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Zwanzig Jahre Mutterschutz in der Schweiz: Quid?

B. Danuser2

A. Abderhalden-Zellweger1,2

I. Probst1

M.-P. Politis Mercier1

P. Wild2,3

P. Krief2

(eingegangen am 07.06.2021, angenommen am 19.07.2021)

Twenty years of maternity protection in Switzerland: Quid?

Aim: In 2001, the Maternity Protection Ordinance (MSV) came into force in Switzerland. The aim of our study was to better understand how the MSV is applied in two economic sectors, i.e. health care and food industry, in French-speaking Switzerland and how those affected deal with it.

Method: A mixed method design was applied: quantitative surveys among 200 companies and 93 gynaecologists (GG) and case studies in six organisations with a total of 46 semi-structured interviews.

Results: The GG estimate that they receive a risk analysis (RA) for only 5 % of pregnant women with an occupational hazard and 35 % of GG never/rarely request an RA. Sick leave is preferred to protective leave. Almost half (48 %) of the companies involved stated that they have in-house procedures that correspond to the Swiss MSV. Nevertheless, only 25 % (n = 51) stated that an RA was carried out in their company, and only 15 of these were prepared by a qualified specialist. We extrapolated from stratified random sampling that 6 % of companies in the health care sector and 1 % in the food industry are legally compliant with the MSV. Affected women develop various strategies to reconcile pregnancy and work and they rely heavily on their colleagues and on the GG.

Conclusions: Maternity protection at work is only marginally implemented in Switzerland. The question arises as to how the implementation can be improved and whether certain insurance law content of the MSV should be revised.

Keywords: maternity protection – risk analysis – workplace adjustments – sick leave – protective leave

ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2021; 56: 484–489

Zwanzig Jahre Mutterschutz in der Schweiz: Quid?

Ziel: 2001 wurde in der Schweiz die Mutterschutzverordnung (MSV) in Kraft gesetzt. Ziel unserer Studie war, besser zu verstehen, wie die MSV in den zwei Wirtschaftssektoren Gesundheit und Lebensmittelindustrie in der französischsprachigen Schweiz angewandt wird und wie die Betroffenen damit umgehen.

Methode: Ein Mixed-method-Design wurde angewandt: quantitative Umfragen bei 200 Betrieben und 93 Gynäkologinnen und Gynäkologen (GG) sowie Fallstudien bei sechs Organisationen mit insgesamt 46 semistrukturierten Interviews.

Ergebnisse: Die GG schätzen, dass sie nur in 5 % bei Schwangeren mit einem Arbeitsrisiko eine Risikoanalyse (RA) erhalten und 35 % fordern nie/selten eine RA an. Die Krankenbeurlaubung wird dem Schutzurlaub vorgezogen Knapp die Hälfte (48 %) der beteiligten Unternehmen gab an, über unternehmensinterne Verfahren zu verfügen, die der Schweizer MSV entsprechen. Dennoch gaben nur 25 % (n = 51) an, dass in ihrem Unternehmen eine RA durchgeführt wurde, und nur 15 davon wurden von einer qualifizierten Spezialistin erarbeitet. Extrapoliert aus unserer stratifizierten Stichprobe verfügen 6 % der Betriebe aus dem Gesundheitssektor und 1 % aus der Lebensmittelindustrie über einen gesetzeskonformen Mutterschutz. Betroffene Frauen entwickeln verschiedenste Strategien, um Schwangerschaft und Arbeit in Einklang zu bringen, insbesondere stützen sie sich stark auf ihre Kolleginnen und Kollegen sowie auf die GG.

Schlussfolgerungen: Der Mutterschutz an der Arbeit ist in der Schweiz nur marginal umgesetzt. Es stellt sich die Frage, wie die Umsetzung verbessert werden kann und ob nicht gewisse versicherungsrechtliche Anteile der MSV zu überarbeiten wären.

