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Neue Technologien

Neue Technologien in der ­Arbeitsmedizin im 21. Jahrhundert

New Technologies in Occupational Medicine in the 21st Century

Komplexe Herausforderungen am Arbeitsplatz

Der Umgang mit Gefahrstoffen am Arbeitsplatz und die Auswirkungen des Klimawandels sind Herausforderungen für die moderne Arbeitsmedizin und die Arbeitssicherheit. So wurden im Jahr 2021 insgesamt über 2500 Berufskrankheiten im Zusammenhang mit Asbest anerkannt (DGUV-Statistiken für die Praxis, 2021). Bis heute ist der Umgang mit Asbest bei Abbruch, Sanierungs- und Instandhaltungsarbeiten gegeben (s. TRGS 519). Viele weitere Gefahrstoffe, wie beispielsweise entsprechende Holzstäube oder Dieselmotoremissionen am Arbeitsplatz, können langfristig Risiken für eine Krebserkrankung bei Beschäftigten darstellen. Neue Anforderungen an die Arbeitswelt werden durch veränderte klimatische Bedingungen gestellt. Dabei sind die gesundheitlichen Auswirkungen durch den Klimawandel vielfältig, sie sind unter anderem mit einer Zunahme von natürlicher UV-Strahlung assoziiert.

Radiologische Bildgebung – ein wichtiger Bestandteil medizinischer Prävention

Geeignete Präventionsmaßnahmen (Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention) im Hinblick auf chronische Erkrankungen und Krebserkrankungen sind wichtige Kernelemente moderner Medizin. Aufgrund der Latenzzeit vieler Jahre bis Jahrzehnte kann eine berufliche Exposition gegenüber kanzerogenen Arbeitsstoffen ohne adäquate Schutzmaßnahmen ursächlich für eine maligne Erkrankung sein (z. B. bei entsprechender beruflicher Nickel- oder Asbestexposition in der Vergangenheit). Zielgerichtete Strategien sind daher nötig, um berufsbedingte Krebserkrankungen zu vermeiden beziehungsweise eine Früherkennung (z. B. im Rahmen der nachgehenden Vorsorge) zu gewährleisten. Gerade bei Krebserkrankungen mit einer hohen Mortalität kann die Anwendung geeigneter medizinischer Verfahren pathologische Veränderungen frühzeitig erkennen. So gehört zum Beispiel Lungenkrebs zum einen zu den häufigsten bösartigen Erkrankungen in Deutschland, zum anderen werden viele Erkrankungen erst in einem sehr fortgeschrittenen Stadium (Stadium IV) diagnostiziert (➥ Abb. 1). Lungenkrebs gehört zu den Tumorarten mit einer relativ niedrigen Fünf-Jahres-Überlebensrate von rund 21 % bei Frauen und 15 % bei Männern (RKI 2021). Die Risikofaktoren für maligne Erkrankungen (z. B. im Bereich der Atemwege) sind vielfältig, auch berufsassoziierte Einwirkungen am Arbeitsplatz können neben anderen wichtigen Risikofaktoren, wie beispielsweise dem individuellen Rauchverhalten, relevant sein. Die Wahl geeigneter medizinischer Früherkennungsverfahren nach der Identifizierung von Risikogruppen muss unter Berücksichtigung eventuell daraus resultierender gesundheitlicher Folgen (wie Überdiagnosen/gesundheitliche Risiken durch die Untersuchung) sorgfältig abgewogen und wissenschaftlich fundiert begründet werden.

Eine vielversprechende Strategie hinsichtlich der Früherkennung von berufsbedingten, asbestinduzierten Lungentumoren wird von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) im Rahmen des erweiterten Vorsorgeangebots (EVA) verfolgt. Das erweiterte Vorsorgeangebot zur Lungenkrebsfrüherkennung der DGUV nutzt dabei die Möglichkeit von Niedrigdosis-CT-Untersuchungen (LD-HRCT; Wiethege 2020). Auch die aktuelle S3-Leitlinie mit dem Titel „Prävention, Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Lungenkarzinoms“ aus dem Jahr 2022 weist darauf hin, dass asymptomatische Risikopersonen für ein Lungenkarzinom im Alter zwischen 50 und höchstens 75 Jahren mit einer Raucheranamnese von größer gleich 15 Zigaretten pro Tag für mindestens 25 Jahre oder größer gleich 10 Zigaretten pro Tag für mindestens 30 Jahre sowie fehlender beziehungsweise weniger als zehnjähriger Nikotinkarenz von einem strukturierten Lungenkarzinom-Früherkennungsprogramm mittels jährlicher Low-Dose-CT-Untersuchungen profitieren (AWMF, DKG, DKH 2022).

