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Significance of the temporal course of the disease for BK 4302
According to – in the meantime – established case law, in the case of occupational diseases without an exposure dose, the presence of the respective listed substances at the workplace is to be assumed to meet the technical requirements. If other causes for the insured person’s illness have been positively excluded, the question of recognition of an occupational disease depends crucially on whether the occupational medical prerequisites for an occupational cause of the disease are proven.
Kernaussagen
keine Berufskrankheit anerkannt werden, sofern im Rahmen der arbeitsmedizinischen Voraussetzungen festgestellt wird, dass die Krankheit nicht auf die beruflich bedingte Einwirkung zurückgeführt werden kann.
Bedeutung des zeitlichen Erkrankungsverlaufs für die BK 4302
Nach zwischenzeitlich gefestigter Rechtsprechung ist bei Berufskrankheiten ohne Einwirkungsdosis mit dem Vorhandensein der jeweiligen Listenstoffe am Arbeitsplatz vom Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen auszugehen. Sind andere Ursachen für die Erkrankung von Versicherten positiv ausgeschlossen, kommt es für die Frage der Anerkennung einer Berufserkrankung entscheidend darauf an, ob die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen einer beruflichen Verursachung des Krankheitsbilds belegt sind.
Sachverhalt
Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 4302 (durch chemisch-irritativ wirkende Stoffe verursache Atemwegserkrankungen) der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) streitig.
Die Klägerin absolvierte eine Ausbildung zur Gasschweißerin und arbeitete vom 01.10.1981 bis zum 31.12.1992 vollschichtig als Gasschweißerin, wobei sie mit dem Schweißen von Hydraulikbremsleitungen und mit weiteren Lötaufgaben betraut war.
E2 führte in seinem Befundbericht vom 07.11.2019 über die am selben Tag durchgeführte Röntgendiagnostik des Thorax aus, der Befund sei mit der Berufserkrankung einer Schweißerlunge mit entsprechenden interstitiellen Lungenveränderungen sowie teilweise verkalkten Schwielen an der Zwerchfellkuppe rechts vereinbar, aktuell bestünden keine akuten kardialen Dekompensationszeichen oder pneumonische Infiltrate. Mit Schreiben vom 12.11.2019 teilte der die Klägerin behandelnde Arzt D1 unter Beifügung einer ärztlichen Anzeige bei Verdacht auf eine Berufskrankheit der Beklagten mit, die Klägerin sei bei ihrer Beschäftigung als Schweißerin einer außergewöhnlichen Atembelastung durch Schweißdämpfe ausgesetzt gewesen, im Verlauf bis heute habe sich zunehmend eine Atemstörung entwickelt und die Thoraxaufnahme zeige eindeutig das Bild einer Schweißerlunge; es werde um Prüfung gebeten, ob eine Berufskrankheit vorliege.
Der Präventionsdienst der Beklagten bestätigte in seiner Stellungnahme vom 20.03.2020, die Klägerin sei vom Oktober 1981 bis Ende 1992 als Gasschweißerin vollschichtig für das Schweißen von Hydraulikbremsleitungen eingesetzt worden. Die vier weiteren Kollegen2 hätten ihre Beschäftigung unmittelbar benachbart zu ihr ausgeführt. Eine Absaugung habe es nicht gegeben. In 20 Metern Entfernung seien zwei Lichtbogen-CO2-Schweißer als Vollzeitschweißer ohne Absaugung der Schweißrauche beschäftigt gewesen. Darüber hinaus sei sie für zwei weitere Lötaufgaben eingesetzt worden. Unter Auswertung der mitgeteilten Arbeitsumstände kam der Präventionsdienst der Beklagten in Bezug auf die Berufskrankheit Nr. 4302 zu dem Ergebnis, die Klägerin sei während ihrer Beschäftigung als Gasschweißerin und Löterin Nitrose-Gasen (Stickstoffdioxid), Fluoriden, Borsäure, Manganoxid und Schweißrauch oberhalb 1,25 mg/m³ ausgesetzt und damit gefährdend im Sinne dieser Berufskrankheit beschäftigt gewesen. In Bezug auf die Berufskrankheit Nr. 4115 (Lungenfibrose durch extreme und langjährige Einwirkung von Schweißrauchen und Schweißgasen – Siderofibrose) kam der Präventionsdienst der Beklagten zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin während ihrer Beschäftigung als Gasschweißerin und Löterin unter Berücksichtigung der Fehlzeiten eine Schweißrauch-Expositionsdauer von 16.416 Stunden und eine Schweißrauchdosis von 128,25 mg/m³ Jahre vorgelegen habe und daher von einer gefährdenden Tätigkeit auch im Sinne dieser Berufskrankheit ausgegangen werden könne.
