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Keine „Strahlenschutzuntersuchung“ in der Schweiz!

Medical Screening bei ionisierender Strahlung?

Rechtliche Grundlagen

In Deutschland sieht die Strahlenschutzverordnung vom 31.12.2018 im Abschnitt 3 eine „Ärztliche Überwachung beruflich exponierter Personen“ vor. In der ärztlichen Bescheinigung ist dann die „Tauglichkeit der beruflich exponierten Person für die Wahrnehmung der beruflichen Aufgaben“ zu entnehmen. Die Richtlinie, die ausführlich weitere Aspekte zum Thema spezifiziert trägt seit 01. 02. 2004 den Titel „Arbeitsmedizinische Vorsorge beruflich strahlenexponierter Personen …“ (s. „Weitere Infos“).

In der Schweiz legt das Strahlenschutzgesetz vom 01. 05. 2017 fest, dass Beschäftigte „den medizinischen Maßnahmen zur Verhütung von Berufskrankheiten“ gemäß Unfallversicherungsgesetz unterstehen. Die zugehörige Strahlenschutzverordnung verlangt von den Personen mit der Bewilligung für das Betreiben einer Strahlenanlage „medizinische Abklärungen“ gemäß den Vorschriften zur Verhütung von Unfällen und Berufskrankheiten durchzuführen und führt dann weiter aus, dass die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva) Beschäftigten den Vorschriften über die arbeitsmedizinische Vorsorge unterstellen kann.

Beide Länder haben mit den Revisionen ihres jeweiligen Strahlenschutzrechts die Vorgaben der EU-Richtlinie 2013/59/Euratom in nationales Recht umgesetzt, Deutschland als Mitglied der EU und die Schweiz im so genannten „autonomen Nachvollzug“. Die entsprechende EU-Richtlinie legt im Art. 45 fest, dass „die medizinische Überwachung strahlenexponierter Arbeitskräfte nach den allgemeinen Grundsätzen der Arbeitsmedizin durchgeführt wird“.

Während aber in Deutschland ein Medical Screening durch ärztliches Fachpersonal bereits auf Verordnungsstufe festschreibt, bestimmt die schweizerische Gesetzgebung lediglich, dass beruflich strahlenexponierte Beschäftigte den allgemeinen Vorschriften des Arbeitsschutzes unterworfen sind und überlässt die Entscheidung über weitere Festlegungen zur „Überwachung“ der dafür rechtlich und fachlich zuständigen Institution Suva.

Zu ergänzen ist hier noch der Hinweis auf die beiden schweizer Rechtsverordnungen VAPK (Verordnung über die Anforderungen an das Personal von Kernanlagen) und VBWK (Verordnung über die Betriebswachen von Kernanlagen), beide aus dem Jahr 2006. In beiden Verordnungen werden gesundheitliche Anforderungen definiert, die Beschäftigte in Kernanlagen zu erfüllen haben. Weiter unten wird noch einmal kurz auf den Inhalt der beiden Verordnungen eingegangen und hergeleitet, dass die Gesetzgebung den Charakter von arbeitsmedizinischer Vorsorge nicht verstanden hat – ebenso wie die aktuell noch anzuwendende deutsche Richtlinie (s. „Weitere Infos“). Aus diesem „gesetzgeberischen Unverständnis“ in beiden Ländern ist der Auftrag an die Arbeitsmedizin abzuleiten, für ein besseres und modernes Verständnis von arbeitsmedizinischer Vorsorge aktiv zu sein.

Arbeitsmedizinische Vorsorge: ­Eignung, Tauglichkeit – oder nichts von beidem?

