomes –, einschließlich der informell erworbenen, beschrieben werden. Unterschieden werden drei Kompetenzarten – Knowledge, Skills, Competence – und acht Referenzniveaus (Sailmann u. Görtler 2019, S. 14).

    Daran angelehnt entwickeln die Mitgliedstaaten eigene nationale Qualifikationsrahmen. Sie definieren unter Berücksichtigung ihrer Bildungssysteme selbst Kompetenzarten und hierarchische Stufen und stellen diese in eigenen nationalen Qualifikationsrahmen in Beziehung zum EQR. Der Deutsche Qualifikationsrahmen (DQR)
    unterscheidet – wie der EQR – horizontale Spezifizierungen nach Kenntnissen, Fertigkeiten und Kompetenzen und definiert vertikal ebenfalls acht Niveaustufen. Diesen können die in Deutschland erwerbbaren Abschlüsse aus Allgemeinbildung, beruflicher Aus- und Weiterbildung und Hochschulbildung zugeordnet werden. Damit trägt der DQR dazu bei, dass deutsche Qualifikationen mit denen aus anderen europäischen Ländern verglichen und angemessenen bewertet werden können.

    In horizontaler Strukturierung werden folgende Kompetenzbereiche unterschieden (➥ Abb. 1):

    Vertikal ist der DQR in acht Niveaustufen unterteilt, in denen Leistungserwartungen entlang von Kompetenzausprägungen beschrieben werden:

    Die unterste, Stufe 1, lautet verkürzt: „Ausgebildete bzw. Angelernte, die über Kompetenzen zur Erfüllung einfacher Anforderungen in einem überschaubar und stabil strukturierten Lern- oder Arbeitsbereich verfügen. Die Erfüllung der Aufgaben erfolgt unter Anlei­tung.“

    Die höchste, Stufe 8, lautet verkürzt: „Studierte oder Fachkräfte, die über Kompetenzen zur Gewinnung von For­schungserkenntnissen in einem wissenschaftlichen Fach oder zur Entwick­lung innovativer Lösungen und Verfahren in einem beruflichen Tätigkeitsfeld verfügen. Die Anforderungsstruktur ist durch neuartige und unklare Problemlagen gekennzeichnet“ (ebd.).

    Insgesamt ist die vertikale Strukturierung im DQR stark auf Anschlussfähig­keit an Zertifikate aus dem Bildungssystem ausgerichtet, da unterschiedliche Abschlüsse des allgemeinbildenden Schulwesens, des Hochschulwesens sowie der Berufsvorbereitung, der Berufsausbildung und der beruflichen Weiterbildung, den Kompetenzstu­fen zuordenbar sein müssen. Die Zuordnung neuer Qualifikationen erfolgt jährlich, in der Regel zum 1. August.

    Abb. 1:  Kompetenzmodell des DQR 2021, Deutscher Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen, verabschiedet vom Arbeitskreis Deutscher Qualifikationsrahmen am 22. März 2011, pdf, Seite 5 (nach https://www.dqr.de/dqr/shareddocs/downloads/media/content/der_deutsche_qualifikationsrahmen_fue_lebenslanges_lernen.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (frei online zugänglich, abgerufen am 07.05.2023)

    Abb. 1: Kompetenzmodell des DQR 2021, Deutscher Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen, verabschiedet vom Arbeitskreis Deutscher Qualifikationsrahmen am 22. März 2011, pdf, Seite 5 (nach https://www.dqr.de/dqr/shareddocs/downloads/media/content/der_deutsche_… (frei online zugänglich, abgerufen am 07.05.2023)
    Tabelle 4:  Übersicht: den Niveaustufen zugeordnete Qualifikationen/Qualifikationstypen (DQR, 2021, S. 3)

    Tabelle 4: Übersicht: den Niveaustufen zugeordnete Qualifikationen/Qualifikationstypen (DQR, 2021, S. 3)

    2.7.2 Niveaustufen und Qualifikationen

    Siehe ➥ Tabelle 4.

    2.7.3 Weitere Einordungsrahmen

    Der Qualifikationsrahmen für deutsche Hochschulabschlüsse (beschlossen 2017) basiert u. a. auf den im Jahr 2005 verabschiedetem übergreifendendem Rahmen für Abschlüsse im Europäischen Hochschulraum (Qualifikationsrahmen für deutsche Hochschulabschlüsse, Kultusministerkonferenz, 2017 https://www.kmk.org […] Qualifikationsrahmen.pdf, 11.12.2021, S. 1). Der Qualifikationsrahmen beschreibt die Qualifikationen kompetenzbasiert und hochschultypunabhängig für die Stufen der Bachelor-Ebene, Master-Ebene und Doktoratsebene (ebd., S. 3).

    Bei der Begutachtung berufskundlicher Sachverhalte kann ein internationaler Kontext gegeben sein, so dass ggf. im Rahmen von Einordnungen auf internationale Standards z. B. die ISCED zurückgegriffen werden könnte. Die internationale Standardklassifikation des Bildungswesens (ISCED) wurde Anfang der 1970er Jahre von der UNESCO entwickelt, um auf internationaler Ebene zu vergleichen. Die ISCED-Stufen bilden von ISCED 0 (Elementarbereich) bis ISCED 9 (keinerlei andere Klassifizierung) die jeweils zugeordneten Bildungsprogramme ab. (Datenportal des BMBF, Bundesministerium für Bildung und Forschung, Glossar, ISCED 2011, aus: Statistisches Bundesamt, Bildungsfinanzbericht, Anhang A 3, https://www.datenportal.bmbf.de/portal/de/G293.html, abgerufen am 24.06.2021).

    2.8 Das BERUFENET der Bundesagentur für Arbeit – eine Datenbank zur gezielten Recherche von Berufs­informationen

    Das BERUFENET14 ist ein berufskundliches Informationssystem, eine im Internet öffentlich zugängliche Datenbank der Bundesagentur für Arbeit, die ausführliche Informationen zu Berufen enthält. Auf der Hauptseite werden Zugänge entlang der Systematik Berufsfelder, Tätigkeitsfelder, Studienfelder und reglementierte Berufe angeboten sowie ein alphabetisches Suchangebot und die Möglichkeit der Freitextsuche.

    Die Berufsbeschreibungen geben zahlreiche Hinweise mit berufskundlichem Inhalt, u. a. auf:

  • typische Aufgaben und Tätigkeitsfelder,
  • Arbeitsort(e), Materialien, Arbeitsgegenstand,
  • Arbeitsbedingungen und körperliche und mentale Anforderungen, auch gesundheitliche und psychische Aspekte,
  • Zugangsvoraussetzungen und rechtliche Regelungen,
  • Ausbildungsdauer-, -abschluss und -ver-
    dienst,
  • Entwicklungsperspektiven und zu erreichende Positionen,
  • Berufs- und Beschäftigungsalternativen.
  • Zudem sind auch Informationen zu den passenden Berufsverbänden, zu regionalen Spezifika und zu weiteren Informationsquellen enthalten.

    Die Informationen des BERUFENET werden aktuell vom Verlag Bildung und Wissen Nürnberg (BW-Verlag) recherchiert, aufbereitet und laufend aktualisiert. Sie entstammen aus bundesdeutscher Recherche in Unternehmen sowie unter Beteiligung von Fach- und Führungskräften der jeweiligen Berufs- und Wirtschaftsverbände und des bei der Bundesagentur für Arbeit angesiedelten Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung.

    Das BERUFENET enthält zahlreiche Hinweise, die auch für eine gutachterliche Tätigkeit hilfreich sein können15, insbesondere typische Berufsanforderungen.

    Es zeichnet die Informationen aus, die sich im Schwerpunkt den arbeitsmarktüblichen und damit allgemeingültigen Anforderungen in den Berufen und Tätigkeiten des bundesdeutschen Arbeitsmarktes widmen. Bezüglich der Rechtsrelevanz gilt es zu berücksichtigen, dass die Informationen zwar auf die KldB referenzieren, ihre Erstellung allerdings nicht nach strengen wissenschaftlichen Kriterien erfolgt.

    Im BERUFENET finden sich administrative und teils auch arbeitsmedizinische und arbeitspsychologische Angaben zu den Anforderungen der einzelnen Berufe. Diese können bei der Frage der Qualität der beruflichen Belastung und Gefährdungen wichtige Hinweise geben. Sie stellen bei der Erstellung eines arbeitsmedizinischen Berufsbildes eine brauchbare Basis dar.

    Eine mit dem BERUFENET verlinkte Datenbank ist der Job-Futuromat des IAB16, der neben der möglichen Automatisierbarkeit eine aktuelle Datenbank mit Anzahl der im Beruf tätigen und Anzahl offener Stellen wiedergibt.

    2.9 Weitere berufskundliche Informa­tionsquellen

    2.9.1 Arbeitsmedizinische Berufskunde und zu arbeitsmedizinisch relevanten Belastungen und Gefährdungen

    Die arbeitsmedizinische Berufskunde stellt insofern eine Besonderheit dar, als sie in einem engen Zusammenhang zwischen dem Beruf und der Gesundheit der in dem betreffenden Beruf Tätigen steht. Oder anders ausgedrückt: Was nicht in diesem Kontext zu sehen ist, besitzt geringeres Gewicht. Dabei kommt es bei der Beschreibung des Berufsbildes auf die konkrete Fragestellung an, d. h. sie soll meist die Arbeitsplatzverhältnisse an bestimmten Arbeitsplätzen an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit widerspiegeln. Damit steht das arbeitsmedizinische Berufsbild oftmals in Konkurrenz zu einer summarischen und allgemeinen Darstellung.

    Ursprünglich bestand die Vorstellung, dass man für arbeitsmedizinische Fragestellungen die Berufe lexikonartig erfassen könne. Inzwischen gilt mehr denn je, was Sperling schon 1965 (Deutsches Ärzteblatt) festgestellt hatte, dass es nämlich „schwierig zu unterscheiden ist, was in einem bestimmten Arbeitsfeld berufstypisch und was nur arbeitsplatzbedingt ist oder inwieweit eine funktionelle und institutionelle Arbeitsplatzgegebenheit berufstypisch ist“. Es gibt also keine Schablonen oder Raster, die sich bei arbeitsmedizinischen Fragestellungen nach Bedarf einsetzen ließen. Zugespitzt formuliert kann man sogar sagen: Es gibt in demselben Beruf keine zwei identischen Arbeitsplätze (auch: Pressel in Landau u. Pressel 2009,S. 20).

    Gründe hierfür sind der ständige inhaltliche Wandel der Berufe – manchmal in sehr kurzer Zeit, unterschiedliche Tätigkeiten im Rahmen eines Berufes, Spezialisierungen oder Zusammenfassungen bei bestimmten Berufen und mangelnde zeitliche Vergleichbarkeit. Hinzu kommt, dass nur ein Teil der Berufe durch rechtliche Normen inhaltlich und in der Berufsbezeichnung fixiert ist, viele aber sich frei aus den Bedürfnissen der Wirtschaft entwickeln und auch verändern. In diesem variablen System lassen sich die arbeitsmedizinisch relevanten beruflichen Belastungen und Gefährdungen nicht mehr katalogmäßig erfassen.

    Dies war nicht immer so. Noch bis in die Jahrzehnte nach dem zweiten Weltkrieg war im Berufsleben von einer gewissen Stabilität auszugehen. Damals regte in der Arbeitsmedizin Wittgens zusammen mit Scholz und Rosenberger an, für ausgewählte Berufe nach einem einheitlichen Schema im Rahmen sogenannter „arbeitsmedizinischer Berufsbilder“ alle ärztlich relevanten Parameter zu erfassen. Diese Berufsbilder erschienen seit 1967 als Beilage zur arbeitsmedizinischen Monatsschrift Arbeitsmedizin – Sozialmedizin – Umweltmedizin (Gentner Stuttgart, späterer Titel). Eine große Anzahl von Arbeitsmedizinerinnen und -medizinern verfasste in den folgenden Jahren bis 2012 etwa 300 derartige Berufsbilder (s. Pressel u. Landau: Archiv der arbeitsmedizinischen Berufskunde, s. unten).

    Mit der Variabilität der Berufe hat sich jedoch die arbeitsmedizinische Berufskunde keineswegs überholt, vielmehr ist sie in weniger starrem Rahmen in vielen Bereichen, wie z. B. der betriebsärztlichen Praxis oder bei vielen Formen der Begutachtung mit arbeitsmedizinischem Hintergrund, von erheblicher Bedeutung.

    Zum Verständnis der arbeitsmedizinischen Berufskunde kann der geschichtliche Hintergrund beitragen. Bei der Neukonsti­tuierung der Arbeitsmedizin nach dem zweiten Weltkrieg musste man sich auf der einen Seite einen Überblick über die gesundheitliche Situation in der Arbeitswelt verschaffen. Zum anderen wendeten sich Ärztinnen und Ärzte aus den verschiedensten Fachbereichen der sich formierenden Arbeitsmedizin zu – oft ohne einschlägige Vorkenntnisse und damit mit einem entsprechenden Informa­tionsbedarf. Das war noch vor dem Arbeitssicherheitsgesetz 1973, durch das für die Arbeitsmedizin und generell im Arbeitsschutz erste und noch heute gültige Leitlinien aufgestellt wurden.

    Erwähnt werden sollte, auch wenn es nicht in Zahlen zu fassen ist, dass durch diese umfassende Bestandsaufnahme der Arbeitswelt wertvolle Anstöße für die arbeitsmedizinische Wissenschaft und für den technischen Arbeitsschutz erfolgten. Auch die Annäherung zu den Nachbardisziplinen Arbeitsphysiologie und Ergonomie, für die Namen wie Rutenfranz und Rohmert beispielhaft stehen, ist in diesem Zusammenhange zu sehen.

    Davon abgesehen ergeben sich auch heute noch bei der Tätigkeit der Ärztin und des Arztes oftmals praktische Fragestellungen im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit. Beispiele sind:

  • Beurteilung der Arbeits-, Dienst-, Erwerbs- oder Berufs(un)fähigkeit,
  • Mitwirkung bei Rehabilitationsmaßnahmen, Arbeitsplatzwechsel und Umschulungen,
  • Einschätzung des Grades der Behinderung,
  • Verdacht auf Berufskrankheit und Mitwirkung im Berufskrankheitenverfahren,
  • Empfehlungen bei Untersuchungen nach dem Jugendarbeitsschutzgesetz,
  • Bei der Therapie Berücksichtigung der beruflichen Tätigkeit.
  • Ähnlich wie beim BERUFENET (s. oben), aber stärker auf die ärztliche Praxis ausgerichtet, erfolgte bei den arbeitsmedizinischen Berufsbildern die Darstellung nach einer einheitlichen Gliederung, wobei je nach Fragestellung Variationen möglich oder erforderlich sind:

  • Entwicklung des Berufes und aktuelle Situation,
  • Aufgaben, Tätigkeitsbereiche und -merkmale,
  • Berufsaus- und -weiterbildung,
  • Belastung und Beanspruchung, Gefährdungen,
  • körperliche und geistige Voraussetzungen, gesundheitliche Bedenken,
  • gesundheitliche Prävention,
  • Rehabilitation.
  • Der Umfang wurde im Interesse einer schnellen Information auf zwei bis maximal vier Druckseiten (DIN A4) beschränkt.

    Diese Sammlung wurde 1981 (1. Aufl.) von Scholz und Wittgens, ergänzt durch weitere berufskundliche Daten, als umfangreiches Nachschlagwerk herausgegeben (Neuauflage 1992).