In seinem von der Beklagten beauftragten Gutachten vom 21.10.2020 führte L2 aus, die Klägerin habe angegeben, dass Atembeschwerden und Husten schon während der Tätigkeiten von 1981 bis 1993 aufgetreten seien, seit etwa 2005 habe sie Atembeschwerden bei Belastung. Sie habe von 1986 bis 2018 zwischen 8 und 10 Zigaretten am Tag geraucht, jedoch nie auf Lunge, sondern immer nur gepafft. Der Sachverständige kam zu der Einschätzung, es liege eindeutig eine obstruktive Atemwegserkrankung (COPD) vor. Hierauf weise eindeutig die mäßige bis mittelschwere, im Bronchoplasmolysetest partiell reversible Obstruktion mit leichter Lungenüberblähung hin. Im gleichen Sinne sei die Beobachtung zu interpretieren, dass in der computertomografischen Untersuchung des Thorax eine erhebliche Verdickung der Segment- und subsegmentalen Bronchien habe beobachtet werden können. Eine interstitielle Lungenerkrankung im Sinne einer Siderofibrose durch Schweißrauch liege hingegen nicht vor. Das Vorliegen einer Berufskrankheit Nr. 4115 sei daher zu verneinen. Anders lägen die Verhältnisse bei der Berufskrankheit Nr. 4302. Schweißgase enthielten insbesondere Ozon und Nitrose-Gase, aber auch andere Stoffe. Eine entsprechende, relevante Exposition habe nach der Stellungnahme des Präventionsdienstes eindeutig bestanden. Die Exposition sei geeignet gewesen, zu einer obstruktiven Atemwegserkrankung im Sinne einer Berufskrankheit Nr. 4302 zu führen. Eine obstruktive Atemwegserkrankung sei eindeutig nachgewiesen. Als möglicher konkurrierender Faktor zu den beruflichen Einwirkungen könne ein früherer Tabakkonsum angeführt werden. Da die Klägerin aber weniger als 16 „pack-years“ geraucht und offensichtlich auch nur gepafft und nicht inhaliert habe, scheide eine solche Exposition als wesentlich konkurrierender Faktor mit hoher Wahrscheinlichkeit aus. Andere konkurrierende Faktoren bestünden nicht.
Der beratende Arzt der Beklagten folgte der Argumentation des Gutachters L2, merkte aber an, die Untersicherheit der Bewertung steige mit zunehmendem Abstand zur letztmaligen Exposition. Dies bedeute, dass eine extrem lange zeitliche Latenz – im Falle der Klägerin betrage sie ca. 28 Jahre – ausschließe, eine Kausalität zwischen Exposition und Erkrankung wahrscheinlich zu machen. Bei Latenzzeiten von mehr als „nur wenigen Jahren“ bestünden zu große Unsicherheiten, um eine kausale Beziehung tatsächlich wahrscheinlich machen zu können. Vielmehr spreche die erhebliche zeitliche Latenz gegen eine kausale Beziehung. Vorliegend könne der Beklagten daher nicht empfohlen werden, eine Berufskrankheit Nr. 4302 anzuerkennen.
Mit Bescheid vom 03.06.2021 lehnte die Beklagte die Feststellung einer Berufskrankheit Nr. 4302 mit Hinweis auf die 28-jährige Latenzzeit ab. Aus demselben Grund waren Widerspruch und Klage nicht erfolgreich.
