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Digitalisierung und Technologieakzeptanz

Ausgangssituation

Durch Soft- und Hardwareentwicklungen entstehen neue Formen von Assistenzsystemen, die den digitalen Produkten zugerechnet werden. Im Rahmen der Entwicklung des automatisierten Fahrens von Personen- und Nutzfahrzeugen sind Systeme wie Brems­assistent, Spurhalteassistent, Abstandsregelung usw. entstanden. Im privaten Bereich werden Fitnesstracker verwendet und Smart-Home-Systeme installiert. Die Vernetzung in den Unternehmen findet nun schon seit über zehn Jahren unter der Überschrift „Industrie 4.0“ statt. Kollaborative Robotersysteme und Exoskelette werden kontinuierlich weiterentwickelt, und im Bereich der Medizin werden automatisierte Bildauswertungen und Dokumentationsunterstützungen eingeführt. Durch die Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz (KI) soll der Mensch zukünftig in allen Bereichen des Lebens unterstützt werden und neue Qualitäten der Datennutzung sollen Erkenntnisse zum menschlichen Verhalten generieren.

Werkzeugszenario oder Automati­sierungszenario

Neue digitale Lösungen, sowohl Soft- als auch Hardwareprodukte, werben mit neuen Funktionalitäten, die den Menschen bei der Arbeit beziehungsweis in allen Lebenssituationen unterstützen. Ob diese Unterstützung nun zur so genannten „Ironie der Automatisierung“ führt (das heißt, die eigentliche Aufgabenerledigung durch den Menschen wird verlernt, was z. B. dazu führt, dass aufgrund eingespeicherter Telefonnummern kaum noch jemand eine Telefonnummer auswendig kann) oder zu einer möglichen Erweiterung der eigenen Möglichkeiten durch situativ zielgerichtete Unterstützung wie beispielsweise durch Spracherkennung führt, kann nicht immer im Vorfeld abgeschätzt werden.

Je zuverlässiger Assistenzsysteme funkt­ionieren, umso mehr wird ihnen vertraut und umso mehr wird das eigene Urteil in Frage gestellt. So gibt es immer wieder Fälle, in denen sich zum Beispiel Autofahrer durch blindes Vertrauen in die Angaben eines Navigationsgeräts in problematische Situationen bringen.

Bei jeder neuen Technologie, die den Menschen unterstützen soll, muss deshalb gefragt werden, ob es tatsächlich ein unterstützendes Werkzeug ist oder ob Prozesse automatisiert werden, die dann für den Menschen undurchschaubar werden.

Mentale Modelle

Bei der Nutzung von Produkten bilden sich so genannte mentale Modelle heraus. Ein mentales Modell umfasst das implizite Wissen des Nutzenden über die Funktionsweise des benutzten Produkts. Durch die Verbreitung von Smartphones ist zum Beispiel „Wischen über den Bildschirm“ mit der erwarteten Reaktion verknüpft, dass die nächste Bildschirmseite angezeigt wird. Diese Art der Mensch-Technik-Interaktion kann inzwischen als allgemein verbreitetes mentales Modell gesehen werden. Oft gibt es jedoch Geräte, die ähnlich, aber nicht gleich funktionieren. So hat beispielsweise jeder PKW-Hersteller spezifische Bedienkonzepte seiner Navigations- und Entertainmentgeräte umgesetzt. Die jeweilige nutzende Person speichert die Benutzung „ihres“ Geräts als mentales Modell ab. Wird ein anderes Gerät genutzt, kann es Umgewöhnungsprobleme geben. Problematisch wird die Sache, wenn bei der Entwicklung eines Produkts gänzlich andere Vorstellung von der Funktionsweise bestehen wie bei den Nutzenden. Hier sind oft schon kritische Situationen und Unfälle entstanden. Wenn zum Beispiel bei einem Flugzeug die Automatik anders funktioniert als die Pilotin oder der Pilot sich das vorstellt, kann dies schwerwiegende Probleme verursachen (was durch eingetretene Unfälle bestätigt wurde).

Es gibt folglich keine „intuitive Bedienung“ eines Geräts, da eben diese Intuition immer von Vorerfahrungen abhängt. Oft ist etwas selbsterklärend oder offensichtlich, häufig kommt auch die Aussage zustande „man muss es eben wissen oder mal ausprobiert haben“, dann erst kommt man mit dem Produkt zurecht.

Technologieakzeptanz

Ob eine neue Technologie beziehungsweise neue Produkte, die diese Technologien als Hard- oder Software nutzen, am Markt erfolgreich sind, hängt von der Technologieakzeptanz ab. Es gibt etliche Beispiele dafür, dass neue Produkte erstmals keine Akzeptanz finden konnten. So konnte sich zum Beispiel in der Vergangenheit die ISDN-Videotelefonie nicht flächendeckend durchsetzen, heute jedoch sind Web-Meetings Standard.

