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Betriebliche Gesundheitsförderung

Herausforderungen der Digitalisierung: social health@work

Schon zu Beginn der ersten Coronawelle im Frühjahr 2020, aber spätestens seit dem Beschluss der Bundesregierung vom 28. Oktober 2020 zur „Bekämpfung der SARS-Cov2-Pandemie“ schickten Firmen ihre Beschäftigten vermehrt ins Homeoffice. Insbesondere für Personen, die durch Kita- und Schulschließungen oder durch die Betreuung eines pflegebedürftigen Angehörigen in der Coronakrise besonders belastet waren und sind, dürften Telearbeit oder Homeoffice – nicht erst seitdem – eine große Erleichterung bedeuten. Neben der Sorge, sich selbst und dadurch andere Menschen anzustecken, dürfte allein der Zeitgewinn ein großer Pluspunkt sein. Demgegenüber stehen aber auch Hürden: Nicht alle Firmen verfügen über die notwendige technische Ausstattung und den entsprechenden IT-Support. Ein Küchenstuhl ersetzt keinen Bürostuhl und eine Videokonferenz nicht den morgendlichen Austausch in der Teeküche. Insgesamt aber, das hat eine Studie der BARMER und der Universität St. Gallen ergeben (s. „Weitere Infos“), wirkt sich die Digitalisierung positiv auf die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Beschäftigten aus – unter bestimmten Umständen.

Die Studie „social health@work“ nimmt mit der sozialen Gesundheit eine – neben der körperlichen und der mentalen Gesundheit – weitere wichtige Dimension in den Fokus. Befragt wurden zunächst rund 8000 Beschäftigte in Deutschland. Dabei wurde deutlich, dass Beschäftigte, die bereits ein hohes Know-how im Umgang mit digitalen Anwendungen haben, im Vergleich zu ebenfalls mobil Arbeitenden ohne dieses Wissen über weniger Schlafprobleme (–18,3 %) und über weniger
Stress (–6,4 %) klagen. Sie schätzen außerdem ihre Produktivität deutlich höher ein. Die Schlussfolgerung liegt auf der Hand: Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) und digital gut ausgebildete und geschulte Beschäftigte sind wichtig.

Gesunde Führung im digitalen Umfeld

Doch nicht nur die Kompetenzen der Beschäftigten selbst spielen eine Rolle. Führungskräften kommt eine entscheidende Bedeutung zu. Sie stehen vor der Herausforderung, virtuell zu kommunizieren und zu führen. Mobile Beschäftigte, deren Vorgesetzte die virtuellen Kommunikationsmöglichkeiten kompetent und effektiv einsetzen, schätzten ihre Produktivität um zehn und ihre Arbeitszufriedenheit um 48,3 Prozent höher ein als Beschäftigte, deren Führungskräfte nicht über entsprechende digitale Skills verfügen. Sie berichten zudem über weniger Stress (–15,5 %) und beschäftigten sich weniger mit dem Gedanken an eine Kündigung (–40,7 %) als mobil Arbeitende mit Vorgesetzten ohne digitale Führungskompetenz. Zu dieser Kompetenz gehört auch, mobil Beschäftigte so einzubinden, dass durch die Distanz keine Unsicherheiten entstehen und das Zugehörigkeitsgefühl nicht verloren geht. Wenn das gelingt, zahlt es sich durch höhere Produktivität, eine geringere Kündigungsabsicht und eine deutlich bessere Gesundheitswahrnehmung aus.

Angebote für ­Beschäftigte

Auch wenn die Digitalisierung Unternehmen zusätzlich zu den aktuellen wirtschaftlichen Herausforderungen vor große Hürden stellt, zeigt die Studie deutlich, dass Unterstützungsangebote auch im BGM nicht zu kurz kommen dürfen. Mit Blick auf die Ausgaben, die die Krankenkassen aufgrund der Pandemie zusätzlich belasten, hat die Gesetzgebung die eigentlich vorgeschriebene Mindestausgabe für das Jahr 2020 ausgesetzt. Nichtsdestotrotz engagieren sich Krankenkassen weiterhin in diesem Feld und haben ihr Portfolio entsprechend angepasst. So hat die BARMER bereits zu Beginn der Krise Präsenzveranstaltungen um digitale Angebote erweitert. Auch auf die geänderten Bedarfslagen in Firmen wurde reagiert. Onlinevorträge wie „Selbstmanagement im Homeoffice“ oder „Führen in Krisenzeiten“ werden von Firmen ebenso nachgefragt wie „Essstruktur im Homeoffice“ oder „Bewegt im Homeoffice!“