Schlüsselwörter: Mutterschutz – Risikoanalyse – Arbeitsplatzanpassungen – Krankenurlaub – Schutzurlaub

Einleitung

Über 80 % der Frauen im gebärfähigen Alter gehen in der Schweiz einer beruflichen Tätigkeit nach. Viele Untersuchungen zeigen, dass berufsbezogene Expositionen (biologische, chemische, physikalische) oder mühsame Aktivitäten (physische, psychologische) Auswirkungen auf den Schwangerschaftsverlauf (Fehlgeburt, Frühgeburt oder zu klein für das Entwicklungsalter) und auf die Entwicklung des Kindes (Missbildungen, kognitive Entwicklung) haben können (Cai et al. 2019, 2020).

Um die Gesundheit schwangerer Frauen und des werdenden Kindes vor beruflichen Gefährdungen zu schützen und mit dem Ziel, dass die Schwangeren unter geeigneten Bedingungen weiterarbeiten können, hat die Schweiz 2001 die Verordnung zum Mutterschutz bei der Arbeit in Kraft gesetzt. Sinn und Zweck der Mutterschutzverordnung (MSV) stehen im Einklang mit der Empfehlung zum Mutterschutz 191 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und der EU-Richtlinie 92/85. Der Infokasten auf S. 487 beschreibt den Mutterschutz in der Schweiz.

Die von Probst et al. (2018) durchgeführte Literaturrecherche bietet einen Vergleich der Merkmale von Mutterschutzgesetzen in verschiedenen Ländern. Das Abstützen auf eine Risikoanalyse (RA) der Arbeit und des Arbeitsplatzes ist ein zentrales Element aller gefundenen Gesetze. Die Recherche zeigt auch auf, dass die Implementierung des Mutterschutzes in vielen der untersuchten Länder defizitär ist. Dem Rückzug der Schwangeren aus der Arbeit, sei es mittels Schutzbeurlaubung oder Krankheitsbeurlaubung, wird der Vorzug gegeben gegenüber Arbeitsanpassungen oder Zuweisung einer anderen Arbeit.

Methoden

Die vom Schweizerischen Nationalfond unterstützte Studie „Schutz der schwangeren Frauen bei der Arbeit: Praxis, Hindernisse und Ressourcen“ hatte zum Ziel, besser zu verstehen, wie der Mutterschutz in Betrieben und im Gesundheitswesen angewandt wird und wie dieser von den verschiedenen Akteuren wahrgenommen, erfahren und umgesetzt wird. Dafür wurde ein Mixed-method-Design gewählt. Das Ziel der quantitativen Studien war zu evaluieren, in welchem Ausmaß der Mutterschutz in den Betrieben und von den Akteuren des Gesundheitssystems (Gynäkologen, Hebammen) angewandt wird. Die qualitativen Studien, insbesondere die Fallstudien in sechs Betrieben hatten zum Ziel, die Erfahrungen und Wahrnehmungen des praktizierten Mutterschutzes der verschiedenen Akteure zu erfassen. Die Untersuchungen wurden auf die französischsprachige Schweiz beschränkt. Für ein detaillierteres Studiendesign und Forschungsfragen siehe Krief et al. (2018).

Im Folgenden soll der Schwerpunkt auf der Anwendung der MSV in den Betrieben und durch die GG sowie auf den angewandten Strategien der Frauen, Arbeit und Schwangerschaft zu vereinen, liegen.

Ergebnisse: ausgewählte Resultate der drei Studienteile

Gynäkologinnen und Gynäkologen (GG)

Allen in den kantonalen Registern im französischen Teil der Schweiz registrierten und in öffentlichen oder privaten Praxen tätigen GG (n = 333) wurde ein elektronischer Fragebogen zur Verfügung gestellt. Die Rücklaufquote betrug 32 % (n = 105). Die Frage „Sind Schwangerschaftsberatungen Teil Ihrer beruflichen Tätigkeit?“ wurde verwendet, um die Zielpopulation herauszufiltern: 93 GG antworteten mit Ja.

