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Unfallzahlen und/oder unsichere Handlungen mit Behavior Based Safety reduzieren

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Reducing accident rates and/or unsafe acts with ­Behavior Based Safety

Workplace safety is not a matter of chance. Those working safely not only protect themselves and others but also contribute to the overall success of the company. The method of Behavior-Based Safety (BBS) provides valuable support in this regard. This article offers a practical look at how companies can use BBS to sustainably reduce the number of unsafe acts and (near) accidents, while also strengthening employees’ safety awareness.

Unfallzahlen und/oder unsichere Handlungen mit ­Behavior Based Safety reduzieren

Sicherheit am Arbeitsplatz ist kein Zufallsprodukt. Wer sicher arbeitet, schützt nicht nur sich selbst und andere, sondern trägt auch zum Erfolg des gesamten Unternehmens bei. Dabei kann die Methode der verhaltens­orientierten Arbeitssicherheit (Behavior Based Safety, kurz BBS) unterstützen. Der Beitrag zeigt praxisnah, wie Unternehmen mit Hilfe von BBS die Zahl unsicherer Handlungen und (Beinahe-)Unfälle nachhaltig senken und gleichzeitig das Sicherheitsbewusstsein der Beschäftigten stärken können.

Kernaussagen

  • Verhaltensorientierte Arbeitssicherheit ist mehr als eine Methode – sie ist Teil einer ­umfassenden Sicherheitskultur, die auf Eigenverantwortung, gegenseitige Unterstützung und ­kontinuierliche Entwicklung setzt.
  • Von zentraler Bedeutung sind die Einbindung aller Beschäftigten, eine offene Fehlerkultur (Lernen aus Fehlern statt Sanktionen) und die unterstützende Begleitung der Maßnahme durch die Führungskräfte.
  • Richtig umgesetzt, hilft BBS nicht nur, Unfälle zu vermeiden, sondern stärkt auch das ­Zusammengehörigkeitsgefühl und die Zufriedenheit im Unternehmen.
  • Unternehmen, die sich auf diesen Weg machen, benötigen Zeit, Ressourcen und Engagement. Doch der Aufwand lohnt sich: für eine gesunde Belegschaft, für einen sicheren ­Arbeitsplatz und für das gute Gefühl, am Ende des Tages gesund nach Hause zu kommen.
  • Was ist verhaltensorientierte ­Arbeitssicherheit?

    Der BBS-Ansatz ist im Bereich des Arbeitsschutzes verortet. Dabei wird das Verhalten der Beschäftigten als zentrales Element der betrieblichen Sicherheit betrachtet. Das Ziel von BBS ist das Beeinflussen des Verhaltens dahingehend, dass weniger Unfälle und unsichere Handlungen am Arbeitsplatz auftreten. Dafür ist die Analyse und Bewertung von Verhaltensweisen notwendig, bevor Beschäftigte gezielt geschult werden und durch Motivation eine Verhaltensänderung im positiven Sinne erfolgen kann. Im Mittelpunkt stehen Fragen wie: Welche Handlungen führen zu Unfällen beziehungsweise welche Handlungen sind unsicher/riskant? Wie können sichere Verhaltensweisen gefördert werden? Und wie gelingt es, dass diese im Arbeitsalltag dauerhaft gelebt werden? Statt auf Kontrolle und Sanktion setzt BBS auf Beobachtung, Feedback, Schulung und Motivation, um eine Sicherheitskultur zu fördern, in der sich Beschäftigte verantwortlich für die eigene Sicherheit und die von Kolleginnen und Kollegen fühlen und dementsprechend sicherheitsbewusst handeln (vgl. Bördlein 2022).

    Verhaltensorientierte Arbeitssicherheit ergänzt dabei technische und organisatorische Schutzmaßnahmen um den „Faktor Mensch“ (Verhalten und Einstellungen). Entscheidende Bausteine sind transparente Kommunikation, das Vertrauen, dass Fehler auch von Führungskräften als Lernchance verstanden werden, und gegenseitige Unterstützung („Buddy-Prinzip)“.

