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How an experiment became lived practice: Insights from BruderhausDiakonie to the use of exoskeletons
The BruderhausDiakonie tested exoskeletons in elderly care and successfully integrated their use into daily routines. This article illustrates how sustainable implementation can succeed through targeted staff involvement, practical relevance, and trained peer facilitators within the team.
Kernaussagen
Wie aus einem Expertimentierraum gelebte Praxis wurde.
Ein Erfahrungsbericht aus der BruderhausDiakonie zum Einsatz von Exoskeletten
Die BruderhausDiakonie erprobte Exoskelette im Pflegealltag und überführte deren Einsatz erfolgreich in den Arbeitsalltag. Der Beitrag zeigt, wie nachhaltiger Transfer durch gezielte Einbindung, Praxisnähe und geschulte Multiplikatorinnen im Team gelingen kann.
Einleitung
Pflegekräfte sind bei ihrer Arbeit körperlichen Belastungen ausgesetzt, insbesondere beim Transfer, der Mobilisation und bei bodennahen Tätigkeiten. Muskel-Skelett-Erkrankungen zählen seit Jahren zu den häufigsten berufsbedingten Ausfallursachen im Gesundheitswesen. Technische Unterstützungssysteme wie Exoskelette bieten Potenziale zur Entlastung bei körperlich belastenden Tätigkeiten in der Pflege. Sie können Pflegekräfte bei aufrechten Körperhaltungen unterstützen und gleichzeitig für rückenschonendes Arbeiten sensibilisieren.
Im Rahmen des vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales geförderten Projekts EXPERTISE 4.0 (siehe auch Online-Quelle) erprobten Mitarbeitende die BruderhausDiakonie verschiedene Exoskelette unter realen Bedingungen. Die Überführung in die Praxis gelang modellhaft im Gustav-Werner-Stift in Friedrichshafen.
Projektbasis: Vom Experimentierraum zur gelebten Praxis
Erste Erfahrungen sammelten die Multiplikatorinnen und Multiplikatoren in der praxisnahen Demonstrationsumgebung im LebensPhasenHaus in Tübingen. In gezielten Schulungen wurden sie zunächst mit den technischen Grundlagen und der sicheren Handhabung verschiedener Exoskelett-Modelle vertraut gemacht. Anschließend konnten sie die Systeme in realitätsnahen Pflegeszenarien beim Transfer vom Bett in den Rollstuhl, bei der Mobilisation oder bei bodennahen Tätigkeiten erproben.
Diese Erprobungsphase war von zentraler Bedeutung. Sie schuf einen Experimentierraum, in dem Unsicherheiten adressiert, Fragen gestellt und erste praktische Erfahrungen gesammelt werden konnten. Die Multiplikatorinnen lernten, die Bewegungsabläufe mit und ohne Exoskelett zu vergleichen. Sie entwickelten ein gemeinsames Verständnis für ergonomisches Arbeiten mit Unterstützungssystemen. Gemeinsam mit dem Projektteam wurde reflektiert, welche ersten Potenziale spürbar waren und wo die Technik an ihre Grenzen stößt.
„Gerade am Anfang war es wichtig, dass wir uns Zeit nehmen konnten, die Exoskelette auszuprobieren und uns gegenseitig Tipps zu geben“, erinnert sich Bettina Kern, Multiplikatorin vor Ort. „So konnten wir gemeinsam herausfinden, wie wir die Technik am besten in unseren Arbeitsalltag integrieren können.“
Der Weg von der Erprobung bis zur festen Verankerung im Alltag war geprägt von Offenheit, Lernbereitschaft und einem engen Austausch zwischen Pflegekräften, Leitungen und Projektverantwortlichen. Regelmäßige Feedbackrunden, der Austausch über positive wie auch herausfordernde Erfahrungen und die Bereitschaft, voneinander zu lernen, waren entscheidend für den Projekterfolg.
Anschließend begleiteten die Multiplikatorinnen und Multiplikatoren die Übertragung der Erfahrungen in die beteiligten Einrichtungen vor Ort. Mitarbeitende in zwölf Einrichtungen erprobten Exoskelette unter realen Bedingungen.
Verstetigung: Exoskelett-Einsatz im Regelbetrieb
Im Gustav-Werner-Stift Friedrichshafen wurde der Praxistest konsequent weitergeführt. Nach Abschluss des Projekts gelang der Transfer der Exoskelette in den Pflegealltag.
Erfolgsfaktoren waren:
Die Nutzung erfolgt stets freiwillig. Mitarbeitende konnten aus zwei Systemen wählen. Ein leichtes und einfach zu handhabendes System setzte sich durch. Komplexere, schwere Modelle fanden im Alltag keine Akzeptanz und somit keine dauerhafte Anwendung.
Die Integration wird als Teil einer umfassenderen Gesundheitsförderung verstanden. Ziel ist es, rückenschonendes Arbeiten für die Mitarbeitenden zu fördern und sie langfristig zu einem bewussteren Umgang mit der eigenen körperlichen Gesundheit zu befähigen. Das Exoskelett wird dabei als Element einer ganzheitlichen Arbeitsgestaltung verstanden, die Belastungen reduziert und Gesundheit stärkt.