Die GG schätzten, dass durchschnittlich 22 % ihrer Patientinnen eine berufliche Tätigkeit ausüben, die ein Risiko für ihre Schwangerschaft darstellt. Gemäß GG sind die fünf häufigsten Risikoaktivitäten: schwere Lasten (90,9 %), langes Stehen (79,6 %), schädliche psychologische Atmosphäre (78,4 %), angespannte Körperhaltungen oder Bewegungen (64,8 %) und stressige Arbeit (53,4 %). Während der Konsultation stellen „oft/immer“ viele GG Fragen zu den Berufen der Patientinnen (99 %), zum Vorhandensein beruflicher Risiken (86 %), zu den Arbeitsbedingungen (85 %) und zur Arbeitszufriedenheit (66 %).

Im Durchschnitt schätzten die GG, dass sie in nur etwa 5 % der Fälle, in denen ihre Patientinnen einen Arbeitsplatz mit einem Mutterschutzrisiko hatten, eine RA von Arbeitgebenden erhielten. Darüber hinaus gaben 35 % an, dass sie „nie/selten“ eine RA einforderten, wenn sie eine Patientin betreuen, deren Arbeit ein Risiko für ihre Schwangerschaft darstellt.

Unter den GG, die sich an Arbeitgebende gewandt haben (58 %), gab die Mehrheit (70 %) an, Schwierigkeiten bei der Kontaktaufnahme gehabt zu haben sowie bei dem Versuch, die MSV mit Arbeitgebenden umzusetzen. Die Hauptgründe für diese Schwierigkeiten waren das Fehlen einer RA (66 %) und vor allem die Forderung der Arbeitgebenden nach einem Krankenurlaub ihrer Arbeitnehmerin (97 %).

In Fällen mit einer nichtpathologischen Schwangerschaft und einem nachgewiesenen Arbeitsrisiko verordneten 32 % der GG „oft/immer“ einen präventiven Urlaub, während 57 % angaben, „oft/immer“ auf Wunsch der Patientin einen Krankenurlaub verschrieben zu haben. Doch bestätigten 62 % der GG auch, dass sie ihre Patientinnen an eine Arbeitsmedizinerin oder einen Arbeitsmediziner überwiesen haben, wenn sie ein Berufsrisiko vermuteten.

Von den befragten GG hatten 51 % eine Schulung für schwangere Arbeitnehmerinnen und die MSV erhalten. GG, die eine solche Schulung absolviert hatten, fragten bei vermuteten beruflichen Risiken eher nach einer RA (p = 0,022) und verschrieben seltener bei einer nichtpathologischen Schwangerschaft einen Krankenurlaub, wenn die Patientin einem beruflichen Risiko ausgesetzt war (p = 0,004). Für detaillierte Resultate und Methodik siehe Abderhalden-Zellweger et al. (2020).

Implementierung der MSV in den Unternehmen

202 Unternehmungen aus dem Gesundheitssektor (n = 107) und der Lebensmittelindustrie (n = 95) wurden telefonisch bezüglich der MSV und ihrer Anwendung befragt. Die Betriebe wurden zufällig aus einem nach Betriebsgröße stratifizierten Sample (n = 850) ausgewählt, das wiederum zufällig gezogen vom eidgenössischen Gewerbe- und Unternehmensregister für uns bereitgestellt wurde. Diese beiden Wirtschaftssektoren wurden ausgewählt, weil sie einen erheblichen Anteil von Frauen beschäftigen (37 % in der Lebensmittelindustrie und 74 % der Beschäftigten im Gesundheitssektor in der französischsprachigen Schweiz) und sie Gefahren oder mühsame Tätigkeiten beinhalten, die die Umsetzung von Maßnahmen zum Schutz der Mutterschaft bei der Arbeit erfordern.

Knapp die Hälfte (48 %) der beteiligten Unternehmen gab an, über unternehmensinterne Verfahren zu verfügen, die der Schweizer MSV entsprechen. Dennoch gaben nur 25 % (n = 51) an, dass in ihrem Unternehmen eine RA durchgeführt wurde, und nur 15 davon wurden von einer qualifizierten Spezialistin oder einem Spezialisten erarbeitet. Der Hauptgrund, der zur Erklärung des Fehlens von RA angeführt wurde, war: Sie hätten nicht gewusst, dass sie zur Durchführung einer solchen verpflichtet wären (41 %), gefolgt von, dass interne Betriebsprozeduren bestünden (16 %) und dass, obwohl Arbeitsrisiken existieren würden, keine Frau an einem solchen Posten arbeite (12 %).

