Springe auf Hauptinhalt Springe auf Hauptmenü Springe auf SiteSearch
Lösungsansätze für die Individualprävention

Verbleib im Beruf mit Atemwegserkrankung

Tätigkeits- und Berufsaufgabe

Zur Individualprävention gehört weiterhin primär die Einräumung der Möglichkeit, Arbeitsplatz und Beruf und damit die schädigende Exposition vollständig aufgeben zu können. Dies betrifft aus medizinischer Sicht insbesondere Personen mit Exposition gegenüber allergisierenden Stoffen, wie Mehl oder Isocyanate, mit den Folgen der BKen 4301 und 1315. Hieran ändert die neue Gesetzeslage nichts. Den Nutzen der kompletten Allergenkarenz zeigte eine Metaanalyse aus 2019: Die Aufgabe der schädigenden Tätigkeit hat im Vergleich zum Verbleib im Beruf zu einer Verbesserung der Asthma­symptome und Lungenfunktion geführt, auch bei Reduktion der Allergenexposition durch verschiedene betriebliche Präventionsmaßnahmen (Henneberger et al. 2019). Daher ist zuallererst zu eruieren, ob der betroffenen Person individuell erfolgversprechende Angebote gemacht werden können, die es ihr wirtschaftlich und mit Perspektive der beruflichen Entwicklung ermöglichen, die Tätigkeit zu wechseln, eine berufliche Umschulungsmaßnahme zu ergreifen oder auch vorzeitig in den Ruhestand zu gehen.

Individualprävention am Arbeitsplatz nach dem STOP-Prinzip

Wenn nach umfassender Aufklärung über die Möglichkeiten der Unterstützung auf dem Weg der vollständigen Expositions- und Berufsaufgabe die betroffene Person dennoch Tätigkeit und Beruf weiter ausüben möchte, so ergeben sich weitere individualpräventive Möglichkeiten. Diese sind unterschiedlich im Falle der BK 4301 (und 1315) und der BK 4302 einzuschätzen. Während die Exposition gegenüber allergisierenden Stoffe, also im Falle der BK 4301, bis auf das zu erreichende Minimum durch Umsetzung organisatorischer, technischer und persönlicher Schutzmaßnahmen reduziert werden muss, so reicht bei der BK 4302 in vielen Fällen eine Expositionsminderung gegenüber den chemisch-irritativ oder toxisch wirkenden Stoffen (Preisser 2015). Diese kann häufig bereits durch Änderung der Arbeitsorganisation im gleichen Betrieb, wie Versetzungen auf einen anderen Arbeitsplatz und Ähnliches, erreicht werden. Auch technische Absaugungen, verbunden mit dem zeitweiligen Tragen von Atemschutz, können hier ausreichend effektiv sein. Die Rangfolge der Maßnahmen sollte nach dem im Arbeitsschutz etablierten STOP-Prinzip, also Substitution vor technischen, organisatorischen und persönlichen Schutzmaßnahmen, gewählt werden. Die Möglichkeiten, durch Präventionsmaßnahmen am Arbeitsplatz das Fortschreiten der Erkrankung zu begrenzen, wurde für die in Deutschland größte betroffene Berufsgruppe im Back- und Konditorgewerbe bereits dargestellt (Hölzel et al. 2009; Kühn 2018). Eine Befragung von Beschäftigten dieser im Beruf verbliebenen Gruppe zeigte eine ausreichende Asthmakontrolle und damit einhergehend eine überwiegend gute gesundheits- und asthmabezogene Lebensqualität (Velasco Garrido et al. 2015).

Im Falle der Exposition gegen allergisierende Stoffe müssen alle Maßnahmen, auch in Kombination, ausgeschöpft werden, die eine weitgehende Expositionsminderung versprechen, wie zum Beispiel Vermeidung staubintensiver Tätigkeiten, Verwendung wenig staubender Materialien, Versetzungen innerhalb des Betriebs in staubarme Bereiche und Tragen von gebläseunterstützten, umluftunabhängigen Atemschutzhauben.