Erfahrungen der Pflegekräfte: Einfachheit überzeugt
Die Pflegekräfte gaben eine eindeutige Rückmeldung: Entscheidend für die regelmäßige Nutzung war nicht die maximale Kraftunterstützung, sondern Passform, Gewicht und Alltagstauglichkeit. Das leichtere Exoskelett überzeugte durch unkompliziertes Anlegen, hohen Tragekomfort und Bewegungsfreiheit. Dies ist im dynamischen Arbeitsumfeld der Pflege entscheidend. Es wird nicht als Last, sondern als Unterstützung im Arbeitsalltag wahrgenommen.
Einige Mitarbeitende nutzen das Exoskelett täglich. Sie berichten, dass es hilft, ihren eigenen Körper bewusster wahrzunehmen und achtsamer mit Bewegungen und Haltungen umzugehen.
Multiplikatorinnen und Multiplikatoren als Schüssel zur Verstetigung
Die Multiplikatorin übernahm eine tragende Rolle in der Verstetigung. Als Kollegin im Team begleitete sie den Einsatz auf Augenhöhe. Zu ihren Aufgaben zählten:
Durch die Projekterfahrung wurde die Multiplikatorin nicht nur zur anerkannten Expertin für Exoskelette in der Pflege und zur Impulsgeberin für achtsames, rückenschonendes Arbeiten. Als Teil des Teams förderte sie Vertrauen und erleichterte die praktische Umsetzung. Ihre authentische Rolle förderte die Bereitschaft zur aktiven Anwendung.
„Sie bringt fachliche Kompetenz und Nähe zur Praxis zusammen. Das hat die Einführung spürbar erleichtert“, betont Mathias Kaupp, Einrichtungsleitung im Gustav-Werner-Stift Friedrichshafen.
Herausforderungen und offene Fragen
Trotz positiver Erfahrungen bleiben Fragen offen. Es fehlen belastbare Langzeitstudien zur Wirkung des regelmäßigen Einsatzes der Systeme auf die Gesundheit.
„Unsere Mitarbeitenden spüren im Alltag zwar die unterstützende Wirkung, doch wie langfristige Effekte auf den Körper aussehen, ist noch unklar. Hier würden wir uns weitere wissenschaftliche Erkenntnisse wünschen“, äußert Nina Inken Schmidtmann, Projektmitarbeiterin.
Eine weitere Herausforderung ist die Passform der Exoskelette. Damit ein echter Mehrwert im Arbeitsalltag spürbar wird, müssen die Systeme individuell an die Körperform der Mitarbeitenden angepasst sein. Nur wenn das Exoskelett gut sitzt und nicht als störend empfunden wird, kann es seine unterstützende Wirkung voll entfalten.
„Das Exoskelett muss wie ein Kleidungsstück sitzen. Sobald es drückt oder verrutscht, benutze ich es nicht mehr“, berichtet eine Kollegin aus der Einrichtung.
Die technische Weiterentwicklung, um Anpassungsfähigkeit von Exoskeletten an unterschiedliche Körperformen gewährleisten zu können, bleibt daher eine wichtige Aufgabe für Hersteller und Forschung. Ebenso bleibt regelmäßiges Nachjustierung im Arbeitsalltag unerlässlich, um die Akzeptanz und den Nutzen dauerhaft zu sichern.
Der Übergang vom Projekt zur Verstetigung erfordert mehr als gute Technik. Er braucht Praxisnähe, interne Befürworter/Befürworterinnen und organisatorische Verankerung. Das Beispiel des Gustav-Werner-Stifts in Friedrichshafen zeigt, dass Verstetigung gelingen kann, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. „Exoskelette verstehen wir als zusätzliches Instrument zur Förderung von Haltungskompetenz und körperbewusstem Arbeiten, mit dem Ziel, sie als Bestandteil einer zukunftsfähigen Pflege weiterzudenken“, beschreibt Verena Münch, Geschäftsfeldleitung Altenhilfe der BruderhausDiakonie.
Ausblick
Vor dem Hintergrund der positiven Erfahrungen wird das Thema Exoskelette in der BruderhausDiakonie gezielt weiterverfolgt. Gemeinsam mit der Gesamtmitarbeitervertretung, Betriebsärztin/-arzt sowie der Arbeitssicherheit wird derzeit geprüft, wie das Angebot stiftungsweit verstetigt und weiteren Einrichtungen zugänglich gemacht werden kann. Ziel ist es, das erprobte Konzept als freiwilliges Gesundheitsangebot zu öffnen, weiterzuentwickeln und auch in anderen Arbeitsbereichen mit körperlichen Belastungen zu erproben. Erste Rückmeldungen und Interessensbekundungen aus weiteren Hilfefeldern bestätigen den Bedarf.
Interessenkonflikt: Die Autorinnen sind Mitarbeiterinnen der BruderhausDiakonie. Weitere Interessenkonflikte liegen nicht vor.

Foto: Projekt Expertise 4.0
Online-Quelle
Homepage EXPERTISE 4.0
https://www.expertise-vier-punkt-null.de/