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Nutzen von Exoskeletten in der Gebäudetechnik

Das PDF dient ausschließlich dem persönlichen Gebrauch! - Weitergehende Rechte bitte anfragen unter: nutzungsrechte@asu-arbeitsmedizin.com.

Use of exoskeletons in building technology

Exoskeletons are (electro-)mechanical assistance systems worn on the body that support the functions of the skeletal and musculoskeletal systems during physical work. The extent to which they can facilitate the work of plumbing or electrical technicians in building services engineering and help prevent damage to the musculoskeletal system has not yet been conclusively researched. The following article provides an overview of this topic and contains further information on operational application experiences and cost-benefit considerations of exoskeleton use.

Nutzen von Exoskeletten in der Gebäudetechnik

Exoskelette sind (elektro-)mechanische Assistenzsysteme, die am Körper getragen werden und die Funktionen des Skelett- und Bewegungssystems bei körperlicher Arbeit unterstützen. Inwieweit sie die Tätigkeiten von Sanitär- oder Elektromonteuren bei Arbeitsaufgaben in der Gebäudetechnik erleichtern können und Schäden des Muskel-Skelett-Systems vermeiden helfen, ist noch nicht abschließend erforscht. Der folgende Beitrag gibt einen Überblick zu diesem Thema und enthält weiterführende Informationen zu betrieblichen Anwendungserfahrungen sowie zu Kosten-Nutzen-Erwägungen des Exoskeletteinsatzes.

Kernaussagen

  • Exoskelette helfen bei körperlicher Entlastung und Arbeitsproduktivität, wobei passive, aktive, Teil- und Ganzkörpervarianten unterschieden werden.
  • Im Handwerk können Exoskelette besonders bei Überkopfarbeiten und lang andauernden, ­repetitiven Tätigkeiten Vorteile bringen, jedoch gibt es auch Bedenken hinsichtlich Gewicht, Tragekomfort, Bewegungsfreiheit, Kosten-Nutzen-Erwägungen und möglichen Umverteilung von Belastungen
  • Langzeitwirkungen des Einsatzes von Exoskeletten sind noch unklar.
  • Was ist ein Exoskelett?

    Man unterscheidet passive und aktive Exo­skelette, Teilkörper- und Ganzkörper-Exoskelette:

    Passive Exoskelette besitzen keine Fremdenergiequelle, keine Motoren oder Sensoren. Die Energie wird aus der Bewegungsenergie der/des Benutzenden bezogen. Dazu müssen Federn oder Bänder zunächst gespannt werden. Die gespeicherte Energie wird der anwendenden Person bei der nächsten Bewegung zur Verfügung gestellt.

    Damit sind passive Exoskelette leicht und auch einfach in der Nutzung. Die Kinematik und die Federkennlinie sind allerdings auf eine „durchschnittliche“ Person abgestimmt. Eine Anpassung an die aktuelle Arbeitsperson ist zwar möglich, jedoch nicht während eines laufenden Arbeitsprozesses.

    Passive Exoskelette sind vor allem bei repetitiven Arbeitsprozessen sinnvoll, da sie Gelenke und Muskulatur entlasten können.

    Im Gegensatz dazu wird bei aktiven Exoskeletten die Energie aus Akkus oder aus dem Netz bezogen. Damit werden Motoren, Hydraulik- oder Bremszylinder versorgt. Diese setzen an den Gelenken des Menschen an und stellen dort die Kraft für das Halten, Heben oder Bewegen von Arbeitsgegenständen zur Verfügung. Damit bieten aktive Exoskelette zwar eine hohe Unterstützungsleistung, sie sind jedoch technisch komplex und schwer – oft wiegen sie zwischen 15 und 25 kg. Die Kraft- und Bewegungsunterstützung kann während des Arbeitsprozesses durch die Arbeitsperson angepasst werden.

    Teilkörper-Exoskelette unterstützen nur bestimmte Körperregionen, zum Beispiel Arm/Schulter, Bein/Hüfte oder Rücken/Wirbelsäule (➥ Abb. 1). Sie können sinnvoll sein in Industrie und Handwerk, vor allem aber in der Rehabilitation. Ganzkörper-Exoskelette werden ebenfalls in der medizinischen Rehabilitation, aber auch beim Militär eingesetzt. Solche Exoskelette unterstützen den gesamten Körper.

