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Zusammenarbeit zwischen gesetzlicher Unfallversicherung und Betriebsärzten bei Berufskrankheiten

Das Recht der Berufskrankheiten wird in Deutschland neben § 9 Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung – SGB VII vor allem durch die von der Bundesregierung erlassene Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) und die ergänzende Liste der Berufskrankheiten geprägt. Neben Definition und Benennung der Krankheiten, die nach dem geltenden Listenprinzip als Berufskrankheit dem Grunde nach anerken-nungsfähig sind, ist hier eine Besonderheit verankert.

Im § 3 BKV hat der Verordnungsgeber eine besondere Regelung getroffen, die ein ansonsten strikt geltendes Versicherungsprinzip aufweicht: Grundsätzlich sind Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung immer vom Eintritt eines Versicherungsfalls, hier also einem Arbeitsunfall incl. der Wege-unfälle oder einer Berufskrankheit, abhängig. Mit den Voraussetzungen des § 3 BKV wurde eine zusätzliche Rechtsgrundlage für Leistungen aus der gesetzlichen Unfallver-sicherung geschaffen, die zwischenzeitlich in der Rechtsprechung des BSG als so genannter „Kleiner Versicherungsfall“ bezeichnet wurde (BSG, 1201.2010, B 2 U 33/08 R).

Danach hat der Unfallversicherungsträ-ger mit allen geeigneten Mitteln dagegen zu wirken, wenn bei (einzelnen) Versicher-ten der konkrete Verdacht besteht, dass eine Berufskrankheit entsteht oder eine schon bestehende sich verschlimmert oder wiederauflebt. Mit dieser Regelung werden die Aufgabenfelder der gesetzlichen Unfallver-sicherung neben der allgemeinen Primärprä-vention einerseits und der Kompensation durch Anerkennung und Entschädigung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten andererseits um das Feld der Individualprävention erweitert. Dieses Handlungsfeld hat insbesondere bei den Berufskrankheiten, zu deren Anerkennungsvoraussetzungen auch die Aufgabe aller gefährdenden Tätigkeiten gehört, große Bedeutung.

Aus der rechtlichen Vorgabe, mit allen geeigneten Mitteln einer im Einzelfall drohenden Berufskrankheit entgegenzuwirken, ergeben sich mögliche Aktivitäten der gesetzlichen Unfallversicherung auf medizinisch-therapeutischem Gebiet aber auch in Bereichen der Verhaltens- und Verhältnisprävention. In diesen Bereichen kommt es dann dazu, dass sich die gesetzliche Unfallversicherung und Betriebsärzte als zunächst voneinander unabhängig wirkende Akteure begegnen.

„Die wesentlichen Aufgaben des Betriebsarztes bestehen in der konkret auf die Verhältnisse am Arbeitsplatz und die Gesundheit der Beschäftigten bezogenen arbeitsmedizinischen Beratung. Diese richtet sich sowohl an die Unternehmer als auch an die Beschäftigten vor Ort im Unternehmen. Die wichtigsten Fragestellungen in der Beratung sind die Klärung der Wechselwirkun-gen zwischen Arbeit und Gesundheit sowie die arbeitsmedizinische Vorsorge.“ (DGUV 2014, s. „Weitere Infos“). Dabei haben sie ggf. auch unternehmensinterne organisa-torische oder wirtschaftliche Rahmenbedingungen zu berücksichtigen. Gleichzeitig kennen sie die jeweiligen Arbeitsplätze und deren Rahmenbedingungen in aller Regel besonders gut.

Während über viele Jahre beide Akteure in Interventionsfällen nach § 3 BKV unab-hängig voneinander und häufig wenig ab-gestimmt agierten, haben beide Seiten vor einiger Zeit die Sinnhaftigkeit einer Abstim-mung erkannt. Daher wurde bereits 2002 zwischen dem Verband der Betriebs- und Werksärzte (VDBW), der Deutschen Gesellschaft für Arbeits- und Umweltmedizin (DGAUM) sowie den Spitzenverbänden der Unfallversicherungsträger eine gemeinsame Empfehlung zur gegenseitigen Information und Zusammenarbeit vereinbart. Die Umsetzung dieser gemeinsamen Empfehlung in die Praxis erwies sich allerdings als große Herausforderung für alle Beteiligten und ist, so muss man wohl konstatieren, auch nur begrenzt gelungen.

