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Traumatik spinal cord injury and bladder cancer
Bladder cancer is a rare but typical long-term sequela in spinal cord injury patients. This can be recognised as a sequela of the accident after weighing up the criteria specified in the matrix. Screening is not currently possible. Therefore, rapid clarification should be sought in the event of unusual symptoms.
Unfallbedingte Querschnittlähmung und Harnblasenkarzinom
Das Harnblasenkarzinom ist bei Querschnittgelähmten eine seltene, aber typische Langzeitfolge. Diese kann unter Abwägung der in der Matrix angegebenen Kriterien als Unfallfolge anerkannt werden. Derzeit ist kein Screening zur Früherkennung möglich. Daher ist bei ungewöhnlichen Symptomen eine rasche Abklärung anzustreben.
Kernaussagen
Forschung und Datenlage zum Harnblasenkarzinom bei Querschnittgelähmten
Die wiederholte Beobachtung des Auftretens von aggressiven Formen des Harnblasenkarzinoms bei querschnittgelähmten Menschen führte in den letzten Jahren zu einer verstärkten wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dieser Problematik, auch unter arbeitsmedizinischem beziehungsweise versicherungsrechtlichem Aspekt. In diesem Rahmen erfolgte der Aufbau von zwei Patienten-Datenbanken. Die Ergebnisse einer Auswertung der eigenen Hamburger Datenbank mit 7396 querschnittgelähmten Menschen im Zeitraum 1998 bis 2019, darunter 40 Menschen mit Harnblasenkarzinom (Böthig et al. 2021a), und einer die Querschnittgelähmtenzentren in Deutschland, Österreich und der deutschsprachigen Schweiz mit 139 querschnittgelähmten Menschen mit Harnblasenkarzinom umfassenden Datenbank im Zeitraum 2012 bis 2019 (Böthig et al. 2021b) werden vor dem Hintergrund der aktuellen wissenschaftlichen Literatur nachfolgend kurz und zusammenfassend dargestellt (s. auch Böthig et al. 2022).
Besondere klinische Charakteristika der Tumoren
Querschnittgelähmte Patientinnen und Patienten mit Harnblasentumoren sind im Durchschnitt zwanzig Jahre jünger als Harnblasenkarzinom-Erkrankte ohne Querschnittlähmung. Die Tumoren bei Querschnittgelähmten zeigen oft zum Zeitpunkt der Diagnose bereits ein fortgeschrittenes Stadium des Primärtumors (hoher Anteil muskelinvasiver Tumoren) und es handelt sich häufig histologisch um eine aggressive Erkrankungsform mit einem hohen Anteil an Plattenepithelkarzinomen und ungünstigem Tumor-Grading. Daraus resultiert meist eine sehr ungünstige Prognose (Böthig et al. 2024).
Ausschluss potenzieller Risikofaktoren
Die ungünstigen Tumorcharakteristika in den eigenen Daten entsprechen den in der Literatur. Allerdings wurden, im Gegensatz zu den zuvor publizierten 16 Studien, die Hamburger Patientinnen und Patienten ohne Dauerkatheter und die Teilnehmenden der Multicenterstudie bis auf wenige Ausnahmen ohne Dauerkatheter versorgt. Somit kann der Dauerkatheter bei querschnittgelähmten Personen nicht als das entscheidende krebsauslösende Agens angesehen werden (Böthig et al. 2024). Auch die neurologische Ausprägung der Querschnittlähmung (Lähmungshöhe und neurologisches Ausmaß der Lähmung, das heißt komplette oder inkomplette Lähmungsformen) oder die urodynamische Form der Blasenlähmung („spastische“ oder schlaffe Lähmung des Blasenmuskels) sind offenbar für die Ausprägung der Tumorcharakteristika nicht entscheidend (Böthig et al. 2022).
Arbeitsmedizinische und versicherungsrechtliche Aspekte
Vor dem Hintergrund der häufig sehr schlechten Prognose (in 50 % der Fälle mit Harnblasenkarzinom versterben die Erkrankten im ersten Jahr) ist der rechtliche Hinweis wichtig, dass bei berufsgenossenschaftlich versicherten Patientinnen und Patienten mit (meist) traumatischer Querschnittlähmung das Auftreten eines Harnblasenkarzinoms der zuständigen Berufsgenossenschaft beziehungsweise Unfallkasse als „Verschlimmerung“ gemeldet werden muss. Eine Fortführung von Leistungen des Unfallversicherungsträgers an die Angehörigen kommt nur bei Tod infolge der Unfallverletzung in Betracht. Dieser stets individuell zu klärende Zusammenhang wird dann von der Berufsgenossenschaft (bzw. Gesetzlichen Unfallkasse) anhand eines vom Autorenteam entwickelten Algorithmus geprüft (Böthig et al. 2019, 2020, 2021a). Dieser Algorithmus war später die Vorlage für die BK 1301-Matrix zur Begutachtung von Harnblasentumoren (Weistenhöfer et al. 2022a,b). Die entscheidenden Kriterien für die Anerkennung eines Kausalzusammenhangs sind die Lähmungsdauer (über 10 Jahre), das jüngere Lebensalter und die ungünstigen Tumorcharakteristika.