    Warum funktioniert BBS?

    Ein großer Teil der Arbeitsunfälle ist auf menschliches Verhalten zurückzuführen. Genau hier setzt BBS an: Durch gezielte Schulungen, Sensibilisierung und positive Verstärkung lernen die Beschäftigten, Risiken früher zu erkennen und bewusst sichere Entscheidungen zu treffen.

    Die Beschäftigten werden ermutigt, unsichere Situationen offen anzusprechen und sicherheitsgerechtes Verhalten bei sich selbst und anderen zu fördern. Ein weiterer Vorteil: Beobachtungen und Feedback helfen, Gefahrenpotenziale bereits frühzeitig zu erkennen und gegenzusteuern, bevor etwas passiert. Gleichzeitig fördert BBS das Verantwortungsgefühl und die Motivation der Beschäftigten, sich aktiv in die Verbesserung der Sicherheit einzubringen. Zahlreiche Studien zeigen, dass die Unfallzahlen sowie die Anzahl an Verletzungen in Unternehmen, die BBS umsetzen, signifikant geringer sind und damit die Wirksamkeit von BBS bestätigen (z. B. Guldenmund 2000; Geller 2001; Cohen u. Colligan 1998).

    Wie gelingt die Umsetzung im ­Unternehmen?

    Ein wirksames BBS-Programm braucht neben personellen, zeitlichen und finanziellen Ressourcen einen strukturierten Fahrplan und umfasst mehrere aufeinander abgestimmte Schritte. Dazu gehören klare Ziele, ein durchdachtes Schulungskonzept, der Fokus auf positive Verstärkung, ein kompetentes Beobachtungsteam und vor allem: die Unterstützung der Führungskräfte. Sie müssen Sicherheit vorleben, als Ansprechpartner zur Verfügung stehen und bereit sein, die Rahmenbedingungen aktiv mitzugestalten (vgl. Zahn 2025).

    Folgende Schritte können bei der Umsetzung hilfreich sein:

  • Kick-off-Veranstaltung für das Leitungs-Team: Motivieren und Informieren der Führungskräfte über die Durchführung des BBS-Programms sowie das Ziel (z. B. Klärung des Vorgehens und der Rollen, Erläuterung der Durchführung, Klärung vorhandener und benötigter Ressourcen, Festlegung von Kennwerten und Kriterien zur Erfolgsmessung).
  • Kick-off-Veranstaltung für Beschäftigte: Informieren und Begeistern der Beschäftigten für das BBS-Programm (z. B. „Sicher arbeiten, gesund nach Hause kommen“).
  • Schulung und Sensibilisierung: Beschäftigte und Führungskräfte in den Prinzipien (positive Verstärkung) von BBS schulen.
  • Aufbau eines Beobachtungs-Teams: Ein kleines Team aus motivierten Beschäftigten und Führungskräften zusammenstellen beziehungsweise zur Erhöhung der Objektivität Externe beauftragen.
  • Beobachtungsplan entwickeln: Festlegen, welche Verhaltensweisen sicher/unsicher sind, also beobachtet werden sollen, und wie oft.
  • Beobachtungen durchführen: Regelmäßige, respektvolle und neutrale Beobachtungen an den Arbeitsplätzen.
  • Feedbackgespräche: Nach den Beobachtungen offene Gespräche führen, um sichere und unsichere Verhaltensweisen zu reflektieren.
  • Erfolgskontrolle: Überprüfung der Unfallzahlen und Verhaltensänderungen, um den Erfolg zu messen.
  • Kontinuierliche Verbesserung: Anpassung der Maßnahmen, basierend auf den Ergebnissen.
  • Praxisbeispiel: Erfolgreiches ­Training am Pilotstandort