Arbeitsmedizinische Vorsorge – ein zentrales Element der Prävention

Im Anhang der arbeitsmedizinischen Vorsorgeverordnung (ArbMedVV) sind viele lungenassoziierte krebserzeugende Arbeitsstoffe aufgeführt. Lange Latenzzeiten bei Gefahrstoffen erfordern eine gezielte und ausführliche Arbeitsanamnese, um lang zurückliegende Gefährdungen an früheren Arbeitsplätzen zu erfassen. Beim Umgang mit kanzerogenen Gefahrstoffen am Arbeitsplatz hat die Prävention beziehungsweise Früherkennung von gesundheitlichen Veränderungen hohe Priorität, die Beratung von Beschäftigten zu adäquaten Schutzmaßnahmen im Umgang mit kanzerogenen Arbeitsstoffen zählt zu den wichtigen Bestandteilen einer arbeitsmedizinischen Vorsorge. Im Rahmen der nachgehenden Vorsorge können aus ärztlicher Sicht verschiedene radiologische Verfahren abgewogen werden, beispielsweise konventionelles Röntgen oder moderne Computertomographietechnologien. Bildgebende Verfahren können wesentlich zu einer frühzeitigen Entdeckung maligner und weiterer berufsassoziierter Erkrankungen beitragen. Bei der Beurteilung von radiologischen Bildgebungen können entsprechende KI-Tools eine wesentliche Unterstützung darstellen.

Fähigkeiten von Convolutional ­Neural Networks (CNNs)

Neue Technologien, wie die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten von KI, die digitale Transformation beziehungsweise der Einsatz von Robotik, sind Kernelemente moderner Medizin im 21. Jahrhundert. Viele medizinische Fachbereiche, wie die Radiologie und die Dermatologie, machen sich bereits heute den Einsatz künstlicher neuronaler Netze und deren Auswertungen zunutze. KI kann den medizinischen Alltag in vielerlei Hinsicht unterstützen, unter anderem bei der Bewertung von radiologischen Bildgebungen. Wegweisende Möglichkeiten im Bereich der Künstlichen Intelligenz ergeben sich insbesondere durch die Nutzung sogenannter Convolu­tional Neural Networks (künstliche neuronale Netze, CNNs). Ein Convolutional Neural Network besteht typischerweise aus drei Arten von Schichten, Convolutional Layer, Pooling Layer und Fully-connected Layer (Yamashita 2018). In CNNs werden kleine detaillierte Bildmerkmale durch einzelne Filterschichten extrahiert, auf höherer Ebene vernetzt und anschließend klassifiziert. Gerade im Bereich der Analyse medizinischer Bilder sind CNNs stetig weiterentwickelt worden. In den letzten Jahren werden dreidimensionale (3D) CNNs zur Analyse medizinischer Bildgebungen eingesetzt (➥ Abb. 2; Singh 2020). Vorteile der Nutzung von CNNs liegen unter anderem in einer hohen Recheneffizienz und im Erzielen sehr guter Ergebnisse bei der Bilderkennung und Bildauswertung.

Abb. 2:  Typische Architektur eines 3D-CNN (aus Singh et al. 2020)

Abb. 2: Typische Architektur eines 3D-CNN (aus Singh et al. 2020)

Künstliche Intelligenz in der ­medizinischen Bildgebung

In Hinblick auf viele Krankheitsbilder sowie bei der Früherkennung von pathologischen Veränderungen sind bildgebende Verfahren oft elementarer Bestandteil medizinischer Diagnostik. Dabei kann der Einsatz von KI, zum Beispiel in Form von CNNs, eine Schlüsselrolle in der modernen Bildgebung einnehmen und eine Arbeitsteilung zwischen Mensch und entsprechendem KI-System ermöglichen.

Die Anwendung von künstlicher Intelligenz hilft beispielsweise bei der Bewertung von dreidimensionalen Lungenrundherden bei Thorax-CT-Scans. Die gleichzeitige Identifizierung von Lungenknoten und rauchbedingten Erkrankungen auf LDCT-Scans kann mit Hilfe von KI-Lösungen erreicht werden, die eine simultane Verarbeitung mehrerer Algorithmen kombinieren (Grenier 2022). So wurden Deep-Learning-Algorithmen entwickelt, um andere rauchbedingte Krankheiten wie koronare Herzkrankheit, Emphysem und Osteoporose, die einen Einfluss auf Morbidität und Mortalität haben, auf Thorax-CT-Scans zu erkennen und zu quantifizieren (Grenier 2022). Die Anwendung von KI zur Beurteilung radiologischer Bildgebungen stellt ein interessantes und vielfältiges In­strumentarium dar.

