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Die Stiftung LebensBlicke

Einleitung

Leben mit und nach Krebs betrifft viele Menschen, die eine Krebserkrankung überstanden haben und weiterer Zuwendung bedürfen. Zielgruppen der Stiftung sind in erster Linie die Bevölkerung, aber auch politisch Entscheidende, Ärztinnen und Ärzte, Unternehmen, Fachverbände, Gesundheitseinrichtungen und die Industrie. Das seit 2002 geltende opportunistische Darmkrebs-Screening ist 2019 durch das neue Krebsfrüherkennungs- Registergesetz (KFRG) abgelöst worden. Das bundesweite Einladungsverfahren bietet damit den Anspruchsberechtigten ein deutlich verbessertes Darmkrebsvorsorge-Angebot. Vorausgegangen war bereits 2017 die Einführung des schon lange geforderten immunologischen Stuhltests in die gesetzliche Krankenversicherung. Die Stiftung hat durch ihren Vorstandsvorsitzenden, Professor Dr. Jürgen F. Riemann, im Nationalen Krebsplan der Bundesregierung und in verschiedenen Gremien im gesundheitspolitischen Diskurs mit Entscheidungstragenden an den Grundlagen dieser Gesetzgebung entscheidend mitgewirkt. Neben der Öffentlichkeitsarbeit für die Bevölkerung in Form von Print- und elektronischen Medien, Broschüren, Publikationen und bundesweiten Aktionen über ein Netz von Regionalbeauftragten initiiert die Stiftung wissenschaftliche Studien, übernimmt Schirmherrschaften, führt Seminare und Symposien durch und motiviert Ärztinnen und Ärzte zur Fortbildung. Ein wichtiges Ziel der Stiftung ist auch die Förderung der betrieblichen Gesundheitsvorsorge.

Interview mit Professor Jürgen F. Riemann (JFR)

Prof. Dr. Jürgen F. Riemann

Foto: Sabine Kast

Prof. Dr. Jürgen F. Riemann

Was ist in den letzten Jahren durch die Stiftungsarbeit erreicht worden?

JFR: Die Einführung der Vorsorgedarmspiegelung mit 55 Jahren in die Regelversorgung 2002 war ein erster, aber entscheidender Schritt. Die wissenschaftliche Begleitung durch das Zentralinstitut (ZI) sowie durch das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg hat eindrücklich den Erfolg belegt. Die stringente Arbeit der Stiftung im Nationalen Krebsplan von 2008 bis 2012 hat dazu geführt, dass vom opportunistischen Darmkrebs-Screening auf ein bundesweit organsiertes Einladungsverfahren umgeschaltet wurde. Dieser Paradigmenwechsel hat lange gebraucht, um nach dem Gang durch die Instanzen und bürokratischen Hürden erst 2019 für die Versicherten eine entscheidende Verbesserung zu bringen. Das Gesetz sieht vor, dass jeder ab 50 Jahren zum Darmkrebs-Screening von seiner Krankenkasse eingeladen wird. Hinzu kommt, dass Männer bereits mit 50 Jahren den Anspruch auf eine Darmspiegelung haben. Diese Genderdifferenzierung trägt der klinisch-wissenschaftlichen Erkenntnis Rechnung, dass Männer früher und intensiver an Darmkrebs erkranken. Die Stiftung LebensBlicke hatte darauf schon sehr lange und intensiv aufmerksam gemacht.

Eine zweite wesentliche Verbesserung war die Einführung des immunochemischen Stuhltestes (iFOBT) anstelle des bis dahin geltenden Guajac-basierten Tests. Diese Weiterentwicklung war nicht nur wegen der europäischen Empfehlungen notwendig, sondern basierte vor allem auf der besseren Entdeckungsrate prämaligner und maligner Veränderungen sowie der klar einfacheren Handhabung des Tests.

Wie lassen sich die Erfolge messen?

JFR: Die Darmspiegelung ist eine echte Erfolgsgeschichte. Das wissenschaftliche Team um Hermann Brenner vom Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) hat klar zeigen können, dass allein durch die Darmspiegelung eine signifikante Senkung der Inzidenz (Krankheitshäufigkeit) und der Mortalität (Sterblichkeit) erreicht worden ist (➥ Abb. 1). Der Erfolg könnte noch viel größer sein, wenn die Teilnahmerate sich deutlich steigern ließe. Sie liegt derzeit für die Koloskopie bei 2–3% und für den iFOBT bei ca. 15–20% der Anspruchsberechtigten pro Jahr. Daraus leitet sich eine wesentliche Aufgabe von Stiftungen, wie der Stiftung LebensBlicke, ab, Menschen zu informieren und vor allem zu motivieren, ihre Chance zu nutzen. Dafür steht auch der Wahlspruch „Vermeiden statt leiden“. Diese Botschaft hat viele Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens von der Arbeit der Stiftung überzeugt und sie zu Befürwortern werden zu lassen wie zum Beispiel den Nobelpreisträger Professor Harald zur Hausen, verschiedene Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Bundesländer, Schauspielerinnen/Schauspieler und Sportlerinnen/Sportler.

Was kann und muss verbessert werden?

