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Mesothelioma of the tunica vaginalis of the testicle – a diagnosis that is usually not made preoperatively
Mesotheliomas of the tunica vaginalis of the testicle, a protrusion of the peritoneum, are usually incidental histopathological findings during operations performed under suspected diagnoses such as hydrocele, spermatocele or unclear space-occupying lesions in the scrotum. These tumours, which can also occur independently of other asbestos-related diseases, should be presented at a centre with experience in checkpoint inhibitor therapy for mesotheliomas.
Das Mesotheliom der Tunica vaginalis des Hodens – eine präoperativ meist nicht gestellte Diagnose
Mesotheliome im Bereich der Tunika vaginalis des Hodens, einer Ausstülpung des Bauchfells, sind meist histopathologische Zufallsbefunde bei Operationen, die unter Verdachtsdiagnosen wie Hydrozele, Spermatozele oder unklare Raumforderung im Skrotum durchgeführt wurden. Diese Tumoren, die auch unabhängig von anderen asbestbedingten Erkrankungen auftreten können, sollten in einem Zentrum mit Erfahrung in der Checkpoint-Inhibitor-Therapie von Mesotheliomen vorgestellt werden.
Kernaussagen
Epidemiologie
Das Mesotheliom ist pathognomonisch für eine Asbestexposition, da dieser Tumor nahezu ausschließlich durch Asbest ausgelöst wird. Trotz des Verbots der Verwendung und des Inverkehrbringens von Asbest in Deutschland im Jahre 1993 ist das Auftreten des Mesothelioms sowohl aufgrund der langen Latenzzeit als auch wegen den mit der Entsorgung verbundenen Sanierungsarbeiten immer noch aktuell. Das Robert Koch-Institut gibt für das Jahr 2020 eine jährliche Inzidenz von Mesotheliomen bei Männern, unabhängig von der Lokalisation, mit 1190 Fällen an (Robert Koch-Institut 2023).
Sehr viel seltener als in der Pleura treten Mesotheliome im Bereich des Peritoneums auf. Da die Tunica vaginalis des Hodens eine Ausstülpung des Peritoneums darstellt, können auch hier Mesotheliome auftreten. Das kann auch isoliert geschehen, ohne dass andere Organe betroffen sind (Müller et al. 2008). Brückensymptome wie ein Befall der Pleura oder des Peritoneums sind nicht erforderlich. Fallzahlen für Deutschland, aber auch für andere Länder, sind nicht bekannt, da dieser Lokalisation bislang kein eigener ICD-10-Code zugeordnet ist. Allerdings wird von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) seit 2020 die Lokalisation „Tunica vaginalis des Hodens“ gesondert erfasst (➥ Tabelle 1).
Unter 3589 Männern mit Mesotheliom fanden sich in der Datenbank eines amerikanischen Pathologen in Durham (North Caroline, USA) 20 Fälle mit einem Mesotheliom der Tunica vaginalis des Hodens, was einem Anteil von 0,6 % entspricht (Butnor et al. 2019). Überträgt man diesen Anteil auf die Zahlen des Robert Koch-Instituts, so ergäben sich rund 7 Fälle für das Jahr 2020.
Eine kürzlich publizierte Studie basiert auf 32 Mesotheliom-Fällen des Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York (Agrarwal et al. 2025), die auch hinsichtlich des Verlaufs sowie klinisch-pathologischer Charakteristika untersucht wurden. Zehn der Patienten konnten hinsichtlich einer somatischen Mutation mittels Next Generation Sequencing untersucht werden. Dabei ergab sich im Vergleich zu Pleuramesotheliomen eine geringere Häufigkeit von genomischen Veränderungen im Tumorsuppressorgen BAP1 (Agrarwal et al. 2025). Somatische genomische Veränderungen des BAP1-Gens sind bei verschiedenen, sehr aggressiven Krebsarten beschrieben (Waters et al. 2024). Der Unterschied in der Gesamtüberlebenszeit zwischen Patienten mit epithelioider und nicht-epithelioider Histologie war nicht statistisch signifikant (Agrarwal et al. 2025).
Weltweit wurden zwischen 1943 und 2018 insgesamt 289 Fälle eines Mesothelioms der Tunica vaginalis des Hodens publiziert (Vimercati et al. 2019). Zwischen 1982 und 2024 wurden in der englischsprachigen Literatur 289 Fälle berichtet (Stella et al. 2024). Fälle wie das auf einem Urologenkongress präsentierte Mesotheliom eines 66-Jährigen mit einer mehrjährigen Tätigkeit in einem Kohlenbergwerk in der Vorgeschichte (Engels et al. 2018), bei dem arbeitsmedizinisch eine Asbestexposition zum Beispiel durch den Abrieb der Bremsbeläge bei der Haspelmaschine unter Tage bestehen könnte, werden damit jedoch nicht erfasst.
