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Return-to-Work mit Long-COVID

Return to Work with Long-COVID

Wiedereingliederung  Insbesondere, wenn die stufenweise Wiedereingliederung an ihre Grenzen kommt, kann ein erweiterter Ansatz der beruflichen Rehabilitation für an Long-COVID erkrankte Menschen sinnvoll sein. Ein spezialisiertes Modell soll die Reha-Fähigkeit Betroffener stabilisieren, beeinflussende Umweltfaktoren berücksichtigen und den Wiedereinstieg in den Job unter anderem durch intensivere Einbindung der Arbeitgeber absichern. Der Artikel erklärt ein entsprechend neu konzeptioniertes Angebot der INN-tegrativ Berufsförderungswerke. Bianca Marchewka und Tobias Bachhausen

Anstoß durch Leistungsträger der Rehabilitation

Im Jahr 2022 kamen erste Leistungsträger auf die INN-tegrativ Berufsförderungswerke zu und prognostizierten eine relevante Größenordnung an Betroffenen mit potenziellem Bedarf an beruflicher Rehabilitation nach einer COVID-19-Infektion. Daraufhin wurde die Notwendigkeit einer zielgruppenbezogenen Weiterentwicklung des bewährten Konzepts der beruflichen Rehabilitation innerhalb der INN-tegrativ Berufsförderungswerke und Reha-und Integrationszentren geprüft. An elf Standorten arbeiten die INN-tegrativ Berufsförderungswerke in erster Linie mit Menschen, die komplexe psychophysische Problemlagen und multiple Eingliederungshemmnisse aufweisen können. Insofern bestehen Parallelen zu Betroffenen mit Long- oder Post-COVID. Erste Rehabilitanden mit Long-COVID in den Maßnahmen zeigten, dass deren Inte­gration in die Angebotsstruktur der Berufsförderungswerke punktuell zwar möglich war und sie von einem Teil der Inhalte profitierten. Jedoch musste auch festgestellt werden, dass die Angebote für manche der an Long-COVID Leidenden nicht spezifisch genug auf die komplexe Erkrankungssituation ausgerichtet waren oder diese zu spät nach einer medizinischen Rehabilitation starteten. Dazu kommt, dass Long-COVID-Erkrankte überwiegend in diese Situation ohne ausreichende Zeit für eine Krankheitsakzeptanz geraten sind und sich das familiäre, soziale und berufliche Umfeld vielfach nur unzureichend auf die geänderte Ausgangslage eingestellt hat. Diese Umweltfaktoren gilt es besonders zu berücksichtigen.

Es galt also einerseits, die Leistung an die besonderen Bedarfe und Umweltfaktoren anzupassen, und andererseits, möglicherweise auftretende (Warte-)Zeiten nach der medizinischen Reha sinnvoll und stabilisierend zu nutzen. Eine interdisziplinäre Projektgruppe erarbeitete eine Angebotsanpassung für an Long-/Post-COVID erkrankte Menschen. Unser bisheriger Angebotsaufbau wurde mit den Bausteinen „Sondierungsgespräch-COVID“ und einem „Reha-Protection COVID“-Modul ergänzt, um Versorgungslücken nach Abschluss der medizinischen Rehabilitation schließen zu können. Das Assessment sowie die Integrationsmaßnahme wurden um COVID-spezifische Diagnostik und Inhalte modifiziert. Alle Bestandteile wurden dabei zeit- und ortsflexibler ausgerichtet. Beispielhaft genannt sei das Arbeiten mit themenspezifischen Trainingstools, Online-Beratung und die punktuelle Teilnahme aus dem häuslichen Umfeld, um mühsame Anfahrtswege zu reduzieren und die Wahrnehmung erforderlicher fachärztlicher Termine und therapeutischer Anwendungen kontinuierlich zu ermöglichen. Ferner wurden zielgruppengeeignete Hirnleistungs- und Gesundheitstrainings und psychologisch geführte COVID-Gruppen implementiert.

Weichenstellung – Erste Einschätzung im Sondierungsgespräch

Im Sondierungsgespräch gilt es, den aktuel­len Umsetzungsstand der Therapieempfehlungen der behandelnden Ärztinnen und Ärzte beziehungsweise der entlassenden Reha-Klinik zu erheben, die aktuelle Symp­tomlage im Alltag sowie damit verbundene Unterstützungsbedarfe herauszuarbeiten und potenzielle Versorgungslücken zu erkennen und zu überbrücken oder zu schließen. Auf dieser Basis kann eine Ersteinschätzung zur aktuellen Belastungsfähigkeit vorgenommen und die geeigneten Module und Methoden ausgewählt sowie eine erste Tages- und Wochenstrukturierung zur individuellen Belastungssteuerung vorgenommen werden.