Früherkennung und Empfehlungen für das Screening
Leider hat sich bisher noch keine Screening-Strategie zur Früherkennung im bewährten Konzept der lebenslangen Nachsorge Querschnittgelähmter etablieren können (AWMF 2021; EAU 2022; AUA/SUFU 2021). Elliott (2012) und kürzlich Welk (2023) haben deutlich darauf hingewiesen, dass aktuell ein generelles Screening von querschnittgelähmten Menschen auf Harnblasenkarzinome nicht gerechtfertigt ist.
Dennoch kann auch gegenwärtig empfohlen werden, die gefüllte Harnblase bei diesen Patientinnen und Patienten bei jeder Gelegenheit sonographisch auf suspekte Wandveränderungen hin zu untersuchen und bei geringsten Verdachtsmomenten endoskopisch abzuklären (AWMF 2021). Ferner sollten die Betroffenen in geeigneter Weise für die Problematik und das erhöhte Risiko sensibilisiert werden, um bei ungewöhnlichen Symptomen eine rasche Abklärung anzustreben.
Interessenkonflikt: Das Autorenteam gibt an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.
Literatur
Böthig R, Schöps W, Kowald B, Golka K: Onkologische Relevanz neurourologischer Erkrankungen. Aktuelle Urol 2024; 55: 326–336. doi:10.1055/a-2269-1222.
Böthig R, Schöps W, Zellner M et al.: Harnblasenkarzinom als Spätfolge einer Querschnittlähmung. Entscheidungshilfe für eine Zusammenhangsbegutachtung. Urologe A 2020; 59: 700–709. doi:10.1007/s00120-020-01124-w
Böthig R, Schöps W, Zellner M et al.: Ursachenzusammenhang zwischen langjähriger Querschnittlähmung und malignen Harnblasentumoren. Vorschlag für eine Konvention. Trauma Berufskrankh 2019; 21: 61–73. doi:10.1007/s10039-019-0412-4.
Böthig R, Tiburtius C, Schöps W et al.: Urinary bladder cancer as a late sequela of traumatic spinal cord injury. Mil Med Res 2021a; 8: 29. doi:10.1186/s40779-021-00322-7 (Open Access).
Elliott SP: Screening for bladder cancer in individuals with spinal cord injury. J Urol 2015; 193: 1880–1881. doi:10.1016/j.juro.2015.03.069.
Welk B: The argument against screening for bladder cancer in neuro-urological patients. World J Urol 2022; 40: 1915–1919. doi:10.1007/s00345-021-03802-6.
Weistenhöfer W, Golka K, Bolm-Audorff U et al.: Das beruflich bedingte Harnblasenkarzinom. Die BK 1301-Matrix als Algorithmus und Entscheidungshilfe für eine Zusammenhangsbegutachtung. ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2022a; 57: 179–191, MedSach 2022b; 118: 79–93. doi:10.17147/asu-1-174375 (Open Access).
Die vollständige Literaturliste mit allen Quellen kann auf der ASU-Homepage beim Beitrag eingesehen werden (asu-arbeitsmedizin.com).
Online-Quellen
AWMF – Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften: S2k-Leitlinie: Neuro-urologische Versorgung querschnittgelähmter Patienten. AWMF-Register Nr. 179/001, 2021
https://register.awmf.org/assets/guidelines/179-001l_S2k_Neuro-urologische-Versorgung-querschnittgelaehmter-Patienten_2021-11.pdf
EAU – European Association of Urology: Guideline Neuro-Urology. 2022
https://uroweb.org/guideline/neuro-urology/
Koautorin und Koautoren
Koautorin und Koautoren
Dr. med. Kai Fiebag
Abteilung Neuro-Urologie, BG Klinikum Hamburg
Dr. med. Wolfgang Schöps
Urologische Praxis, Sankt Augustin
Prof. Dr. med. Klaus Golka
Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund (IfADo), Dortmund