    Dieses Buch galt viele Jahre als Standardwerk in der Arbeitsmedizin. Wie oben dargestellt litt jedoch die Gültigkeit des Inhalts durch den ständigen Wandel in der Berufswelt mit der Zeit. Deshalb wurde das Werk nicht mehr neu aufgelegt und ist inzwischen vergriffen. Für retrospektive Fragestellungen, z. B. im Berufskrankheiten-Verfahren, kann es – wenn z. B. durch Fernverleih bezogen - jedoch noch eine wertvolle Quelle darstellen.

    Auf Scholz und Wittgens (1992) wird auch aktuell noch in Fragen der Teilhabe am Arbeitsleben im Leitfaden der Deutschen Rentenversicherung verwiesen (Leitlinien zur Rehabilitationsbedürftigkeit für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, 25.10.2005, S. 24).

    Auch andere arbeitsmedizinische Medien haben im Laufe der Jahre arbeitsmedizinische Berufsbilder publiziert: Letzel und Nowack: Handbuch der Arbeitsmedizin sowie die arbeitsmedizinischen Zeitschriften ErgoMed/Praktische Arbeitsmedizin (Haefner, Heidelberg) und Zentralblatt für Arbeitsmedizin, Arbeitsschutz und Ergonomie (Springer, Heidelberg).

    Pressel hat zu den speziellen arbeitsmedizinischen Berufsbildern 2004 die Kategorie der allgemeinen Berufskunde hinzugefügt. Damit wird die betriebsärztliche Tätigkeit in dem großen Zusammenhang mit der Situation und den Entwicklungen in der Arbeitswelt, den rechtlichen Rahmenbedingungen, den wirtschaftlichen Folgen von Gesundheit und Krankheit usw. gesehen.

    Die oben genannten Schwierigkeiten können allerdings die Erstellung einer systematischen und umfassenden arbeitsmedizinischen Berufskunde im Rahmen der Bemühungen um eine ganzheitliche Arbeitsmedizin erschweren, indem sie die speziellen Verhältnisse an bestimmten Arbeitsplätzen nicht erfassen. Landau und Pressel haben deshalb für die häufigsten beruflichen Belastungen und Gefährdungen ein Nachschlagewerk mit Hinweisen auf besonders betroffene Berufe erstellt (Medizinisches Lexikon der beruflichen Belastungen und Gefährdungen, 2. Aufl. 2009, Gentner, Stuttgart). Das Werk enthält auch zahlreiche berufskundliche Beiträge und einen allgemeinen berufskundlichen Teil.

    Schließlich muss das weite Feld der Arbeitswissenschaft erwähnt werden, aus dem besonders für die Arbeitsmedizin eine Fülle wichtiger grundlegender Erkenntnisse und Impulse kommen. Hierfür stehen Namen von Rohmert und Landau über Bruder zu Schlick, Luczak u.a. (weitere Literaturhinweise s.u.).

    In der Arbeitsmedizin gab es auch den Versuch, eine Brücke zu administrativen Berufsbeschreibungen zu schlagen. So wurde auch der Begriff der Professiografie als Informationsmittel eingeführt, wobei in diesem Zusammenhang Professiogramme und Ergogramme als Synonyme zu sehen sind. Nach Pressel (1986) werden mit diesem Verfahren einzelne Arbeitsplätze, Arbeitsgruppen wie Werkstätten und Betriebseinheiten mit einheitlichen Aufgaben, aber unterschiedlichen beruflichen Tätigkeiten nach einem einheitlichen Schema beschrieben. Dabei wird berücksichtigt, dass selbst Arbeitsplätze mit gleicher technischer Auslegung so gut wie nie deckungsgleich sind, da sie durch wechselnde Aufgabenstellung, aber auch durch individuell unterschiedliche Eingriffe durch die dort tätigen Personen einem stetigen Änderungsprozess unterliegen. Es wird folgende Grobgliederung vorgeschlagen:

  • Soziales (Berufsausbildung, gesundheitliche Anforderungen, Erkrankungen)
  • Arbeitsmittel (Geräte, Arbeitsstoffe, Belastungen, Gefährdungen)
  • Arbeitsumwelt (Gestaltung des Arbeitsplatzes, Räumlichkeiten, Klima und Beleuchtung, Sozialräume)
  • Arbeitsorganisation (Arbeitszeit und -rhythmus, Arbeitsentlohnung, Arbeitsschutz, Arbeitsplatzwechsel)
  • Vereinfacht dargestellt liegt beim arbeitsmedizinischen Berufsbild der Schwerpunkt beim Menschen in seinem beruflichen Umfeld, während das arbeitsmedizinische Professiogramm die organisatorischen und technologischen Bedingungen des beruflichen Umfelds beschreibt. Der Unterschied zum administrativen Professiogramm ergibt sich daraus, dass auch hier die Beschreibung aus einer Innensicht mit den Augen der dort tätigen Menschen und der Betriebsärztinnen und -ärzte erfolgt.

    Anwendungsgebiete ergeben sich beispielsweise in der betriebsärztlichen Betreuung zur Schnellinformation, wenn beim betriebsärztlichen Dienst ein häufiger Personalwechsel stattfindet (z.B. Vorsorgeuntersuchungen durch überbetriebliche Zentren). Der Übergang zur Arbeitsplatzanalyse im Rahmen der Arbeitssicherheit ist fließend. Das Professiogramm kann auch eine wertvolle Hilfe bei der Erstellung eines arbeitsmedizinischen Berufsbildes darstellen. Damit stimmt das Professiogramm nicht zufällig mit dem Ergebnis arbeitswissenschaftlicher Analyseverfahren gut überein (Landau u. Rohmert 1981).

    Um den Zugriff auf das umfangreiche berufskundliche Material, das in Jahrzehnten von Expertinnen und Experten in arbeitsmedizinischen Zeitschriften und anderen Medien zusammengetragen wurde, zu ermöglichen und zu erleichtern, schufen Pressel und Landau ein elektronisches „Archiv der arbeitsmedizinischen Berufskunde“ (www.ergonomia.de und Deutsche Nationalbibliothek). Damit wird ein wertvoller Datenfundus (bis zum Jahre 2014) für retrospektive Informationen, z. B. bei Begutachtungen im Berufskrankheitenverfahren, zur Verfügung gestellt. Die Benutzung ist für jeden zugänglich und kostenfrei. Am Rande sei erwähnt, dass diese Sammlung auch im medizin- und kulturhistorischen Sinne von Wert ist, selbst wenn einzelne Berufsbilder nicht mehr den ak­tuellen Gegebenheiten entsprechen.

    Aus den obigen Ausführungen ergibt sich die Situation, dass in vielen Fällen auf kein zurzeit noch aktuelles arbeitsmedizinisches Berufsbild zurückgegriffen werden kann. Es können aber vorliegende Berufsbilder als Muster in Form von Analogbeispielen und Bausteinen für die auf die jeweiligen Frage­stellungen zugeschnittenen Berufsbilder dienen. Arbeitsmedizinische Schwerpunkte lassen sich dem Medizinischen Lexikon der beruflichen Belastungen und Gefährdungen entnehmen (Landau u. Pressel 2009). Die Erarbeitung von arbeitsmedizinischen Berufsbildern setzt berufskundliche Kenntnisse voraus und stellt die Domäne des Arbeitsmediziners dar.

    2.9.2 Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA)

    Gerade in Bezug auf Anforderungen von Berufen und Gefährdungen ist das BAuA eine entscheidende Informationsquelle. Es hat nach Abschluss von Projekten zur physischen Gefährdung zusammen mit der DGUV (MEGAPHYS: Mehrstufige Gefährdungsanalyse physischer Belastungen am Arbeitsplatz [DGUV Report 3/2020], Abschlussbericht zum Kooperationsprojekt von BAuA und DGUV – Band 2; Hrsg.: Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e.V. [DGUV], Berlin 2020) eine umfangreiche zweibändige Information zu physischen Gefährdungen herausgebracht.

    Auch wurde ein frei verfügbares Handbuch für die Gefährdungsbeurteilung herausgegeben (Kittelmann et al. 2021). Dieses gibt mit Berufsbezug Auskunft über typische Gefährdungen, insbesondere auch psychische Gefährdungen (ab Seite 532).

    2.9.3 Deutsche gesetzliche Unfall­versicherung (DGUV)

    Die DGUV gibt als Dachgesellschaft der gesetzlichen Unfallversicherungen eine Vielzahl von Informationen zu Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten heraus. Dabei werden zu der Bewertung von Expositionen Grundsätze beschrieben. Die Expositionsanalytik ist jedoch ein eigener gutachterlicher Bereich. Von der DGUV gibt es auch eine Vielzahl von Merkblättern zu beruflichen Tätigkeiten, die für die Berufskunde relevant sind, da sie typische Tätigkeiten in Berufen mit aktuellen Arbeitsbedingungen näher beschreiben (z. B. Branche Tischler- und Schreinerhandwerk; DGUV Regel 109-606; 2019).

    2.9.4 Ausbildungsordnungen des BIBB

    Auch finden sich Informationen über die Berufe vom BIBB bei der Beschreibung der Ausbildungen. Wesentliche Informationsquellen sind auch die Ausbildungsordnungen, sowie wenn verfügbar die Umsetzungshilfen, etwa auch aus der BIBB-Reihe. Zur Charakteristik von Berufen gibt es vom BIBB teilweise wissenschaftliche Arbeiten in den Berichten zur Beruflichen Bildung (vgl. z. B. Kaufmännische Berufe [...], Brötz u. Kaiser 2015).

    3 Die berufskundliche Begut­achtung

    Ein berufskundliches Gutachten muss die Anforderungen der Sachverständigenordnung (SVO) erfüllen.

    Ein Gutachten ist eine zielgerichtete Informationszusammenstellung mit eigenen Ermittlungen, die dem Zweck dient, die Fragen eines Auftraggebers wissenschaftlich und auch für den Laien ohne Nachschlage­werk verständlich nachvollziehbar zu beantworten. Gutachten unterliegen damit den Grundsätzen guter wissenschaftlicher Praxis, wie sie von der Deutschen Forschungsgemeinschaft herausgegeben werden.

    Art, Inhalt und Umfang eines Gutachtens richten sich nach dem jeweiligen Auftragsgegenstand, den gesetzlichen Anforderungen sowie der Art und dem Schwierigkeitsgrad des Auftrages. Über die Fragen hinausgehende Erkenntnisse gehören durch die gebotene Beschränkung auf das Notwendige nicht in ein Gutachten. Das bedeutet jedoch auch für die berufskundliche Gutachterin und den berufskundlichen Gutachter nicht zwingend, dass nicht Probleme oder fehlende Fragen in einem Fall zumindest erwähnt werden können. Die kritische Sichtung des bisherigen Materials bringt solche Konstellationen mit sich. Hier genügt aber dann ein kurzer Hinweis, eine umfassende Klärung ist nicht geboten.

    Rechtliche Würdigungen durch Gutachterin und Gutachter sind zu unterlassen. Die Gutachterin und der Gutachter sprechen in ihrer und seiner Rolle Empfehlungen als Grundlage für die dann durch den Auftraggebenden erfolgende Beurteilung aus. Sie und er können jedoch beispielsweise durchaus auf Urteile in ähnlichen Fällen Bezug nehmen, um Auftraggebende in der Entscheidungsfindung zu unterstützen.

    Aus der Sachverständigenordnung (SVO) lassen sich Mindestanforderungen für Gutachten ableiten, die bereits von Antragstellern für die öffentliche Bestellung erfüllt werden müssen (Empfehlungen zur Erstellung eines Gutachtens, Institut für Sachverständigenwesen e. V., Köln,
    04/2017).

    Nr. 9.3.7 der Richtlinien zur SVO fordert: „Gutachten sind systematisch aufzubauen, übersichtlich zu gliedern, nachvollziehbar zu begründen und auf das Wesentliche zu beschränken. Es sind alle im Auftrag gestellten Fragen zu beantworten, wobei sich der Sachverständige genau an das Beweisthema bzw. an den Inhalt seines Auftrags zu halten hat. Die tatsächlichen Grundlagen für eine Sachverständigenaussage sind sorgfältig zu ermitteln und die erforderlichen Besichtigungen sind persönlich durchzuführen“ (IHK München und Oberbayern,
    04/2021).

    3.1 Umgang mit berufskundlichen Informationen

    Das Zusammentragen berufskundlicher Informationen geschieht daher als Betrachtung der aktuell verfügbaren Informationsquellen in ihrer Gesamtheit und gegebenenfalls auch durch eine Erkundung von Berufen mit Bewertung durch Exploration vor Ort oder ganz typischerweise über eine Sachaufklärung mittels strukturierter Fragebögen. Aus dieser Heterogenität heraus ist bereits veranlagt, dass es hier keinen einheitlichen Standard gibt.

    Befragungen, auch schriftlich, sind aber in Bezug auf Berufe sehr gängige Mittel für die Erhebung, sie werden durch die DGUV, das BIBB, das IAB, Versicherungen und auch Sozialgerichte eingesetzt.

    3.2 Professiogramme/Berufsbeschreibungen

    Berufsbilder werden traditionell in sogenannten Ergogrammen oder synonym in Professiogrammen beschrieben. Sie liefern gebündelte Informationen über einen Beruf. Diese Tradition geht auf Berufsbeschreibungen mit Holzschnitten und Begleittexten zurück (Ständebuch, Weigel 1698/
    1987).

    Professiogramme sind ein zentrales berufskundliches Arbeitsmittel und auch Arbeitsergebnis. Ihre Erstellung und Anpassung aus relevanten Informationsquellen ist Kern der berufskundlichen gutachterlichen Tätigkeit.

    Wesentliche Informationsquellen für die Erstellung von Professiogrammen sind die Klassifikation der Berufe und das BERUFENET (vgl. 2.8).

    Die berufskundliche Erstellung ist aber auf diese Informationen nicht limitiert und muss nach Möglichkeit weitere Quellen (s. oben) prüfen und die Informationen zusammentragen, damit ein nachvollziehbares Berufsbild entsteht.

    Nicht selten werden darüber hinaus für die Sachaufklärungen zu Berufen die Aufklärung mittels Fragebögen oder sogar die Inspektion von Betrieben vor Ort genutzt.

    In der Summe gibt es keinen Standard für die Erstellung von Professiogrammen aus berufskundlichen Informationsquellen. Verkompliziert wird die Situation auch noch dadurch, dass Berufe nicht selten eine höhere Bandbreite ihrer individuellen Ausprägungen vor Ort haben, auch in Spezialisierungen sehr variieren. Andere Berufe wiederum sind aber sehr stark einheitlich. Gerade in den Verfahren, in denen erfahrungsgemäß berufskundliche Aufklärung notwendig ist, ist es daher wichtig, eine Vor­gehensweise für die Erarbeitung von Professiogrammen anhand der verfügbaren Quellen für den Auftraggebenden explizit darzulegen.

    3.3 Professiogramme in berufs­kundlichen Gutachten

    In berufskundlichen Gutachten werden generell Professiogramme als Grundlage einer Bewertung erarbeitet. Dort sind Informationen enthalten, die dann die Grundlage der Beantwortung von Fragen bilden.

    Häufig ist dabei die Frage die der Person-Tätigkeitspassung (vgl. Grömer et al. 2021).

    Diese wird dann in einem zweiten Teil eines berufskundlichen Gutachtens niedergelegt. In seiner Struktur ähnelt daher der Professiogrammteil berufskundlicher Gutachten dem von medizinischen oder technischen Gutachten im Erhebungsteil.

    Das Professiogramm wird dabei anders als in tätigkeitsanalytischen Gutachten ein allgemeines Berufsbild betrachten (siehe oben).