In der Berufung hat die Klägerin weitere Beweismittel zu Brückensymptomen vorgelegt und wesentlich auf die Nichtbeachtung des § 9 Abs. 3 SGB VII abgestellt. Es handele sich um eine gesetzliche Vermutung zugunsten der Versicherten dahingehend, dass eine Katalogberufserkrankung auf einer versicherten Tätigkeit beruhe, sobald ein Versicherter im Zusammenhang mit der gesetzlichen versicherten Tätigkeit in erhöhtem Maße der Gefahr der Erkrankung an einer in der BKV genannten Berufserkrankungen ausgesetzt gewesen sei. Dies sei hier der Fall. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass auch andere Ursachen außerhalb der versicherten Tätigkeit für die Erkrankung von Bedeutung sein könnten, bestünden nicht.
Der vom Landessozialgericht (LSG) beauftragte Gutachter N1 führte zusammenfassend aus, die hohen Schweißrauchdosen, die vielen Schweißerstunden, die arbeitshygienisch ungünstigen Arbeitsbedingungen und die Exposition gegenüber Lötrauchen seien geeignet für die Entwicklung einer COPD durch Exposition gegenüber Nitrose-
Gasen, Manganoxid, Schweißrauchen, Fluoriden und Borsäure. Wäre zum Beispiel eine eingeschränkte Lungenfunktion beziehungsweise ein ausgeprägtes bronchitisches Beschwerdebild in den Jahren während beziehungsweise kurz nach der Aufgabe der Tätigkeit zu verifizieren, gäbe es keinerlei Zweifel am Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nr. 4302, auch wenn gleichzeitig ein Zigarettenrauchen vorgelegen hätte. Es hätten nun aber keinerlei Befunde beigebracht werden können, die das Vorliegen einer Atemwegserkrankung hätten bestätigen können.
Der Sachverständige kam zu dem Ergebnis, es liege weiterhin eine Latenzzeit von 28 Jahren zwischen letzter Exposition und Erstdiagnose einer chronisch-obstruktiven Atemwegserkrankung vor. Eine Kausalität zwischen Exposition und Erkrankung könne nicht wahrscheinlich gemacht werden. Die deutliche zeitliche Latenz spreche weiterhin gegen eine kausale Beziehung. In der Reichenhaller Empfehlung werde darauf hingewiesen, je kürzer die zeitliche Latenz zwischen letzter Exposition und Erstdiagnose der COPD sei, desto wahrscheinlicher könne davon ausgegangen werden, dass der Beginn der Erkrankung tatsächlich noch in der Zeit der Exposition gelegen habe. Die Wahrscheinlichkeit einer Kausalität nehme mit zunehmendem zeitlichen Abstand zum Ende der letztmaligen Exposition ab.
Vorliegend hätten unter Verwertung der übersandten Ergebnisse der Nachermittlungen nun die Lücken in der Beweisführung nicht geschlossen werden können. Die Abgrenzbarkeit von berufsunabhängigen Gesundheitsstörungen sei aufgrund von fehlenden Longitudinaldaten weiterhin nicht möglich.
Auf der Basis dieses Feststellungergebnisses hat das LSG eine BK 4302 verneint und die Berufung zurückgewiesen.
Arbeitstechnische Voraussetzungen
Die arbeitstechnischen Voraussetzungen seien zunächst erfüllt. Denn bei Berufskrankheiten ohne Einwirkungsdosis – wie vorliegend bei der Berufskrankheit nach Nr. 4302 – sei mit dem Vorhandensein der in der Berufskrankheit genannten Listenstoffe am Arbeitsplatz vom Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen auszugehen, wenn andere in Betracht kommende Ursachen für die Erkrankung des Versicherten positiv ausgeschlossen seien (BSG, Urteil vom 27.09.2023 – B 2 U 8/21 R).