    Exoskelette gibt es als Orthesen, also Stützkorsette, schon seit Ende des 19. Jahrhunderts in der Rehabilitation. In diesem Beitrag geht es aber um die Anwendung von Exoskeletten durch Beschäftigte bei der Arbeit. Exoskelette kombinieren maschinelle Kräfte mit der Kreativität und der Sensomotorik des Menschen. Man erhofft sich durch Exoskelette

  • eine körperliche Entlastung, also die Reduktion der energetischen und effektorischen Belastung des Rückens, der Schultern, der Oberschenkel- und Armmuskulatur und mancher Gelenke,
  • die Reduktion der Arbeitsermüdung,
  • die Steigerung der Arbeitsproduktivität,
  • die Prävention von arbeitsbedingten Beschwerden und Erkrankungen.
  • Im Bauhandwerk und speziell in der Gebäudetechnik wird eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen, die Reduktion von körperlichen Überlastungen – beispielsweise beim Heben und Tragen oder bei Überkopfarbeiten – und ein Rückgang der Fehlzeiten erwartet.

    Diesen Hoffnungen stehen kritische Rückmeldungen aus der Praxis gegenüber:

  • Das Gewicht und der Tragekomfort werden als gewöhnungsbedürftig oder sogar als nicht akzeptabel bezeichnet.
  • Die Bewegungsfreiheit in eingeschränkten Arbeitsräumen wird als hinderlich oder nicht akzeptabel beurteilt.
  • Die Arbeitsabläufe werden ungünstiger beziehungsweise verlängert.
  • Bei hohen Anschaffungskosten wird die Wirtschaftlichkeit von Exoskeletten bezweifelt.
  • Welche Anwendungserfahrungen gibt es?

    Zu den Exoskeletten gibt es bereits eine Flut von Publikationen. So berichtet Tröster (2024) für 2022 bereits von über 2200 wissenschaftlichen Publikationen zu Exoskeletten. Die meisten Erfahrungen mit Exoskeletten liegen für Logistikarbeiten (z. B. Klumpp et al. 2022) sowie für Tätigkeiten im Gesundheitswesen (z. B. O’Connor 2021) vor. Großes Augenmerk wird auf dynamische Tätigkeiten der Lastenhandhabung gelegt (z. B. Ashtiani 2025). Wissenschaftliche Untersuchungen sowie praktische Erfahrungen für Tätigkeiten im Handwerk sind dagegen eher begrenzt. In kleinen mittelständischen Unternehmen, wie im Handwerk, bestehen zahlreiche Barrieren aus Praktikabilitäts- und Kostengründen (z.B. Hoffmann et al. 2022).

    Passive Exoskelette wurden in Betrieben der Automobilindustrie bei Stehtätigkeiten, zur Rückenunterstützung sowie bei statischer Haltungsarbeit und Überkopfarbeit getestet (z.B. Hensel u. Keil 2018). Zum Zeitpunkt der damaligen Veröffentlichung wurden Produktverbesserungen angeregt. Der Einsatz wurde jedoch durchaus als vielversprechend angesehen – es wurde davon ausgegangen, dass die betroffenen Beschäftigten bei der künftigen Steigerung der Gebrauchstauglichkeit mitwirken werden.

    Laboruntersuchungen mit drei passiven Exoskeletten zeigten – vor allem bei Arbeiten oberhalb des Herzens – folgende Ergebnisse (Wakula et al. 2020):

  • Die Beanspruchung im Arm-Schulter-System wird reduziert, dafür steigt die Beanspruchung im Rückenbereich – es findet also eine Beanspruchungsverlagerung statt.
  • Die möglichen Haltezeiten können mit der Unterstützung von Exoskeletten verlängert werden.
  • Bei dynamischen Aufgaben (z. B. Schraubtätigkeiten) ist von einem passiven Exoskelett eher abzuraten.
  • Arbeitspersonen bemängeln häufig Bewegungseinschränkungen durch das Exoskelett.
  • Weibliche Arbeitspersonen profitieren durch das Exoskelett mehr als männliche Arbeitspersonen.
  • Die S2k-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin (Steinhilber et al. 2020, s. auch Online-Quellen) geht umfassend auf die Ergebnisse von 19 mess- und befragungsmethodischen Untersuchungen zu passiven Exoskeletten ein. Es wird berichtet, dass durch passive Exoskelette eine lokale Entlastung der Schultermuskulatur erreicht werden kann. Auch ist eine subjektiv empfundene Belastungsminderung der oberen Extremitäten feststellbar. Es ist unklar, ob es sich hier um eine dauerhafte Erleichterung handelt. Eine präventive Wirkung von Exoskeletten auf Muskel-Skelett-Beschwerden oder sogar Muskel-Skelett-Erkrankungen kann noch nicht begründet werden.