    In Anbetracht der vielfältigen Konsequenzen aus der Erstellung von Professiogrammen möchten wir nachstehend auf deren systematische Erstellung und auf die notwendigen Ermittlungen orientiert an Pressel und Landau sowie am AET von Rohmert und Landau eingehen, eine einheitliche Struktur für die Betrachtung als Gliederung vorschlagen:

     1. Berufsbezeichnung nach der Nomenklatur der KldB 2010 (2020), i. d. R. Nennung der Ausbildungsordnung mit aktueller Fassung falls anwendbar,

     2. ggf. Synonyme zur Berufsbezeichnung,

     3. Beschreibung der Einordnung in der Klassifikation der Berufe (KldB 2020) mit Ordnungsnummer,

     4. Kurzbeschreibung des Berufs mit Referenzen (z. B. BIBB), dabei prägnante Beschreibung der Identität des Berufs, der Kernleistungen, Beschreibung der Genealogie und der verwandten Berufe, welche Menschen sind in den Berufen tätig?

     5. ggf. Arbeitsmarktrahmendaten, wie viele Menschen den Beruf ausüben, wie viele Auszubildende es aktuell gibt. Welche Tarife gibt es?

     6. kurzer Abriss der Ausbildung (Zugangsvoraussetzungen, Dauer, Prüfung),

     7. Beschreibung des typischen Arbeitssystems (Arbeitsobjekte, Betriebsmittel (Geräte), Arbeitsstoffe, Arbeitsschutz),

     8. Arbeitsumgebung mit Arbeitsorganisation,

     9. Aufgabenanalyse mit ggf. Gliederung nach stofflichen und abstrakten Arbeitsobjekten, Beschreibung typischer Tätigkeiten im Beruf, in den Bezeichnungen orientiert an KldB oder die Hilfsklassifikation (s. unten),

    10. Anforderungsanalytik (Einordnung im DQR, Anforderungsniveau nach KldB, Mini-ICF-APP-Work, MEGAPHYS),

    11. ggf. Aussagen zu Gefährdungen und möglichen Berufskrankheiten.

    Mit einem derartigen Professiogramm wird ermöglicht, sich einen auch auf Auftraggeber-Seite umfangreichen Eindruck eines Berufes machen zu können.

    3.4 Praktisches Vorgehen zur Erstellung von Professiogrammen

    In der praktischen Vorgehensweise können die berufskundliche Gutachterin und der berufskundliche Gutachter bei der Erstellung eines Professiogramms zunächst auf typischerweise einen Steckbrief im BERUFENET zugreifen. Sie und er müssen aber überprüfen, inwiefern der Beruf so ausführlich genug dargestellt ist, zur Ausbildungsordnung passt, gegebenenfalls die Tätigkeit näher und prägnant charakterisieren. Falls erforderlich, müssen sie und er sich dann mit der Entstehung des Berufs befassen, die Genealogie des BIBB oder bei nicht von Ausbildungen geregelten Berufen deren Ordnung und Entwicklung sichten. Als Kerntätigkeit müssen die berufskundliche Gutachterin und der berufskundliche Gutachter die wesentlichen Tätigkeiten des Berufs aufzählen und dem Lesenden allgemein nachvollziehbar in allgemeinen Worten beschreiben.

    Arbeitsumwelt und -organisation werden dabei anhand gängiger arbeitswissenschaftlicher Standards orientiert an AET (genutzt auch in Schlick et al. 2017) beschrieben.

    In dieser Vorgehensweise ergibt sich ein nachvollziehbarer Weg, qualitativ hochwertige Professiogramme zu erstellen.

    3.5 Anforderungsanalytik in berufskundlichen Gutachten

    Die Analytik von Anforderungen ist ein wesentliches Thema berufskundlicher Analytik.

    Häufig werden die berufskundliche Gutachterin und der berufskundliche Gutachter vor dem Hintergrund medizinischer Feststellungen gerade mit der Frage betraut, inwiefern Menschen berufliche Tätigkeiten und Arbeiten bei medizinisch beschriebenen Einschränkungen noch möglich oder zumutbar (vgl. unten) sind.

    Für die Beantwortung solcher Fragen müssen Fähigkeiten, Einschränkungen und Anforderungen verglichen werden (Grömer et al. 2021).

    In der Anforderungsanalytik können berufskundliche Gutachten in ihrem Professiogrammteil zunächst auf die allgemeine Anforderung/das Qualifikationsniveau (DQR, KldB) Bezug nehmen. Gerade bei Fragen der Verweisung ist eine solche Evaluation erforderlich, da im Sozialrecht bei Einschränkungen ein Verweis in Bezug auf Kompetenzen in einen (nächstniedrigeren) Bereich mit niedrigeren allgemeinen Anforderungen als zumutbar in Frage kommt (analog zum Mehrstufenschema des BSG, siehe unten).

    Grundsätzlich wird für Berufe bei der Analytik von Anforderungen eine Gliederung in psychische und körperliche Anforderungen vorgenommen. Dabei ist bei berufskundlichen Gutachten im Gegensatz zu tätigkeitsanalytischen Gutachten die Situation insofern besonders, da eine allgemeinere Betrachtungsweise über das Berufsbild vorgenommen wird. Hier ist weniger als in der Tätigkeitsanalyse auf einzelne Teiltätigkeiten einzugehen.

    Berufskundliche Einschätzungen müssen sich auf ein allgemeines Niveau von körperlichen wie psychischen Anforderungen für den Beruf beziehen.

    Eine Gliederung in psychische und körperliche Anforderungen ist oft durchgeführt worden und sinnvoll, werden doch Arbeiten gängig in energetische und informatorische Arbeiten eingeteilt (Rohmert 1983). Für verschiedene Tätigkeiten sind deren Anteile unterschiedlich (➥ Tabelle 5).

    Das AET (Rohmert 1979), das eine wesentliche Grundlage für die Analytik darstellte und darstellt, beschreibt 31 Merkmale von Anforderungen (17 zur Informationsaufnahme, 8 zur Informationsverarbeitung, 17 zur Informationsabgabe oder Handlung).

    Traditionell wird man daher im berufskundlichen Gutachten zunächst auf körperliche Anforderungen eingehen, danach auf psychische Anforderungen der Tätigkeit.

    Tabelle 5:  Formen der Arbeit modifiziert nach Rohmert 1983 (aus Schlick et al. 2018)

    Tabelle 5: Formen der Arbeit modifiziert nach Rohmert 1983 (aus Schlick et al. 2018)
    Tabelle 6:  Übersicht zu den körperliche Belastungsarten (mit freundlicher Genehmigung aus: Kittelmann et al. 2021)

    Tabelle 6: Übersicht zu den körperliche Belastungsarten (mit freundlicher Genehmigung aus: Kittelmann et al. 2021)

    3.5.1 Physische Anforderungen

    Im Bereich der körperlichen (physischen, auch motorischen) Anforderungen ist das von BAuA und DGUV durchgeführte Projekt zur mehrstufigen Gefährdungsbeurteilung (MEGAPHYS) wichtig, in dem ältere Einteilungen und Aspekte (etwa REFA) berücksichtigt und weiterentwickelt wurden. Dabei werden verschiedene motorische Anforderungen definiert (➥ Tabelle 6). Diese sind im Handbuch Gefährdungsbeurteilung (BAuA, 2021) zusammengetragen (S. 460).

    Im Handbuch werden in den detaillierteren Beschreibungen dabei weitere typische Tätigkeiten für die Anforderungen definiert. Wichtig für die Höhe der Anforderung ist der Belastungsgrad, der mit dieser einhergeht (Seite 462 des Handbuchs). Die Leitmerkmalmethoden sind relativ umfangreich, nicht sicher auf allgemeine Berufsbilder immer anwendbar. Sie sind jedoch ein wichtiges Element der Orientierung, ob und welche maßgeblichen körperlichen Anforderungen (Belastungsarten) bei einer beruflichen Tätigkeit vorkommen.

    Leitmerkmalmethoden (www.baua.de/leitmerkmalmethoden) stehen für jede der sechs körperlichen Belastungsarten (siehe dort Tabelle 8-1) zur Verfügung. In jeder dieser Leitmerkmalmethoden werden die typischen Belastungsmerkmale der jeweiligen körperlichen Belastungsart berücksichtigt (z. B. Belastungsdauer, Lastgewicht, Greif­bedingungen, Körperhaltung, Ausführungsbedingungen usw.) und je nach Ausprägung der Anforderung mit Punkten bewertet.

    Die Methoden eignen sich für die Gefährdungsbeurteilung und deren Dokumentation nach §§ 5 und 6 ArbSchG.

    In der Gefährdungsbeurteilung einer körperlich belastenden Tätigkeit mit Hilfe der Leitmerkmalmethoden wird aus den Punktwerten für die Einzelmerkmale über eine Rechenvorschrift ein Gesamtpunktwert gebildet, über den das Risiko für das Auftreten von negativen (adversen) Gesundheitseffekten abgeschätzt werden kann:

    Risikostufe 1: 0 bis < 20 Punkte, gering belastet,

    Risikostufe 2: 20 bis < 50 Punkte, mäßig belastet,

    Risikostufe 3: 50 bis < 100 Punkte, wesentlich erhöht belastet,

    Risikostufe 4: ab 100 Punkte, hoch belastet.

    Es kann berücksichtigt werden, dass über einen Arbeitstag Tätigkeiten mit unterschiedlichen intensiven körperlichen Belastungen vorkommen. Die Leitmerkmalmethoden werden von der BAuA als Papier-Bleistift-Version sowie als interaktive Formblätter zur Verfügung gestellt.

    Hinweise für höhere Beanspruchungen sind die Erforderlichkeit von Arbeitsschutzmaßnahmen und Maßnahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge (Angebotsvorsorge) entsprechend der Verordnung zur Arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV)17 ab Risikostufe 3 „wesentlich erhöht belastet“ des in der Arbeitsmedizinischen Regel AMR 13.218 formulierten Risikokonzepts, das in den Leitmerkmalmethoden umgesetzt wird. Bei Beschäftigten mit gesundheitlichen Einschränkungen sind Maßnahmen, u. a. arbeitsmedizinische Wunschvorsorge, ggf. schon bei geringen körperlichen Belastungen auch sinnvoll bzw. notwendig.

    Die Formulierungen der Belastungsarten sollten in berufskundlichen Gutachten nach dem Handbuch der Gefährdungsbeurteilung niedergelegt werden.

    Detaillierte Abzählungen von Arbeitsvorgängen sind hier nicht notwendig, eher ein Element der individuellen Tätigkeitsanalytik. In der abgestuften Beurteilung dürfen die berufskundliche Gutachterin und der berufskundliche Gutachter daher zunächst orientierend die Belastung bewerten, beispielsweise DGUV Information 208-033 (bisher BGI 7011), sollte die Leitmerkmalmethoden bei der Beurteilung aber kennen.

    Die Gutachterin und der Gutachter können die interaktiven Leitmerkmalmethoden, die von der BAuA zur Verfügung gestellt werden, auch für die Abschätzung der Beanspruchung einsetzen; es muss hier dann jedoch auch in ausreichender Form kenntlich gemacht werden, welche Parameter angewandt wurden (die wichtigsten nennen). Der Vorteil der Leitmerkmalmethoden, ist, dass empirisch untermauert Belastungshöhen ableitbar sind (gering, mäßig erhöht, wesentlich erhöht, hoch) und Engpässe über die einzelnen Leitmerkmale erkennbar sind (z. B. Anforderungen an die Körperhaltung oder die Kraft).

    Die berufskundliche Gutachterin und der berufskundliche Gutachter müssen in jedem Fall für die Abschätzung der körperlichen Belastungen in einem Beruf erfassen, welche körperlichen Belastungsarten vorliegen, ob diese typischerweise überschwellig sind.

    Dabei müssen sie und er die Tätigkeiten im Professiogramm, damit aus KldB oder BERUFENET in Belastungsarten übersetzen, was eine wesentliche gutachterliche Tätigkeit darstellt. Sie und er werden in der Folge grundlegende erfahrungsbasierte Annahmen zu deren für den Beruf typischen Häufigkeit und Ausprägung machen.

    Dies ist insofern wichtig, da auch in der medizinischen Begutachtung bei Beschreibung der körperlichen Belastungsarten und deren Bewertung künftig nach der Nomenklatur der Leitmerkmalmethoden gearbeitet wird (Hartmann 2020).

    Beispiel: Bautischlerin und Bautischler

    Als Beispiel soll hier die Tätigkeit der Bautischlerin und des Bautischlers KldB 33332-100 (Band II, Seite 556) dienen. Diese wird abzüglich der Tätigkeiten die Bühnentischlerin und -tischler, Ausstellungstischlerin und -tischler und Messebauerin und -bauer alleinig betreffen, wie folgt dargestellt:

    Nach KldB umfasst die Tätigkeit als Bautischlerin und Bautischler die Herstellung von Holzbauteilen, z. B. für Fenster, Türen oder Schalungen. Bautischlerinnen und Bautischler behandeln Holzoberflächen und sanieren Altbauten. Darüber hinaus planen sie Innenausbauten und bauen sie auf.

    Aufgaben, Tätigkeiten, Kenntnisse und Fertigkeiten sind nach KldB üblicherweise:

  • Je nach Anforderungen Hölzer auswählen und deren Qualität beurteilen,
  • Werkstücke und Holzbauteile, z. B. Fenster, Türen und Treppen, nach Plänen und Zeichnungen anfertigen,
  • Werkstoffe mit unterschiedlichen Techniken verarbeiten, z. B. sägen, fräsen, hobeln und schleifen,
  • Holzbauteile im Verbund mit Metall- und Kunststoffbauteilen verarbeiten,
  • Montage von Holzbauteilen vor Ort durchführen und diese, z. B. durch Schrauben oder Leimen, miteinander verbinden,
  • Sanierungs-, Änderungs- und Reparaturarbeiten, z. B. bei beschädigten Holzbauteilen, durchführen,
  • Maschinen bedienen und warten, Werk­zeuge pflegen.
  • Im BERUFENET finden sich zum Beruf weitere Informationen (Stand 8/2021):

    Bautischlerinnen und Bautischler arbeiten viel mit handgeführten oder Standgeräten und -maschinen und setzen computergesteuerte Anlagen ein, erledigen etliche Tätigkeiten aber auch von Hand. Sie tragen Schutzkleidung, z. B. Helm, Arbeitshandschuhe, Sicherheitsschuhe, Schutzbrille, Atem- und Gehörschutz. Vorwiegend sind sie in Werkstätten oder Fertigungshallen sowie auf wechselnden Baustellen tätig. Laufende Maschinen erzeugen Lärm, Staub und Gerüche von Leimen und Lösungsmitteln liegen in der Luft. Bei Arbeiten im Freien ist man der Witterung ausgesetzt, in Rohbauten kann es zugig sein. Körperlicher Einsatz ist erforderlich, wenn z. B. schwere Bauteile zu heben sind. Mitunter arbeiten Bautischlerinnen und Bautischler in unbequemen Haltungen, etwa kniend, gebückt oder über Kopf. Sie benötigen handwerkliches Geschick und eine sorgfältige und exakte Arbeitsweise. Oft arbeiten sie im Team mit anderen handwerklichen Fach- und Hilfskräften. Die Bedienung computergesteuerter Holzbearbeitungsmaschinen erfordert technisches Verständnis. Bei Montageeinsätzen auf überregionalen Baustellen können sie auch über einen längeren Zeitraum von ihrem Wohnort abwesend sein.