74 % der Unternehmen gaben an, „oft oder immer“ Anpassungen an den Arbeitsplätzen schwangerer Arbeitnehmerinnen vorzunehmen oder eine neue Arbeit zuzuweisen, wenn ihre Arbeit als gefährlich eingestuft wurde. 50 % von ihnen nahmen diese Anpassungen im Einklang mit der Gesetzgebung vor, das heißt unter Verwendung einer MSV-RA und/oder durch eine qualifizierte Spezialistin. 71 % der Befragten gaben an, dass ihr Unternehmen schwangere Arbeitnehmerinnen über die Gesetzgebung und die zu ergreifenden Schutzmaßnahmen informiert hat. 34 % gaben an, dies proaktiv zu tun. In 22 % der befragten Unternehmen hatten Mitarbeitende eine MSV-Schulung erhalten.

Extrapoliert verhalten sich 6 % der Unternehmen im Gesundheitswesen und 1 %in der Lebensmittelindustrie MSV-konform (RA und Maßnahmen durch Spezialisten, Information der Schwangeren). Größere Unternehmen, Unternehmen im Gesundheitsbereich sowie staatliche Betriebe und Betriebe mit MSV-geschulten Beschäftigten setzten die MSV gesetzeskonformer um. Für mehr und detaillierte Resultate wie auch Methodik siehe Abderhalden-Zellweger et al. (2021).

Fallstudien: Angewandte Strategien der Schwangeren

Die für die Umfrage interviewten 202 Unternehmen wurden gefragt, ob sie bereit wären, an einer Fallstudie teilzunehmen, 68 antworteten mit Ja. Gemäß Forschungsprotokoll wurde eine Stichprobe von sechs Unternehmen dergestalt ausgewählt, dass sie sich bei der Umsetzung von Mutterschutzmaßnahmen unterscheiden und je hälftig aus den zwei ökonomischen Sektoren stammen. Insgesamt wurden 46 halbstrukturierte Interviews mit relevanten Stakeholdern in den sechs Organisationen geführt, davon 20 mit aktuell oder in den letzten fünf Jahren am selben Arbeitsplatz Schwangeren.

Ganz generell muss festgestellt werden, dass einige der Unternehmen gesetzeskonforme Verfahren anwandten, während andere informellere Ansätze verfolgten und ein Management von Fall zu Fall verwendeten. Die Umsetzung von Schutzmaßnahmen stieß jedoch auch in MSV-konformen Unternehmen auf reale Hindernisse wie Personalknappheit, schwankendes Arbeitsvolumen etc., die sie manchmal undurchführbar machten. Die schwangeren Mitarbeiterinnen haben einige als unzureichend erachtete Maßnahmen angepasst oder eigene Strategien entwickelt, um Arbeit und Schwangerschaft in Einklang zu bringen. Diese Strategien betreffen die Suche und Einberufung ihrer Rechte, Adaptationen von als ungenügend erachteten Maßnahmen, aber auch eine Anpassung der eigenen Arbeit und Arbeitsweise, Hilfe suchen oder auch Überstunden zu machen, wenn es die Arbeit erfordert, obwohl dies klar verboten ist.

Die Mitarbeiterinnen stützten sich auf mehrere Akteure, insbesondere auf ihre(n) GG und auf ihre Kolleginnen und Kollegen. Einige Frauen gaben an, mit ihrer GG über die Verschreibung eines vollständigen oder teilweisen Krankenstands verhandelt zu haben, insbesondere aus Gründen der Müdigkeit oder Nicht-Vereinbarkeit von Arbeit und Schwangerschaft. In einigen Fällen mussten Mitarbeiterinnen ihre Symptome übertreiben, damit ihre Schwierigkeiten wahrgenommen wurden.