Beim Fehlen konkurrierender Ursachen sei nicht automatisch ein Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkung und Erkrankung anzunehmen. Insbesondere genüge bei komplexen Krankheitsgeschehen, die mehrere Ursachen haben können, die fehlende Feststellbarkeit von konkurrierenden Ursachen nicht für die Annahme der haftungsbegründenden Kausalität. Indes genüge ein klar erkennbarer Ursache-Wirkungs-Zusammenhang zwischen Einwirkung und Erkrankung zur Bejahung der Kausalität, wenn keine Anhaltspunkte für eine alternative (innere oder äußere) Krankheitsursache bestehen. Wenn die hinreichende Wahrscheinlichkeit einer allein wesentlichen außerberuflichen wie zum Beispiel einer inneren Verursachung zu verneinen sei, komme danach durchaus der Schluss in Betracht, dass eine vorhandene geeignete berufliche Einwirkung auch ein geeignetes Krankheitsbild verursacht habe. Eine wesentliche Verursachung durch die berufliche Exposition sei anzunehmen, wenn andere Ursachen für die Erkrankung des Versicherten positiv ausgeschlossen sind (BSG, Urteil vom 27.09.2023 – B 2 U 8/21 R).
Vorliegend wäre die Klägerin nach den Stellungnahmen des Präventionsdienstes der Beklagten Nitrose-Gasen (Stickstoffdioxid), Fluoriden, Borsäure, Manganoxid und Schweißrauch oberhalb 1,25 mg/m³ ausgesetzt und damit gefährdend im Sinne der Berufskrankheit Nr. 4302 beschäftigt gewesen. Dies hätten L2 in seinem Gutachten und weitere Sachverständige bestätigt, indem sie dargelegt haben, dass Schweißgase insbesondere Ozon und Nitrose-Gase, aber auch andere Stoffe enthielten und die vom Präventionsdienst ermittelte Exposition geeignet gewesen ist, zu einer obstruktiven Atemwegserkrankung im Sinne der Berufskrankheit Nr. 4302 zu führen.
Andere in Betracht kommende Ursachen für die Erkrankung der Klägerin seien positiv ausgeschlossen. Insbesondere der Nikotinkonsum von 12 bis 16 „pack-years“ träte nach den Gutachten angesichts der Höhe der Schweißrauch-Exposition in den Hintergrund.
Arbeitsmedizinische Voraussetzungen
Nicht erfüllt seien indes die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen. Der Annahme eines Ursachenzusammenhangs im Sinne der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie stehe entgegen, wenn im Rahmen der Prüfung der arbeitsmedizinischen Voraussetzungen feststehe, dass die Krankheit nicht auf die beruflich bedingte Einwirkung zurückzuführen sei. Andernfalls sei die Berufskrankheit anzuerkennen, wenn die Einwirkung auch rechtlich wesentlich war (BSG, Urteil vom 27.09.2023 – B 2 U 8/21 R).
Lasse bei einer Berufskrankheit ohne normativ vorgegebene oder nach dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand bestimmbare Mindestdosis die Einwirkungsintensität keine negativen Rückschlüsse auf den Ursachenzusammenhang im Sinne der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie zu, so stehe der Annahme eines solchen Ursachenzusammenhangs gleichwohl die positive Feststellung entgegen, dass die Krankheit nicht auf die beruflich bedingte Einwirkung zurückzuführen sei. Um bei Berufskrankheiten, für die keine Einwirkungsdosis vorgegeben ist, einen Ursachenzusammenhang auszuschließen, müsse also positiv festgestellt werden, dass die Krankheit nicht auf die beruflich bedingte Einwirkung zurückzuführen ist (BSG, Urteil vom 27.09.2023 – B 2 U 8/21 R).
Für die positive Feststellung, dass eine Krankheit nicht auf die beruflich bedingte Einwirkung zurückzuführen ist, genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht jedoch die bloße Möglichkeit. Sie erfordert eine Prüfung des Ursachenzusammenhangs im Sinne der arbeitsmedizinischen Voraussetzungen. Für die Feststellung fehlender Ursächlichkeit sei entscheidend, dass wegen der Art oder der Lokalisation der Erkrankung, wegen des zeitlichen Ablaufs der Erkrankung (Expositionszeit, Latenzzeit und Interimszeit) oder aufgrund sonstiger Umstände im konkreten Einzelfall ein ursächlicher Zusammenhang trotz der beruflichen Einwirkung nicht wahrscheinlich ist (BSG, Urteil vom 27.09.2023 – B 2 U 8/21 R).
Sei ein solches „versicherungsfremdes“ Schadensbild nicht feststellbar, sei davon auszugehen, dass die Krankheit auf die beruflich bedingte Einwirkung zurückzuführen sei.