Der Begriff der Akzeptanz wird häufig im Zusammenhang mit Digitalisierungstechnologien verwendet. Es wird implizit angenommen, dass die Akzeptanz von technologischen Innovationen auch deren Nutzung beinhaltet. Wer eine neue Technologie vorteilhaft findet, benutzt sie auch. Mittels des Technologie-Akzeptanz-Modells (➥ Abb. 1) kann bereits im Vorfeld einer neuen Technologie eine Aussage im Hinblick auf die spätere Akzeptanz erfolgen oder es können Strategien entwickelt werden, wie die Akzeptanz erhöht beziehungsweise eine Ablehnung vermieden werden kann.

Das Technologie-Akzeptanz-Modell setzt sich aus den Akzeptanzvariablen „wahrgenommener Nutzen“, „wahrgenommene Benutzerfreundlichkeit“ beziehungsweise „Einfachheit der Bedienung“ „Einstellung gegenüber der Nutzung“, „beabsichtigte Verwendung beziehungsweise Verhaltensabsicht“ und „tatsächliche Nutzung“ zusammen (Davis 1985). Das Modell wurde seinerzeit entwickelt, um die Akzeptanz von Computern und Informationstechnologien zu erfassen. Da es heute um ähnliche Innovationssprünge geht, kann das Modell gut als Erklärungsmuster für die Akzeptanz von digitalen Technologien verwendet
werden.

Ausgangspunkt ist die Einfachheit der Bedienung. Wenn eine neue Technologie einfach, also selbsterklärend ist und sich auf den mentalen Modellen der Nutzenden aufbauend bedienen beziehungsweise nutzen lässt, dann wird ein positiver Effekt wahrgenommen. Das heißt, die anwendende Person verbucht für sich einen Nutzen durch die Technologie. Der Aufwand für die Verwendung ist geringer als der Nutzen. Hervorzuheben ist die Einschränkung „wahrgenommener Nutzen und wahrgenommene Einfachheit“. Fachleute können Aufwand und Nutzen durchaus anders einschätzen als Laien.

Die wahrgenommene Einfachheit der Bedienung erfolgt dabei durch die Einschätzung von Items wie „Schwerfälligkeit“, „leicht erlernbar“, „frustrierend“, „steuerbar“, „starr und unflexibel“, „leicht zu merken“, „geistige Anstrengung“, „verständlich“, „Bemühen, es geschickt zu machen“, „einfach zu verwenden“. Die wahrgenommene Einfachheit der Bedienung ist damit ein subjektives Maß zur Aufwandseinschätzung bei der Verwendung des Produkts.

Der wahrgenommene Nutzen kann dabei als Grad verstanden werden, inwieweit Nutzende glauben, durch die Systemverwendung ihre Arbeitsleistung steigern zu können. Er kann mit der Ausprägung der folgenden zehn Items beschrieben werden: „Arbeitsqualität“, „Kontrolle über die Arbeit“, „schneller arbeiten“, „kritisch für meinen Job“, „verbesserte Produktivität“, „höhere Arbeitsleistung“, „mehr Arbeitsvolumen bewältigen“, „effektiver, das heißt wirksamer arbeiten“, „einfacher arbeiten“ und „sinnvolle Unterstützung“.

Als Ergebnis des wahrgenommenen Nutzens und der Einfachheit der Bedienung entwickelt sich eine (positive) Einstellung gegenüber der Nutzung. In dem Modell ist die Einstellung gegenüber Verhaltensweisen anstelle der Einstellung gegenüber einem Objekt enthalten, das heißt, das Verhalten steht im Vordergrund und nicht das Objekt. Ein neues Mobiltelefon wird im beruflichen Umfeld deshalb verwendet, weil es einen Nutzen bringt und nicht, weil es neu oder „modern“ ist.

Der wahrgenommene Nutzen und die wahrgenommene Einfachheit der Bedienung haben einen direkten Einfluss auf die Einstellung gegenüber der Nutzung, die die Verhaltensabsicht begründet und in die tatsächliche Nutzung überführt.

Demnach sehen sich Menschen umso besser befähigt, ein Produkt beziehungsweise System zu nutzen, je leichter es zu handhaben ist. Zusätzlich mindert eine erhöhte Benutzerfreundlichkeit auch den Arbeitsaufwand, weshalb bei gleichem Aufwand eine höhere Leistung erbracht werden kann. Dies ist durch die direkte Wirkbeziehung zwischen wahrgenommener Einfachheit der Bedienung und wahrgenommenem Nutzen beschrieben. Der zusätzliche direkte Wirkungspfad des wahrgenommenen Nutzens auf die Verhaltensabsicht verdeutlicht, dass ein hoher Nutzen einer negativen Einstellung entgegenwirken kann.▪

Interessenkonflikt: Die Autoren geben an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.

Literatur

Davis FD: A technology acceptance model for empirical testing new end-user information system. Dissertation. Sloan School of Management. Bosten MA: Massachussetts Institute of Technology, 1985.

Davis FD: Perceived usefulness, perceived ease of use, and user acceptance of information technology. MIS Quarterly 1989; 13: 319–340.

