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– Folge 4 –

Präventiver Mutterschutz

EINLEITUNG

In insgesamt vier Folgen werden Schlaglichter auf Themen des betrieblichen Arbeitsschutzes für Schwangere, Stillende und ihre Kinder geworfen. In Folge 1 wird die aktualisierte Leitlinie zur Labordiagnostik schwangerschaftsrelevanter Infektionskrankheiten vorgestellt. Sie definiert den Begriff schwangerschaftsrelevant, berücksichtigt neue epidemiologische Entwicklungen mit Schwerpunkt in Deutschland und gibt auch Empfehlungen zur Beratung von Schwangeren mit Aufenthalt in tropischen und subtropischen Ländern. Folge 2 richtet den Blick auf die Frühphase der Schwangerschaft sowie den Aspekt des präkonzeptionellen Mutterschutzes: Welche allgemeinen Arbeitsschutzkonzepte müssen etabliert sein, um auch in der Frühphase einer (möglicherweise noch unentdeckten) Schwangerschaft ausreichenden Schutz zu bieten? In Folge 3 werden Epidemiologie, Krankheitsbild und Präventionsmöglichkeiten der Embryofetopathie durch pränatale Infektion mit Zytomegalieviren (CMV) aufgezeigt. Die Infektion mit CMV hat die impfpräventablen Röteln in ihrer Bedeutung für die Schwangerschaft schon seit längerem abgelöst, ist jedoch den Frauen selten bekannt. Folge 4 schließt die Serie mit einem Beitrag zum gefahrstoffbezogenen Mutterschutz. Am Beispiel der polychlorierten Biphenyle (PCB) wird verdeutlicht, wie sich gefährdende Expositionen gegenüber dieser Gruppe bioakkumulierender Gefahrstoffe bewerten und verhindern lassen. Johanna Stranzinger, Johannes Gerding, BGW, Hamburg

Mutterschutzgesetz und Gefahrstoffe

Im Mittelpunkt des Gesetzes steht der Begriff der „unverantwortbaren Gefährdung“, der eine Frau oder ihr Kind nicht ausgesetzt sein darf. Zum Schutz vor schädlichen Wirkungen von Gefahrstoffen wird weiterhin ausgeführt, dass eine unverantwortbare Gefährdung insbesondere dann gegeben ist, wenn eine schwangere Frau bei Tätigkeiten oder durch Arbeitsbedingungen Gefahrstoffen – „in einem Maß“ (Wortlaut des Gesetzes) – ausgesetzt ist oder ausgesetzt sein kann, die eingestuft sind

  • als reproduktionstoxisch Kategorie 1A, 1B oder 2 oder nach der Zusatzkategorie für Wirkungen auf oder über die Laktation,
  • als karzinogen oder keimzellmutagen nach der Kategorie 1A oder 1B,
  • als spezifisch zielorgantoxisch nach einmaliger Exposition nach der Kategorie 1 oder
  • als akut toxisch nach der Kategorie 1, 2 oder 3 oder
  • die ausgewiesen sind, auch bei Einhaltung der arbeitsplatzbezogenen Vorgaben möglicherweise zu einer Fruchtschädigung führen zu können.
  • Dies gilt nicht, wenn ausgeschlossen werden kann, dass eine Fruchtschädigung eintritt (durch die Einhaltung von Grenzwerten, die vor Fruchtschädigung schützen oder wenn ein Stoff nicht in der Lage ist, die Plazentaschranke zu überwinden).

    Für stillende Frauen wird als eine unverantwortbare Gefährdung lediglich der Kontakt zu Stoffen genannt, die als reproduktionstoxisch in Zusammenhang mit der Laktation zu bewerten sind. Generell sind für Schwangere und Stillende Expositionen gegenüber Blei und Bleiderivaten auszuschließen.

    Für einzelne Stoffe oder Stoffgruppen können abweichend von diesen pauschalen Regelungen besondere Vorschriften erarbeitet werden. Vorschläge für diese „Regeln für Mutterschutz“ erarbeitet der Arbeitskreis Gefahrstoffe im Ausschuss für Mutterschutz basierend auf medizinischen und toxikologischen Erkenntnissen.