    Zu den Arbeitsbedingungen im Einzelnen führt das BERUFENET Folgendes aus:

  • Arbeit mit technischen Geräten, Maschinen und Anlagen (Einstellen, Bedienen und Steuern von computergestützten Holzbearbeitungsmaschinen),
  • Handarbeit (z. B. Holzbauteile für Fenster, Türen, Treppen, Schalungen, Trennwände und Einbaumöbel montieren),
  • Tragen von Schutzkleidung, -ausrüstung (z. B. Schutzbrille und Arbeitsschuhe, ggf. Gehör- oder Mundschutz),
  • Arbeit auf Baustellen,
  • Arbeit in Werkstätten, Werk-/Produk­tionshallen (in der Tischlerwerkstatt),
  • Arbeit bei Rauch, Staub, Gasen, Dämpfen (Holzstaub),
  • Arbeit unter Lärm (Maschinenlärm),
  • Gruppen-, Teamarbeit (z. B. bei der Montage von schweren Bauelementen),
  • Arbeit unter Zwangshaltungen (z. B. gebückt, hockend und über Kopf arbeiten),
  • schweres Heben und Tragen (z. B. schwere Bauteile),
  • häufige Abwesenheit vom Wohnort (auf Baustellen im In- und Ausland),
  • Kundenkontakt (Kunden bei Auftragsarbeiten beraten und informieren).
  • Damit ergeben sich nach Erfahrungswerten und in der Gefährdungsbeurteilung der auftretenden Belastungsarten bei Anwendung der für die jeweilige Belastungsart spezifischen Leitmerkmalmethoden orientiert folgende Ergebnisse:

    1) Manuelles Heben, Halten und Tragen von Lasten (LMM-HHT)

    Hier ist das Beladen von Maschinen eine häufige Tätigkeit der Bautischlerin und des Bautischlers, dabei sind Teile typischerweise zwischen 5 und 20 Kilo schwer, gelegentlich auch schwerer. Nach Leitmerkmalmethoden ergibt sich für das Heben vorgebeugt vom Boden hier auch bei Berücksichtigung von gutem Arbeitsschutz mit wenigen ungünstigen Bewegungen mit 50 Bewegungen von 15–20 Kilogramm pro Tag für Männer mit einer Bewertung mit 42 Punkten, und damit noch eine gerade mäßige Beanspruchung (20–49 Punkte), für Frauen eine wesentlich erhöhte Beanspruchung mit 70 Punkten.

    2) Manuelles Ziehen und Schieben von Lasten (LMM-ZS)

    Dies kommt typischerweise mit Hubwagen
    oder Sackkarren vor, die Arbeitsbedingungen sind in Werkstätten günstig, an Baustellen ergeben sich meist nur leichte Schwierigkeiten, sodass von günstigen Bedingungen hier ausgegangen werden kann. Es stellt auch nicht die Haupttätigkeit der Bautischlerin und des Bautischlers dar. Nach Leitmerkmalmethode werden hier nur geringe Punktzahlen erreicht, die Belastung beim manuellen Ziehen und Schieben von Lasten
    ist gering.

    3) Manuelle Arbeitsprozesse (LMM-MA)

    Bei Montagearbeiten und Schneiden kommt man bei relevanter Dauer der Tätigkeit am Arbeitstag hier bei bereits mittleren Kräften der Hände nach Leitmerkmalmethoden in einen wesentlich beanspruchenden Bereich.

    4) Ausübung von Ganzkörperkräften (LMM GK)

    Ganzkörperkräfte sind in der Tätigkeit als Bautischlerin und Bautischler seltener, kommen jedoch vor, wenn Trennschleifer oder größere Sägen bedient werden, die Beanspruchung ist hier für Männer mäßig, für Frauen aber auch hoch, wenn man günstigere Arbeitsbedingungen unterstellt.

    5) Körperfortbewegung (LMM KB)

    Auf Baustellen werden teils längere Wege zurückgelegt, insgesamt ist jedoch Körperfortbewegung keine zeitlich wesentliche körperlich belastende Komponente der Tätigkeit als Bautischlerin und Bautischler. Dennoch ergibt die Analyse nach Leitmerkmalmethode, dass gerade, wenn beispielsweise montierte Gegenstände (25 kg) Treppen hochgetragen werden, was bei Baustellen nicht selten der Fall ist, zwar in einem geringen Umfang der Arbeitstätigkeit vorkommt, dies jedoch dann eine erhebliche Belastung darstellt, schnell mittelgradige bis wesentliche Belastungen gegeben sind.

    6) Körperzwangshaltungen (LMM KH)

    An Maschinen und ohne ungünstige Mon­tagesituationen ergeben sich hier in der Analytik (leichte Vorbeugung an der Maschine, teils auch ungünstige Körperhaltungen) schnell wesentliche Beanspruchungen, die nur einen geringen Zeitraum von Zwangshaltungen pro Tag erlauben, ohne in eine Gefahrensituation zu kommen. Zwangshaltungen sind als Bautischler eine gefährliche Beanspruchung.

    Selbst bei günstigen Arbeitsbedingungen und entsprechendem Arbeitsschutz ist der Beruf der Bautischlerin und des Bautischlers in der Summe daher körperlich anspruchsvoll. Dies ist gerade nach Leitmerkmalmethoden gut abzuleiten.

    Berufskundlich muss bei einer Bautischlerin und einem Bautischler auch berücksichtigt werden, dass stets beide Arme und Schultern im Einsatz sind und exakte Sehfähigkeiten von Nöten, um entsprechende Schneidemaschinen und Sägen einzustellen und zu bedienen.

    Weitere wesentliche Gefährdungen führt hier das Lexikon der Belastungen und Gefährdungen von Landau und Pressel (2008) für dieses Beispiel Bauarbeiterin und Bauarbeiter bzw. Bautischlerin und Bautischler ab Seite 101 auf, die hier unbedingt als mögliche Ausschlusskriterien ergänzend zu berücksichtigen sind, u. a. Staub und Atembeschwerden (asbestbedingte Erkrankungen) oder Gleichgewichthalten zum Arbeiten auf Leitern und Gerüsten oder Lärm durch Sägen oder Witterungseinflüsse auf Baustellen mit Zugluft sowie ein extrem erhöhtes Unfallrisiko.

    3.5.2 Psychische Anforderungen

    Eine im psychischen Bereich gebündelte Analytik ist dabei mit dem Mini-ICF-APP (Work) (Linden et al. 2015; Muschalla 2018a, b) verfügbar. Für den körperlichen Bereich ist hier noch kein entsprechendes ICF-basiertes Instrument publiziert worden, es greifen aber die in den letzten Jahren im Projekt MEGAPHYS entwickelten neuen Leitmerkmalmethoden für die verschiedenen körperlichen Belastungsarten.

    Im psychischen Bereich wurde zur Vereinfachung der Analytik von Fähigkeiten nach ICF das Mini-ICF-APP entwickelt, ein Instrument zur gebündelten Bewertung von kontextadjustierten Fähigkeitsressourcen und -beeinträchtigungen (Linden et al. 2015). Dieses hat in die Begutachtung in verschiedenen Rechtsgebieten Eingang in die Leitlinie der medizinischen Fachgesellschaften gefunden (Widder 2019, AWMF-Registernummer 058/029, Teil I, S. 4). Eine ICF-basierte Betrachtung ist aber nicht nur im psychischen Bereich Standard, sondern allgemeines Instrument der medizinischen Begutachtung (Marx u. Gaidzik 2019, AWMF-Registernummer 094-001, S. 14). Da die berufskundliche Tätigkeit dadurch häufig mit Bewertungen auf dieser Grundlage konfrontiert ist, ist eine Antwort in der gleichen Strukturebene sinnvoll, d. h. der Abgleich von Anforderungen und medizinisch bedingten Fähigkeitseinschränkungen im Sinne der ICF-Ebene Aktivitäten und Fähig­keiten.

    Zur Erfassung der Arbeitsanforderungen auf Fähigkeitsebene wurde – analog zum etablierten Fähigkeits-Assessment Mini-ICF-APP (Linden et al. 2015; AWMF 2019) – ein Instrument zur Exploration von Arbeitsanforderungen entwickelt und validiert, das Mini-ICF-APP-Work (Muschalla 2018a, b). Das Mini-ICF-APP-Work macht Bewertungen über das Ausmaß von Fähigkeitsanforderungen in einer beruflichen Tätigkeit möglich, mithilfe derselben Fähigkeitsdimensionen wie beim Fähigkeitsbefund der Person (Mini-ICF-APP, Linden et al. 2015). Fähigkeitsanforderungen können daher mit Einschränkungen gut abgeglichen werden (Grömer et al. 2021; Muschalla 2023).

    Im Mini-ICF-APP-Work werden Beispiele für Fähigkeitsanforderungen und deren Ausprägung formuliert. Grundlegende Ankerbeispiele zum Ausmaß von Anforderungen in Tätigkeiten und Berufen wurden bereits entworfen (Grömer et al. 2021, ➥ Tabelle 7).

    Für die berufskundliche Analytik ist danach wichtig, dass Anforderungen auf die gesamte berufliche Tätigkeit hin beschrieben werden, weniger auf einzelne Teiltätigkeiten bezogen, um die Gutachten bündig zu halten.

    Aus berufskundlicher Sicht sind Tätigkeiten mit erheblichen psychischen Anforderungen beispielsweise Tätigkeiten mit hoher Arbeitskomplexität, geringem Handlungsspielraum, hoher Dauer und hohen Anforderungen an die Qualifikation sind. Dies deckt sich mit den im Mini-ICF-APP-Work enthaltenen Parametern. Auch Lärm und ungünstige physikalische Bedingungen zählen zu den psychischen Belastungsfaktoren, wie auch das Führungsverhalten der Vorgesetzten, zu denen sich der Beschäftigte verhalten muss, oder auch strukturelle Veränderungen innerhalb der Firma (Roßbach in Letzel u. Nowak 2020, A II-1). Dabei sind das Führungsverhalten oder strukturelle Veränderungen keine im engeren Sinne berufsbezogenen Faktoren, für aber die konkrete Arbeitsausübung dennoch oft von Bedeutung. Im Einzelfall ist daher deren Berücksichtigung zu klären.

    Eine Übersicht über geistige Beanspruchungen bei einzelnen Tätigkeiten findet sich auch nach Klosterkötter 1964 im Handbuch der Arbeitsmedizin in der aktuellen Auflage (A I-1.1). Hier sind Beispiel Reinigungsarbeiten wie Putzen, Staub wischen und Kehren gering geistig beanspruchen, hingegen das Geld zählen oder Schreibmaschinenschreiben mit höherer geistiger Beanspruchung verbunden.

    In aktuelleren Arbeiten wurden Determinanten ungünstiger psychischer Arbeitsbedingungen zusammengetragen, die wichtig, aber oft nicht berufsimmanent sondern betriebsimmanent sind (Wieland et al. 2020, A III – 5.4)

    Tabelle 7:  Ankerbeispiele zu hohen oder geringeren Fähigkeitsanforderungen im Sinne des Mini-ICF-APP-Work (Grömer et al. MedSach, 04/2021)

    Tabelle 7: Ankerbeispiele zu hohen oder geringeren Fähigkeitsanforderungen im Sinne des Mini-ICF-APP-Work (Grömer et al. MedSach, 04/2021)

    3.6 Zumutbarkeit

    Die berufskundliche Gutachterin und der berufskundliche Gutachter werden oft Aussagen dazu machen müssen, inwiefern Tätigkeiten noch ausführbar oder zumutbar sind (Schlick et al. S. 134; nach Kirchner 1972, Rohmert 1983; s. auch ➥ Tabelle 8).

    In Bezug auf die medizinische Erträglichkeit und Zumutbarkeit gilt es, Belastungen, Beanspruchungen und Gefährdungen zu unterscheiden (Landau u. Pressel 2008, S. 23). Hier ist die Grundlage das Belastungs-Beanspruchungskonzept von Rohmert 1984, das bis heute verwendet wird (ebd, S. 23; Roßbach in Letzel u. Nowak, A II -1; Nübling in Letzel u. Nowak, A III 5.2).

    Belastungen sind dabei alle Einflüsse, die von außen einwirken. Sie sagen zunächst noch nichts über eine gesundheitliche Gefährdung aus. In der Arbeitsmedizin spricht man daher von der Beanspruchung des Organismus, um dem Faktor gerecht zu werden, dass mit zunehmender Dosis das Schadensrisiko steigt. Hier werden deswegen auch Grenzwerte formuliert, wie beispielsweise der MAK-Wert. Erst wenn die im jeweiligen Organismus determinierte Beanspruchbarkeit überschritten wird, spricht man von einer Überbeanspruchung, wird die Grenze zu einer möglichen Schädigung erreicht.

    Eine allgemeine mehr als individuelle Gefährdung liegt dann vor, wenn statistische Untersuchungen (z. B. MEGAPHYS) ergeben, dass mit bestimmten Einwirkungen ein überdauerndes Risiko verbunden ist, was beispielsweise bei der Formulierung von Berufskrankheiten berücksichtigt wird. Bekannten Gefährdungen wird im Arbeitsschutz Rechnung getragen.

    Eine individuelle Gefährdung kann hingegen vorliegen, wenn körperliche oder psychische Einschränkungen dazu führen, dass sich der Gesundheitszustand bei fortgesetzter Arbeitstätigkeit verschlechtert.

    Von Erträglichkeit – sprich gesundheitlicher Zumutbarkeit – von Arbeit spricht man daher, wenn sie unter den für sie üblichen Bedingungen über einen längeren Zeitraum durchgeführt werden kann, ohne dass es zu (weiteren) Schädigungen kommt (Schlick et al. 2017, S. 46). Dies entspricht der höchstinstanzlich formulierten Zumutbarkeit, nach der ungelernte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, die den körperlichen und geistigen Kräften entsprechen, zumutbar sind (BSG, Urteil vom 23.06.1981 - 1 RJ 72/80).

    Neben dieser medizinischen Erträglichkeit gibt es auch die soziale Zumutbarkeit, die beispielsweise mit dem Mehrstufenschema des BSG im Sozialrecht berücksichtigt wird (s. unten). Auch gelten hier die Vorgaben von § 140 SGB III (Arbeitsförderung – zumutbare Beschäftigungen).

    Tabelle 8:  Beurteilungsebenen menschlicher Arbeit (aus Schlick et al. 2018)

    Tabelle 8: Beurteilungsebenen menschlicher Arbeit (aus Schlick et al. 2018)

    3.7 Eignung für einen Beruf

    Die Eignung von Mitarbeitenden ist eine kritische Größe, die vor allen Dingen bei Einstellungen und Personalentscheidungen eine Rolle spielt.

    Nach DIN 33430 ist Eignung der Grad der Ausprägung, in dem eine Person über die Eignungsmerkmale verfügt, die Voraussetzung für die jeweils geforderte berufliche Leistungshöhe sind und Zufriedenheit mit dem zu besetzenden Arbeitsplatz, dem Aufgabenfeld, der Ausbildung bzw. dem Studium oder dem Beruf ermöglichen (Ackerschott et al. 2016, S. 4). Die DIN orientiert sich damit an der arbeitswissenschaftlichen Definition von Kirchner und Rohmert.

    Für diese kritischen, auch für die Gesellschaft wichtigen Entscheidungen war die DIN 33430 2002 verabschiedet worden, 2016 revidiert. Ein ISO-Standard existiert, auch durch die DIN 33430 getragen, gilt jedoch als USA-spezifisch (Ackerschott et al. 2016, S. 7).

    In der Eigungsbeurteilung wird wie auch in anderen berufskundlichen Klärungen ein Abgleich von Anforderungen und Eignungsmerkmalen vorgenommen. Im Gegensatz zu typischen berufskundlichen Fragestellungen ist es jedoch so, dass mit der Eignungsbeurteilung der Auswahlprozess begleitet wird. Die Aspekte der generellen Eignungsprüfung und -auswahl zu kennen ist für den berufskundlichen Gutachter nicht unwesentlich, da die Struktur auch der Sachaufklärung in Fragen der Eignung auch Auskunft darüber gibt, inwiefern Eignung und damit auch Zumutbarkeit zu beurteilen sind.