Jahn C: Warum schalten Kraftfahrer Fahrerassistenzsysteme ab? Unveröffentlichte Masterarbeit. Dresden International University, 2021.

doi:10.17147/asu-1-161319

Je zuverlässiger Assistenzsysteme funkt­ionieren, umso mehr wird ihnen vertraut und umso mehr wird das eigene Urteil in Frage gestellt, so dass zum Beispiel Autorfahrerinnen und -fahrer in problematische Situationen geraten können

Foto: Sven Krautwald / AdobeStock

Je zuverlässiger Assistenzsysteme funkt­ionieren, umso mehr wird ihnen vertraut und umso mehr wird das eigene Urteil in Frage gestellt, so dass zum Beispiel Autorfahrerinnen und -fahrer in problematische Situationen geraten können

Kernaussagen

  • Mentale Modelle der Nutzenden sind für die Einschätzung der Einfachheit der Bedienung von neuen Produkten verantwortlich.
  • Mittels des Technologie-Akzeptanz-Modells kann das Nutzerverhalten bei der Nutzung beziehungsweise Nicht-Nutzung von Assistenzsystemen erklärt werden.
  • Es ist möglich, bereits im Vorfeld von neuen digitalen Technologien die Nutzerakzeptanz einzuschätzen.
  • Die Entwicklung von Produkten beziehungsweise Installation von Assistenzsystemen, die von den Nutzenden nicht angenommen werden, kann so vermieden werden.
  • Fallbeispiel

    Fahrerassistenzsysteme

    In aktuellen Nutzfahrzeugen sind zur Reduzierung von Unfällen Assistenzsysteme wie zum Beispiel Abstandswarnung, Spurhalte-Assistent, Spurwechsel-Assistent, Abbiege-Assistent, Verkehrszeichenerkennung, Brems­assistent oder Müdigkeitserkennung verbaut. Diese werden jedoch häufig von den Fahrzeugführenden deaktiviert, so dass der erwartete Umfang der Unfallreduzierung nicht eintritt. Um die Frage zu beantworten, weshalb in Nutzfahrzeugen diese Systeme abgeschaltet wurden, wurden in einer Studie aktive Fahrende mittels Fragebogen befragt (Jahn 2021). Von 175 verschickten Fragebogen gab es einen Rücklauf von 58 vollständig ausgefüllten Bögen, so dass ein hinreichend großer Datensatz vorhanden war. Folgende Erkenntnisse wurden gewonnen:

    Es besteht eine hohe wahrgenommene Einfachheit der Bedienung, das heißt, sämtliche im Fahrzeug verbauten Assistenzsysteme lassen sich einfach bedienen. Abstriche gibt es lediglich dadurch, dass unterschiedliche Hersteller gleiche Systeme nur mit ähnlichen, aber nicht mit den gleichen Bedienkonzepten ausgestattet haben. Hier gibt es bei einem Fahrzeugwechsel eventuell eine Kollision mit den mentalen Modellen der Nutzenden. Der wahrgenommene Nutzen ist allerdings oft gering. Einige wenige Fehlfunktionen der Systeme beziehungsweise Funktionen, die nicht mit den realen Bedingungen konform gehen, führen dazu, dass das System abgeschaltet wird. Ein vor dem LKW einscherender PKW – z. B. beim Verlassen der Autobahn, wenn von der linken beziehungsweise mittleren Spur ein PKW in die Autobahnausfahrt einfährt und dabei knapp vor dem LKW die rechte Spur kreuzt, führt zu einem Bremsmanöver beim LKW. Der LKW-Fahrende selbst schätzt diese Situation als nicht kritisch ein, da ihm klar ist, dass der PKW in die Ausfahrt einfahren will. Ein Assistenzsystem beurteilt diese Situation nur anhand von Zahlen, Daten und Fakten (vorgegebene Parameter) – es hat keine implizite Erfahrung damit. Spurhalteassistenten funktionieren teilweise in Baustellenbereichen nicht zuverlässig und werden oft anschließend nicht mehr eingeschaltet (vergessen), sofern es kein automatisches Einschalten nach einigen Minuten gibt. Oft muss auf schalen Landstraßen auch bewusst eine Begrenzungslinie überfahren werden, um dem Gegenverkehr auszuweichen. Die Warnung des Spurhalteassistenten wird in solch einem Fall als störend empfunden. Auch der Abstandsregeltempomat wird oft nicht verwendet. Dieser orientiert sich lediglich am direkt vorausfahrenden Fahrzeug. Die Fahrzeugführenden haben jedoch den gesamten Verkehrsfluss im Blick und können situativ kürzere Abstände akzeptieren, da sie einschätzten, dass sich die Situation kurzfristig entspannt und sie deshalb mit gleichmäßigerer Geschwindigkeit unterwegs sein können. Oft überwiegen die Vorteile von Fahrerassistenzsystemen; werden jedoch negative Erfahrungen gemacht, dann wird der wahrgenommene Nutzen als gering eingeschätzt und es ergibt sich eine negative Einstellung gegenüber der Nutzung. Die Verhaltensabsicht tendiert dann eher zu einer „Nicht-Nutzung“.

    Kontakt

    Prof. Dr.-Ing. Martin Schmauder
    Professur Arbeitswissenschaft: TU Dresden; 01962 Dresden

    Foto: Christian Hüller

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