Die Gesamtfläche des Hodens (ca. 60 bis 85 cm2) entspricht ca. 0,04–0,06 % der Fläche des Peritoneums (ca. 1,5 m2; Albanese et al. 2009). Demnach müsste die Anzahl der Mesotheliome der Tunika vaginalis des Hodens im Vergleich zur Anzahl der Mesotheliome des Peritoneums wesentlich kleiner sein. Diese Diskrepanz kann bislang nicht begründet werden.
Diagnose und klinischer Befund
Mesotheliome der Tunica vaginalis des Hodens sind im Gegensatz zu den pathologischen Befunden in Pleura und Lunge häufig Zufallsbefunde, die sich erst intraoperativ oder postoperativ durch die histopathologische Aufarbeitung der Resektate ergeben (Agrarwal et al. 2025).
Es gibt bislang keine klinischen Kriterien, die eine Verdachtsdiagnose nahelegen. Auch der intraoperative makroskopische Befund ist häufig unspezifisch. Klinische Verdachtsdiagnosen sind daher pathologische Veränderungen der Hodenhüllen in diesem Bereich, wie beispielsweise Hydrozele und Spermatozele. Die Diagnose eines Mesothelioms der Tunica vaginalis des Hodens erfolgt allein durch den histopathologischen Befund. Daher ist es der Goldstandard, jedes Resektat bei einem Skrotaleingriff routinemäßig histopathologisch untersuchen zu lassen. Sollte die konsequente histologische Befundung aus zum Beispiel wirtschaftlichen Gründen nicht möglich sein, ist zumindest präoperativ eine Asbestexposition zu erfragen und bei bekannter Exposition gegen Asbest sowie bei der geringsten makroskopisch und/oder palpatorisch erkennbaren Auffälligkeit das Resektat zwingend histopathologisch aufzuarbeiten.
Bedauerlicherweise werden aktuell nicht mehr in allen Kliniken sämtliche Resektate in eine Pathologie gesendet. Bei der Vorstellung unserer Fallserie von fünf Patienten mit einem Mesotheliom der Tunica vaginalis des Hodens im Rahmen eines Vortrags bei dem Kongress der Nordrhein-Westfälischen Gesellschaft für Urologie im Jahr 2021 gaben bei einer Frage des Vorsitzenden nur 50 % der Zuhörenden an, dass in ihrer Klinik alle Resektate im Bereich des Skrotalfachs zur histopathologischen Beurteilung eingesendet werden.
Therapie
Aufgrund der Seltenheit dieser Erkrankung mangelt es an entsprechenden Leitlinien für das therapeutische Vorgehen (Stella et al. 2024). Stella et al. (2024) berichten in ihrer Übersichtsarbeit, dass 75 % der 320 Patienten orchiektomiert wurden. Es ist unklar, ob die Betroffenen von einer adjuvanten Chemotherapie und/oder Strahlentherapie profitieren (Butnor et al. 2019; Stella et al. 2024).
Nach jahrzehntelangem Stillstand konnte in jüngster Zeit die Prognose der an Pleuramesotheliom erkrankten Patienten durch die Therapie mit Checkpoint-Inhibitoren erstmals deutlich gebessert werden. Eine Multicenterstudie an 713 Patienten mit nicht-resektablen Pleuramesotheliomen und First-line-Therapie ergab ein medianes Gesamtüberleben von 18,1 Monaten (95%-Konfidenzintervall 16,8–21,4) vs. 14,1 Monate (12,4–16,2) im Vergleich zur Chemotherapie mit Permetrexed und Cisplatin oder Carboplatin (Baas et al. 2021). Auch nach drei Jahren Nachbeobachtung hielt der Überlebensvorteil bei den nicht-operablen Pleuramesotheliomen weiterhin an (Peters et al. 2022). Checkpoint-Inhibitoren werden als Wendepunkt in der Therapie des Pleuramesothelioms angesehen (Ceresoli 2021; Sofianidi et al. 2025). Zudem zeigt eine kürzlich erschienene Multicenterstudie, dass eine Kombination von Checkpoint-Inhibitor und Cisplatin zu einer längeren Überlebenszeit beim Pleuramesotheliom führt (Chu et al. 2023).
Daher sollten Patienten mit einem Mesotheliom der Tunica vaginalis des Hodens in einem onkologischen Zentrum vorgestellt werden, das Erfahrung mit der Anwendung von Checkpoint-Inhibitoren bei Mesotheliomen hat.
Verlauf
Mesotheliome sind sehr aggressive Tumoren mit sehr ungünstiger Prognose. Allerdings unterscheidet sich der Verlauf der Mesotheliome der Tunica vaginalis des Hodens deutlich von dem eines Mesothelioms der Pleura. Dies könnte durch nachgewiesene molekulargenetische Unterschiede begründet sein (Agrarwal et al. 2025; Waters et al. 2024). Bei einem Pleuramesotheliom liegt die mittlere Überlebenszeit zwischen
4 und 12 Monaten (Bianchi u. Bianchi 2007). Bei einem Mesotheliom der Tunica vaginalis des Hodens wird eine Mortalität von 53 % innerhalb der ersten zwei Jahre nach Diagnose berichtet (Vimercati et al. 2019). Für Patienten mit adäquatem Follow-up (> 70 % der Betroffenen) wird eine mittlere Überlebenszeit von 31,5 Monaten berichtet (Butnor et al. 2019). Dies steht größenordnungsmäßig im Einklang mit den Ergebnissen von Agrarwal et al. (2025), der eine mediane Überlebenszeit von 4,5 Jahren (Bandbreite 0,1–14,7) bei einem medianen Follow-up von 3,5 Jahren berichtet.
