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Anwendungsbereiche und Fragestellungen für den Arbeitsschutz

Arbeiten mit Datenbrillen

Was sind Datenbrillen?

Unter dem Begriff Datenbrille lassen sich kopfgetragene Micro-Computer (Wearables) mit optischen Displays subsumieren, die dem Nutzer Informationen direkt ins Sichtfeld projizieren und über die Funktionalität eines Smartphones verfügen. Je nach Bauform verfügen sie über ein (monokular) oder zwei (binokular) Displays. Die auf dem Markt erhältlichen Datenbrillen variieren teilweise stark in Bauform, Funktionalität und Ausstattung, was eine eindeutige Abgrenzung zu ähnlichen Geräten (z.B. Virtual–Reality-Brillen) erschwert. Eine Klassifizierung der unterschiedlichen Datenbrillen kann funktionsorientiert über den Grad der Verschmelzung von Realität und Virtualität erfolgen, die an die Augmented-Reality-Methodik anknüpft: Die einfachste Form der Realitätsveränderung durch Datenbrillen beschreibt die Assisted Reality (Assistierende Realität), bei der dem Nutzer Informationen angezeigt werden, die ihm sonst nicht zu Verfügung ständen oder üblicherweise über ein Handheld (Smartphone, Tablet) angezeigt würden. Der Einsatz von Augmented Reality (Erweitere Realität, kurz AR) geht über diese Darstellungsart hinaus: Durch Wahrnehmungsüberlagerung mithilfe von kontextsensitiven Informationen kommt es zu einem Verschmelzen einer simulierten Realität und der Wirklichkeit. Wird ein dreidimensionaler Effekt der dargestellten Objekte bzw. Informationen erzeugt, die eine Interaktion mit der virtuellen Seite der Realität ermöglicht, spricht man von Mixed Reality (Gemischte Realität, kurz XR). In Abgrenzung zu diesen Definitionen ist die Virtual Reality (VR) zu sehen, wozu eine entsprechende nichttransparente VR-Brille verwendet wird, deren Nutzer in eine, von der Außenwelt getrennte, virtuelle Realität „eintaucht“.

Datenbrillen als Arbeitsmittel

Seit einigen Jahren werden Datenbrillen in unterschiedlichen Bereichen der Arbeitswelt pilotiert und inzwischen auch unter Realbedingungen eingesetzt. Die Anwendungsgebiete reichen von der Logistik über die Bauwirtschaft und die Automobilbranche bis hin zur Medizin innerhalb und außerhalb des Operationssaals. Durch ihre Bauform verfügen Datenbrillen über spezifische Vorteile gegenüber in diesen Bereichen typischerweise eingesetzten digitalen Arbeitsmitteln, die zwar in der Funktionalität vergleichbar sind, bei deren Nutzung aber in der Hand gehalten werden müssen und bei der Informationsaufnahme eine Blickabwendung von dem Arbeitsgeschehen erfordern.

Für die betriebliche Praxis lassen sich derzeit drei Einsatzszenarien für Datenbrillen identifizieren: In der Intralogistik erhalten Beschäftigte bei der Kommissionierung mit Datenbrillen (Pick-by-Vision) relevante Informationen wie Lagerplatz, Produktangaben und Routenführung durch die Lagerhalle ins Sichtfeld eingeblendet. Dadurch sollen Lagerabläufe optimiert und die Effizienz gegenüber herkömmlichen Picking-Systemen erheblich gesteigert werden.

Im Bereich der Montage und Fertigung können Datenbrillen zur Aus- und Weiterbildung (Training on the Job) eingesetzt werden, indem Beschäftigten kontextbasierte Informationen zu den jeweiligen Arbeitsschritten über die Datenbrille visualisiert werden. Schulungsaufwand und Bearbeitungszeiten bestimmter Teilaufgaben können damit reduziert und Arbeitsabläufe effizienter gestaltet werden. Auch ein Einsatz von angeleiteten Individualfertigungen wird in Modell- und Pilotprojekten überprüft.

Durch die Möglichkeit, das Sichtfeld des Nutzers der Datenbrille per Video zu streamen oder zu dokumentieren, kann die Unterstützung räumlich getrennter Experten (Remote Expert) angefordert oder spezifische Arbeitsschritte zu nachfolgender Fehleranalyse können dokumentiert werden (Terhoeven et al. 2017). Für diesen Einsatzzweck nennen Experten allerdings die Voraussetzung der Anbindung an moderne Mobilfunknetze, was erst eine Nutzung im Außenbereich möglich macht.

Zudem finden sich Beispiele, in denen Datenbrillen als Instrument zur Verbesserung der Gesundheit und Sicherheit der Beschäftigten eingesetzt werden können: Hierzu zählen Biofeedback-Systeme, die biologische Istzustände des Nutzers über die in der Datenbrille verbaute Sensorik messen und visuell aufbereitet zugänglich machen.

Sicher und gesund Arbeiten mit ­Datenbrillen

Die Anwendungsgebiete von Datenbrillen sind vielfältig und haben das Potenzial, einen einfachen Zugriff auf relevante Informationen zu bieten und zugleich die Hände für andere Aufgaben frei zu haben. Unternehmen versprechen sich durch den Einsatz von Datenbrillen, die Bearbeitungszeiten bestimmter Aufgaben zu verringern und damit die Effizienz gegenüber der Arbeit mit herkömmlichen Informationssystemen erheblich zu steigern.