Zeitlicher Verlauf der Erkrankung
Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze
lasse sich positiv feststellen, dass die Atemwegserkrankung der Klägerin nicht auf die beruflich bedingten Einwirkungen zurückzuführen sei. Denn wegen des zeitlichen Ablaufs der Erkrankung, wozu nach der Überzeugung des Senats nicht nur die Expositionszeit, die Latenzzeit und die Interimszeit, sondern auch der zeitliche Abstand zwischen Expositionsende und Erstdiagnose zu rechnen sei, lasse sich im konkreten Einzelfall der Klägerin ein ursächlicher Zusammenhang trotz der beruflichen Einwirkung nicht wahrscheinlich machen.
Der Sachverständige N1 habe aufschlussreich dargelegt, dass wegen der langen Latenzzeit von knapp 28 Jahren zwischen Expositionsende und Erstdiagnose der chronisch-obstruktiven Atemwegserkrankung eine Kausalität zwischen Exposition und Erkrankung nicht wahrscheinlich gemacht werden könne. Es hätten keine Befunde beigebracht werden können, die für die Zwischenzeit das Vorliegen einer Atemwegserkrankung bestätigen konnten (wird im Einzelnen ausgeführt).
Es fehle aber nicht nur an einem Nachweis über ärztliche Behandlungen zwischen Expositionsende und Erstdiagnose, sondern es fehle auch an einem Nachweis dafür, dass die Klägerin während der Exposition oder in einem zeitlichen Zusammenhang hiermit an Atembeschwerden gelitten habe, die mit dem berufsbedingten Entstehen einer chronisch obstruktiven Atemwegserkrankung in Zusammenhang gebracht werden könnten. Zwar habe die Klägerin entsprechende Beschwerden angegeben, hierzu habe allerdings D3 in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass sich die Ursache der von der Klägerin geschilderten variablen klinischen Symptomatik nicht weiter klären lasse. Er habe zutreffend ausgeführt, dass es möglich sei, dass wiederholte respiratorische Infekte zur Entstehung dieser Problematik geführt hätten. Bei vielen Menschen mit schicksalhaft entstandenem Asthma bestünden, infektbedingt oder auch durch anderweitige Einflüsse, mehrfach jährlich akut auftretende Krankheitszustände mit der Notwendigkeit einer medikamentösen Behandlung, was in aller Regel zu einer Linderung der Symptomatik führe, so dass sich insofern die variable klinische Symptomatik zunächst durchaus als schicksalhaftes Phänomen auffassen lasse.
Der Senat folge dem Beratungsarzt auch dahingehend, dass zwar die Angaben der Klägerin, dass bei Abwesenheit vom Arbeitsplatz nach ein bis zwei Wochen eine Linderung der Symptomatik eingetreten sei und sich nach Beendigung der belastenden Tätigkeit ein stabiler Verlauf eingestellt habe, für eine Arbeitsplatzbezogenheit der Symptomatik sprächen, es sich dabei aber aufgrund des Fehlens objektiver Befunde um wenig belastbare Hinweise darauf handele, dass die beruflichen Einwirkungen einen Einfluss auf die Symptomatik genommen haben. Insbesondere sei D3 darin zu folgen, dass die Darstellung medizinisch mehr oder weniger plausibler Atembeschwerden mit oder ohne Bezug zu beruflichen Expositionen nicht per se mit dem Nachweis der obstruktiven Atemwegserkrankung gleichzusetzen sei, zumal es zahlreiche Personen mit dem Ablauf von jährlich drei bis vier respiratorischen Infekten mit entsprechenden klinischen Beschwerden in Form von Husten, Auswurf und Luftnot gebe, ohne dass diese Personen jemals ein Asthma entwickeln. Symptome seien eben keine Diagnose. Eine vollbeweisliche Sicherung einer obstruktiven Atemwegserkrankung sei mithin erstmals am 13.10.2020 erfolgt.