In Bezug auf die Beziehungen zu Teammitgliedern gaben alle Mitarbeiterinnen an, dass die Zusammenarbeit sowie die praktische und moralische Unterstützung ihrer Teammitglieder eine wesentliche Ressource darstellten, um Arbeit und Schwangerschaft in Einklang zu bringen. Im Gesundheitswesen hatten mehrere Frauen ihre Teammitglieder um Hilfe bei der Erfüllung von Aufgaben gebeten, die sie als gefährlich oder zu anstrengend empfanden.

Einige Mitarbeiterinnen wiesen jedoch auch auf die Schwierigkeiten und die Verlegenheit hin, ihre Teammitglieder um Hilfe bitten zu müssen. Einige hatten sogar das Gefühl, dass sie eine Belastung für ihr Team geworden waren. Für weiter Resultate siehe Abderhalden-Zellweger et al. (zur Publikation angenommen).

Diskussion

Die vorliegenden Resultate zeigen in komplementärer Weise, dass der Mutterschutz am Arbeitsplatz, 20 Jahre nach seiner Inkraftsetzung der Mutterschutzverordnung in der Schweiz von den Unternehmen und von den GGs nur teilweise umgesetzt wird.

Nur 25 % der befragten Unternehmen gaben an, eine RA durchgeführt zu haben, davon war nur ein knappes Drittel von dazu ermächtigten Spezialistinnen oder Spezialisten erarbeitet. Die GG betrachteten das Fehlen von RAs und die Tatsache, dass die Arbeitgebenden diese nicht zur Verfügung stellen, als einen der Hauptgründe für die Schwierigkeiten bei der Umsetzung der MSV. Jedoch gab auch nur eine Minderheit der GG an, dass sie RA einforderten, wenn sie Patientinnen betreuten, deren Arbeit ein Risiko darstellte. Eine Online-Umfrage bei Schweizer Unternehmen ergab ähnliche Mängel: Nur 16 % der befragten Unternehmen gaben an, eine RA durchgeführt zu haben (Rudin et al. 2018).

Anpassungen des Arbeitsplatzes und Neuzuweisungen von Tätigkeiten werden von den Unternehmen nicht systematisch durchgeführt, und vor allem kleinere Unternehmen bekunden große Mühe damit. Eine schlechte Umsetzung von Mutterschutzmaßnahmen kann nicht nur die Gesundheit schwangerer Arbeitnehmerinnen und ihrer ungeborenen Kinder gefährden, sondern auch dazu führen, dass sie den Arbeitsplatz früher als nötig verlassen, normalerweise im Krankheitsurlaub, was sich negativ auf sie auswirken kann (z. B. auf ihre Karriere, soziale Beziehungen, Einkommen) (Bretin et al. 2004) sowie auf das Unternehmen (z.B. Verlust von Fähigkeiten, Notwendigkeit, Ersatz zu finden). So zeigte eine Studie aus Quebec, dass Anpassungen des Arbeitsplatzes und Neuzuweisungen dazu beigetragen haben, dass Krankenschwestern während ihrer Schwangerschaft länger arbeiteten und der Personalbestand erhalten blieb (Gravel et al. 2017; Malenfant et al. 2011).

GG unterverordnen Präventivurlaub und überverordnen Krankenstand bei nichtpathologischen Schwangerschaften. Der Hauptgrund, der sie bei ihrer Entscheidung leitete, war die Bitte der Patientinnen. Die Interviews mit den Mitarbeiterinnen bestätigen dies eindrücklich. Diese Ergebnisse stimmen mit schwedischen Studien (Gustavsson et al. 2016) überein, in denen festgestellt wurde, dass schwangere Arbeitnehmerinnen häufig Krankheitsurlaub beantragten, weil ihre Arbeit als schwierig empfunden wurde. Angesichts der realen Umsetzungsprobleme oder des Fehlens regulatorischer Sicherheitsmaßnahmen in ihrem Unternehmen verwendeten die Mitarbeiterinnen eine Vielzahl von Strategien, um ihr Berufsleben und ihre Schwangerschaften in Einklang zu bringen. Tatsächlich legen diese Strategien (z. B. Überstunden machen oder sich längeren Lärmperioden aussetzen, um eine fortgesetzte berufliche Tätigkeit sicherzustellen) nahe, dass schwangere Mitarbeiterinnen manchmal gezwungen sind, zwischen ihrer Arbeit und ihrer Gesundheit zu wählen. Ein verordneter Krankheitsurlaub wird zu einem Ausweg, um gefährliche oder anstrengende Arbeiten zu vermeiden. Eine solche Strategie hat jedoch zur Folge, dass potenziell gefährliche oder anstrengende berufliche Tätigkeiten unsichtbar oder unausgesprochen bleiben (Malenfant u. De Koninck 2002).