Unterstützung für Thüringer ­KKMU

Auch im Projekt „Gesund arbeiten in Thüringen“ (vgl. ASU 1/2020) hat die Digitalisierung Einzug gehalten. Seit 2017 arbeiten DGAUM und BARMER in dem Modellprojekt zusammen, das sich unter anderem mit der betrieblichen Gesundheitsförderung in kleinsten, kleinen und mittleren Unternehmen (KKMU) beschäftigt. Da es diesen Firmen oft an personellen, zeitlichen und finanziellen Ressourcen mangelt, schlossen sich 2019 rund 30 Firmen zu Netzwerken in Ost-, Mittel- und Südthüringen zusammen. Eines der Ziele ist es, Maßnahmen der BGF nicht firmenspezifisch umzusetzen, sondern allen Beschäftigten der Netzwerkfirmen übergreifend zugänglich zu machen. Organisatorische Fragen klärte jede Firma individuell, etwa ob den Beschäftigten die Teilnahme als Arbeitszeit anerkannt oder wie bei Abwesenheiten einzelner Personen das Tagesgeschäft sichergestellt wird. Übergreifend stellten sich zwei Punkte als besondere Herausforderungen dar: Welche Firma kann ausreichende Räumlichkeiten zur Verfügung stellen? Und wie gelingt es, dass der Aufwand von Fahrzeit und -kosten für Teilnehmende anderer Firmen im Verhältnis zur angebotenen Maßnahme steht? Schnell wurde klar, dass digitale Maßnahmenangebote von den Beschäftigten häufiger genutzt werden als Präsenzformate.

Im Frühjahr 2021 werden sowohl die Beschäftigten als auch die Führungskräfte der GAIT-Firmen erneut befragt. Der Schwerpunkt liegt dabei darauf, wie Projektinhalte und angebotene Maßnahmen innerhalb der Belegschaft kommuniziert wurden und wie es um die Akzeptanz selbiger bestellt ist. Ein weiteres Projektziel ist bessere der betriebsärztliche Betreuung der Unternehmen. Zu Projektbeginn hatten lediglich rund zwei Drittel der Betriebe eine betriebsärztliche Betreuung. Durch Vermittlung oder direkte Unterstützung der DGAUM sind mittlerweile alle Firmen betriebsärztlich angebunden.

Im letzten Jahr des Modellprojekts, dessen Ergebnisse voraussichtlich im Frühjahr 2022 vorgestellt werden, geht es hinsichtlich der Netzwerke vor allem um deren Nachhaltigkeit. Nach dann drei Jahren Aufbau und enger Begleitung durch die Projektpartner sollen die Netzwerke so gefestigt sein, dass sie ihre Ziele selbstständig weiterverfolgen. Wünschenswert wäre dabei vor allem eine stärkere Einbindung von Betriebsärztinnen und -ärzten, um den Arbeitsschutz und die betriebliche Gesundheitsförderung enger miteinander zu verzahnen. Für eine bessere arbeitsmedizinische Beratung von Firmen in ganz Thüringen planen die Kooperationspartner außerdem den Aufbau einer Videosprechstunde als niedrigschwelligen Zugang. Bereits jetzt sind im Rahmen des Projekts digitale Angebote sowohl für Firmen als auch für Betriebsärztinnen und -ärzte abrufbar. Die E-Learning-Module behandeln Themen wie Betriebliches Eingliederungsmanagement, Gefährdungsbeurteilung, Mutterschutz oder Suchtprävention. Übergeordnetes Ziel des Modellprojekte ist es, Erkenntnisse aus den Feldern Arbeitsmedizin und betrieblicher Gesundheitsförderung abzuleiten, die über Thüringen hinaus für KKMU in ganz Deutschland angewendet werden können. (Weitere Informationen zum Projekt unter www.gesund-arbeiten-in-thueringen.de)