    Das ifaa – Institut für angewandte Arbeitswissenschaft – hat ein Trainingskonzept für einen Pilotstandort eines großen Industrieunternehmens evaluiert. Ziel war es zu überprüfen, ob mittels eines hybriden Trainingskonzepts sicheres Verhalten auf dem Shopfloor gestärkt wird, sich das Commitment zum Team steigert, unsichere Handlungen reduziert werden und das Sicherheitsklima verbessert werden kann. Grundlage waren klassische BBS-Elemente, die mit digitalen Lernformaten kombiniert wurden (für ausführliche Ergebnisse s. auch Frost et al. 2025, S. 286 ff.).

    Das Trainingsverfahren wurde indivi­duell auf die Bedürfnisse der Beschäftigten auf dem Shopfloor entwickelt. Wichtig hierfür waren insbesondere Workshops, in denen Beschäftigte danach gefragt wurden, bei welchen Arbeitsschritten aus ihrer Sicht ein erhöhtes Unfall- beziehungsweise Verletzungsrisiko besteht und welche Maßnahmen (Verhaltensweisen/Prozesse/Werkzeuge) hilfreich wären, um das Risiko zu minimieren. Folgende Maßnahmen wurden am Pilotstandort durchgeführt:

  • interner Kick-off Workshop mit dem Projektteam,
  • offizieller Kick-off Workshop mit allen Beschäftigten und Führungskräften (Abholen der Beschäftigten und Erklären der Projektziele),
  • zwei Workshops, in denen Standardarbeitsanweisungen (SOPs) erarbeitet, unsichere Handlungen identifiziert und daraus zu verändernde Verhaltensweisen abgeleitet wurden,
  • mehrere Workshops zur Stärkung des Commitments von allen Beschäftigten und Führungskräften am Standort
  • Definition und Umsetzung der zu verändernden Verhaltensweisen an den Arbeitsplätzen durch die Beschäftigten inklusive positivem Feedback durch die Führungskräfte und der Beschäftigten untereinander,
  • digitale Lernvideos für Beschäftigte
  • E-Learning für Führungskräfte zum Thema verhaltensorientierte Arbeits­sicherheit.
  • Die Wirkung wurde mit verschiedenen Methoden geprüft: Zunächst interviewte das Team des ifaa Führungskräfte sowie die Fachkraft für Arbeitssicherheit in Bezug auf Unfallzahlen, Beinahe-Unfälle und den Umgang damit. Auch die Fehlerkultur und Themen wie Team-Commitment, das Verhalten in unsicheren Situationen und das Tragen von PSA (persönliche Schutzausrüstung) waren Inhalte der Gespräche. Eine Dokumentenanalyse (z. B. Berichte des Arbeitsschutzausschusses) rundete die Analyse des Status quo vor Projektbeginn ab.

    In mehreren Fragebogenerhebungen zu unterschiedlichen Messzeitpunkten wurden auch die Beschäftigten dazu befragt,
    wie sie

  • das Sicherheitsklima,
  • ihr Commitment zum Team,
  • das eigene Verhalten und das der anderen als „Buddy“ sowie
  • das Verhalten bei unsicheren Zuständen
  • wahrnehmen.

    Vor, während und nach der Maßnahme wurden zudem sechs Verhaltensbeobachtungen an einem Arbeitsplatz durchgeführt. Hierbei zählte das Beobachtungs-Team, das immer aus zwei Personen bestand, vorab definierte sichere und unsichere Verhaltensweisen (z. B. das Tragen von Schnittschutzhandschuhen beim Hantieren mit scharfkantigem Material).

    Sowohl Führungskräfte als auch Beschäftigte wurden zur Zufriedenheit mit den Workshops beziehungsweise mit dem gesamten Projekt sowie den online verfügbaren, zielgruppenspezifischen Lernvideos befragt.