    Eignungsmerkmale nach DIN 33430 sind Qualifikationen, Kompetenzen und Potenziale sowie berufsbezogene Interessen, Bedürfnisse, Werthaltungen, Motive und andere relevante Merkmale einer Person, die die Voraussetzung für die jeweils geforderte berufliche Leistungshöhe und die berufliche Zufriedenheit sind (Ackerschott et al. 2016, S. 9).

    Qualifikationen umfassen dabei dokumentierte und von anderen bewertete Leistungen in der Form etwa von Zeugnissen oder Zertifikaten. Qualifikationen sind Hinweise auf Kompetenzen und müssen im Zweifelsfall, so nicht weitere Informationen vorliegen, herangezogen werden.

    Kompetenzen sind komplexer. Sie sind die Realisierung von Inhalten von Qualifikationen und letztlich von diesen unabhängig. So kann ein Mensch sich auch abseits von Zertifikaten einerseits Kompetenzen aufbauen, was nicht selten in einem ganz maßgeblichen Umfang geschieht. Andererseits kann es auch wiederum sein, dass trotz bestehender Qualifikationen die Kompetenz gering ist, im Laufe der Zeit verloren ging oder sogar nur eine Punktleistung
    darstellte.

    In der Überprüfung von Kompetenzen in Bezug auf Anforderungen und Berufsfachlichkeit und deren Niveau werden die berufskundliche Gutachterin und der berufskundliche Gutachter dabei auf die Stufen von KldB und DQR zurückgreifen können, damit der Forderung der Nachvollziehbarkeit in einem Auswahlverfahren, insbesondere nach der DIN 33430 gerecht werden.

    Der Kompetenzkatalog des BERUFENET der Bundesagentur für Arbeit unterscheidet grundsätzlich folgende Kompetenzarten (KldB 2010 [2020], Band 1, S. 29):

  • Allgemeine Kompetenzen
  • Sprachkenntnisse
  • Arbeits- und Einsatzformen
  • Waren- und Produktkenntnisse
  • Lizenzen, Berechtigungen, Führerscheine
  • Soft Skills
  • Arbeitsorte
  • Branchen
  • Der Begriff Kompetenz wird auch im Bedeutungssinne einer fachlichen Zuständigkeit, die zur Aufgabenerfüllung erforderlich ist, gebraucht (Olfert u. Steinbuch, 2015, S. 287 f.).

    In der KldB werden Kompetenzen und Qualifikationen nicht getrennt. In der Eignungsdiagnostik muss hier insofern unterschieden werden, da nicht die Qualifikation (wie sie etwa für die Vermittlung wesentlich ist), sondern die reale Fähigkeit zur Ausführung als Kompetenz zählt. Berufskundlich ist daher in einem solchen Fall zwischen den Ebenen in der Eignungsdiagnostik zu differenzieren, sind ggf. Vorschläge zu machen, welche Kompetenz notwendig ist und wie die tatsächliche Kompetenz überprüft werden kann.

    Im Bereich des Potenzials wird die Ausschöpfung von Möglichkeiten wie auch die dafür vorhandene Motivation wesentlich. Hier ist die Einstufung von einer Vielzahl von Faktoren abhängig, letztlich von der Analyse der individuellen Leistungsmotivation.

    Im Sinne der DIN 33430 sind die berufskundliche Gutachterin und der berufskundliche Gutachter, so sie und er Eignungs­aspekte gefragt werden, meist mit einer individuellen Betrachtung betraut, damit Dienstleisterin und Dienstleister und Eignungsdiagnostikerin und -diagnostiker. Wie auch die Gutachterin und der Gutachter in Entscheidungen stets nur unterstützten, versteht sich auch die DIN 33430 als eine Entscheidungen stützende Vorgehensweise. Entscheidungen aufgrund von Begutachtungen im Bereich der Berufskunde sind Sache des Auftraggebenden. Die Rolle der Gutachterin und des Gutachters ist es dazu Informationen aufzubereiten und Einschätzungen vorzunehmen.

    Erkenntnismittel in der Eignungsdiagnostik sind die Dokumentenanalyse, direkte mündliche Befragungen, Verfahren zur Verhaltensbeobachtung und Verhaltensbeurteilung sowie jeweils messtheoretisch fundierte Fragebogen und Tests.

    In Bezug auf die einfache Vergleichbarkeit von Schul- und Arbeitszeugnissen ergeben sich dabei bekannte erkenntnistheoretische Schwierigkeiten. Gerade auch deswegen werden wissenschaftlich nachvollziehbare Methoden bei der Eignungsbeurteilung als wesentlich angesehen (Verfahren vorher wie auch die Kriterien festzulegen beispielsweise).

    Für die normgerechte Eignungsdiagnostik wird dabei keine generell anzuwendende Vorgehensweise oder Methodik vorgeschrieben. Es existieren vielfältige Instrumente und Tests. Sogenannte Anforderungs-, Fähigkeitsabgleiche wurden beispielsweise von Landau und Brauchler nach der Jahrtausendwende publiziert und inzwischen weiterentwickelt (Brauchler 2019. Anforderungs-Kompetenz-Tool, online zugänglich).

    Bewährt haben sich in der Eignungsdiagnostik gestufte und multimodale Vorgehensweisen (Online-Tests, Sichtung der Unterlagen, Interview, ggf. Arbeitserprobung und Assessment zur auch fremddiagnostischen Bewertung von Parametern, insbesondere der Persönlichkeitseigenschaften). Dabei nimmt die Beurteilung unter den realen Arbeitsverhältnissen eine wichtige Rolle ein, insbesondere bei speziellen Anforderungen, die auf dem Papier schwer überprüfbar sind.

    Für einen Beruf geeignet unabhängig vom Auswahlprozess ist auch grundsätzlich, wer eine passende Ausbildung ohne besondere Schwierigkeiten erfolgreich absolvieren konnte. Die Eignung für einen Beruf wird im Ausbildungsgang durch auch eine Vielzahl typischerweise praktischer Elemente wie eine Berufstätigkeit in der dualen Ausbildung oder Praktika im Laufe der Zeit deutlich.

    Bei der notwendigen Prüfung einer Eignung im Nachhinein stellen sich schwierigere medizinische Fragen. Gerade in Fragen der Berufsunfähigkeit (Neuhaus 2020, S. 155) ergeben sich dabei wichtige Gesichtspunkte. So kann es sein, dass im Verlauf der Karriere höhere Tätigkeitsebenen mit gesundheitlichen Schwierigkeiten, insbesondere psychischen Schwierigkeiten verbunden sind, wenn die Primärpersönlichkeit für den Beruf Schwierigkeiten mit sich bringt (beispielsweise Aufstieg in höhere Verantwortung bei selbstunsicherer Persönlichkeit). Nicht jeder Wechsel erfolgt mit ausreichender etwa normgerechter Prüfung der Eignung.

    Es handelt sich bei der Bewertung der Eignung um eine interdisziplinäre medizinische und berufskundliche Frage, wobei auf Seiten der Berufskunde und Tätigkeitsanalyse das Anforderungsniveau geklärt werden kann.

    Auch bei Substanzabhängigkeiten und Delikten kann im Nachhinein die berufliche Eignung in Frage gestellt werden, was beispielsweise die Bundesärzteordnung so vorsieht. Hier ist der Sachverhalt hauptsächlich medizinisch zu klären.

    Nach gutachterlichen Grundsätzen gilt, dass eine Tätigkeit ohne schwerwiegende Probleme über einen Zeitraum von typischerweise mehr als 12–24 Monaten Eignung für einen Beruf grundsätzlich nachweist.
    Die Beweiskraft von Handlungen für deren Durchführbarkeit gilt juristisch als hoch (Blaser 2009, S. 101). Dabei muss allerdings berücksichtigt werden, ob die ausgeübte Tätigkeit nur unter unzumutbaren Schmerzen, einer unzumutbaren Anspannung der Willenskraft oder auf Kosten der Gesundheit ausgeübt wird. Auch ist zu berücksichtigen, wenn eine bisherige Tätigkeit auf einem nur „vergönnungsweise“ überlassenen Arbeitsplatz stattfand und nur so Leistungsfähigkeit oder Eignung zu bestehen schien. Eine solche Konstellation ist etwa bei einer Tätigkeit in einem Familienbetrieb oder bei einem Einsatz unter besonderen Privilegien (darf Pausen so lange machen, wie er will, unabgemeldet gehen) aus einem Abhängigkeitsgefüge heraus möglich und nicht gänzlich selten.

    4 Tätigkeitsanalyse

    Ein gutachterliches Kerngebiet ist neben der reinen Berufskunde die Tätigkeitsanalyse für individuelle Fälle. Gerade beispielsweise in Fragen der Berufsunfähigkeit ist die Tätigkeitsanalyse eine wesentliche Grundlage, auf der dann medizinische Sachverhalte diskutiert werden. Auch können medizinische Sachverhalte mit einer Tätigkeitsanalyse mit Anforderungen übereinander gepasst werden. Dieser Abgleich von Anforderungen und medizinischen Daten führt zu Aussagen über die Möglichkeit der Durchführung.

    Ähnlich wie die medizinische Aufklärung, kann die Tätigkeitsanalyse eine eingehende Befragung (im Sinne der Tätigkeits- oder Arbeitsanamnese; Vergleich Müller, Handbuch der Arbeitsmedizin 2020; A III-3.1.1) oder Erhebung (Fragebögen) und dann sachkundige Zusammenstellung verlangen.

    4.1 Methoden und Durchführung von Tätigkeitsanalysen

    Die Klassifikation der Berufe beschreibt typische Aufgaben und Tätigkeiten, wie sie in den einzelnen Berufen anzutreffen sind. In der Arbeitswissenschaft und der gutachterlichen Bewertung von Tätigkeiten wird unter der Tätigkeitsanalyse darüber hinaus die Beschreibung des jeweiligen Arbeitssystems verstanden. Ein wesentliches Konzept zur Tätigkeitsanalyse ist das von Rohmert und Landau veröffentlichte AET (1979). Rohmert hatte als Arbeitswissenschaftler Konzepte zu Belastung und Beanspruchung erarbeitet, die bis in die moderne Literatur (MEGAPHYS, 2019, Band I, S. 31) Einfluss haben. Landau veröffentlichte mit Pressel später weiter zu beruflichen Gefährdungen.

    Das AET basiert wie andere Tätigkeitsanalyse-Verfahren auf Beobachtung und Befragung (Schlick et al. 2018, S. 130). Typischerweise wird dabei der Arbeitgeber mit einbezogen. Das AET galt als relativ kompliziert und nur schwer anwendbar (vgl. Fischer et al., IAB, MittAB, 30 Jg. 2/1997, S. 409). Eine Alternative zum AET ist der Fragebogen zur Arbeitsanalyse (Frieling 1978).

    Es gibt eine Vielzahl von Verfahren, dabei keinen einheitlichen Standard (Schlick et al. 2018, S. 134). Eine gute Übersicht über Bewertungsverfahren biomechanischer Belastungen findet sich bei Takala 2010 (Takala et al. und Winkel, Scand J Work Environ Health, 2010). Hier wird beschrieben, dass viele Verfahren (u. a. AET) gut funktionieren, vergleichbare Ergebnisse liefern, keines davon Überlegenheit hat.

    Die berufskundliche gutachterliche Beurteilung in der Tätigkeitsanalyse ist dennoch wie auch die medizinische Begutachtung ein Expertenverfahren, das hauptsächlich für den individuellen Einzelfall geeignet ist.

    Der berufskundliche Gutachter muss bei der Tätigkeitsanalyse in einem ersten Schritt beurteilen, ob schon ausreichende Informationen zum Arbeitssystem vorliegen.

    In der Sozialgerichtsbarkeit wird in den gegenwärtig abebbenden Verfahren nach § 240 SGB VI (Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit) häufig beim Arbeitsgeber über aus Erfahrung gewachsene Fragebögen ein Tätigkeitsprofil der bisherigen Tätigkeit und der zu prüfenden Verweisungstätigkeiten nachgefragt. Fragebogen-Erhebungen finden sich in Sozial­gerichtsverfahren aber auch bei Fragen der Arbeitsunfähigkeit, da hier die individuelle Tätigkeit maßgeblich ist.

    Dabei sind typischerweise die Fragen in Fragebogenerhebungen in Bezug auf Arbeitsschwere und Arten der Tätigkeiten nur orientierend.

    In zivilrechtlichen Streitsachen zur Frage von Berufsunfähigkeiten wird regelhaft hingegen ein detailliertes Tätigkeitsprofil zwischen den Parteien verhandelt.

    Bei der Leistungsprüfung in Fragen der Berufsunfähigkeit, werden schon im Vorfeld etwaiger Rechtsstreitigkeiten durch Versicherungen Tätigkeitsprofile mit Fragebögen an Arbeitnehmer, Selbständige und Beamte sowie nicht selten auch an Arbeitgeber aufgeklärt.

    Die berufskundliche Gutachterin oder der berufskundliche Gutachter muss, wenn gefragt, diese Informationen sichten. Wird sie/er im Bereich Tätigkeitsanalyse gefragt, so kann sie/er entweder anhand der z. B. aus Fragebögen verfügbaren Informationen eine Tätigkeitsanalyse mit gängigen Tätigkeitsbeschreibungen erstellen, eine Exploration bei der/dem Arbeitnehmendem oder Arbeitgebendem vornehmen oder sogar die Arbeitsstelle selbst begehen.

    Das Zusammentragen der Informationen in ein Tätigkeitsprofil, aus dem sich Anforderungen ableiten lassen, ist eine berufskundlich wichtige Tätigkeit. Die Gutachterin/der Gutachter schafft damit die Grundlage, um medizinische Bewertungen entweder zu ermöglichen oder schon bestehende medizinische Informationen in ihren Konsequenzen auf die Tätigkeit einzuordnen.

    Eine berufskundliche Tätigkeitsanalyse resultiert in einer Beschreibung des Arbeitssystems und Liste an Tätigkeiten, wie sie in dem Beruf ausgeführt werden. Die Beschreibung sollte orientiert nach Arbeitssystemanalysen auch Angaben zu Häufigkeiten und Zeitanteilen sowie zur Arbeitsschwere machen. Dabei ist der Detailgrad der Beschreibung von Tätigkeiten nach Nützlichkeit zu wählen. Orientieren sollten sich die Beschreibungen von Tätigkeiten an denen aus der KldB oder Beschreibungen im BERUFENET, was den Detaillierungsgrad und die verwendeten Begrifflichkeiten angeht. Die berufskundliche Tätigkeitsanalyse erfordert eine Auswahl ausreichender Details für die Beantwortung von Fragen und gutachterlicher Bündigkeit. Prägende und Kerntätigkeiten sind zu benennen.

    Nicht selten sind Tätigkeiten von Berufstätigen individuell und vielfältig, müssen unterstrukturiert werden, um dem Lesendem und Bewertenden eine Durchdringung zu erlauben.

    4.2 Gutachterliche Tätigkeitsanalyse

    Anders als das Professiogramm, das Tätigkeiten eines Berufes im Allgemeinen aufführt, in der KldB auch administrative Tätigkeiten in Berufen oft ausspart, beschäftigt sich die gutachterliche Tätigkeitsanalyse mit dem individuellen Tätigkeitsprofil im Detail, konkret, weniger abstrahierend.

    In der gutachterlichen Tätigkeitsanalyse muss letztlich ein prägnant nachzuvollziehendes, allgemeinverständliches Profil dargestellt werden. Berufe können dabei einfach nachzuvollziehende oder aber sehr komplexe Profile (zahlreiche unterschiedliche Teiltätigkeiten) haben. Allein die Darstellung in einer geeigneten Übersicht ist daher eine Kernleistung, wenn das Profil durch die Gutachterin und den Gutachter erstellt wird. Die meisten beruflichen Tätigkeitsprofile lassen sich erfahrungsgemäß in der Regel mit unter 10 Einzeltätigkeiten mit hoher zeitlicher Deckung abbilden, bündeln dann Detailtätigkeiten. Dieses Prinzip ist gewachsen, in KldB und AET realisiert.