Zudem gab die Mehrheit der GG gab an, Schwierigkeiten bei der Umsetzung der MSV mit Arbeitgebenden gehabt zu haben. Der Hauptgrund war, dass die Betriebe beantragten, ihren Arbeitnehmerinnen einen Krankenurlaub zu verschreiben, auch wenn keine medizinische Diagnose vorlag, um diese Entscheidung zu rechtfertigen. Wir könnten die hohe Krankheitsrate schwangerer Arbeitnehmerinnen (Rudin et al. 2018) als Produkt des Schweizer Versicherungssystem interpretieren. Da der Krankenstand hauptsächlich durch die Einkommensverlustversicherung der Arbeitgebenden finanziert wird, ziehen diese es möglicherweise vor, dass schwangere Frauen krankgeschrieben werden, anstatt Geld für die Anpassung ihrer Arbeitsplätze auszugeben.

In allen untersuchten Unternehmen (mit oder ohne MSV-Applikation) wurden die Teammitglieder der schwangeren Arbeitnehmerin aufgefordert, einige ihrer anstrengenden oder riskanten beruflichen Tätigkeiten zu übernehmen. Gravel et al. (2017) raten zur Vorsicht, wenn die Teammitglieder einer schwangeren Arbeitnehmerin übermäßig belastet werden, insbesondere wenn die Verantwortung für die Umsetzung von Mutterschutzmaßnahmen bei der schwangeren Arbeitnehmerin selbst und ihrem Team liegt, was Spannungen im Team, aber auch Schuldgefühle bei der Schwangeren auslösen kann.

Betriebe mit MSV-geschultem Personal verhielten sich konformer gegenüber der MSV, wie auch die geschulten GG. Das zeigt eine Möglichkeit auf, die Umsetzung der MSV zu verbessern. Angesichts des geringen Prozentsatzes der Betriebe, die angaben, eine Schulung absolviert zu haben, wäre jedoch ein Anreiz notwendig, um die Teilnahmequoten zu erhöhen.

Schlussfolgerung

Unsere Ergebnisse fordern auf, Vorschläge für einen besseren Gesundheitsschutz während der Schwangerschaft zu formulieren und zu diskutieren. Diese Verbesserungsvorschläge stammen einerseits aus den klassischen Arbeitsschutz-Implementierungsstrategien: Schulung von Leitenden und Information aller Beteiligten, Stärkung der Ressourcen der Arbeitsaufsichtsbehörden, Erhöhung der Anzahl und Handlungskraft von Arbeitsmedizinerinnen, Entwicklung der individuellen und kollektiven Rechte von Arbeitnehmenden in Angelegenheiten der Gesundheit am Arbeitsplatz.

Angesichts der Bevorzugung des Krankenurlaubs durch die wichtigsten Akteure wären andererseits auch Änderungen auf der Ebene des Versicherungs- und Finanzierungssystems erforderlich, da das Unternehmen den Schutzurlaub bezahlen muss, der Krankenurlaub hingegen wird meist durch seine Versicherung beglichen. Eine Möglichkeit könnte die Bündelung von Finanzmitteln zwischen Unternehmen sein, um Anpassungen/Neuzuweisung von Arbeitsplätzen und, falls dies nicht möglich, die Kosten für den vorbeugenden Urlaub zu finanzieren.

Danksagung: Wir danken dem schweizerischen Nationalfond und der CPSLA (Commission de promotion de la santé et de lutte contre les addictions) des Kanton Waadt für die Unterstützung dieser Studie.

Interessenkonflikt: Das Autorenteam gibt an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.