    Das Ergebnis: Der Anteil sicheren Verhaltens stieg von 44 % (vor der Maßnahme) auf 89 % (nach der Maßnahme) und das Sicherheitsklima verbesserte sich deutlich. Das kann als klarer Hinweis dafür gesehen werden, dass das Trainingsverfahren die gewünschte Wirkung erzielen konnte. Unsichere Handlungen gingen um 45 % zurück und alle am Projekt beteiligten Personen wurden für das Thema Arbeitssicherheit sensibilisiert. Sowohl Beschäftigte als auch Führungskräfte bewerteten das Training „sehr positiv“. Die positive Wirkung des Trainings führen die Befragten sowie das ifaa-Team darauf zurück, dass

  • das Training den Beschäftigten geholfen hat, sich sicherer zu verhalten,
  • unsichere Situationen seltener auftraten,
  • Beschäftigte – sollten unsichere Situatio­nen auftreten – genau wussten, was zu tun
    ist und was nicht getan werden darf
    und
  • der Lern- und Trainingserfolg durch konkret genannte Lernerfahrungen bestätigt werden konnte.
  • Interessenkonflikt: Die Autorinnen geben an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.

    Literatur

    Bördlein C: Verhaltensorientierte Arbeitssicherheit – Behavior Based Safety (BBS). Berlin: Erich Schmidt Verlag, 2022.

    Cohen AL, Colligan MJ: Assessing occupational safety and health training: A literature review. Cincinnati (OH): National Institute for Occupational Safety and Health; 1998. (NIOSH Numbered Publications).
    https://doi.org/10.26616/NIOSHPUB98145 (abgerufen am 22.08.2025).

    Frost M, Schüth NJ, Bonse S: Verhaltensbasierte Arbeitssicherheit – Sicherheitskultur stärken und unsichere Handlungen reduzieren. In: Gesellschaft für Arbeits­wissenschaft (Hrsg.): Arbeit 5.0: Menschzentrierte Innovationen für die Zukunft der Arbeit. Frühjahrskongress 2025; März 2025. Aachen. Abstract Nr. 119591.

    Geller ES: The psychology of safety handbook. Boca Raton (FL): CRC Press; 2001.

    Guldenmund FW: The nature of safety culture: a review of theory and research. Saf Sci 2000; 34: 215–257.

    Zahn MC: Behavior Based Safety (BBS) – Sicherheitskultur stärken und unsichere Handlungen und/oder Unfallzahlen im Betrieb reduzieren durch verhaltensorientierte Arbeitssicherheit. Zahlen Daten Fakten. ifaa – Institut für angewandte Arbeitswissenschaft. 2025. https://www.arbeitswissenschaft.net/fileadmin/user_upload/ZDF_Sicherhei… (abgerufen am 22.08.2025).

    Definition

    „Buddy-Prinzip“: Ursprünglich aus dem Bereich des Tauchens oder dem Militär, ­beruht das Prinzip darauf, dass sich Menschen gegenseitig in unsicheren Situationen als Kumpel („Buddy“) absichern bzw. aufeinander aufpassen.

    Definition

    Positive Verstärkung bei BBS: Sicheres Verhalten wird anerkannt bzw. bestärkt, wohingegen auf unsicheres Verhalten keine Bestrafungen bzw. negative Konsequenzen folgen.

    Info

    Durch das Einbinden und Befragen der ­Beschäftigten kann deren Motivation zur Mitarbeit erhöht werden. Zudem erhalten Projektleitende wichtige Informationen aus „erster Hand“ von den Betreffenden.

    KOAUTORIN

    Martina C. Zahn
    ifaa – Institut für angewandte Arbeitswissenschaft e. V., Düsseldorf

    Kontakt

    Nora Johanna Schüth, M. Sc.
    ifaa – Institut für angewandte Arbeitswissenschaft e. V.; Uerdinger Str. 56; 40474 Düsseldorf

    Foto:Tania Walck

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