JFR: In der Corona-Pandemie hat die Digitalisierung einen mächtigen Schub bekommen. Das lässt sich auch mit Sicherheit nutzbringend in der Prävention erreichen. Das Einladungsverfahren durch einen Brief ist umständlich und entspricht für viele Menschen nicht einer modernen Vorgehensweise. Vor allem IT-affine Personen möchten per App bei ihrer Krankenkasse einen Stuhltest anfordern oder digital einen Termin zur Darmspiegelung vereinbaren können. Für diese Situation gibt es noch viel zu hohe Hürden. Verbesserungsfähig ist auch die Informationsbroschüre. Sie ist viel zu lang, infolge vieler Tabellen und Zahlen wenig laienverständlich. Die Niederländer haben uns vorgemacht, wie es besser geht. Sie haben mit ihrer sehr einfachen Informationsbroschüre sowie einem Erinnerungsschreiben nach der ersten Einladung innerhalb von sechs Wochen eine Akzeptanz von über 70% erreicht.

Abb. 1:  a Trends der altersstandardisierten Inzidenzraten (pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner) des kolorektalen Karzinoms (C18–C20) und des proximalen Kolonkarzinoms (C18.0–C18.4) in Deutschland im Zeitraum von 2000–2016. b Trends der altersstandardisierten Mortalitätsraten (pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner) des kolorektalen Karzinoms in Deutschland im Zeitraum 2000–2018 (Cardoso et al., Dtsch Arztebl Int 2021; 118: 281–287)

Abb. 1: a Trends der altersstandardisierten Inzidenzraten (pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner) des kolorektalen Karzinoms (C18–C20) und des proximalen Kolonkarzinoms (C18.0–C18.4) in Deutschland im Zeitraum von 2000–2016. b Trends der altersstandardisierten Mortalitätsraten (pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner) des kolorektalen Karzinoms in Deutschland im Zeitraum 2000–2018 (Cardoso et al., Dtsch Arztebl Int 2021; 118: 281–287)

Welche Folgen hat die COVID-19-Pandemie für die Versicherten?

JFR: Seit zwei Jahren ist die Corona-Infektion das beherrschende Thema in nahezu allen Medien. Die zum Teil sehr undifferenzierte Berichterstattung hat zu einer deutlichen Verunsicherung der Bürgerinnen und Bürger geführt. Die Reklamation von Intensivbetten für schwerkranke Corona-Patientinnen und -Patienten mit der Absage geplanter interventioneller Eingriffe hat auch die Vorsorgebereitschaft beeinflusst. So hat gerade in 2020/21 die Darmspiegelung einen deutlichen Rückgang erfahren; Gleiches gilt auch für den Stuhltest. Es ist zu befürchten, dass damit das eigentliche Ziel des KFRG weiter konterkariert wird, die Teilnahmerate an den Vorsorgeuntersuchungen deutlich zu steigern. Zu befürchten ist auch, dass vor allem eine Zunahme fortgeschrittener Neoplasien zu erwarten ist, die möglicherweise bei einer früheren Vorsorge in einem kurativen Stadium entdeckt worden wären. Hier ist Aufklärungsarbeit dringend notwendig. Die Stiftung LebensBlicke hat mit der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin, mit dem Berufsverband Deutscher Internistinnen und Internisten sowie mit Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens wie dem ARD-Vorsitzenden Tom Buhrow immer wieder zur Vorsorge auch in COVID-19-Zeiten aufgerufen. Die Befürchtung, sich in Kliniken oder Praxen mit dem Virus zu infizieren, hat sich als nicht relevant erwiesen. Die Hygienemaßnahmen entsprechen dem höchsten Standard und lassen daher problemlose Vorsorgeuntersuchungen auch in der Krise zu.

Was erwarten Sie zukünftig für die ­Darmkrebsvorsorge?

JFR: Die Politik muss das Thema Prävention gerade nach der Corona-Pandemie sehr ernst nehmen und zu einem Schwerpunkt der Gesundheitsentwicklung machen. Dazu gehört, die Darmkrebsprävention durch ein differenziertes Einladungsverfahren unter Zuhilfenahme digitaler Möglichkeiten weiterzuentwickeln, eine lückenlose Erfassung aller Stuhltests und Darmspiegelungen unter einem Dach zu gewährleisten, damit auch Langzeitentwicklungen erkennbar sind. Es gehört dazu, eine nationale Kampagne zur Vorsorge zu initiieren, die deutlich macht, wie wichtig Prävention nicht nur zur Vermeidung einer Corona-Infektion, sondern auch für viele andere Erkrankungen ist. Die Stiftung LebensBlicke wird ihre Verbindungen nutzen, gerade mit Mitgliedern des Bundestags dieses Thema zu diskutieren und für so manchen zu einer Herzensangelegenheit zu machen. Etwa 65.000 neu Erkrankte und 25.000 Todesfälle pro Jahr sprechen für sich. Diese Zahlen könnten drastisch reduziert werden, wenn es gelänge, die vorhandenen guten Möglichkeiten der Vorsorge zu erklären, zu bewerten und den Bürgerinnen und Bürgern sowie Anspruchsberechtigten Mut zu machen, ihre Chance zu nutzen. Die betriebliche Darmkrebsvorsorge, die mit einer weithin beachteten Studie der BASF Anfang 2000 für Aufsehen und deshalb auch für viele Nachahmer gesorgt hat, sollte und könnte Vorbild und ein wichtiger Treiber für die allgemeine Darmkrebsvorsorge sein.

Vielen Dank für das Gespräch!

Weitere Informationen zur Stiftung unter

www.lebensblicke.de

Kontakt

Dr. med. Stefan Webendoerfer
Occupational Medicine & Health Protection BASF SE, GUA/B - H306; 67056 Ludwigshafen, Germany

Foto: BASF

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