Substanzielle Beiträge der Autoren an Studie und Artikel: Konzeption: IP, PK, MPM, PW und BD, Design: IP, PK, MPM, PW und BD, Durchführung: AAZ, MPM, Datenerhebung: AAZ, MPM, Datenanalyse und Interpretation: AAZ, PK, IP, PK, MPM, PW und BD, Artikel: BD, AAZ, Kritische Durchsicht des Artikels: AAZ, PK, IP, PK, MPM, PW.

Literatur

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Abderhalden-Zellweger A, Probst I, Politis Mercier M-P, Danuser B, Wild P, Krief P: Implementation of maternity protection legislation: gynaecologists’ perceptions and practices in French-speaking Switzerland. PloS one 2020; 15: e0231858.

Abderhalden-Zellweger A, Probst I, Politis Mercier M-P, Zenoni M, Wild P, Danuser B, Krief P: Implementation of the Swiss Ordinance on Maternity Protection at Work in companies in French-speaking Switzerland. WORK 2021; 69: 157–172.

Bretin H, De Koninck M, Saurel-Cubizolles M-J: Conciliation travail/famille: quel prix pour l’emploi et le travail des femmes? À propos de la protection de la grossesse et de la maternité en France et au Québec. Santé, Société et Solidarité 2004; 3 149–160.

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Cai C, Vandermeer B, Khurana R, Nerenberg K, Featherstone R, Sebastianski M, Davenport MH: The impact of occupational shift work and working hours during pregnancy on health outcomes: a systematic review and meta-analysis. Am J Obstet Gynecol 2019; 221: 563–576.

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Rudin M, Stutz H, Bischof S, Jäggi J, Bannwart L: Erwerbsunterbrüche vor der Geburt. Bern, Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV), 2018. Retrieved from
https://www.bsv.admin.ch/bsv/home.webcode.html?webcode=C814.C165.de

Kontakt

Brigitta Danuser
HESAV School of Health Sciences
HES-SO University of Applied Sciences
and Arts Western Switzerland
Lausanne, Switzerland
brigitta.danuser@bluewin.ch

Info

Der Mutterschutz in der Schweiz

Die MSV des Arbeitsgesetzes regelt die Umsetzung des Mutterschutzes am Arbeitsplatz.

Gefahren und Risiken: Die MSV spezifiziert die Gefahren und Risiken und beschreibt die Kriterien, anhand derer Spezialisten die Tätigkeit oder Exposition als gefährlich betrachten müssen. ➥ Tabelle 1 fasst die in der MSV identifizierten gefährlichen oder peniblen Tätigkeiten zusammen. Diese Liste betrifft hauptsächlich biologische, chemische, physikalische Expositionen oder steht im Zusammenhang mit beruflichen Aktivitäten oder der Arbeitsorganisationen (Zeitpläne, Pausen usw.), berücksichtigt jedoch keine psychosozialen Risiken.

Aufgaben der Unternehmen: Wenn in einem Betrieb Arbeiten ausgeführt werden, die gefährlich oder beschwerlich für die Mutter oder das Kind sein können (gem. Tabelle 1), muss der Arbeitgebende eine Arbeitsschutzspezialistin hinzuziehen, um eine Risikoanalyse (RA) durchzuführen. Diese hat erstmals vor Beginn der Beschäftigung von Frauen im Betrieb zu erfolgen. Die für die Durchführung der RA qualifizierten Fachkräfte sind: Arbeitsmedizinerinnen/-mediziner und Arbeitshygienikerinnen/-hygieniker oder andere Fachkräfte, sofern sie in der Risikobewertung geschult sind und über Erfahrung und die erforderlichen Fähigkeiten verfügen. Die RA hat zum Zweck, die Gefahren aufzudecken, die Risiken einzuschätzen und geeignete Schutzmaßnahmen vorzusehen, die die Risiken ausschließen oder stark reduzieren. Die Arbeitnehmerinnen müssen über das Ergebnis der Analyse, wie auch über die vorgesehenen Schutzmaßnahmen, informiert werden.