Viele Betriebsärzte fühlen sich von den Unfallversicherungsträgern nicht ausreichend informiert

Eine von der DGUV geförderte Studie bei arbeitsbedingten Hauterkrankungen (s. „Weitere Infos“) ergab, dass weniger als 2 % der bei den Unfallversicherungsträgern laufenden § 3- und Berufskrankheiten-Verfahren von Betriebsärzten durch Meldungen initiiert wurden. Andererseits erfährt man auf Nachfrage bei den Betriebsärzten, dass sich viele von ihnen in der Regel nicht ausreichend über den Stand des Verfahrens bei den Unfallversicherungsträgern und deren weitere Planungen und Vorhaben informiert fühlten. Bedenkt man, dass die arbeitsbe-dingten Hauterkrankungen wegen des recht-lich geforderten Aufgabezwangs, vor allem aber wegen der für eine Anerkennung als Berufskrankheit geforderten besonderen Aus-prägung (BK-Nr. 5101: „Schwere oder wiederholt rückfällige Hauterkrankungen …“) für Interventionen auf der Basis des § 3 BKV geradezu prädestiniert sind und zusätzlich mit etwa 25 000 gemeldeten Fällen pro Jahr (Anzeigen auf Verdacht einer Berufskrankheit, s. „Weitere Infos“) den Schwerpunkt im BK-Geschehen darstellen, würde es sich durchaus lohnen, hier einmal genauer hinzusehen.

Auf der Basis der gemeinsamen Vereinbarung zwischen den Spitzenverbänden der gesetzlichen Unfallversicherung und den Be-triebsärzten aus dem Jahr 2002 hatten diese verschiedene Möglichkeiten, die Unfallversicherungsträger zu informieren, wenn sie selbst Hinweise auf arbeitsbedingt auftretende Hauterscheinungen bei Beschäftigten in den von ihnen betreuten Unternehmen erhielten. Zum einen waren sie legitimiert, einen Hautarztbericht zu erstellen. Dieses Formular (F 6050) wurde ursprünglich für Dermatologen konzipiert, damit es von die-sen zur Eröffnung des Hautarztverfahrens (Leitnummer 41 des Abkommens Ärzte/Un-fallversicherungsträger, s. „Weitere Infos“) genutzt wird. Dementsprechend ist dieses Formular auch eher dermatologisch diagnose- und therapielastig ausgestaltet, trifft die eigentliche Zielrichtung der Betriebsärzte nicht und erforderte zudem für das Ausfül-len einen recht großen Zeitaufwand.

Andererseits konnten Betriebsärzte die Erkrankten auch mit einem Überweisungsformular (F2900) an Hautärzte überweisen, damit diese wiederum nach entsprechender Vorabprüfung ggf. mit einem Hautarztbericht ein Hautarztverfahren einleiten konnten. Dieser Weg wiederum ist ganz wesentlich von der Compliance der Erkrankten abhängig, da die Bereitschaft, einen Arzt aufzusuchen, bekanntlich individuell ganz unterschiedlich ausgeprägt ist.

Die Unfallversicherer wiederum infor-mierten in der Praxis die Betriebsärzte rela-tiv selten über anstehende oder bereits erfolgte Maßnahmen am Arbeitsplatz. Zum einen war dies darauf zurückzuführen, dass ihnen die Betriebsärzte nicht bekannt wa-ren. Viele Erkrankte, für die von Dermato-logen ein Hautarztbericht erstellt wird, wün-schen aus Sorge vor künftigen Nachteilen ausdrücklich keine Kontaktaufnahme des Unfallversicherungsträgers mit dem Arbeit-geber und kennen selbst zudem nicht den für sie zuständigen Betriebsarzt. Damit fehlt den Unfallversicherungsträgern ein wichtiger Ansprechpartner.