    Die Beschreibung von Tätigkeiten ist auch ein Problem der Näherung in Bezug auf die Zergliederung von Tätigkeiten in einzelne Schritte, vergleichbar mit der Problematik des Abtastens (Sampling-Theorem, Nyquist). Das bedeutet, dass ein Grad an Details in der Tätigkeitsbeschreibung verwendet werden muss, der ökonomisch ist (die Gutachterin und der Gutachter müssen sich auf das Notwendige beschränken) und gleichzeitig sicherstellt, dass nicht etwas Wesentliches vergessen wird.

    Das Problem der Zergliederung oder des Detaillierungsgrades von Tätigkeiten ist dabei darüber hinaus ganz wesentlich für deren weitere Bewertung. Mit zunehmendem Zergliederungsgrad nehmen beispielsweise die Komplexität und Anforderungen einer dann immer geringeren Teiltätigkeit immer weiter ab.

    Ein angemessener Detaillierungsgrad in der Analytik von Arbeitsprozessen und Tätigkeiten hängt von der Fragestellung ab und muss ökonomisch sein (Termer et al. 2012, S. 54; Becker et al. 1995). Die Auswahl der Detaillierung ist demnach ein komplexeres erkenntnistheoretisches Problem. Diesem begegnen die Gutachterin und der Gutachter durch eine geeignete der Fragestellung angepasste Auswahl, die vor allem den jeweiligen Engpass der Fähigkeitseinschränkung auf der Tätigkeits- bzw. Belastungsseite fokussiert und Ausschlusskriterien wie z. B. „Heben und Tragen über 15 kg Gewicht 25-mal täglich erforderlich“ deutlich aufzeigt.

    Bei der Beschreibung von Tätigkeiten ist die Beschäftigung mit zyklischen (wiederkehrenden) Elementen (vgl. Gummersbach et al. Produktionsmanagement, REFA-Schriftenreihe 2012) hier sinnvoll. Welche Elemente sind wiederkehrend, prägen die Tätigkeit und lassen sich in einer geeigneten Gesamtheit anschließend in ihren Anforderungen nach ICF bewerten? Beispiele für zyklische Elemente einer Tätigkeit sind etwa im Bereich Kfz-Reifenwechsel bei Fahrzeugen. Man würde die Tätigkeit Reifenwechsel dann nicht für jeden einzelnen Reifen, der gewechselt wird gesondert aufführen, sondern den Reifenwechsel eines Fahrzeugs als Tätigkeit im Tagesprofil aufführen, die Zeitdauer bestimmen.

    Da es leider keinen Standard gibt, auch Literatur teilweise etwas schwer zu beschaffen ist (AET), werden nachfolgend unter Berücksichtigung der Literatur zur Arbeitsanalytik konkrete Vorschläge für die Erarbeitung eines Tätigkeitsprofils durch die berufskundliche Gutachterin und den berufskundlichen Gutachter gemacht. Grundsätzlich sollen sich die Bezeichnungen von Tätigkeiten an der KldB beziehungsweise an der Hilfsklassifikation der Tätigkeiten, mit der diese arbeitet (Schierholz et al. 2018) orientieren.

    4.3 Aufbau einer gutachterlichen Tätigkeitsanalyse

    4.3.1 Einleitung der gutachterlichen Tätigkeitsanalyse

    Um eine Tätigkeitsanalyse nach gutachterlichem und damit wissenschaftlichem Standard aufzubauen, empfiehlt sich ein einleitender Abschnitt, der die Tätigkeit prägnant und zusammenfassend kurz beschreibt, als Beruf oder berufsähnlich einordnet (vgl. DFG, Regeln guter wissenschaftlicher Praxis).

    4.3.2 Tätigkeitsanalytische Rahmen­angaben zum Arbeitssystem

    Analog zur AET wird im nächsten Schritt auf das Arbeitssystem eingegangen. Die Arbeitsobjekte (Stoffe, Energien, Informationen, Menschen, Pflanzen) werden benannt, die Arbeitsmittel (Werkzeuge, Möbel und räumliche Infrastruktur (Arbeitsraum)) und wenn zur Charakterisierung erforderlich physikalische Parameter wie Beleuchtung.

    4.3.3 Arbeitsorganisatorische Angaben

    Es folgen allgemeine Angaben zur zeitlichen Organisation. Wochenstunden, Stunden pro Arbeitstag, Schichtarbeit und Pausen werden beschrieben. Gegebenenfalls wird auch die Besetzung in Teams beschrieben (beispielsweise in der Krankenpflege).

    4.3.4 Ökonomische Rahmenbedingungen

    Hier wird das Einkommen durch die Arbeit, ggf. eine Einordnung nach Tarif beschrieben.

    4.3.5 Erarbeitete Liste der Tätigkeiten

    Analog zur AET-Analytik werden hier Tätigkeiten benannt. Dabei sollen, so der Beruf dies mit sich bringt, typischerweise nicht mehr als zehn wesentliche Tätigkeiten konkreter ausgeführt werden. Vorrang ist den zeitlich wie inhaltlich prägenden Tätigkeiten zu geben. Jede Tätigkeit wird benannt (KldB/Hilfsklassifikations-Nomenklatur), in ihrem zeitlichen Umfang absteigend dargestellt.

    In dieser gutachterlichen Kernaufgabe soll ein Profil niedergelegt werden, das so als berufliche Gesamttätigkeit funktioniert. Nach den ausgearbeiteten Tätigkeiten können weitere die Tätigkeit prägende seltene oder zeitlich nicht mehr bedeutsame weitere Tätigkeiten ohne dann Detailanalytik benannt werden. Damit wird die Balance zwischen ökonomischer und vollständiger Darstellung gehalten.

    4.3.6 Weiterführende Bewertungen aus der Tätigkeitsanalyse

    Häufig wird nicht nur ein Tätigkeitsprofil nachgefragt, sondern auch eine Analytik der Anforderungen. Diese geschieht in Bezug auf Tätigkeiten analog der berufskundlichen Analytik, muss sich jedoch mit jeder der Tätigkeiten grundsätzlich im Einzelnen auseinandersetzen, wenn beispielsweise der Grad der Berufsunfähigkeit von ihr ausgehend geschätzt werden soll.

    Einschränkungen in Tätigkeiten können dabei orientiert an die Übereinanderpassung nach ICF bewertet werden (Grömer et al. 2021).

    Tabelle 9:  Realbeispiel „Tätigkeitsprofil einer Hörgeräteakustikermeisterin“ zu 4.3.5 Erarbeitete Liste der Tätigkeiten

    Tabelle 9: Realbeispiel „Tätigkeitsprofil einer Hörgeräteakustikermeisterin“ zu 4.3.5 Erarbeitete Liste der Tätigkeiten

    5 Spezielle berufskundliche und tätigkeitsanalytische Fragestellungen

    5.1 Sozialrecht

    In verschiedenen Bereichen des Sozialrechts sind Fragen mit Berufsbezug ganz wesentlich. Dies betrifft nicht nur die Minderung der Erwerbsfähigkeit (SGB II, SGB VI), sondern insbesondere auch Belange der Verfügbarkeit (§ 138 SGB III) oder Arbeitsfähigkeit (SGB V). Die Berufskunde spielt hier eine besondere Rolle (vgl. Widder u. Gaidzik 2018, 12.4.1.4, „Das Problem Berufskunde“).

    5.1.1 Arbeitsunfähigkeit nach § 92 SGB V durch die Richtlinie des gemeinsamen Bundesausschusses

    Gemäß der aktuellen Richtlinie des gemeinsamen Bundesausschusses (Fassung 14.11.2013; zuletzt geändert am 19.11.2021) liegt Arbeitsunfähigkeit vor, wenn Versicherte auf Grund von Krankheit ihre zuletzt vor der Arbeitsunfähigkeit ausgeübte Tätigkeit nicht mehr oder nur unter der Gefahr der Verschlimmerung der Erkrankung ausführen können. Bei der Beurteilung ist darauf abzustellen, welche Bedingungen die bisherige Tätigkeit konkret geprägt haben. Arbeitsunfähigkeit liegt auch vor, wenn aufgrund eines bestimmten Krankheitszustandes, der für sich allein noch keine Arbeitsunfähigkeit bedingt, absehbar ist, dass aus der Ausübung der Tätigkeit für die Gesundheit oder die Gesundung abträgliche Folgen erwachsen, die Arbeitsunfähigkeit unmittelbar hervorrufen.

    Hier muss im Zweifelsfall eine Tätigkeitsanalyse mit Anforderungsanalyse vorgenommen werden, um den Aspekt der Möglichkeit
    der Tätigkeit und der Gefährdung durch die Tätigkeit zu bewerten.

    5.1.2 Rente wegen Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI, Erwerbsfähigkeit nach § 8 SGB II

    Hier werden berufskundliche Fragen eher selten gestellt. Wenn es um die quantitative Leistungsfähigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes (s. auch Blaser 2009) geht, stellen sich aber immer wieder berufskundliche Fragen
    (s. oben, BSG, a.a.O., B 13 R 7/18 R). In den Ausnahmefällen einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung oder einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen muss eine zumutbare konkrete Verweisungstätigkeit benannt werden. Häufig wird dann eine berufskundliche Aufklärung erforderlich sein. Die betreffende Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt muss in relevantem Umfang (mehr als 300 Stellen im Bundesgebiet) existieren (BSG, Urteil vom 14.05.1996 - 4 RA 60/94).

    Auch in der Frage, ob Einschränkungen mit den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes kollidieren oder nicht, oder ob es sich um einen Schonarbeitsplatz handelte, kann es notwendig sein, auch berufskundliche Aussagen einzuholen.

    5.1.3 Rente wegen Berufsunfähigkeit nach § 240 SGB VI

    In Verfahren nach § 240 SGB VI wurden regelhaft berufskundliche Gutachten und Stellungnahmen mit bewertet. Versicherte, die vor dem 02.01.1961 geboren sind, haben Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung wegen Berufsunfähigkeit von der gesetzlichen Rentenversicherung, wenn sie gesundheitlich nicht mehr in der Lage sind, ihren bisherigen Beruf oder eine zumutbare Tätigkeit auszuüben. Auch hier stellt sich die Frage der Person-Tätigkeitspassung, typischerweise mit einem allgemeinen Berufsbild. Bewertungen anhand von Professiogrammen sind hier häufig zu finden und die Verweisungstätigkeit muss ebenfalls beurteilt werden.

    Häufig finden sich in den Verfahren daher berufskundliche Stellungnahmen und Gutachten zu Tätigkeiten und Verweisungstätigkeiten. Es leider keine Seltenheit, dass in der Erwerbsbiografie höhere Qualifikationen (die aus medizinischen Gründen aufgegeben wurden) übersehen wurden oder sogar § 240 SGB VI trotz Qualifikation und Alter nicht geprüft wird, beispielsweise, wenn nach der Wende eine andere Tätigkeit die Erwerbsbiografie lange Jahre prägte.

    Für die Verweisbarkeit hat das Bundessozialgericht ein Mehrstufenschema entwickelt, das Berufe klassifiziert, wie in ➥ Abbildung 2 gezeigt.

    Sozial zumutbar ist eine Tätigkeit, wenn sie im Mehrstufenschema in der gleichen Stufe wie der bisherige Beruf oder eine Stufe tiefer einzuordnen ist. Diese Verweisungstätigkeit muss dem eingeschränkten Leistungsvermögen der versicherten Person noch entsprechen. Zudem darf sie keine längere als dreimonatige Einarbeitungszeit erfordern und muss im nennenswerten Umfang tatsächlich in der Bundesrepublik Deutschland vorhanden sein.

    Zum gegenwärtigen Zeitpunkt (2023) sind Versicherte, die für diese Rente infrage kommen, mehr als 62 Jahre alt, die Verfahren nehmen daher deutlich ab. Dennoch wird auch in den nächsten Jahren ein gewisser Teil der Verfahren diese Art der Einschätzung erfordern.

    Auch ist erwartbar, dass man sich in anderen Rechtsgebieten bei der Frage einer Verweisung noch am Mehrstufenschema orientieren wird, so dass es hier wiedergegeben wird.

    5.1.4 Besonderes berufliches Betroffensein nach § 56 SGB VII

    In der gesetzlichen Unfallversicherung wird bei Minderungen der Erwerbsfähigkeit (MdE) das besondere berufliche Betroffensein berücksichtigt. Ein solches besonderes Betroffensein bildet sich dann ab, wenn die versicherte Person erworbene berufliche Kenntnisse und Erfahrungen infolge des Unfalls nicht mehr oder nur noch eingeschränkt nutzen kann und die Nichtberücksichtigung von Ausbildung und Beruf bei der Bewertung der MdE „zu einer unbilligen Härte“ führen würde (Widder u. Gaidzik 2018, Abschnitt 20.3.5.; BSG, Urteil vom 27.06.2000 – B 2 U 14/ 99 R, SozR 3– 2200 § 581 Nr. 7 (Lizenzfußballspieler)). Hier kann neben der Frage der Ausführbarkeit des bisherigen Berufs, die ein mögliches, keineswegs aber hinreichendes Merkmal für besondere berufliche Betroffenheit darstellt, berufskundlich nach der Dauer der Ausübung gefragt werden, wenn im Detail verschiedene Tätigkeitsorte und Bezeichnungen vorliegen. Auch kann die „Günstigkeit“ der Stellung im Erwerbsleben eine berufskundliche Frage sein. Bei besonderer beruflicher Betroffenheit kann eine MdE um 10–20 % erhöht werden, jedoch nur, wenn die versicherte Person nicht über Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, die Leistungseinschränkungen zu kompensieren (BSG, Urteil vom 02.11.1999 – B 2 U 49/ 98 R, SozR 3– 2200 § 581 Nr. 6, Umschulung vom Balletttänzer zum Tanzpädagogen im Rahmen der beruflichen Rehabilitation).

    5.1.5 Medizinische Rehabilitation (§ 42 SGB XI), Leitungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 49 SGB XI) und Medizinisch-beruflich orientierte Rehabilitation (MBOR)

    In Fragen der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben wird von der Deutschen Rentenversicherung eine berufskundliche Evaluation empfohlen (Leitlinien zur Rehabilitationsbedürftigkeit für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, 2005, S. 24, weiterhin ak­tuell). In der Frage zu Leistungen zur Teilhabe kann eine berufskundliche Klärung dann erforderlich sein, wenn es um deren Notwendigkeit aber auch um deren Chancen geht.

    Bei der MBOR wird Menschen im Erwerbsleben eine zugeschnittene Rehabilitation angeboten (Broschüre zur MBOR, 30.10.2019, Deutsche Rentenversicherung). Hier muss festgestellt werden, ob eine besondere berufliche Problemlage vorliegt (BBPL). Dabei ist eine Anforderungsanalytik wesentlich, die Einschränkungen und Anforderungen betrachten muss, d. h. eine Person-Tätigkeits-Passung. Ergeben sich hier unterschiedliche Auffassungen (gerade im Fall MBOR nicht unwahrscheinlich), kann eine auch berufskundliche Aufklärung sinnvoll sein.

    5.2 Zivilrecht

    5.2.1 Versicherungsdeckung bei privaten Berufsunfähigkeitsversicherungen

    Im Zivilrecht entstehen gerade im Bereich der Frage der Versicherungsdeckung bei Verträgen zur Berufsunfähigkeit oft auch berufskundliche und tätigkeitsanalytische Fragestellungen. Diese betreffen auch die Verweisung auf andere Tätigkeiten (Neuhaus 2020, S. 389, Verweis auf BGH, Beschluss vom 23.11.2016 - IV ZR 502/15, dort S. 5).