Nach einer medizinischen Reha sind die Rehabilitandinnen und Rehabilitanden im Regelfall auf sich allein gestellt. Problemfelder können das häusliche Umfeld, die Familie, Abstimmung von therapeutischen und ärztlichen Terminen bei verminderter kognitiver und physischer Leistungsfähigkeit oder Sorgen um das finanzielle Auskommen bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit sein. Im optimalen Fall folgt daher das Gespräch möglichst zeitnah am Ende einer medizinischen Rehabilitation. Die für die Förderung der Leistung notwendigen Anträge sind bestenfalls noch in oder direkt nach der Rehabilitation gestellt.

Reha-Protection als Stabilisierung nach einer medizinischen Rehabili­tation

Betroffene, die zunächst Unterstützung bei der Umsetzung der medizinischen Empfehlungen im persönlichen Umfeld benötigen, profitieren von Reha-Protection COVID als eine Art Vorsorge – aus dem Blickwinkel einer medizinischen Rehabilitation wäre es eher eine Nachsorge. Das Ziel ist, einen „Crash“ durch fehlgeleitete Belastungssteuerung über ein adäquates Pacing zu vermeiden und eine berufliche Rehabilitationsfähigkeit zu erhalten oder zu entwickeln. Einzel- und Gruppengespräche, um beispielsweise Krankheitsakzeptanz zu entwickeln, Trainingsüberwachung, Termin­koordination sowie Aufklärungsarbeit und Hilfestellung bei der Initiierung von beispielsweise digitalen Gesundheitsangeboten und Apps) sind Teile dieses optionalen Coachings.

Reha-Protection als Coaching zur Flankierung einer Wieder­eingliederung

Vom Fallmanagementmodul Reha-Protection COVID profitieren auch diejenigen, bei denen nach Abschluss der medizinischen Rehabilitation eine stufenweise Wiedereingliederung prinzipiell leistbar erscheint, jedoch Bedenken hinsichtlich der Übertragung der Klinikempfehlungen in den beruflichen Alltag bestehen oder der zeitliche Rahmen nicht hinreichend erscheint. Die INN-tegrativ Berufsförderungswerke begleiten diesen Prozess, indem sie gemeinsam mit dem Betrieb leistbare Teiltätigkeiten und Rahmenbedingungen erarbeiten, mit den Betroffenen den Prozess reflektieren und gegebenenfalls frühzeitig Anpassungen vornehmen sowie die Fortführung empfohlener Trainings überwachen oder selbst anbieten. Sollte keine Restarbeitsfähigkeit mehr für die bisher ausgeübte Tätigkeit erreichbar sein, wird zunächst hinsichtlich einer innerbetrieblichen Umsetzung oder eines beruflichen Quereinstieges in einem anderen Unternehmen beraten.

Assessment mit angepasster ­COVID-Diagnostik

Ist die berufliche Reha-Fähigkeit vorhanden oder erreicht worden, folgt ein COVID-spezifisches Reha-Assessment. Hier finden die weitere Leistungsdiagnostik, Belastungserprobung und Berufswegeplanung statt. Aus dem Assessment können sich verschiedene Empfehlungen für den weiteren Rehabilita­tionsprozess ergeben. Eine Möglichkeit ist der Übergang in die sechs- bis neunmonatige Integrationsmaßnahme.

Return-to-Work mit flexibler ­Integrationsunterstützung

Die Integrationsmaßnahme bietet den Rehabilitandinnen und Rehabilitanden die Möglichkeit, sich über einen längeren Zeitraum zu stabilisieren (z. B. Anwendung von Atemtechniken im beruflichen Kontext, individuell angepasste Pausengestaltung einhalten, kontinuierliches Hirnleistungstraining durchführen) und sich langfristig praktisch zu erproben. Die Übertragung von erprobten Handlungsstrategien und Techniken aus dem geschützten Rahmen in das berufliche Umfeld bekommt dabei einen besonderen Stellenwert. In dieser Phase besonders wichtig ist das Case- Management. Die Case-Managerinnen und -Manager der INN-tegrativ Berufsförderungswerke übernehmen die individuelle Fallsteuerung sowohl intern als auch extern. Insbesondere bei der häufig komplexen Fallgestaltung der COVID-Rehabilitandinnen und Rehabilitanden hilft dies, Überforderungen und daraus resultierende Maßnahme- und Therapieabbrüche zu vermeiden (➥ Abb. 1).