Bei der Ankündigung einer Schwangerschaft muss sich das Unternehmen auf die RA beziehen, um ihre Mitarbeiterin zu informieren, die notwendigen Arbeitsanpassungen zu initiieren oder ihr eine gleichwertige Ersatzarbeit zuzuweisen, die keine Risiken aufweist für ihre Schwangerschaft.

Gleichwertig ist eine Arbeit dann, wenn sie den geistigen und fachlichen Anforderungen am üblichen Arbeitsplatz gerecht wird, und der Lohn demjenigen der üblichen Arbeit entspricht. Kann das Unternehmen eine solche gleichwertige Ersatzarbeit nicht anbieten, haben die Arbeitnehmerinnen das Recht, die Arbeit nicht zu verrichten und Anspruch auf 80 % des Lohnes.

Eignungsbeurteilung durch Gynäkologen/Geburtshelfer (GG): Die MSV verlangt, dass die Gesundheitsgefährdung der schwangeren Arbeitnehmerin und die ihres ungeborenen Kindes von der behandelnden Ärztin (meist eine Gynäkologin) beurteilt wird. Die GG der Arbeitnehmerin muss auf der Grundlage der Ergebnisse der RA und aller Informationen, die sie vom Betrieb und/oder von der Spezialistin, die die RA erstellte, erhalten hat, die Eignung der Schwangeren für den Arbeitsplatz feststellen. Drei Szenarien sind möglich: Die Schwangere kann ihre berufliche Tätigkeit ohne Einschränkungen fortsetzen (bedingungslose Eignung), die Schwangere kann ihre Arbeit unter bestimmten Bedingungen fortsetzen (Eignung unter bestimmten Bedingungen) oder sie kann ihre Tätigkeit aufgrund einer Gefahr für ihre Gesundheit nicht mehr ausüben (Nichteignung). Eine Nichteignung wird auch dann ausgesprochen, wenn der GG feststellt, dass die RA unvollständig ist oder fehlt, oder wenn die durch diese Analyse empfohlenen Schutzmaßnahmen nicht ausreichen oder nicht umgesetzt sind.

Das Beschäftigungsverbot aufgrund einer von der/dem Frauenärztin/-arzt ausgestellten Nichteignung wird vollständig vom Unternehmen finanziert (mindestens 80 % des Gehalts der Arbeitnehmerin). Die Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit durch Nichteignung basiert auf der (Un-)Angemessenheit der Arbeitsbedingungen und unterscheidet sich daher von der des Krankenstands, der das Vorliegen von Schwangerschaftskomplikationen oder anderen nicht damit zusammenhängenden Gesundheitsproblemen bei der Schwangerschaft voraussetzt und entweder direkt vom Betrieb oder meist durch ihre Lohnfortzahlungsversicherung finanziert wird.

Zudem ist darauf hinzuweisen, dass die Schweiz keinen pränatalen Urlaub kennt und der 14-wöchige Schwangerschaftsurlaub erst ab Geburt bezogen werden kann. Erst seit 2021 in Kraft ist der zweiwöchige Vaterschaftsurlaub.

Kernaussagen

  • Die Durchführung einer Arbeitsplatz Risikoanalyse (RA) ist ein zentrales Element aller gefundenen Mutterschutzgesetze.
  • Gerade dieser zentrale Prozess, der auch die Grundlage für die Arbeitsplatzanpassungen darstellt, wurde in nur 25% der befragten Unternehmen durchgeführt. Die befragten Gynäkologen und Gynäkologinnen (GG) schätzen, dass sie in nur 5% bei Schwangeren mit Arbeitsrisiken eine Risikoanalyse erhalten und 35% von ihnen fordern nie/selten eine RA an.
  • Um Schwangerschaft und Arbeit in Einklang zu bringen, stützen sich die Schwangeren stark auf ihre Kolleginnen und Kollegen sowie auf die GG und die Krankenbeurlaubung. Alle wesentlichen Stakeholder (Schwangere, Betriebe und GG) ziehen die Krankenbeurlaubung dem Schutzurlaub vor.
  • Betriebe und GG, die eine Schulung betreffend Mutterschutzverordnung (MSV) absolviert hatten, verhielten sich in besserer Übereinstimmung mit der MSV.