    PCB-belastete Arbeitsräume

    Im Gegensatz zur Gefahrstoffverordnung, die nur für (gezielte) Tätigkeiten anzuwenden ist, bei denen es zur Gefahrstoffexposition kommt, gilt das Mutterschutzgesetz generell für Belastungen, denen Schwangere und Stillende bei der Arbeit ausgesetzt sein können. Folglich fallen auch Innenraumluftverunreinigungen durch einen schadstoffbelasteten Baukörper beziehungsweise schadstoffbelastete Baumaterialien in den Geltungsbereich des Mutterschutzgesetzes. Ein Beispiel für Belastungen in Innenräumen sind Ausgasungen von polychlorierten Biphenylen (PCB) aus Baustoffen oder Bauteilen wie Weichmachern in dauerelastischen Fugenmassen, Kabelummantelungen und Klebstoffen, Flammschutzmitteln in Farben und Deckenplatten. PCB treten dabei nicht als Einzelverbindungen auf, sondern in Form von komplexen Gemischen der 209 verschiedenen PCB-Kongeneren1 (Biphenyle mit unterschiedlichen Chlorierungsgraden und Substitutionsmustern). Obwohl die Herstellung, das Inverkehrbringen und das Verwenden von PCB schon seit 1989 bis auf wenige Ausnahmen verboten sind, und entsprechend den PCB-Richtlinien der Länder von 1993 betroffene Gebäude schon längst saniert sein sollten, sind auch derzeit noch viele, überwiegend westdeutsche Gebäude, die von etwa 1950 bis 1980 errichtet beziehungsweise saniert, renoviert oder umgebaut wurden, von dieser Problematik betroffen. Entsprechend sind Expositionen oberhalb des Werts von 300 ng/m³ für Gesamt-PCB2, der laut PCB-Richtlinie als Sanierungszielwert vorgegeben wird, auch heute noch häufig anzutreffen.

    PCB-Exposition und Mutterschutz

    Die Diskussion über mögliche Gesundheitsgefährdungen durch PCB ist äußerst vielschichtig. Die unterschiedlichen Kongenere zeigen eine große Variation bezüglich Wirkung und Wirkstärke, ihrer Verteilung im Organismus sowie ihrer biologischen Halbwertszeit. Erschwerend kommt hinzu, dass die eingesetzten Gemische entsprechend den technischen Anforderungen der jeweiligen Anwendung eine große Bandbreite in der Kongenerenverteilung aufweisen. Vereinfacht zusammengefasst sind akute gesundheitsschädigende Effekte durch Luftkonzentrationen, wie sie bei Innenraumbelastungen durch Ausgasung aus Baumaterialen gewöhnlich auftreten, nicht zur erwarten. Ebenso wird das Krebsrisiko, das lediglich im Tierversuch zweifelsfrei nachgewiesen ist, als vernachlässigbar angesehen. Nach derzeitigem Wissensstand erscheinen jedoch entwicklungsneurotoxische Effekte eine bedeutsame Gefährdung darzustellen. Eine Schädigung des ungeborenen oder gestillten Kindes ist möglich, wenn PCB in relevanten Mengen über das Blut oder die Milch der Mutter weitergegeben werden. Daher sind Schwangere, Stillende sowie Säuglinge und Kleinkinder vor PCB-Belastungen „in einem Maß“, das mit einem Gesundheitsrisiko für Embryo/Fötus oder für die Kinder verbunden ist, zu schützen. Aber auch Frauen im gebärfähigen Alter sollten nicht gegenüber PCB exponiert werden, da PCB aufgrund ihrer langen Halbwertszeit im Organismus akkumulieren. Während der Schwangerschaft und Stillzeit können sie wieder freigesetzt werden und so ebenfalls schädigend auf das Kind wirken.

    Formaljuristisch sind Tätigkeiten in PCB-belasteten Innenräumen lediglich für Schwangere gemäß MuSchG § 11 (1) Nummer 3 (siehe Punkt 5) grundsätzlich als unverantwortbare Gefährdung anzusehen: Die Begründung dafür liefert der Eintrag in der Technischen Regel für Gefahrstoffe (TRGS) 900 für die Stoffgruppe der PCB mit einem Arbeitsplatzgrenzwert (AGW) für Gesamt-PCB von 3000 ng/m³ sowie der Bemerkung Z.
    Die Bemerkung Z wird für Stoffe vergeben, „die bezüglich der entwicklungstoxischen Wirkung bewertet werden können und für die ein Risiko der Fruchtschädigung auch bei Einhaltung des AGW und des BGW3 nicht ausgeschlossen werden kann“. Im Sinne des MuSchG ist der AGW für PCB als arbeitsplatzbezogene Vorgabe zu verstehen, bei dessen Einhaltung es dennoch zu einer Fruchtschädigung kommen kann. Folglich sind Innenraumluftverunreinigungen durch PCB mit Luftkonzentrationen grundsätzlich als eine unverantwortbare Gefährdung anzusehen, was einem Expositionsverbot für Schwangere gleichkommt. Eine Einstufung bezüglich von Wirkungen über die Laktation besteht derzeit für PCB nicht, sie wird jedoch in Fachkreisen diskutiert.