In der Schweiz ist die arbeitsmedizinische Vorsorge (AMV) schon immer ausschließlich zur Verhütung von Berufskrankheiten und Selbstgefährdung von Beschäftigten bestimmt gewesen. So formuliert der Artikel 70 der Verordnung zur Verhütung von Unfällen und Berufskrankheiten das Ziel der AMV. Ob ein Betrieb, ein Betriebsteil oder auch eine Einzelperson den weiteren Bestimmungen dieser AMV unterstellt wird, entscheidet die Suva autonom und hat dabei gemäß Verordnung unter anderem die „allgemeine Erfahrung und die Erkenntnisse der Wissenschaft“ zu berücksichtigen. Wäre die Gesundheit der Beschäftigten bei Fortführung der Berufstätigkeit erheblich gefährdet, so kann die Suva eine „Nichteignungsverfügung“ erlassen. Der Verordnungstext definiert also die arbeitsmedizinische „Eignung“ in der Schweiz als die positive ärztliche Antwort auf die Frage, ob ein Mensch ohne Inkaufnahme einer absehbaren erheblichen Gesundheitsschädigung bestimmten Belastungen am Arbeitsplatz gegenüber exponiert werden kann.

In diesem Sinn wäre auch eine medizinisch ungenügend kontrollierte an Epilepsie erkrankte Person nach den Vorgaben der arbeitsmedizinischen Vorsorge durchaus „geeignet“, Überwachungsfunktionen am Steuerpult eines Kernreaktors im Einschichtbetrieb am Tag durchzuführen. Eine erhebliche Eigengefährdung aufgrund dieser Tätigkeit ließe sich schwerlich begründen.

Noch eindeutiger hat die deutsche Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge
(ArbMedVV) von 2008 den Aspekt des persönlichen Gesundheitsschutzes für Beschäftigte als Ziel der arbeitsmedizinischen Vorsorge festgelegt. Im § 2 dieser Verordnung wird daher noch spezifisch definiert, dass die arbeitsmedizinische Vorsorge „nicht den Nachweis der gesundheitlichen Eignung für berufliche Anforderungen“ umfassen darf. Somit kann also festgehalten werden, dass sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland arbeitsmedizinische Vorsorge einzig und allein betrieben werden darf, um die Frage zu beantworten: Stellen die betrieblichen Belastungen in der Arbeit ein Risiko für Beschäftigte dar? Die arbeitsmedizinische Vorsorge muss hingegen die Frage: „Ist der oder die Beschäftigte in der jetzt feststellbaren körperlichen und geistigen Verfassung ein potenzielles Risiko für die Sicherheit des Betriebs?“ unberücksichtigt lassen! Während die erste Frage in der Schweiz die Frage nach der „Eignung“ darstellt, ist hier die letztere Fragestellung die nach der „Tauglichkeit“ der Beschäftigten, den Anforderungen ihrer beruflichen Tätigkeit gesundheitlich zu genügen. Die oben genannte an Epilepsie erkrankte Person wäre schwerlich als tauglich zu beurteilen, die Steuerzentrale eines Kernkraftwerks zu bedienen oder als Fluglotse zu arbeiten, und sei es auch nur während der Tagschicht.

Die genaue Unterscheidung der Semantik beider Begriffe ist enorm wichtig. Denn damit sind neben unterschiedlichen Rechtsräumen, in denen sich Arbeitsmedizinerinnen und -mediziner bei ihren beruflichen Aktivitäten bewegen (z. B. Datenschutz), auch unterschiedliche Rollen verbunden. Offensichtlich wird, dass Arbeitsmedizinerinnen und -mediziner auch unterschiedliche „Auftraggebende“ für verschiedene Handlungen haben können. Welcher Zielsetzung die arbeitsmedizinische Vorsorge zu dienen hat, war über Jahrzehnte hinweg immer wieder Anlass für Diskussionen. Zumindest für die arbeitsmedizinische Vorsorge ist dies in der Schweiz und in Deutschland klargestellt.