    Für aktive Exoskelette wurden 22 Studien analysiert, die Ergebnisse sind jedoch nicht immer eindeutig. Insbesondere fehlt es an Langzeitstudien. Die meisten Erfahrungen liegen für die Lastenmanipulation vor. Man geht zum Beispiel von einer Reduktion der Bandscheibenkompressionskräfte aus. Bei repetitiven Tätigkeiten können aktive Exoskelette die Beanspruchung der unterstützten Körperregionen senken; es kommt jedoch zu einer Umverteilung der Beanspruchung. Auf folgende Nachteile wird hingewiesen:

  • Durch das hohe Eigengewicht von aktiven Exoskeletten entsteht eine Zusatzbelastung.
  • An den Schnittstellen Exoskelett/Person können Druckstellen und Reibungsprobleme beziehungsweise Hautreizungen entstehen.
  • Die Bewegungsabläufe verändern sich beim Tragen von Exoskeletten; es können ungewohnte Bewegungsmuster – auch im Sinne einer Zusatzbelastung – entstehen.
  • Dadurch – und auch durch Fehlfunktionen und unerwartete Bewegungen – kann sich das Verletzungsrisiko der Arbeitspersonen erhöhen.
  • Langzeitrisiken und Nebenwirkungen bei aktiven Exoskeletten sind also bisher wenig erforscht. Exoskelette sollen bei akuten Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems nicht eingesetzt werden.

    Exoskelette im Handwerk

    Produktentwicklungen und erste praktische Erfahrungen liegen vor allem bei handwerklichen Arbeiten oberhalb des Herzens vor. So wird beispielsweise unter anderem das System ExoActive speziell für Überkopfarbeit angeboten (siehe zu den Produktbeispielen die entsprechenden Links in den Online-Quellen). Das Exoskelett Paexo Shoulder ist ein sogenanntes passives Gerät. Intelligente Exoskelette, die im Internet of Things (IoT) vernetzt sind, zum Beispiel der Kraftanzug CRAY X, weisen auf künftige Entwicklungen hin, sind jedoch für die gegenwärtige Situation im Handwerk völlig außerhalb der Diskussion.

    Ein Großhandelsunternehmen für das Handwerk (s. Online-Quellen) nennt folgende typische Tätigkeiten, bei denen der Einsatz von Exoskeletten vorteilhaft sein soll:

  • Verspachteln von Raumdecken,
  • Verkabelungen unter der Decke,
  • Arbeiten mit Langhalsschleifer,
  • Malerarbeiten,
  • Reparaturarbeiten im Knien, Liegen, Sitzen, Stehen (bzw. bei häufigem Wechsel der Positionen),
  • Hebehilfen im Lager,
  • Installieren von Rohren, Elektrik, Armaturen, Leitungen,
  • Heben der Bohrmaschine,
  • Tragen und Heben von schweren Fliesen, Mauersteinen, Kisten und Kartons auf der Baustelle und im Lager,
  • Kommissionierung, Qualitätskontrolle und Verladung im Lager.
  • Diese Auflistung eines Großhändlers muss allerdings durchaus skeptisch betrachtet werden: Das Anlegen eines aktiven Exoskeletts dauert– auch nach der Eingewöhnungsphase – zwei bis fünf Minuten. Vorher ist das Exoskelett beispielsweise aus dem Lkw zu holen, nachher muss es gereinigt und wieder verstaut werden. Ein passives Exoskelett kann allerdings innerhalb von etwa 20 Sekunden angelegt werden.

    Es ist jedoch eher unwahrscheinlich, dass ein Gebäudetechniker für den Transport zum Beispiel eines Schaltschranks oder einer Waschmaschine zuerst das Exoskelett anlegt. Hier gibt es einfachere (und kostengünstigere) Lösungen wie Sackkarren oder „Treppensteiger“.

    Aus Kosten-Nutzen-Erwägungen erscheint der handwerkliche Einsatz von Exoskeletten vor allem für lang andauernde und hoch repetitive Arbeitsvorgänge über Kopf sinnvoll (➥ Abb. 2).

    Interessenkonflikt: Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.