    Für die Frage der Berufsunfähigkeit müssen Unterlagen über den Beruf von der Versicherungsnehmerin und dem Versicherungsnehmer vorgelegt werden (Neuhaus 2020, S. 442). Hier erfolgt die Aufklärung häufig über Fragebögen, bis ein Stundenplan entsteht. Dadurch erfolgt eine subjektive Beschreibung des Berufs.

    Berufskundlich oder tätigkeitsanalytisch entsteht dann weiterer Klärungsbedarf, wenn ein solches Profil zu allgemein (zum Beispiel täglich 8 Stunden Tischlerarbeiten) oder zu schwierig zu interpretieren ist (zahlreiche Abkürzungen werden verwendet, die beispielsweise in IT-Berufen Vorgänge wiedergeben).

    Mit diesen beruflichen Profilen arbeiten in der Regel medizinische Gutachterinnen und Gutachter und werden auch nach einer Einschätzung der Berufsunfähigkeit gefragt, ohne dass diese jedoch im Einzelfall mit den Anforderungen vertraut sind, so dass hier eine oft unterschätzte Diskrepanz entsteht. Sind Fragen zu den Tätigkeiten und deren Anforderungen strittig, kann ein berufskundliches und tätigkeitsanalytisches Gutachten vor allem notwendig werden. Ein solches Gutachten bündelt die Tätigkeiten (s. oben), gibt den medizinischen Gutachterinnen und Gutachtern dann eine Übersicht über Anforderungen körperlicher und psychischer Natur.

    Gerade auch bei Fragen im Bereich der Zivilgerichtsbarkeit kann eine berufskundliche Klärung erforderlich werden, um dann teils extrem detaillierte Arbeits-Profile zu vereinfachen, die Anforderungen herauszuarbeiten und zur medizinischen Sachaufklärung beizutragen.

    Sollen sich vom Gericht beauftragte medizinische Sachverständige zur gesundheitlichen Ausübbarkeit von Verweisungstätigkeiten äußern, müssen sie wissen, welchen außermedizinischen Sachverhalt sie zugrunde zu legen haben. Wegen der Vor­tragslast obliegt es dem Versicherer, darzulegen, welche Merkmale (Arbeitsbedingungen, Arbeitsplatzverhältnisse, Arbeitszeiten, erforderliche Tätigkeiten und Kräfte, Einsatz von Hilfsmitteln) diese Tätigkeit prägen (u. a. BGH, Urteil vom 23.01.2008 – IV ZR 10/07).

    Abb. 2:  Mehrstufenschema zur Verweisbarkeit (Quelle: Deutsche Rentenversicherung Bund, frei online zugänglich unter https://rvrecht.deutsche-rentenversicherung.de/Verteilung/Technisches/Bilder/lokal/1259908_gra_sgb006_p_0240_1554715877906.jpg?__blob=normal&v=11 (abgerufen am 07.05.2023)

    Abb. 2: Mehrstufenschema zur Verweisbarkeit (Quelle: Deutsche Rentenversicherung Bund, frei online zugänglich unter https://rvrecht.deutsche-rentenversicherung.de/Verteilung/Technisches/B… (abgerufen am 07.05.2023)

    5.2.2 Frage der Erwerbsfähigkeit in Unterhaltsverfahren

    Auch in anderen Rechtsgebieten wie dem Familienrecht stellt sich nicht selten die Frage, ob Antragstellende noch in ihrem Beruf arbeiten können und auch hier wie in Fragen der Berufsunfähigkeit kann es erforderlich werden, ein Tätigkeitsprofil mit gutachterlichem Standard zu erstellen.

    5.3 Typische Fragestellungen an den Gutachter für Berufskunde und Tätigkeitsanalyse

    5.3.1 Erarbeiten eines Tätigkeitsprofils als Grundlage für die medizinische Begutachtung

    Nicht selten sind medizinische Gutachterinnen und Gutachter mit der Bewertung von Tätigkeiten nicht vertraut und verweisen in Verfahren darauf, dass berufskundlich aufgeklärt werden muss.

    Dies ist im Sinne der Rechtsprechung, die berufskundliche Ermittlungen bei der Frage von Anforderungen einer beruflichen Tätigkeit vorsieht (BSG, Urteil vom 08.10.1992 – 13/5 RJ 24/90).

    Dabei beschreiben die berufskundlichen Gutachterinnen und Gutachter entweder Anforderungen eines konkreten Berufsbilds (Verweisungstätigkeit in Verfahren nach § 240 SGB VI), das anschließend durch medizinische Gutachterinnen und Gutachter in den jeweiligen Fachgebieten bewertet wird, oder analysiert die konkrete Tätigkeit einer Person (Frage der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung). Aufgabe eines solchen berufskundlichen Gutachtens ist es, den Beruf und die Tätigkeiten anschaulich darzustellen und Angaben zu den Anforderungen zu liefern.

    Sinnvoll ist für unterschiedliche Verfahren dabei, Empfehlungen für Fragen zu formulieren (vgl. Francke et al. 2017)

    Auftraggebende können den berufskundlichen Gutachterinnen und Gutachtern beispielsweise folgende Fragen stellen:

    Berufsbild:

  • Bitte beschreiben Sie das Berufsbild eines <Berufsbezeichnung>
  • Welche Tätigkeiten sind für den Beruf prägend?
  • Bitte geben Sie für jede der Tätigkeiten die mit ihnen verbundenen mentalen und körperlichen Anforderungen (keine, gering, mittel, hoch, höchste) an und begründen Sie Ihre Auffassung
  • Tätigkeitsprofil:

  • Geben Sie anhand der Informationen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber ein Tätigkeitsprofil als Basis für die medizinische Begutachtung an.
  • Bitte erläutern Sie dabei Fachbegriffe, falls notwendig
  • Bitte geben Sie für jede der Tätigkeiten die mit ihnen verbundenen mentalen und körperlichen Anforderungen (keine, gering, mittel, hoch, höchste) an und begründen Sie Ihre Auffassung
  • 5.3.2 Beurteilung der Möglichkeit der Tätigkeit mittels der Informationen aus medizinischen Begutachtungen

    Nicht selten liegen in Verfahren bereits medizinische Gutachten vor. Dann ist es Aufgabe der berufskundlichen Gutachterinnen und Gutachter, anhand der medizinischen Bewertungen zu prüfen, ob Berufe oder Tätigkeiten noch möglich sind. Bei unterschiedlichen Einschätzungen muss mitgeteilt werden, welche Beurteilung zugrunde zu legen ist. Dies sind komplexe Fragestellungen, die wie es die Bestellungsvoraussetzungen des DIHK deutlich machen, voraussetzen, dass medizinische Texte interpretiert werden können, um den Richterinnen und Richtern bei ihrer Entscheidung zu assistieren. Die berufskundlichen Gutachterinnen und Gutachter sollten das Gutachten so aufbauen, dass sie die für die Bewertung relevanten medizinischen Informationen zunächst zusammentragen, anschließend Beruf oder Tätigkeit beschreiben, schließlich die Passung bewerten.

    Fragen an die Gutachterinnen und Gutachter können dabei sein:

  • Kann die Versicherte noch in Ihrem bisherigen Beruf als <Berufsbezeichnung> anhand der medizinischen Bewer­tung(en) tätig sein? Wenn ja, in welchem zeitlichen Umfang?
  • Bitte prüfen Sie als Grundlage die Ergebnisse der medizinischen Begutachtungen und bewerten Sie diese aus berufskundlicher Sicht.
  • Ist eine Verweisung auf andere konkret benannte Tätigkeiten zumutbar und möglich? Wenn ja, auf welche?
  • 5.3.3 Berufskundliche Einstufungen im Rahmen der Eignungsdiagnostik

    Aufgabe der berufskundlichen Gutachterinnen und Gutachter im Rahmen Eignungsdiagnostik kann es sein, zu Anforderungsprofilen Stellung zu nehmen, eine Tätigkeitsanalyse zu erstellen oder zu sichten, die Anforderungen prägnant zu benennen und die Kernanforderungen herauszuarbeiten. So Kompetenz dafür besteht kann bei der Frage der Organisation effizienter Auswahlprozesse assistiert werden, bei der Methodenauswahl und bei Stellenausschreibungen im Berufsvergleich bei den möglichen Eingangsqualifikationen.

    5.3.4 Zumutbarkeit/Berufsvergleich

    Die berufskundlichen Gutachterinnen und Gutachter können im Sinne des Überblicks und des Vergleichs von Berufen auch zu Charakterisierungen von Indikatoren zum sozialen Ansehen beruflicher Tätigkeit, Wertschätzung, Lebensstellung u. Ä. gefragt werden, die sich auf eine Einschätzung zu Besser- oder Schlechterstellung von Personen in Bezug auf eine spezifische Fragestellung im zeitlichen Vergleich beziehen.

    Verwendete Quellen

    Externe Links zu aufgelisteten Internetquellen wurden bis zum Zeitpunkt der Drucklegung geprüft. Zu einem späteren Zeitpunkt haben der Verlag und die Verfasser keinen Einfluss. Eine Haftung des Verlags und der Verfasser ist daher ausgeschlossen.

    A) Fachwissenschaftliche Literatur

    Ackerschott H, Gantner NS, Schmitt G: Eignungsdiagnostik (Beuth Kommentar) (German Edition). Beuth. Kindle-Version, 2016.

    Arimond H: Vom Zweck der Berufskunde. In: Siebrecht V (Hrsg.): Handbuch der Arbeitsvermittlung und Berufsberatung. Bd 2. Stuttgart: Kohlhammer, 1959: S. 201–206.

    Avenarius H: Kleines Rechtswörterbuch. Frankfurt/M., 1985.

    Baethge M: Entwicklungstendenzen der Beruflichkeit – neue Befunde aus der industriesoziologischen Forschung. Vortrag auf dem 14. Kongress der DGFE am 23.03.2004 in Zürich – Symposium. „Entgrenzung der beruflichen Bildung – Bildung über die Lebenszeit“). Entwurf, 2004.

    Beck U, Brater M, Daheim H: Soziologie der Arbeit und der Berufe. Grundlagen, Problemfelder, Forschungsergebnisse. Reinbek bei Hamburg, 1980.

    Becker J, Rosemann M, Schütte R: Grundsätze ordnungsmäßiger Modellierung. Wirtschaftsinformatik 1995; 37 (5): 435–445.

    Blaser F: Der Begriff der „üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes“ im Sozialrecht. Nomos Verlagsgesellschaft, 2009.

    Breuer R: § 54 Beruf. In: Kube H (Hrsg.): Leitgedanken des Rechts. Paul Kirchhof zum 70. Geburtstag. Bd. 1. Heidelberg, 2013: S. 591–600.

    Breuer R: Freiheit des Berufs. In: Isensee J, Kirchhof P (Hrsg.): Handbuch des Staatsrechts VIII. §170 Rn.1 ff,
    2010.

    Brötz R, Kaiser F (Hrsg.): Kaufmännische Berufe - Charakteristik, Vielfalt und Perspektiven. Bielefeld: Bertelsmann 2015: 15–47.

    Bundesagentur für Arbeit, Klassifikation der Berufe 2010 – überarbeitete Fassung 2020: Band 1: Systematischer und alphabetischer Teil mit Erläuterungen. Nürnberg, 2020.

    Bundesagentur für Arbeit, Klassifikation der Berufe 2010, überarbeitete Fassung 2020, Band 1: Systema­tischer und alphabetischer Teil mit Erläuterungen,
    2021.

    Bundesinstitut für Berufsbildung. Empfehlung des Hauptausschusses des Bundesinstituts für Berufsbildung vom 14. Dezember 2016 für eine Ausbildungsregelung zum Fachpraktiker für Medientechnologie Druck/ zur Fachpraktikerin für Medientechnologie Druck gemäß § 66 des Berufsbildungsgesetzes (BBiG)/§ 42m der Handwerksordnung (HwO).

    Bundesinstitut für Berufsbildung. Verzeichnis der anerkannten Ausbildungsberufe 2022. BiBB Direktvertrieb, https://www.bibb.de/dienst/publikationen/de/17944.

    Bundesministerium für Bildung und Forschung: Berufsbildungsbericht. Bonn, 2021.

    Chaberny A, Fenger H, Reiter A: Tätigkeitsschwerpunkt als Strukturmerkmal in der Erwerbsstatistik. IAB MittAB 1972; 5 (3): 230–257.

    Dauenhauer E: Der Berufskundeunterricht. Eine berufswissenschaftliche und berufspädagogisch-fachdidaktische Handreichung für die Sekundarstufe I und die berufliche Grundbildung. Rinteln. Wirtschafts-
    und sozialpädagogische Bücherei, 1976.

    Deißinger T: Beruflichkeit als „organisierendes“ Prinzip der deutschen Berufsausbildung. Markt Schwaben: Eusl, 1998.

    Deutsche Rentenversicherung: Leitlinien zur Rehabilitationsbedürftigkeit für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, 2005.

    Deutscher Industrie- und Handelskammertag (2016): Berufskunde und Tätigkeitsanalyse. Juli 2016. Revi­sionsnummer 1. Fassung 2011.

    Dostal W, Stooß F, Troll L: Beruf – Auflösungstendenzen und erneute Konsolidierung. IAB MittAB 1998; 31 (3): 438–460.

    Dostal W: Berufsforschung. Beruf als Forschungsgebiet des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) von 1967 bis 2003. IAB BeitrAB 296, Nürnberg, 2005.

    Dostal W: Berufsgenese, IAB BeitrAB 302, Nürnberg, 2006.

    Dostal W: Veränderungen im Betrieb und ihre Auswirkungen auf die persönliche Arbeitssituation. In: Dostal W et al. (Hrsg.): Wandel der Erwerbsarbeit: Qualifikationsverwertung in sich verändernden Arbeitsstrukturen. IAB BeitrAB 246, Nürnberg, 2001.

    Europäisches Parlament: Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen (Text von Bedeutung für den EWR), 2005.

    EUR-Lex – 32005L0036 – EN – EUR-Lex (europa.eu).

    Francke J, Gagel A, Bieresborn D: Der Sachverständigenbeweis im Sozialrecht. 2. Aufl. Nomos, 2017.

    Fushöller D: Berufskunde als wissenschaftsorientiertes Studienfach. Die berufskundliche Ausbildung an der Fachhochschule des Bundes, Fachbereich Arbeitsverwaltung. In: Informationen für die Beratungs- und Vermittlungsdienste der Bundesagentur für Arbeit. Ibv-Doku-Ausgabe 4/81 zu ibv Nr. 14 vom 1. April 1981

    Fushöller D: Einführung in die angewandte Berufswissenschaft –Selbststudienprogramm für die Nachwuchskräfte der Bundesanstalt für Arbeit. Mannheim, 2003.

    Grömer TW, Capito ES, Brauner JM, Metzger O, Sailmann G, Neuhaus KJ, Kornhuber J, Muschalla B, Hausotter W: Psychiatrische Begutachtung in der Frage der ­Berufsunfähigkeit. MedSach 2021; 117: 138 ff.

    Gummersbach A et al.: Produktonsmanagement.
    6. Aufl. Hamburg: Handwerk und Technik, 2017.

    Hartmann B: Wissenschaftliche Grundlagen für die sozialmedizinische Leistungsbeurteilung – Physiologische Grundlagen. MedSach, 2020; 116 (4):154–162.

    IHK München und Oberbayern: MERKBLATT Recht und Steuern EMPFEHLUNGEN FÜR DEN AUFBAU EINES SCHRIFTLICHEN SACHVERSTÄNDIGEN-GUTACHTENS, 2021 https://www.ihk-muenchen.de/ihk/pictures/Sachverst%C3%A4ndige/MB_Gutach…

    Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung: Forschungsschwerpunkte. Das IAB.