Onlineportal zur Erstberatung

Ein weiteres Angebot speziell für kleine und mittlere Unternehmen ist die BGF-Koordinierungsstelle, ein Onlineportal der gesetzlichen Krankenkassen, für das in Thüringen die BARMER zusammen mit der IKK Classic die Federführung innehat und über das Unternehmen niedrigschwellig Beratung und Unterstützung erhalten können (s. „Weitere Infos“). Seit Start des Portals im Mai 2017 haben bundesweit über 9000 Betriebe diese Möglichkeit zur Kontaktaufnahme mit einer Krankenkasse genutzt. In Thüringen arbeiten die Krankenkassen zur Weiterentwicklung des Portals mit der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, der Unfallkasse Thüringen und der Rentenversicherung zusammen. Enge Abstimmungen erfolgen außerdem mit dem Verband der Wirtschaft Thüringens. Ziel ist es, das Beratungsangebot weiteren Firmen bekannt zu machen. Dafür hat es sich bewährt, die Verbände als Multiplikatoren einzubinden. Im vergangenen Jahr stand insbesondere die Pflegebranche im Fokus der gemeinsamen Arbeit. In Gesprächen mit relevanten Pflegeverbänden wie beispielsweise der Diakonie Mitteldeutschland wird gemeinsam beraten, wie das Angebot auch Betrieben aus dem Pflegebereich besser bekannt gemacht werden kann.

Digitalisierung braucht ethische Grundsätze

Die Digitalisierung ruft auch weitere Themen auf den Plan, auf die Unternehmen Antworten finden müssen, so zum Beispiel, welche ethischen Grundsätze Firmen im digitalen Zeitalter verfolgen. Beispielsweise hat die BARMER einen Kanon an Werten aufgestellt, die beschreiben, in welchem ethischen Rahmen der digitale Fortschritt mitgestaltet werden soll (s. „Weitere Infos“). Die Bedürfnisse der Menschen sollen dabei stets im Mittelpunkt stehen. Unterstützung bei der Ausarbeitung des Wertekanons erhielt die BARMER von dem Wirtschafts- und Medizinethiker Prof. Dr. Stefan Heinemann von der FOM Hochschule/Universitätsmedizin Essen. Die ethischen Werte machen die Frage nach dem richtigen digitalen Handeln auch unter dem heutigen Zeitdruck handhabbar. Eingeflossen sind sowohl Praxiserfahrungen als auch der Stand der Wissenschaft. Der Wertekompass wird durch acht Wortpaare abgebildet:

  • menschenorientiert/patientenzentriert
  • souverän/selbstbestimmt
  • solidarisch/kooperativ
  • transparent/aufklärend
  • verantwortlich/verlässlich
  • sicher/geschützt
  • wirtschaftlich/fokussiert
  • nutzenstiftend/unterstützend
  • Herausforderungen annehmen, Chancen nutzen

    Dass an der Digitalisierung kein Weg vorbeiführt, ist offensichtlich. Dabei müssen Unternehmen Rahmenbedingungen schaffen, die auf die Gesunderhaltung der Beschäftigten ausgerichtet sind. Die betriebsärztliche Einbindung ist hierbei sinnvoll. Krankenkassen und andere Sozialversicherungsträger bieten Unternehmen dabei kompetente, individuelle Unterstützung. Während große Unternehmen häufig über ausreichende Ressourcen zur Implementierung und Umsetzung von BGM verfügen, haben kleine und mittlere Unternehmen den Vorteil von schnelleren, unbürokratischen Entscheidungen und einem höheren Maß an Flexibilität. Der Austausch in Unternehmensnetzwerken und das Bündeln von Ressourcen kann ihnen einen zusätzlichen Mehrwert bieten. Die Studie „social health@work“ zeigt: Wer sich den Herausforderungen der Digitalisierung stellt, kann daraus einen Mehrwert für einzelne Beschäftigte und das gesamte Unternehmen generieren.

    Interessenkonflikt: Die Autorin ist bei der BARMER beschäftigt. Ein Interessenkonflikt liegt nicht vor.