    Bei diesen Überlegungen darf nicht unerwähnt bleiben, dass schon die Technischen Regeln für Arbeitsstätten (ASR) 3.6 „Lüftung“ als Konkretisierung der Anforderungen der Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) in Arbeitsräumen „gesundheitlich zuträgliche Atemluft in ausreichender Menge“ für alle Beschäftigten fordern. Als Maßstab für zuträgliche Atemluft gilt dabei die Außenluft, die nicht „unzulässig belastet oder erkennbar beeinträchtigt“ sein darf.

    Regel für Mutterschutz: PCB in der Innenraumluft

    Eine strikte Anwendung des Mutterschutzgesetzes gemäß MuSchG § 11 (1) Nummer 3 hätte zur Folge, dass Schwangere in PCB-belasteten Gebäuden, beispielsweise auch in Schulen oder Universitäten, nicht mehr ihrer Erwerbstätigkeit beziehungsweise ihrer Schulbildung oder ihrem Studium nachgehen können. Eine Regel für Mutterschutz (nach § 11 MuSchG (1), letzter Satz) kann jedoch den Rahmen schaffen, in dem eine Weiterbeschäftigung von Schwangeren unter Berücksichtigung von Beurteilungsmaßstäben und/oder Maßnahmen ermöglicht werden kann.

    Bei welchen Luftkonzentrationen ein Risiko für ungeborene oder gestillte Kinder aufgrund der PCB-Exposition der Mutter besteht, ist aufgrund des Fehlens konkreter Beurteilungsmaßstäbe (Grenzwerte) für fruchtschädigende Wirkungen schwer abzuschätzen. Eine Regel für Mutterschutz könnte sich an folgenden Annahmen orien­tieren, die sich auf den derzeitigen Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse stützen:

  • Bei Luftkonzentrationen von bis zu 300 ng/m³ Gesamt-PCB, die auch als Sanierungszielwert der PCB-Richtlinie festgelegt sind, ist kein erhöhtes Gesundheitsrisiko für Embryo/Fötus zu befürchten. Begründet werden kann diese Annahme mit Studien zu den Endpunkten Entwicklungsneurotoxizität (Verhaltensparameter, Effekte bei kognitiven sowie motorischen Entwicklungsmarkern) und Geburtsgewichtsverminderung sowie Untersuchungen zur Entwicklungstoxizität bei Affen. Der Sicherheitsabstand dieses Werts zu dem in diesen Tierexperimenten beobachteten NOAEL (No Observed Adverse Effect Level) für entwicklungstoxische Effekte kann als ausreichend angesehen werden (vgl. Bekanntmachung für Gefahrstoffe [BekGS] 901).
  • Gemäß einer Empfehlung der Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) sind Blutkonzentrationen von bis zu 3,5 μg ∑ (PCB 28, 52, 101, 138, 153, 180)/Liter Blutplasma nicht mit einem Risiko einer fruchtschädigenden Wirkung verbunden. Diese Einschätzung stützt sich auf ein Addendum zur MAK-Begründung für chlorierte Biphenyle von 2019.
  • Bei Luftkonzentrationen des PCB-Kongeners 118 (als Leitkomponente dioxinähnlicher PCB) von bis zu 10 ng/m³ ist gemäß der Bewertung der Ad-hoc-Arbeitsgruppe der Innenraumlufthygiene-Kommission des Umweltbundesamtes und der Obersten Landesgesundheitsbehörden (2007) mit keinen gesundheitsschädlichen Wirkungen durch dioxinähnliche PCB zu rechnen.
  • Demnach sind Luftkonzentrationen von bis zu 300 ng/m³ Gesamt-PCB und 10 ng/m³ PCB-118 als unkritisch für Schwangere anzusehen. Höhere Expositionen bezogen auf Gesamt-PCB könnten toleriert werden, wenn sichergestellt ist, dass Werte von 3,5 μg ∑ (PCB 28, 52, 101, 138, 153, 180)/Liter im Blutplasma der betroffenen Frauen nicht überschritten werden. Selbstverständlich muss der AGW von 3000 ng/m³ Gesamt-PCB auch an Innenraumarbeitsplätzen eingehalten werden. Gleiches gilt für den Wert von 10 ng/m³ PCB-118. Voraussetzung für ein derartiges Vorgehen ist einerseits, dass die Expositionssituation in Gebäuden mit PCB-Altlasten ermittelt wird und andererseits bei Werten oberhalb von 300 ng/m³ Gesamt-PCB eine Bereitschaft der Frauen an der Mitwirkung zum Biomonitoring besteht. Dabei muss klar sein, dass ungeklärte Expositionsbedingungen in Arbeitsräumen im Sinne des Mutterschutzgesetzes als unverantwortbares Risiko zu verstehen sind.