Aufgrund des sich nach alledem ergebenden einerseits nicht gesicherten Beschwerdebilds der Klägerin während der Exposition und andererseits des zeitlichen Abstands zwischen Expositionsende am 31.12.1992 und Erstdiagnose am 13.10.2020, ohne dass in diesem knapp 28 Jahre langen Zeitraum ärztliche Behandlungen dokumentiert seien, die wegen auf eine obstruktive Atemwegserkrankung zurückführbare Beschwerden in Anspruch genommen worden seien, lasse es sich positiv feststellen, dass die Atemwegserkrankung der Klägerin nicht auf die beruflich bedingten Einwirkungen zurückzuführen sei.
Vermutungsregelung greift nicht
Erkranken Versicherte, die infolge der besonderen Bedingungen ihrer versicherten Tätigkeit in erhöhtem Maße der Gefahr der Erkrankung an einer in der BKV genannten Berufskrankheit ausgesetzt waren, an einer solchen Krankheit und können Anhaltspunkte für eine Verursachung außerhalb der versicherten Tätigkeit nicht festgestellt werden, wird nach § 9 Abs. 3 SGB VII vermutet, dass diese infolge der versicherten Tätigkeit verursacht worden ist.
Es handele sich hierbei um eine Beweisregelungsvorschrift, die in Anlehnung an die Grundsätze über den Anscheinsbeweis einer Beweiserleichterung bei der Feststellung des Ursachenzusammenhangs im Einzelfall dienen solle. Die Vorschrift verpflichte die Unfallversicherungsträger zu prüfen, inwieweit aufgrund gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse bei definierten Einwirkungen einerseits und bestimmten Krankheitsbildern andererseits typischerweise von der Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs zwischen Einwirkung und Erkrankung auszugehen sei. Dieser Anscheinsbeweis beziehungsweise diese Beweiserleichterung greife dann nicht, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine Verursachung außerhalb der versicherten Tätigkeit festzustellen seien, das heißt ernsthaft möglich seien.
Insoweit sei eine Wahrscheinlichkeit nicht erforderlich. Bloße Hinweise oder entfernte Vermutungen reichten dagegen nicht aus. Anhaltspunkte für eine Verursachung außerhalb der versicherten Tätigkeit könnten die Umstände des Einzelfalls sein, zum Beispiel ein untypischer Erkrankungsverlauf, insbesondere eine ungewöhnlich lange oder kurze Latenzzeit zwischen dem Einwirkungsbeginn und dem Auftreten der Erkrankung oder ein ungewöhnlich langes zeitliches Intervall zwischen der Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit und dem Auftreten der Erkrankung, Vorerkrankungen oder Krankheitsanlagen, aus denen sich konkrete Anhaltspunkte für ein schicksalhaftes Erkrankungsgeschehen ergäben, sowie außerberufliche Einwirkungen, die ebenfalls als Ursache der Krankheit in Frage kämen.
So sei es vorliegend. Zum einen sei der Erkrankungsverlauf der Klägerin untypisch, weil – wie oben dargelegt – das nicht gesicherte Beschwerdebild der Klägerin während der Exposition und das Fehlen dokumentierter, wegen auf eine obstruktive Atemwegserkrankung zurückführbare Beschwerden erforderlicher ärztlicher Behandlungen in dem knapp 28 Jahre langen Zeitraum zwischen Expositionsende und Erstdiagnose gegen eine hinreichend wahrscheinliche berufliche Verursachung sprächen. Zum anderen stellten die Rauchgewohnheit der Klägerin jedenfalls eine mögliche – wenn auch, wie oben dargelegt, nicht hinreichend wahrscheinliche – Ursache ihrer Atemwegserkrankung dar, denn insoweit habe D3 in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme dargelegt, dass der Tabakkonsum nicht vollständig aus dem Krankheitsbild der Klägerin hinweggedacht werden könne, ohne dass eine Änderung im Krankheitsbild entstanden wäre. Aufgrund einer Gesamtwürdigung der bereits dargelegten Tatsachen erscheine es dem Senat somit ernsthaft möglich, dass es sich hier um eine idiopathische oder durch die nichtberuflichen Lebensumstände der Klägerin verursachte chronisch-rezidivierende Atemwegserkrankung handele, so dass § 9 Abs. 3 SGB VII nicht greife.
Interessenkonflikt: Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.