Künstliche Intelligenz bei der Klassifizierung von Hautveränderungen

Geeignete Präventionsmaßnahmen und Hautkrebsfrüherkennung sind Herausforderungen aufgrund zunehmender UV-Strahlungsbelastung infolge des Klimawandels. In der Arbeitswelt sind viele Beschäftigte einer natürlichen UV-Exposition in hohem Maße ausgesetzt. Eine arbeitsmedizinische Angebotsvorsorge bei Tätigkeiten im Freien mit intensiver Belastung durch natürliche UV-Strahlung von regelmäßig einer Stunde oder mehr je Tag erfüllt daher eine wichtige Funktion (s. Anhang: Arbeitsmedizinische Pflicht- und Angebotsvorsorge, ArbMedVV). Neben einer ausführlichen Anamneseerhebung und Beratung zu den Auswirkungen von UV-Strahlung auf den menschlichen Organismus kann auch eine körperliche Untersuchung nach ärztlichem Ermessen Bestandteil der oben genannten Angebotsvorsorge sein. Hautveränderungen durch UV-Strahlung sind vielfältig, sie reichen beispielsweise von Pigmentanomalien bis hin zu unterschiedlichen Hautkrebsarten. Bei der nichtinvasiven Klassifizierung von Hautveränderungen kann die Anwendung von KI in Form von CNNs ein wichtiges Assistenzsystem sein. CNNs werden dabei aufgrund unterschiedlicher Daten trainiert, zum Beispiel mit dermatoskopischen Bildern beziehungsweise klinischen Bildern von Hautveränderungen. Haggenmüller et al. (2021) untersuchten die Fähigkeiten von KI in Bezug auf das Thema Hautkrebsklassifikation; alle 19 inkludierten Studien zeigten eine überlegene oder zumindest gleichwertige Leistung von CNN-basierten Klassifikationen im Vergleich zu Klinikern. Der Einsatz von KI in Form von CNNs in der Dermatologie zeigt bereits sehr eindrucksvolle Ergebnisse; im Bereich der arbeitsmedizinischen Vorsorge, beispielsweise bei Umgang mit natürlicher Strahlung am Arbeitsplatz, können CNNs einen wichtigen unterstützenden Beitrag leisten.

Zusammenfassung

Technologien, wie die Anwendung von CNNs in unterschiedlichen Bereichen, erweitern täglich die Möglichkeiten der modernen Medizin. Im Bereich der Arbeitsmedizin nimmt die Vorsorge eine entscheidende Rolle bei der Prävention ein. Die Arbeitsmedizin kann den Einsatz von künstlicher Intelligenz in unterschiedlicher Form nutzen. Neue technologische Innovationen unter Anwendung künstlicher Intelligenz können bei der Auswertung medizinischer Bildgebungen unterstützen. Um Krebserkrankungen frühzeitig zu diagnostizieren, rücken moderne bildgebende Verfahren immer mehr in den Fokus. So wird der Einsatz einer Bildgebung mittels Low-Dose-CT als radiologisches Verfahren zum Screening hinsichtlich der Diagnose Lungenkrebs bei bestimmten individuellen Gegebenheiten (z. B. Alter, Rauchverhalten) bereits thematisiert (AWMF, DKG, DKH 2022). Weitere Studien sind nötig, um zu klären, inwiefern der Einsatz moderner radiologischer Bildgebungsverfahren in Verbindung mit KI in der Arbeitsmedizin, zum Beispiel im Rahmen der nachgehenden Vorsorge, neue Ergebnisse im Hinblick auf die Früherkennung von berufsbedingten Krebserkrankungen aufzeigen kann. Im Bereich der Dermatologie zeigen CNNs bereits erstaunliche Fähigkeiten. Bei einer entsprechenden beruflichen Exposition gegenüber natürlicher UV-Strahlung nimmt die arbeitsmedizinische Vorsorge neben technischen, organisatorischen und persönlichen Maßnahmen eine wichtige Schlüsselfunktion ein. Die Anwendung von künstlicher Intelligenz bietet große Chancen bei der nichtinvasiven Analyse pathologischer Hautveränderungen.