Die Erfahrungen von Reha-Kliniken zeigen, dass es notwendig ist, die Entwicklung des Wissensstands rund um das Erkrankungsbild Long-COVID/Post-COVID zu verfolgen sowie Nachjustierungen der eigenen Leistungen zu prüfen und gegebenenfalls umzusetzen. Regelmäßige Wissentransfers beteiligter Teams der jeweiligen Standorte der Berufsförderungswerke sollen zudem sicherstellen, dass Erkenntnisse und erworbenes Wissen in diesen Prozess eingesteuert
werden.

Interessenkonflikt: Die Erstautorin und ihr Koautor geben an, dass sie innerhalb der vergangenen drei Jahre als nichtselbstständig Beschäftigte bei der INN-tegrativ gGmbH angestellt waren.

doi:10.17147/asu-1-245699

Weitere Infos

WIdO – Wissenschaftliches Institut der AOK: Krankschreibungen aufgrund von Long-COVID oder Post-COVID: Wenige Betroffene, aber lange krankheitsbedingte Ausfallzeiten

https://www.wido.de/news-presse/pressemitteilungen/2022/krankschreibung…

Deutsche Rentenversicherung: Firmenservice

https://www.deutsche-rentenversicherung.de/DRV/DE/Experten/Arbeitgeber-…

Ein erweiterter Ansatz der beruflichen Rehabilitation für an Long-COVID erkrankte Menschen kann sinnvoll sein

Foto: © Zerbor-stock-adobe.com

Ein erweiterter Ansatz der beruflichen Rehabilitation für an Long-COVID erkrankte Menschen kann sinnvoll sein

Kernaussagen

  • Die Rückkehr ins Arbeitsleben bei an Long-/Post-COVID erkrankten Menschen ist über eine stufenweise Wiedereingliederung (z. B. nach dem Hamburger Modell) in vielen Fällen nicht ausreichend oder nachhaltig stabil.
  • Mit Fokus auf die Sicherung bestehender Arbeitsverhältnisse und im engen Austausch mit den Arbeitgebern benötigen Betroffene individuellere und stellenweise orts- und zeitflexiblere Unterstützung und Coachings über den beruflichen Kontext und bisherige Angebote der
    beruflichen Rehabilitation hinaus.
  • Als Förderinstrument kommen die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (LTA) in Frage.
  • Info

    Fakten

    – 420.000 bis 630.000 Rehabilitandinnen und Rehabilitanden sind möglich
    (Hochrechnung potenzieller Rehabilitandenzahlen der Berufsgenossenschaft Gesundheit
    und Wohlfahrts­pflege, Präsentation, DEGEMED MBOR-Tagung 9/22).

    – Steigerung der Diagnose „Folgezustand nach COVID“ im Reha-Entlassungsbericht um
    Faktor 8 von 1/21 bis 12/21 (Steigerung der Diagnose „Folgezustand nach COVID“ im
    Reha-­Entlassungsbericht um Faktor 8 von 1/21 bis 12/21, Erhebung DRV Bund Präsentation, ­DEGEMED MBOR Tagung 9/22).

    – 0,9 % der COVID-19-Fälle mit mehr als 47 Arbeitsunfähigkeitstagen (Basis sind erwerbs­fähige bei der AOK Versicherte, WIdO, s. „Weitere Infos“).

    Info

    Wer finanziert das Angebot?

    Bei Berufskrankheit oder Arbeitsunfall übernimmt die Berufsgenossenschaft/DGUV die Kosten. Ansonsten ist ein Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (LTA) mit einer COVID-spezifischen Unterstützung zu stellen. Betriebsärztinnen und -ärzte sowie Unternehmen können sich bei der Deutschen Rentenversicherung beraten lassen (s. „Weitere Infos“).

    Info

    Warum eine stufenweise Wiedereingliederung allein oft unzureichend ist:

    – eingeschränkte Mobilität,

    – ungenügende Zeit- und Ortsflexibilität,

    – fehlendes Pacing (Halten der Balance zwischen Schonung und Aktivierung),

    – fehlendes Wissen bei Arbeitgebern,

    – kaum Berücksichtigung von Umweltfaktoren (ICF),

    – schwankende psychophysische und kognitive Leistungsfähigkeit.

    Koautor

    Tobias Bachhausen
    INN-tegrativ gGmbH; Funktionsbereichsleitung Marketing; Kriegerstraße 1e; 30161 Hannover

    Kontakt

    Bianca Marchewka, M.A.
    INN-tegrativ gGmbH; Berufliches Reha- und Inte­grationszentrum Göttingen; Rudolf-Diesel-Straße 3; 37075 Göttingen

    Foto: INN-tegrativ gGmbH

    Das PDF dient ausschließlich dem persönlichen Gebrauch! - Weitergehende Rechte bitte anfragen unter: nutzungsrechte@asu-arbeitsmedizin.com.

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