In den nationalen und internationalen Rechtstexten, Guidelines und Empfehlungen betreffend Medical Screening bei ionisierender Strahlung werden die Begriffe „Eignung“ und „Tauglichkeit“ nicht einheitlich gebraucht. Die deutsche ArbMedVV benutzt den Begriff der „Eignung“ dort, wo in der Schweiz die „Tauglichkeit“ zu verwenden wäre. Dies bedeutet, dass aus dem jeweiligen Kontext, in dem diese Begriffe in den Texten gebraucht werden, herausgelesen werden muss, was im vorliegenden Dokument nun gemeint ist.

Wieso hat die Suva routinemäßiges Medical Screening für beruflich strahlenexponierte Personen eingestellt?

In den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts war das Wort „Atom“ in der öffentlichen Meinung noch weitgehend positiv assoziiert, wurde doch von den kleinsten Teilchen die Lösung großer anstehender Fragen erwartet. Mit den zunehmenden Berichten der langfristigen Gesundheitsfolgen der Atombombeneinsätze im zweiten Weltkrieg und des Fallouts der oberirdischen Atombombentests wurde die Gefährdung durch ionisierende Strahlen deutlich. Erste staatliche und rechtliche Schritte zur Regulation der Radioaktivität wurden weltweit getätigt. Gleichzeitig starteten die Arbeiten an der friedlichen Nutzung der Kernenergie.

Die Schweiz hat die Konvention Nr. 115 vom 17. 06. 1962 zum Strahlenschutz am 29. 05. 1963 ratifiziert, Deutschland tat das gut 10 Jahre später am 26. 09. 1973. Am 01. 05. 1963 trat in der Schweiz die erste Strahlenschutzverordnung in Kraft, die bereits „medizinische Überwachung“ von beruflich exponierten Personen vorsah. Kurz darauf begann die Suva, Beschäftigte medizinisch zu untersuchen. In der Uhrenindustrie wurde damals Tritium als Leuchtelement für Zifferblätter eingesetzt und die Suva führte ab 1966 Urinkontrollen mit einem neu angeschafften Szintillator bei Heimarbeitenden, den so genannten Leuchtfarbensetzerinnen und -setzern, durch. Ab 1975 war die Suva auch eine der heute sieben Schweizer Dosimetriestellen, die die Dosimeter der beruflich strahlenbelasteten Personen in der Schweiz auswerten. Die Abteilung Arbeitsmedizin der Suva ließ beruflich strahlenbelastete Beschäftigte bis zur Änderung ihrer Praxis in 2016 im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge untersuchen – in den letzten Jahren entweder einmalig (bei Beschäftigen in Spitälern und Forschungsinstituten sowie Radiologiepraxen) oder periodisch (Beschäftigte in Industrie und Kernkraftwerken). Für Beschäftigte in ärztlichen Praxen (außer Radiologie) wurde bereits ab 2001 keine „Unterstellung“ mehr verfügt. Im Rahmen der arbeitsmedizinischen Untersuchung wurden im Einzelnen anamnestische Daten zu früheren oder aktuellen Erkrankungen der wichtigsten Organsysteme und die Art früherer medizinischer „Strahlenanwendungen“ abgefragt. Ein klinischer Untersuchungsbefund zum Hautzustand und zu den Organen Leber, Milz und Lymphknoten wurde erhoben. Im Blut wurden die hämatologischen Untersuchungen, das Differenzialblutbild und die Thrombozytenbestimmung durchgeführt.