    Institut für Sachverständigenwesen e. V. Köln: Empfehlungen zur Erstellung eines Gutachtens, 2017.

    Kittelmann M, Adolph L, Michel A, Packroff R, Schütte M, Sommer S (Hrsg.): Handbuch Gefährdungsbeurteilung. 1. Aufl. Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, 2021.

    Klassifikation der Berufe 2010 – überarb. Fassung: Systematisches und alphabetisches Verzeichnis der Berufsbenennungen. Wiesbaden: Statistisches Bundesamt, 2020.

    Klassifikation der Berufe: Systematisches und alphabetisches Verzeichnis der Berufsbenennungen. Gliederung nach Berufsklassen für die Statistik der Bundesanstalt für Arbeit (Nach dem Stand vom 1. September 1988 überarbeitete Fassung der Berufsklassen mit Zuordnung der Berufsbenennungen zu Berufsklassen für die Statistik der Bundesanstalt für Arbeit). Nürnberg: Bundesanstalt für Arbeit 1988 (frühere Ausgaben 1961, 1970, 1975, 1980), 1988).

    Klassifikation der Berufe: Systematisches und alphabetisches Verzeichnis der Berufsbenennungen. Wiesbaden: Statistisches Bundesamt, 2010.

    Kupka P: Berufskonzept und Berufsforschung. Soziologische Perspektiven. In: Jacob M, Kupka P (Hrsg.): Perspektiven des Berufskonzepts. Die Bedeutung des Berufs für Ausbildung und Arbeitsmarkt. IAB BeitrAB, 297 2005, 17–38.

    Kurtz T: Die Berufsform der Gesellschaft. Berlin, 2005.

    Lahner M, Ulrich E: Zur Prognose „neuer Berufe“. Mitteilungen aus dem Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung, IAB MittAB 1970, 3 (1): 31–44.

    Landau K, Pressel G (Hrsg.): Medizinisches Lexikon der beruflichen Belastungen und Gefährdungen,
    2. Aufl., Stuttgart: Gentner, 2009.

    Landau K, Rohmert W: Fallbeispiele zur Arbeitsanalyse. Bern: Huber, 1981.

    Letzel S, Nowack D (Hrsg.): Handbuch der Arbeitsmedizin, Loseblattsammlung. 68. Aufl. ecomed Medizin, 2023.

    Linden M, Baron S, Muschalla B, Ostholt-Corsten M: Fähigkeitsbeeinträchtigungen bei psychischen Erkrankungen. Diagnostik, Therapie und sozialmedizinische Beurteilung in Anlehnung an das Mini-ICF-APP. Göttingen: Hogrefe, 2015.

    Marx P, Gaidzik PW: Leitlinie: Allgemeine Grundlagen der medizinischen Begutachtung. AWMF-Registernummer 094-001. AWMF online: Das Portal der wissenschaftlichen Medizin, 2019, 14 ff.

    MEGAPHYS – Mehrstufige Gefährdungsanalyse physischer Belastungen am Arbeitsplatz. Bd. 1,
    1. Auflage. Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, 2019, S. 986, Projektnummer: F 2333, Papier, PDF-Datei, (DOI: 10.21934/baua:bericht20190821. https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Berichte/F2333.html).

    MEGAPHYS: Mehrstufige Gefährdungsanalyse physischer Belastungen am Arbeitsplatz (DGUV Report 3/2020). Abschlussbericht zum Kooperationsprojekt von BAuA und DGUV – Band 2 (https://dguv.de/ifa/publikationen/reports-download/reports-2020/dguv-re…).

    Mejstrik A, Wadauer S, Buchner T: Die Erzeugung des Berufs. Innsbruck, 2013.

    Molle F: Definitionsfragen in der Berufsforschung, dargestellt am Beispiel der Begriffe Beruf und Berufswechsel. IAB MittAB 1968b, 3: 148–159.

    Molle F: Handbuch der Berufskunde. Köln [u. a.]: Heymann, 1968a.

    Muschalla B: A concept of psychological work capacity demands – first evaluation in rehabilitation patients with and without mental disorders. Work 2018a; 59: 375–386.

    Muschalla B: Assessing psychological work demands with an ICF-oriented concept of psychological capacities. Gruppe Interaktion Organisation 2018b; 49: 81–92.

    Muschalla B: Operationalisierung des psychischen Person-Job-Fit mit dem Mini-ICF-APP-W, ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2023; 58: 349 ff.

    Neuhaus K-J: Berufsunfähigkeitsversicherung, 4. Aufl. München: Beck, 2020.

    o.V.: Datenportal des BMBF, Bundesministerium für Bildung und Forschung, Glossar, ISCED 2011, aus: Statistisches Bundesamt, Bildungs­finanzbericht, Anhang A 3, 2015 (https://www. datenportal.bmbf.de/portal/de/G293.html), abgerufen am 24.06.2021.

    o.V.: Qualifikationsrahmen für deutsche Hochschulabschlüsse, Kultusministerkonferenz, 2017 (https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/2…), abgerufen am 11.12.2021.

    Oberschachtsiek D, Pape A (Hrsg.): Der Wunsch nach mehr Zusammenarbeit in der Patientenversorgung.
    Lit Verlag, 2016.

    Olfert K, Steinbuch PA: Personalwirtschaft, 16. Aufl. Herne: NWB Verlag, 2015.

    Pressel G, Landau K: Archiv der arbeitsmedizinischen Berufskunde, 1967 bis 2014, www.ergonomia.de und Deutsche Nationalbibliothek

    Pressel G, Schneider J: Kleine Berufskunde. In: Pressel G, Landau K: Medizinisches Lexikon der beruflichen Belastungen und Gefährdungen, 2009.

    Pressel G: Arbeitsmedizinische Berufskunde – Vorschlag einer Systematik.Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2004; 39: 630–632.

    Pressel G: Das Ergogramm als Informationsmittel in der Arbeitsmedizin. Arbeitsmed Sozialmed Präventivmed 1986; 21 (1): 11-14.

    Pressel G: Die Rolle des Berufs in der Medizin. In: Triebig G, Kentner M, Schiele R (Hrsg.): Arbeitsmedizin. Handbuch für Theorie und Praxis.3. Aufl. Stuttgart: Gentner, 2011, S. 911–918.

    Rohmert W, Landau K: Das arbeitswissenschaftliche Erhebungsverfahren zur Tätigkeitsanalyse (AET): Handbuch. Stuttgart: Huber, 1979.

    Rohmert W: AET Formen menschlicher Arbeit.
    Praktische Arbeitsphysiologie 1983; 3: 5–29.

    Roth D: Häufigkeit und Struktur von Berufswechsel. bwp 2019; 2: 26–30.

    Sailmann G, Görtler E: Berufsnahes Lernen im Ehrenamt. VEP, 2019.

    Sailmann G: Das Berufskonzept und sein Einfluss auf das Bildungssystem. dbv forum 2021; 60 (1): 4–10.

    Sailmann G: Der Beruf. Eine Begriffsgeschichte. Bielefeld: transcript, 2018.

    Schelten A: Einführung in die Berufspädagogik. 3. Aufl. Wiesbaden: Franz-Steiner Verlag, 2004.

    Schierholz M et al. iAB Discussion Paper 13/2018. ISSN 2195-2663, Nürnberg, 2018.

    Schlick C, Bruder R, Lucak H: Arbeitswissenschaft, 4. Aufl. Berlin: Springer. 2018.

    Schmidtke H, Jastrzebska-Fracek I: Ergonomie – Daten zur Systemgestaltung und Begriffsbestimmungen (1967 bis 2014), Hanser, 2013.

    Scholz JF, Wittgens H.: Arbeitsmedizinische Berufskunde, Stuttgart: Gentner, 1992.

    Sekretariat der Kultusministerkonferenz (KMK):
    Dokumentation der Kultusministerkonferenz über
     andesrechtlich geregelte Berufsabschlüsse an Berufsfachschulen. Beschluss des Unterausschusses für Berufliche Bildung vom 6. Februar 2015 [zit. KMK 2015 a]

    Sperling H: Krankheit und Beruf, Deutsches Ärzteblatt 1965; 3: 144–146.

    Weber A et al.: Return to Work – Arbeit für alle. Stuttgart: Gentner, 2014.

    Weber M: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. Weinheim, 1904/05/1920/1996.

    Weber M: Wirtschaft und Gesellschaft. Tübingen, 1922/1985.

    Widder B, Gaidzik P et al. (Hrsg.): Neurowissenschaftliche Begutachtung. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme, 2018.

    Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags: Sachstand. Reglementierte Berufe in Deutschland.
    WD 8 – 3000 – 164/19, 2019.

    Zöller M: (Vollzeit-)Schulische Ausbildungsgänge mit einem beruflichen Abschluss gemäß und außerhalb BBiG/HwO. Vertiefende Analysen der Entwicklungen in Deutschland. Bonn: BIBB, 2015.

    B) Verfassungsurkunden, Gesetze und Verordnungen in aufsteigender zeitlicher Reihenfolge

    Berufsbildungsgesetz (BBiG) Ausfertigungsdatum 23.03.2005 https://www.gesetze-im-internet.de/bbig_2005/BBiG.pdf

    Berufsbildungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 4. Mai 2020 (BGBl. I S. 920), das durch Artikel 16 des Gesetzes vom 28. März 2021 (BGBl. I S. 591) geändert worden ist. BBiG.pdf (gesetze-im-internet.de)

    Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung“ (AVAVG) vom 16. Juli 1927 http://www.1000dokumente.de/pdf/dok_0225_avg_de.pdf

    Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland von 1949 http://www.verfassungen.de/de/de49/gg49-55.htm

    Gesetz zur Ordnung des Handwerks (Handwerksordnung- HwO) Ausfertigungsdatum: 17.09.1953
    https://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/hwo/gesamt.pdf

    Gesetz zur Verbesserung der Feststellung und Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen (BQFG) vom 12.12.2011 https://www.bgbl111063 2457..2552 (anerkennung-in-deutschland.de)

    Gewerbeordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Februar 1999 (BGBl. I S. 202), die zuletzt durch Artikel 34 des Gesetzes vom 07. Juli 2021
    (BGBl. I S. 2363) geändert worden ist

    Pflegeberufegesetz vom 17. Juli 2017 (BGBl. I S. 2581), das zuletzt durch Artikel 9a des Gesetzes vom 11. Juli 2021 (BGBl. I S. 2754) geändert worden ist

    Weimarer Reichsverfassung (WRV) vom 11. August 1919 https://www.gesetze-im-internet.de/wrv/BJNR013830919.html

    Schelsky H: Berechtigung und Anmaßung in der Managerherrschaft. Auf der Suche nach der Wirklichkeit. Gesammelte Aufsätze, 1965: 17-32.

    Beispiele:

    Frau Musterfrau war mit den mit der Bewirtschaftung einer Fahrzeugflotte der Firma einhergehenden Aufgaben betraut, ihre Tätigkeit war für die einer Fuhrparkleiterin 51593-102 typisch.

    Herr Mustermann ist im Außendienst einer Versicherung im Endkundengeschäft tätig. Er betreut Kunden, vermittelt Versicherungsverträge und unterstützt auch die Schadensabwicklung. Die Tätigkeit gehört zu der Tätigkeit als Außendienstmitarbeiter 61123-108.

    Beispiel:

    Die Landschaftsarchitektin (12144-106) Frau Musterfrau arbeitet mit Informationen zu Landschaften, vermessenen Flächen, Baumaterialien und Pflanzen. Hauptarbeitsort ist das Büro mit PC-Arbeitsplatz, in dem sich auch ein Tisch für die Betrachtung von Plänen mit Kunden und Projektbeteiligten findet. Kundenkontakte und Begehungen finden daneben an bebauten und unbebauten Grundstücken sowie teils auch in Privathaushalten statt. Frau Musterfrau erstellt hauptsächlich Ausführungspläne für Privatgärten und Sportplätze. Der PC-Arbeitsplatz hat einen höhenverstellbaren Schreibtisch. Sie nutzt selbst erstellte digitale Material- und Verordnungssammlungen sowie ein Vectorgrafik-Programm.

    Beispiel:

    Der Helfer – Reinigung 54112-101 Herr Mustermann ist in einer Gebäudereinigungsfirma eingesetzt. Er arbeitet in der Frühschicht von 04:00 bis 06:00 arbeitstäglich in Teilzeit mit 12 Wochenstunden. Es ist ein Nebenjob des Berufstätigen. Das Team umfasst vier Helfer unter der Leitung einer selbständigen Gebäudereinigerin. Die zwei Stunden leistet Herr Mustermann ohne Pause ab.

    Real-Beispiel:

    Die angestellte Hörgeräteakustikermeisterin 82593-103 arbeitet in der komplexen Spezialistentätigkeit (KldB Stufe 3) 40 Stunden pro Woche. Ihr Tätigkeitsprofil ist dabei mit ausreichender Detaillierung übersichtlich darstellbar, umfasst auch im handwerklichen Bereich fachlich ausgerichtete Tätigkeiten (KldB Stufe 2; s. ➥ Tabelle 9).

    Exkurs: aktuelle Rechtsprechung 2019

    Für die Entscheidung von sozialgerichtlichen Verfahren sind berufskundliche Sachaufklärungen immer wieder zentral. In einem Revisionsverfahren aus dem Jahr 2019 vor dem Bundessozialgericht (Urteil vom 11.12.2019 - B 13 R 7/18 R) ging es darum, ob körperlich leichte und geistig einfache Tätigkeiten auf dem aktuellen Arbeitsmarkt noch präsent sind (siehe L. Haustein in SGb, 7/2020, Seite 438/439). Die Tatsacheninstanzen hatten berufskundliche Unterlagen und ein berufskundliches Gutachten aus einem anderen Verfahren beigezogen. In seinem Urteil hatte das Landessozialgericht (LSG) ausgeführt, geringer qualifizierte (einfache) Tätigkeiten, die mit bestimmten Verrichtungen verbunden seien und gleichzeitig der Definition einer leichten Arbeit entsprächen, gebe es am Arbeitsmarkt praktisch kaum noch. In der Revisionsbegründung rügte die Beklagte u. a., das LSG habe seine Behauptung, der Arbeitsmarkt für Hilfstätigkeiten habe sich entsprechend gewandelt, nur mit allgemeinen Ausführungen begründet.

    Das BSG hat in dem Verfahren selbst arbeitsmarktpolitische, sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Unterlagen und statistische Daten zum Vorhandensein von Arbeitsplätzen mit Einfacharbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sowie Zahlen der Arbeitsagentur, Informationen des IAB und Informationen des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW-Kurzberichte) in den Rechtsstreit eingeführt und diese in seinem Urteil vom 11.12.2019 verwendet. Sie widersprächen der Annahme des LSG, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seien keine ungelernten leichte körperliche Arbeiten in ausreichendem Maße vorhanden.

    Damit wird aufgezeigt, dass bei der Aufklärung und Entscheidung des LSG deutliche Mängel hinsichtlich der berufskundlichen Probleme bestanden. Solchen Mängeln entgegenzuwirken, bedarf es damit der belastbaren wissenschaftlichen, d. h. referenzierten Auseinandersetzung mit zu Berufen verfügbaren Informationen, spätestens bei der gutachterlichen Bewertung. Dass das BSG seine Informationsgewinnung und Aussagen referenzierbar nachvollziehbar machte, unterstreicht die Wichtigkeit der Kenntlichmachung von Quellen von Informationen und damit von wissenschaftlichem Standard bei der Verwendung multipler Informationsquellen. Deren zusammentragende Verwendung und Wertung wurde höchstrichterlich als Standard der berufskundlichen Aufklärung definiert. Daran muss sich auch die Begutachtung in der Berufskunde und Tätigkeitsanalyse orientieren.

    Tags