Rechtliche Aspekte
Bei einem Mesotheliom der Tunica vaginalis des Hodens muss grundsätzlich eine BK-Anzeige erstattet werden. Grundlage hierfür ist allein der histopathologische Befund. Dabei darf sich insbesondere nicht darauf verlassen werden, dass die Anzeige bereits von einer Kollegin oder einem Kollegen vorgenommen wurde (Golka et al. 2021). In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass in einer eigenen Fallserie von fünf Gutachtenfällen die BK-Verdachtsanzeige jeweils einmal durch den behandelnden Urologen, den Hausarzt, den Betriebsarzt, den Lungenfacharzt und den Betroffenen selbst erfolgte (Ebbinghaus-Mier et al. 2022). Der Patient muss über die Meldung informiert werden. Seine Zustimmung ist nicht erforderlich (Drexler u. Brandenburg 1998).
Interessenkonflikt: Das Autorenteam gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Literatur
Agrawal P, Baky F, Sarungbam J, Sheinfeld J, Reuter VE, Cercek A, Nash GM, Sauter JL, Travis WD, Simone CB 2nd, Bosl GJ, Zauderer MG, Matulewicz RS, Offin M: Clinicopathologic characteristics and clinical outcomes of patients with testicular mesothelioma.
Ann Surg Oncol 2025; 31: 10285–10293. doi:10.1245/s10434-025-17978-3 (Open Access).
Butnor KJ, Pavlisko EN, Sporn TA, Roggli VL: Mesothelioma of the tunica vaginalis testis. Hum Pathol 2019; 92: 48–58. doi:10.1016/j.humpath.2019.07.009.
Drexler H, Brandenburg S: Berufskrankheiten Pflichtwissen für jeden Arzt. Dt Ärztebl 1998; 95A: 1295–1300.
Ebbinghaus-Mier D, Ebbinghaus R, Prager HM, Schöps W, Golka K. Das Mesotheliom der Tunica vaginalis des Hodens – ein histopathologischer Befund mit weitreichenden Konsequenzen. Urologe A 2022; 61: 292–296. doi:10.1007/s00120-021-01689-0.
Peters S, Scherpereel A, Cornelissen R, Oulkhouir Y, Greillier L, Kaplan MA, Talbot T, Monnet I, Hiret S, Baas P, Nowak AK, Fujimoto N, Tsao AS, Mansfield AS, Popat S, Zhang X, Hu N, Balli D, Spires T, Zalcman G: First-line nivolumab plus ipilimumab versus chemotherapy in patients with unresectable malignant pleural mesothelioma: 3-year outcomes from CheckMate 743. Ann Oncol 2022; 33: 488–499. doi:10.1016/j.annonc.2022.01.074 (Open Access).
Sofianidi AA, Syrigos NK, Blyth KG, Charpidou A, Vathiotis IA: Breaking through: immunotherapy innovations in pleural mesothelioma. Clin Lung Cancer 2025; 26: 458–469. doi:10.1016/j.cllc.2025.04.008 (Open Access).
Stella S, Ceresoli GL, Dallari B, Barile R, Maisenti F, Rugarli S, Marinaccio A, Consonni D, Mensi C: Mesothelioma of the tunica vaginalis testis: diagnostic and therapeutic management. a comprehensive review, 1982–2024. Cancers (Basel) 2024; 16: 3956. DOI:10.3390/cancers16233956 (Open Access).
Vimercati L, Cavone D, Delfino MC, De Maria L, Caputi A, Ferri GM, Serio G: Asbestos exposure and malignant mesothelioma of the tunica vaginalis testis: a systematic review and the experience of the Apulia (southern Italy) mesothelioma register. Environ Health 2019; 18: 78. doi:10.1186/s12940-019-0512-4 (Open Access).
Die vollständige Literaturliste mit allen Quellen kann auf der ASU-Homepage beim Beitrag eingesehen werden (asu-arbeitsmedizin.com).
Online-Quelle
RKI – Robert Koch-Institut, Zentrum für Krebsregisterdaten und Gesellschaft der epidemiologischen Krebsregister in Deutschland e.V. Krebs in Deutschland 2019/2020. RKI, Berlin 2023
https://www.krebsdaten.de/Krebs/DE/Content/Publikationen/Krebs_in_Deuts…
Koautoren
Rainer Ebbinghaus, Essen
Hans-Martin Prager, Lünen
Dr. med. Wolfgang Schöps
Urologische Praxis, Sankt Augustin
Prof. Dr. med. Klaus Golka
Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund (IfADo), Dortmund