Der Betriebsarzt wird oft fälschlicher- weise als verlängerter Arm der Arbeit- geber angesehen

Außerdem ist eine Kontaktaufnahme der Unfallversicherungsträger mit den Betriebsärzten und eine Weitergabe von Informatio-nen an diese nur unter den strengen Voraus-setzungen des Datenschutzes möglich. Sie benötigen dazu eine Einverständniserklärung der Erkrankten. Ein entsprechendes Eingabefeld ist bereits im Hautarztbericht verankert. Hier können Dermatologen die Erkrankten bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt um deren Einverständnis dazu bitten, dass die Unfallversicherungsträger den jeweiligen Betriebsarzt einbeziehen und informieren. In aller Regel wird jedoch ein solches Einverständnis im Hautarztbericht nicht erteilt. Als Grund dafür kommt ebenfalls die Sorge der Erkrankten vor einem Kontakt der Unfallversicherung mit dem Arbeitgeber und dessen unbekannte Auswirkungen auf das Beschäftigungsverhältnis in Betracht. Dabei wird hier oftmals fälschlicherweise der Betriebsarzt quasi als verlängerter Arm der Arbeitgeber angesehen. Eine entsprechende Klarstellung und Beratung durch die den Hautarztbericht er-stellenden Dermatologen bzw. deren Praxis-personal wäre wünschenswert, dürfte aber vor dem Hintergrund des zeitlich sehr eng getakteten Alltags in den dermatologischen Arztpraxen Illusion sein und bleiben.

Auf der Basis dieser Erkenntnisse wurde im August 2012 die bisherige gemeinsame Empfehlung modifiziert und eine neue Vereinbarung zwischen VDBW, DGAUM und DGUV abgeschlossen. Mit dieser neuen Vereinbarung ging auch die Einführung des „Betriebsärztlichen Gefährdungsberichtes Haut“ (F 6060) einher. Mit diesem Instrument haben Betriebsärzte nun die Möglichkeit auch initiativ tätig zu werden und die Unfallversicherungsträger über die ihnen bekannt werdende Hinweise auf arbeitsbedingte Hauterkrankungen von Beschäf-tigten in den betreuten Betrieben zu infor-mieren. Da es für Betriebsärzte aber keine gesetzliche oder anderweitige rechtliche Melde- oder Anzeigepflicht gibt, ist aus Gründen des Datenschutzes für diesen „Betriebsärztlichen Gefährdungsbericht Haut“ die vorherige Zustimmung der Erkrankten erforderlich.

Inhaltlich befasst sich dieses Formular weniger mit diagnostischen Aspekten, son-dern vielmehr und insbesondere mit den Expositionen und Gefährdungen am Arbeits-platz. Damit wird auf eine der Kernkompetenzen der Betriebsmediziner und Informationen, die diese bereits aufgrund ihrer eigenen Tätigkeit und Verantwortung einholen, abgestellt. Um den „Betriebsärztlichen Gefährdungsbericht Haut“ ausfüllen zu können, sind fast keine Ermittlungen, die über das eigene Tätigkeitsfeld der Betriebsärzte hinausgehen, erforderlich. Außerdem wurde nun mit einem Betrag von € 30 (ggf. zzgl. MwSt.) auch ein gesonderter Honoraranspruch vereinbart.

Der „Betriebsärztliche Gefährdungs- bericht Haut“ erweitert des Angebot der verfügbaren Tools, ohne jedoch den Hautarztbericht zu ersetzen

Der „Betriebsärztliche Gefährdungsbericht Haut“ soll die bisher schon bestehenden Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme der Betriebsärzte mit der Unfallversicherung weder einschränken noch ablösen. Vielmehr bleiben die Möglichkeiten, einen Hautarztbericht zu erstatten oder ein Überweisungsformular auszufüllen, unverändert neben dem nun neu eingeführten „Betriebsärztlichen Gefährdungsbericht Haut“ bestehen. Den Betriebsärzten steht so ein breites Angebot an Tools zur Auswahl und Verfügung, um nach eigener Präferenz optimaler organisatorischer Einbindung in das eigene Aufgabenfeld zwischen diesen verschiedenen Optionen frei wählen zu können.

Auch soll der „Betriebsärztliche Gefährdungsbericht Haut“ nicht den Hautarzt-bericht ersetzen. Während im Gefährdungs-bericht klar auf die Beschreibung der Verhältnisse am Arbeitsplatz abgestellt wird, ist der Hautarztbericht mit seinen diagnostischen und therapeutischen Aspekten anders ausgerichtet. Beide Formulare liefern aus unterschiedlicher Perspektive wichtige und notwendige Informationen für die Prüfung individualpräventiver Maßnahmen durch die Unfallversicherungsträger.