Ab dem Jahr 2000 wurden die arbeitsmedizinischen Beurteilungen der Eignung auf Grundlage dieser Untersuchungen in einem System so erfasst, dass die Ergebnisse ausgewertet werden können. Von der Suva wurden zwischen 01. 01. 2000 und 31. 05. 2015 insgesamt 158 097 Entscheidungen zu arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen beruflich strahlenexponierter Personen gefällt. 154 988 Entscheide lauteten „geeignet“, 2747-mal wurden weitere Abklärungen veranlasst, die zumeist der Kontrolle erhöhter Leukozytenwerte dienten. 342-mal wurde ein positiver Eignungsentscheid getroffen, aber eine verkürzte Nachuntersuchungsfrist verlangt. 13-mal lautete der Entscheid „bedingt geeignet“, in 4 Fällen musste die dauernde Nichteignung verfügt werden. Bei der Auswertung wurde auch festgestellt, dass die Suva dreimal befristete Nichteignung bei Schwangeren verfügte, obwohl sie für die Durchführung der Mutterschutzverordnung gar nicht zuständig ist (➥ Abb. 1).

Abb. 1:  Übersicht der arbeitsmedizinischen Entscheide (Quelle: Suva)

Abb. 1: Übersicht der arbeitsmedizinischen Entscheide (Quelle: Suva)

Danach wurden die Einzeldossiers zu den dauernden Nichteignungs- und bedingten Eignungsentscheiden im Archiv sowie die Papierunterlagen studiert. Zunächst konnte festgestellt werden, dass die insgesamt 17 Entscheidungen genau acht Personen betrafen: Bei vier Personen wurden die Eignungsentscheide im Zeitverlauf mehrmals mit der gleichen Bedingung versehen. Es handelte sich um je eine Person mit einer chronisch lymphatischen Leukämie, einer chronisch myeloischen Leukämie und einem Mantelzelllymphom. Die jeweiligen Erkrankungen hatten keine Kausalität zu ihrer beruflichen Strahlenexposition, waren also keine Berufskrankheiten. Aus unterschiedlichen Gründen – zumeist psychische – wurden entweder räumliche Einschränkungen im Arbeitsbereich ausgesprochen oder das Tätigkeitsspektrum eingegrenzt. Zu einer vierten Person mit „bedingter Eignung“ konnten kein Dossier mehr gefunden werden.

Die Dossiers zu den vier Nichteignungs­entscheiden zeigten das folgende Bild: Bei zwei Personen wurde die Nichteignung attestiert, weil schwere psychiatrische Erkrankungen (Panikstörung, schizophrene Psychose) eine Selbstgefährdung annehmen ließen. Zwei weitere Personen hatten ausgeprägte, über Jahre hinweg therapieresistente Handekzeme mit offenen Hautstellen und waren unter Berücksichtigung besonderen Konstellationen der Tätigkeit nicht mehr für den Umgang mit offenen Strahlern geeignet.

Im Jahr 2015, das letzte Jahr, in dem die Eignungsbeurteilungen ausgewertet wurden, waren in der Schweiz insgesamt 86 713 Personen als beruflich strahlenexponiert erfasst (Eidgenössisches Departement des Inneren EDI, s. „Weitere Infos“). Abzüglich der 36 705 Personen, die in ärztlichen und zahnärztlichen und Praxen angestellt und daher nicht der arbeitsmedizinischen Vorsorge der Suva unterstellt waren, wurden also 50 008 Personen im System der AMV beurteilt. Die Beurteilung konnte bereits in früheren Jahren erfolgt sein, da eine jährliche Untersuchung nur für Beschäftigte der Kernkraftwerke erfolgte. Diese Kohorte von beruflich strahlenexponierten Personen wuchs im Übrigen laut Dosimetriebericht des Bundesamtes für Gesundheit zwischen dem Jahr 2000 von etwa 64 000 auf 91 536 im Jahr 2017. In dieser Zeit blieb jedoch die Gesamtdosis für die ständig wachsende Kohorte in etwa gleich, zuletzt 5,14 Personen-Sievert in 2017. Dies bedeutet, dass im Durchschnitt die jährliche kumulative Belastung mit ionisierender Strahlung für die Exponierten kontinuierlich abnimmt und in 2017 bei 0,05 Millisievert beruflich bedingter Strahlenbelastung liegt. Auch bei Aufschlüsselung der Gesamtkohorte auf einzelne Tätigkeitsbereiche bleibt dieser deutliche Gesamttrend für die jeweiligen Subgruppen erhalten (Eidgenössisches Departement des Inneren (EDI), s. „Weitere Infos“).