Schulungen

Zusätzlich zu diesen Präventionsmaßnahmen am Arbeitsplatz ist immer die umfassende Aufklärung der betroffenen Person über die Gefährdungen am Arbeitsplatz, die langfristigen gesundheitlichen Folgen, die Möglichkeiten der Vermeidung und die Unterstützungsmöglichkeiten im Falle des Arbeitsplatzwechsels notwendig. Hierfür sollte durch die Unfallversicherungsträger ein strukturiertes Schulungsprogramm erarbeitet werden. Die Lehrinhalte sollen auch die Krankheitslehre zu Asthma bronchiale und COPD, außerdem die Asthmaschulungen zu den Auslösern, zu Selbstkontrolle und -management, zur Anwendung der Medikation und Stufentherapie, zu Sport und Physiotherapie bei Asthma sowie zum richtigen Verhalten beim Asthmaanfall beinhalten – angelehnt an die in der pneumologischen Praxis etablierten Asthmaschulungsprogramme. Auch die Aufklärung über die Möglichkeiten und Ziele einer Rehabilitation (Vermeidung von Exazerbationen, Stärkung der Muskelkraft [DGUV 2012, siehe „Weitere Infos“; Ochmann et al. 2012]) im Rahmen der Schulungen sind hilfreich.

Ärztliche Betreuung

Zudem erfordert die individuelle Betreuung der Personen, die trotz ihrer allergischen Erkrankung gegen einen Berufsstoff diesem gegenüber weiterhin exponiert sind, die regelmäßige, gerne wohnortnahe fachärztlich-pneumologische Betreuung. Die Überprüfung der Wirksamkeit der präventiven Maßnahmen, des Krankheitsstadiums und der Therapie sollte ergänzend in etwa zwei- bis dreijährlichen Abständen durch pneumologisch und arbeitsmedizinisch erfahrene, mit der Problematik des Verbleibs im Beruf trotz Allergenexposition vertraute Ärztinnen und Ärzte erfolgen.

Fazit

Der Lösungsansatz für die Personen, die mit einer arbeitsbedingten Atemwegserkrankungen im Beruf verbleiben wollen, liegt in der individuell zugeschnittenen Beratung und Betreuung durch die Unfallversicherungsträger und die unterstützend wirkenden Ärztinnen und Ärzte. Im Vordergrund stehen die umfassende Aufklärung und die Schulungen der betroffenen Personen, unterstützt durch Ausschöpfung aller Möglichkeiten der Individualprävention direkt am Arbeitsplatz. Eine wesentliche Verschlimmerung der Atemwegserkrankung muss frühzeitig erkannt werden, kann jedoch durch differenzierte Maßnahmen in vielen Fällen verhindert werden.

Interessenkonflikt: Die Autorin gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Literatur

Henneberger PK, Patel JR, de Groene GJ, Beach J, Tarlo SM, Pal TM, Curti S: Workplace interventions for treatment of occupational asthma. Cochrane Database Syst Rev. 2019 Oct 8;10(10):CD006308.

Preisser AM (2015) Chronische obstruktive Atemwegserkrankung als Berufskrankheit. Der Pneumologe. 2015; 12: 300-307.

Hölzel C, Kühn R, Stark U, Grieshaber R: Risikoorientiertes Präventionsprogramm Bäckerasthma. Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2009; 44(10): 533-538.

Kühn R (2018) Individualprävention im Backgewerbe: Gezielte Vorsorge gegen allergische Atemwegserkrankungen. DGUV-Forum 12/2018

Velasco Garrido M, Bittner C, Harth V, Preisser AM: Health status and health-related quality of life of municipal waste collection workers – a cross sectional survey. J Occup Med Toxicol. 2015; 10: 22. eCollection 2015

Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung: Reichenhaller Empfehlung. Empfehlung für die Begutachtung der Berufskrankheiten der Nrn. 1315 (ohne Alveolitis), 4301 und 4302 der Anlage zur BKV (2012).

Ochmann U, Kotschy-Lang N, Raab W et al: Long-term efficacy of pulmonary rehabilitation in patients with occupational respiratory diseases. Respiration 2012; 84(5): 396-405

Weitere Infos

Berufskrankheiten-Verordnung (BKV), zuletzt geändert 12.06.2020
http://www.gesetze-im-internet.de/bkv/BJNR262300997.html

Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV): Reichenhaller Empfehlung. Empfehlung für die Begutachtung der Berufskrankheiten der Nrn. 1315 (ohne Alveolitis), 4301 und 4302 der Anlage zur BKV (2012)
https://publikationen.dguv.de/widgets/pdf/download/­article/1946 [04.03.2021]

Kontakt

Priv.-Doz. Dr. med. ­Alexandra M. Preisser
Universitätsklinikum ­Hamburg-Eppendorf,Zentralinstitut für Arbeits­medizin und Maritime Medizin,Klinische Arbeitsmedizin; Seewartenstr. 10; 20459 Hamburg

Foto: Eva Hecht