Neben der nun geschaffenen zusätzlichen Möglichkeit der frühzeitigen Meldung möglicher arbeitsbedingter Hauterkrankun-gen durch die Betriebsärzte an die Unfallver-sicherungsträger wurden aber auch weitere Möglichkeiten zu Kooperation zwischen den Akteuren geschaffen. Auch künftig sind die Unfallversicherungsträger aufgefordert, mit Hilfe einer datenschutzrechtlich notwendigen Einverständniserklärung der Erkrankten die jeweiligen Betriebsärzte über den Fortgang des Verfahrens sowie vor allem die an den Arbeitsplätzen vorgesehenen Maßnahmen zu informieren, ggf. auch die Betriebsärzte in die Planung derartiger Maßnahmen einzubeziehen.

Hier ist von besonderer Bedeutung, dass die Betriebsärzte nun künftig auch zur Über-wachung der auf Grundlage des § 3 BKV im Betrieb durchzuführenden verhaltens- oder verhältnispräventiven Maßnahmen zur Verfügung stehen. Während in der Vergangen-heit dazu regelmäßig Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Präventionsdienste der Un-fallversicherungsträger in die Betriebe fahren mussten, können insoweit nun personelle Ressourcen geschont werden: Es besteht die Möglichkeit, das Knowhow und die Präsenz der Betriebsärzte in den Betrieben dazu zu nutzen, den Erfolg von verhaltens- und ver-hältnispräventiven Maßnahmen im Betrieb zu kontrollieren bzw. durch gezieltes Nachsteuern in Absprache mit dem Unfallversicherungsträger zu sichern.

Ausblick: Nachdem die neue Vereinbarung nun seit etwa zwei Jahren gilt, ist es an der Zeit, die Erfahrungen der Praxis zu sammeln, zu bewerten und ggf. notwendige Anpassungen vorzunehmen. Erst danach macht es Sinn, sich über eine mögliche Ausweitung dieser Zusammenarbeit zwischen Betriebsärzten und Unfallversicherungsträgern in Berufskrankheiten- und § 3-Fällen über die Fälle arbeitsbedingter Hauterkrankungen hinaus Gedanken zu machen. Inhaltlich und auch im Kontext mit einem der aktuellen Hauptziele der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA, s. „Weitere Infos“) bieten sich dafür wohl vor allem die Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems (MSE) an. Auch in diesem Bereich gibt es mehrere Berufskrankheiten mit dem Zwang zur Tätigkeitsaufgabe (z. B. die Wirbelsäulen-erkrankungen der BK-Nr. 2108) ebenso wie Krankheiten, bei denen die Anerkennungsmöglichkeiten vom Erreichen bestimmter, schwerer Ausprägungsgrade (z. B. der Gonarthrose im Sinne der BK-Nr. 2112) abhängig sind. 

    Weitere Infos

    Leitfaden für Betriebsärzte zu Aufgaben und Nutzen betriebsärztlicher Tätigkeit, 2014.

    http://www.dguv.de/medien/inhalt/praevention/themen_a_z/arbmed/documents/leitfaden_nutzen.pdf

    Qualitätssicherung und Evaluation des optimierten Hautarztverfahrens und des Stufen-verfahrens Haut, 2011.

    http://www.dguv.de/medien/ifa/de/pro/pro1/ff-fb0130/Abschlussbericht.pdf

    Anzeigen auf Verdacht einer Berufskrankheit

    http://www.dguv.de/de/Zahlen-und-Fakten/BK-Geschehen/BK-Verdachtsanzeigen/index.jsp

    Leitnummer 41 des Abkommens Ärzte/Unfallversicherungsträger

    http://www.dguv.de/medien/inhalt/rehabilitation/verguetung/documents/aerzte.pdf

    GDA: Arbeitsprogramme 2013–2018

    http://www.gda-portal.de/de/Arbeitsprogramme2013-2018/Arbeitsprogramme2013-2018.html

    Autor

    Fred-D. Zagrodnik

    Referat Berufskrankheiten

    Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV)

    Mittelstraße 51 – 10117 Berlin

    fred-dieter.zagrodnik@dguv.de

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