Künstliche Intelligenz in der radiologischen und dermatologischen Diagnostik

  • erreicht heute schon Facharztniveau bei ausgewählten Fragestellungen,
  • kann aus Trainingsdaten auch die Relevanz von Confoundern herausstellen,
  • verarbeitet bildinterne Annotationen zur Steigerung der Algorithmusleistung,
  • bildet ein Sicherheitsnetz in der Notfalldiagnostik und
  • erhöht die Zeiteffizienz der fachärztlichen Befundung.
  • KI-Tools können ärztliches Handeln in vielerlei Hinsicht bereichern, um eine abschließende ärztliche Validierung vorzunehmen.

    Interessenkonflikt: Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.

    Literatur

    Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e.V. (DGUV), Referat: Statistik: DGUV-Statistiken für die Praxis 2021. Aktuelle Zahlen und Zeitreihen aus der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, Ausgabe August 2022 Aktualisierung Dezember 2022, Seite 67.

    Grenier PA, Brun AL, Mellot F: The potential role of artificial intelligence in lung cancer screening using low-dose computed tomography. Diagnostics (Basel) 2022; 12: 2435. Griesinger F, Absenger G, Bleckmann A et al. in Kooperation mit der AIO: onkopedia Lung Cancer,
    non small lung cancer (NSCLC) (Nov. 2022).

    Haggenmüller S, Maron RC, Hekler A et al.:. Skin cancer classification via convolutional neural networks: systematic review of studies involving human experts. Eur J Cancer 2021; 156: 202–216.

    Singh SP, Wang L, Gupta S, Goli H, Padmanabhan P, Gulyás B: 3D Deep learning on medical images: a review. Sensors (Basel) 2020; 20: 5097.

    Yamashita R, Nishio M, Do RKG, Togashi K: Convo­lutional neural networks: an overview and application in radiology. Insights Imaging 2018; 9: 611-629.

    doi:10.17147/asu-1-301894

    Weitere Infos

    Arbeitsmedizinische Vorsorgeverordnung (ArbMedVV)
    https://www.gesetze-im-internet.de/arbmedvv/

    Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA): TRGS 519: Asbest-, Abbruch-, Sanierungs- oder Instandhaltungsarbeiten
    https://www.baua.de/DE/Angebote/Rechtstexte-und-Technische-Regeln/Regel…

    RKI – Robert Koch-Institut, Zentrum für Krebsregisterdaten, Lungenkrebs (Bronchialkarzinom) ICD-10 C33–C34, Stand 30.09.2022
    https://www.krebsdaten.de/Krebs/DE/Content/Krebsarten/Lungenkrebs/lunge…

    Wiethege T: Das erweiterte Vorsorgeangebot (EVA) zur Lungenkrebsfrüherkennung – Update 2019, DGUV forum 1/2020 Schwerpunkt Berufskrankheiten
    https://forum.dguv.de/ausgabe/1-2020/artikel/das-erweiterte-vorsorgeang…

    Leitlinienprogramm Onkologie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF), Deutschen Krebsgesellschaft e. V. (DKG) und der Stiftung Deutsche Krebshilfe (DKH), S3- Leitlinie Prävention, Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Lungenkarzinoms, Langversion 2.1; AWMF-Registernummer 020/007OL (Dez.2022)
    https://www.leitlinienprogrammonkologie.de/fileadmin/user_upload/Downlo…

    Der Einsatz von KI kann eine Schlüsselrolle in der modernen Bildgebung einnehmen

    Foto: © sdecoret - stock.adobe.com

    Der Einsatz von KI kann eine Schlüsselrolle in der modernen Bildgebung einnehmen

    Kernaussagen

  • Neue Technologien, wie die Anwendung von Künstlicher Intelligenz (KI) in unterschiedlicher Weise, sind Chancen für die moderne Medizin im 21. Jahrhundert.
  • Im Bereich der Arbeitsmedizin nimmt die Vorsorge eine Schlüsselrolle im Bereich der ­Prävention ein.
  • Der Einsatz von KI zeigt in vielen Bereichen, wie z. B. in der Radiologie und Dermatologie, bereits überzeugende Resultate. Es sind weitere Studien nötig, wie der Einsatz von KI in der Arbeitsmedizin bestmöglichen Nutzen erzielen kann.
  • Kontakt

    Dr. Johannes Wittmann
    Regierung von Oberfranken; Gewerbeärztlicher Dienst; Oberer Bürglaß 34-36; 96450 Coburg

    Foto: privat

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