    Literatur

    GKV-Spitzenverband (Hrsg.): Leitfaden Prävention, Handlungsfelder und Kriterien nach § 20 Abs. 2 SGB V und Leitfaden Prävention in stationären Pflegeeinrichtungen nach § 5 SGB XI, Berlin, August 2018

    Weitere Infos

    Die Nationale Präventions­konferenz: Erster Präventions­bericht nach §20d Abs. 4 SGB V, Juni 2019
    https://www.npk-info.de/

    Social health@work: Was macht mobiles Arbeiten mit unserer Gesundheit?
    www.barmer.de/social-health

    Digitale Ethik – unser Wertesystem mit einem Fokus auf die Menschen
    https://www.barmer.de/gesundheit-verstehen/gesundheit-2030/digitale-eth…

    BGF-Koordinierungsstelle
    www.bgf-koordinierungsstelle.de

    GKV-Spitzenverband: Präventionsbericht
    https://www.gkv-spitzenverband.de/krankenversicherung/praevention
    _selbsthilfe_beratung/praevention_und_bgf/praeventionsbericht/praeventionsbericht.jsp

    Deutscher Bundestag: Telearbeit und Mobiles Arbeiten
    https://www.bundestag.de/resource/blob/516470/3a2134679f90bd45dc12dbef2…

    Abb. 2:  Digital auf dem neuesten Stand? Organisationeller Reifegrad der Virtualität: Einschätzung der mobilen Beschäftigten, in welcher Phase sich ihr Unternehmen befindet. Quelle: BARMER

    Abb. 2: Digital auf dem neuesten Stand? Organisationeller Reifegrad der Virtualität: Einschätzung der mobilen Beschäftigten, in welcher Phase sich ihr Unternehmen befindet. Quelle: BARMER

    Info

    Im Rahmen der Studie „social health@work“ werden die 8000 Beschäftigten in weiteren sieben Befragungswellen über drei Jahre hinweg wiederholt zu ihren Erfahrungen ­befragt. Weitere Informationen, einen Film zur Studie „social health@work“ sowie die Studie zum kostenlosen Download gibt es auf www.barmer.de/social-health

    Info

    Bei der Teleheimarbeit befindet sich der Arbeitsplatz permanent im Privatbereich der Beschäftigten. Bei alternierender Tele­arbeit wechseln die Beschäftigten zwischen ihren Arbeitsplätzen in der Betriebstätte und der privaten Wohnung. Bei mobiler ­Arbeit ist der Arbeitsort weder auf Büro noch den häuslichen Arbeitsplatz festgelegt. Es kann unabhängig von festen Arbeitszeiten und -plätzen gearbeitet werden.

    Info

    Bei der Trennung von Arbeits- und Privat­leben helfen Grenzmanagement-Taktiken: Ein strukturierter Zeitplan, die örtliche Trennung von Arbeit und Privatleben durch ein separates Arbeitszimmer und die klare Kommunikation der mobilen Arbeitszeiten gegenüber den Kolleginnen und Kollegen.

    Praxisbeispiel

    Die Steuerberatungskanzlei Ruschel & Coll. in Erfurt beschäftigt rund 40 Mitarbeiter und neun Auszubildende und hat sich 2019 dem „Gesund arbeiten in Thüringen“-Netzwerk angeschlossen. Christiane Roth ist Personalmanagerin, Teamleiterin der Lohnbuchhaltung, Arbeitsschutzbeauftragte und Gesundheitslotse.

    „In den Netzwerktreffen erhalten wir nicht nur viel fachlichen Input, beispielsweise zur Gefährdungsbeurteilung oder Impfungen am Arbeitsplatz; wir haben über das Projekt auch nach langer Suche eine neue Betriebsärztin gefunden. Im Austausch mit den anderen Netzwerkfirmen entstehen Synergieeffekte und neue Ideen – oft sind es einfache Dinge, die man sich von anderen abschauen und leicht umsetzen kann, zum Beispiel ein Obstkorb für die Mitarbeiter oder ein jährlicher Fahrradcheck. Die BARMER-Angebote zu Ernährung, Bewegung und psychischer Gesundheit kommen in unserer Belegschaft gut an. Wir wollen unser BGM nachhaltig verankern. Dass sich die Betriebsärztin dort einbringt, freut uns sehr. Leider ist das nicht bei allen Netzwerkfirmen der Fall.“

    Kontakt

    Birte Schwarz, M.A.
    Fachreferentin Prävention BARMER; Johannesstr. 164; 99084 Erfurt

    Foto: privat

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