    Literatur

    Ashtiani MB, Akhavanfar M, Li L, Kim S, Nussbaum MA: Using musculoskeletal models to estimate the effects of exoskeletons on spine loads during dynamic lifting tasks: differences between OpenSim and the AnyBody modelling system. J Biomechanics 2025; 188: 112780. doi:10.2139/ssrn.5142080

    Hensel R, Keil M: Subjektive Evaluation industrieller Exoskelette im Rahmen von Feldstudien an ausgewählten Arbeitsplätzen. Z Arbwiss 2018; 72: 252–263. doi:10.1007/s41449-018-0122-y.

    Hoffmann H, Pitz I, Adomssent B, Russmann C: Assoziation, Erwartungen und Barrieren eines Exoskeletteinsatzes in kleinen mittelständischen Unternehmen. Zbl Arbeitsmed 2022; 72: 68–77. doi:10.1007/s40664-021-00453-7 (Open Access).

    Klumpp M, Hanke T, ten Hompel M, Noche B: Ergonomie in der Intralogistik. Berlin: Springer, 2022.

    O’Connor S: Exoskeletons in nursing and healthcare: a bionic future. Clin Nurs Res 2021; 30: 1123–1126. doi:10.1177/10547738211038365 (Open Access).

    Steinhilber B, Luger T, Schwenkreis P et al.: Einsatz von Exoskeletten im beruflichen Kontext zur Primär-, Sekundär-, und Tertiärprävention von arbeitsassoziierten muskuloskelettalen Beschwerden. München: Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin e.V. (DGAUM), 2020.

    Tröster M: Ein Beitrag zur modellgestützten biomechanischen Einordnung und Auslegung arbeitsergonomischer Exoskelette. Stuttgart: Univ. Diss, 2024.

    Wakula J, Klaer V, Steinebach T: Analyse des Einflusses von passiven Exoskeletten für Überkopftätigkeiten auf die Haltezeiten von Werkzeugen, die lokale physiologische Beanspruchung und den Bewegungsraum der oberen Extremitäten. ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2019; 55: 578–584.

    Online-Quellen

    Das Exoskelett fürs Handwerk: ExoActive
    https://www.festool.at/kampagnen/microsites/exoactive#ExoActive

    Neues Exoskelett für komfortable Überkopfarbeit
    https://corporate.ottobock.com/de/unternehmen/newsroom/neues-exoskelett…

    Anwendungsvideo des Cray X-Exoskeletts 
    https://www.youtube.com/watch?v=BcWgrJu6L6Q (01.06.2025)

    S2k-Leitlinie der Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin e.V.: Einsatz von Exoskeletten im beruflichen Kontext zur Primär-, Sekundär-, und Tertiärprävention von arbeitsassoziierten muskuloskelettalen Beschwerden
    https://register.awmf.org/assets/guidelines/002-046l_S2k_Exoskelette_20…

    Abb. 2:  Schulter-Arm-Entlastung mit passivem Exoskelett

    © K. Landau

    Abb. 2: Schulter-Arm-Entlastung mit passivem Exoskelett

    Definition

    Exoskelette sind (elektro-)mechanische ­Assistenzsysteme, die am Körper getragen werden. Sie unterstützen die Funktionen des Skelett- und Bewegungssystems bei körperlicher Arbeit.

    Info

    Empfehlungen der S2k-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin

  • Exoskelette sind erst einzusetzen, wenn das Reservoir anderer Arbeitsgestaltungs- und ­organisationsmaßnahmen erschöpft ist (= Maßnahmenhierarchie des Arbeitsschutzes).
  • Die Implementierung von Exoskeletten soll unter Einbeziehung von Arbeitsmedizinerinnen und -medizinern sowie Sicherheitsfachkräften vorgenommen werden. Die gesetzlich ­vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung von Arbeitsplatz und Arbeitsorganisation ist vorab vorzunehmen.
  • Die Einführung und Nutzung des Exoskeletts soll mit einer Schulungs- und Eingewöhnungsphase verbunden werden.
  • Die Steuerung aktiver Exoskelette muss an die individuellen Bedürfnisse der jeweiligen ­Arbeitsperson anpassbar sein.
  • Bei den betroffenen Arbeitspersonen werden eine ausreichende körperliche Belastbarkeit
    und ausreichende kognitive Fähigkeiten vorausgesetzt.
  • Die Nutzung von Exoskeletten muss freiwillig sein.
  • Kontakt

    Univ. Prof. (em.) Dr.-Ing. Kurt Landau
    Allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter ­Sachverständiger; Lechnerschaft 110; 9872 Millstatt, Österreich