    Fazit und Ausblick

    Das Mutterschutzgesetz sieht eine unverantwortbare Gefährdung als gegeben an, wenn Schwangere bestimmten Gefahrstoffen
    (s. oben Punkte 1 bis 5) ausgesetzt werden oder werden können, und dabei ein – gewisses – „Maß“ erreicht oder überschritten wird. Die „Höhe“ dieses Maßes sowie die Sicherheit, mit der dieses Maß bestimmt werden soll, wurde bisher jedoch nicht näher beschrieben. Was diese Begrifflichkeiten angeht, ist es die Aufgabe des Gesetzgebers, diese Vorgaben zu konkretisieren. Weiterhin offenbart insbesondere die Problematik der PCB-belasteten Innenräume, dass das Mutterschutzgesetz seine Zielsetzung in dem wichtigen Zeitraum vor der Konzeption und während der Frühschwangerschaft gar nicht erreichen kann, da es erst mit der Mitteilung der Schwangerschaft beim Arbeitgeber zur Anwendung kommt. PCB sind aber schwer abbaubare, gut fettlösliche Substanzen, die im Körper von gebärfähigen Frauen eingelagert und nur langsam wieder abgebaut werden. So ist es möglich, dass länger andauernde Expositionen, die aber zeitlich schon vor einer Schwangerschaft auftraten, zu einer Fruchtschädigung führen.

    Die Stoffgruppe der PCB ist sicherlich ein Beispiel, das im Hinblick auf den Mutterschutz komplex und daher schwer zu regulieren ist. Das gilt jedoch für zahlreiche weitere Gefahrstoffexpositionen, für die eventuell noch Regeln zu erstellen sind, um die Gesundheit der Frau und ihres Kindes am Arbeits-, Ausbildungs- und Studienplatz während der Schwangerschaft und Stillzeit zu gewährleisten, ohne ein Beschäftigungsverbot aussprechen zu müssen.

    Interessenkonflikt: Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.

    Literatur

    DFG: Addendum zu Chlorierte Biphenyle (BAT Value Documentation in German language). In: The MAK-Collection for Occupational Health and Safety. 2019, S. 950–969.

    Mitteilungen der Ad-hoc-Arbeitsgruppe der Innenraumlufthygiene-Kommission des Umweltbundesamtes und der Obersten Landesgesundheitsbehörden: Ausschuss für Innenraumrichtwerte, Gesundheitliche Bewertung dioxinähnlicher polychlorierter Biphenyle in der Innenraumluft. Bundesgesundheitsblatt, Gesundheitsforschung, Gesundheitsschutz 2007; 50 (11).

    doi:10.17147/asu-1-216978

    Kernaussagen

  • Expositionen gegenüber polychlorierten Biphenylen (PCB) können bei ungeborenen und ­geborenen Kindern entwicklungsneurotoxische Effekte verursachen.
  • Tätigkeiten in PCB-belasteten Innenräumen stellen für Schwangere gemäß Mutterschutzgesetz §11 (1) Nummer 3 unzulässige Arbeitsbedingungen dar, die grundsätzlich mit einer ­unverantwortbaren Gefährdung verbunden sind.
  • Eine Regel für Mutterschutz kann Rahmenbedingungen festlegen, bei deren Einhaltung eine Beschäftigung von Schwangeren in PCB-belasteten Innenräumen zulässig ist.
  • Aufgrund der Akkumulation von PCB im Körper können auch präkonzeptionelle Belastungen der Mutter zu einer Schädigung ihres Kindes führen.
  • Das Mutterschutzgesetz schützt nicht vor präkonzeptionellen Belastungen, die sich auf die Schwangerschaft auswirken können.
  • Kontakt

    Dr. Marco Steinhausen
    Bereichsleiter Toxikologie der ArbeitsstoffeInstitut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA); Alte Heerstr. 111; 53757 Sankt Augustin

    Foto: DGUV

    Das PDF dient ausschließlich dem persönlichen Gebrauch! - Weitergehende Rechte bitte anfragen unter: nutzungsrechte@asu-arbeitsmedizin.com.

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