Für den betrieblichen Einsatz ist dazu im Vorfeld zu prüfen, ob für den betreffenden Anwendungsfall eine Verwendung von Datenbrillen sinnvoll ist und ob eine mögliche zusätzliche Belastung für die Beschäftigten entsteht, die vertretbar ist. Dazu gehören insbesondere Aspekte, die im Kontext des jeweiligen Anwendungsfalls zu beurteilen sind: Dauer, Gestaltung und Komplexität der auszuführenden Aufgabe, die Arbeitssituation, in denen die Informationsaufnahme und Interaktion mit dem System stattfindet sowie die Verwendung der zum Arbeitsprozess passenden Datenbrillen (Task-Technology-Fit). Daneben sollte der individuelle Nutzungskontext der Beschäftigten (Akzeptanz, Technikaffinität, Lernfähigkeit) sowie arbeitsorganisatorische Fragestellungen (Arbeitsplatzgestaltung, Arbeitsverdichtung, kognitive Belastung) beachtet werden (Kirchhoff et al. 2016, s. „Weitere Infos“).

Vor dem betrieblichen Einsatz von Datenbrillen ist zudem im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung zu prüfen, ob für den betreffenden Anwendungsfall eine zusätzliche Belastung für die Beschäftigten entsteht und welche Maßnahmen, die einer gesundheitlichen Beeinträchtigung oder Unfällen entgegenwirken, durchzuführen sind. Aufgrund der Produktdiversität im Kontext von Datenbrillen und den unterschiedlichen Einsatzmöglichkeiten, die Datenbrillen als Arbeitsmittel bieten, ist die Identifizierung möglicher Gefährdungen, die im Zusammenhang der Arbeit mit Datenbrillen auftreten können, kaum zu verallgemeinern und im jeweiligen Kontext zu beurteilen. Zudem sind Fragestellungen, die den gesunden und sicheren Einsatz von Datenbrillen behandeln, normativ noch nicht hinreichend konkretisiert. So finden in Bezug auf die Arbeit mit Datenbrillen sowohl Normen Anwendung, die sich allgemein (beispielsweise Anhang 6.4 der Arbeitsstättenverordnung „Anforderungen an tragbare Bildschirmgeräte für die ortsveränderliche Verwendung an Arbeitsplätzen“) oder auf technische sowie ergonomische Aspekte (Specific Absorption Rate, Blendeigenschaften des Displays, Gebrauchstauglichkeit) anderer Bildschirmgeräte beziehen; eine spezifische normative Regelung zu Datenbrillen hingegen existiert nicht. Trotz oder gerade wegen der fehlenden Regelung müssen Arbeitgeber eine belastungsoptimierte, ergonomische Arbeitsplatzgestaltung sicherstellen, um den allgemeinen gesetzlichen Verpflichtungen nach dem Schutz der Beschäftigten angemessen nachkommen zu können.

Aufgrund des innovativen Charakters von Datenbrillen sind wissenschaftliche Untersuchungen zu dem Themenbereich nur begrenzt verfügbar: Verschiedene Pilotstudien beschäftigten sich mit dem Einfluss von Datenbrillen auf Arbeitseffizienz und Prozesssicherheit (Glockner et al. 2014, s. „Weitere Infos“). Dagegen wurden nur wenige Analysen bezüglich der Auswirkungen von Datenbrillen auf physische und psychische Belastungen am Arbeitsplatz durchgeführt (Gross et al. 2018; Friemert et al. 2016).

In einem aktuellen Forschungsprojekt der BGHW „Auswirkungen von Datenbrillen auf Arbeitssicherheit und Gesundheit“ soll anhand von Feld- und Laboruntersuchungen eine Handlungsempfehlung für den Einsatz von Datenbrillen an Arbeitsplätzen in den Bereichen Handel, Logistik, Service und Montage erstellt werden (s. „Weitere Infos“). Die Handlungsempfehlung soll aus einer Checkliste abgeleitet werden, mit der alle für die Beurteilung des Arbeitsplatzes relevanten Faktoren abgefragt werden. Ausgehend vom Stand der Wissenschaft und Technik soll für die Themen Anwendungsbereiche, Akzeptanz, Belastung der Augen, Auswirkungen auf das Muskel-Skelett-System, Strahlenbelastung, kognitive Belastung und Effizienz ein Überblick über die beobachteten Effekte bei der Nutzung von Datenbrillen gegeben
werden.

Interessenkonflikt: Die Autoren geben an, dass keine Interessenkonflikte vorliegt.

Literatur

Friemert D et al.: Data glasses for picking workplaces. International Conference on HCI in Business, Government, and Organizations 2016; 281–289.

Gross B et al.: Monitors vs. smart glasses: a study on cognitive workload of digital information systems on forklift trucks. International Conference on Digital Human Modeling and Applications in Health, Safety, Ergonomics and Risk Management 2018; 569–578.

Terhoeven J et al.: Datenbrillen im Einsatz. Gute Arbeit 2017; 5: 24–26.

Autor
Mag. rer. publ. Benno Gross, M.A.
Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA)
Alte Heerstraße 111,Sankt Augustin
Foto: privat

Weitere Infos

Glockner H et al.: Augmented Reality in Logistics, DHL ­Research 2014

http://www.delivering-tomorrow.de/wp-content/uploads/2015/08/dhl-report-augmented-reality-2014.pdf

Informationen und Zwischenergebnisse des laufenden ­Forschungsprojekts Auswir­kungen von Datenbrillen auf den Menschen

https://www.dguv.de/fbhl/sachgebiete/foerdern-lagern-logistik/datenbrillen/index.jsp

Kirchhoff B, Wischniewski S Adolph L: Head-Mounted Displays – Arbeitshilfen der Zukunft, Bedingungen für den sicheren und ergonomischen Einsatz monokularer Systeme, BAuA, Dortmund, 2016

https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Praxis/Head-Mounted-Displays.pdf?__blob=publicationFile&v=3

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