Zusammengefasst waren also insgesamt acht Personen dieser inzwischen auf beinahe 100 000 Personen angewachsenen Kohorte entweder bedingt oder vollkommen ungeeignet für Tätigkeiten mit Exposition zu ionisierender Strahlung. Und dies wohlgemerkt nicht aus Gründen, die ausschließlich bei einer arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchung und wegen ärztlicher Expertise ans Tageslicht befördert wurden. Es ist vielmehr anzunehmen, dass schwere psychiatrische Erkrankungen und ausgeprägte Hauterkrankungen der Hände in der Arbeitsumgebung sowieso bekannt waren. Psychische Belastungen für beruflich strahlenexponierte Beschäftigte, die an Krankheiten leiden, die in der allgemeinen Wahrnehmung mit Strahlenexposition in Verbindung gebracht werden, sind nachvollziehbar. Diese könnten aber problemlos und ohne weiteres im Instrument der Wunsch- oder auch Angebotsvorsorge gemäß der deutschen ArbMedVV deutlich gemacht werden, was dann möglicherweise einer Abhilfe dienlich ist. In der Schweiz wurde mit der Systemumstellung ab Juni 2016 darauf hingewirkt, dass die Strahlenschutzsachverständigen in den Unternehmungen verstärkt auf solche Konstellationen sensibilisiert werden sollen. Die Suva kann jederzeit kontaktiert werden, um einen Eignungsentscheid zu fällen.

Neben den Daten aus der Arbeitsmedizinischen Vorsorge und der Dosimetrie war im Rahmen der Situationsanalyse auch das Berufskrankheitengeschehen interessant. Für die Berufskrankheiten aufgrund ionisierender Strahlung sind die Schweizer Daten wie folgt:

Zwischen 1997 und 2017, also über einen Zeitraum von 21 Jahren gingen bei den Unfallversicherungen in der Schweiz insgesamt 21 Anzeigen auf Verdacht auf Berufskrankheit ein. Davon wurden 5 Fälle als „anerkannt“ und 16 Fälle als „abgelehnt“ registriert (Auswertung der Sammelstelle für die Statistik der Unfallversicherungen, SSUV). Der Autor hat versucht, die Schadenunterlagen zu den fünf anerkannten Fällen zu erhalten, was bei drei Fällen gelungen ist.

Erstaunlicherweise zeigt sich, dass bei zwei Fällen im dazugehörigen arbeitsmedizinischen Gutachten die Kausalität zwischen beruflicher Strahlenbelastung und Gesundheitsstörung verneint war, die Fallführung der zuständigen Unfallversicherung aber dennoch einen Entscheid auf Anerkennung gefällt hatte. Der dritte anerkannte Fall betraf einen Radiologen mit einer Strahlenkatarakt.

In Deutschland wird das Geschehen bei Berufskrankheiten durch die Einwirkung von ionisierender Strahlung seit der Wiedervereinigung durch die Folgen des Uranerzbergbaus der Wismut in der früheren DDR dominiert. Die weitaus überwiegende Zahl von Anerkennungen als Berufskrankheit gemäß der Ziffer 2402 der Anlage 1 zur deutschen BK-Verordnung betreffen ehemalige Bergleute der Wismut. Den veröffentlichten DGUV-Statistiken für die Praxis aus dem Jahr 2017 ist aber zu entnehmen, dass die Anzahl der Anerkennungen nach Ziffer 2402 inzwischen auf 29 Fälle im Jahr 2017 (und 22 Anerkennungen in 2018) zurückgekommen ist. Im ungefähren Größenvergleich und unter Berücksichtigung der erwähnten Sondersituation ist damit sowohl für Deutschland als auch für die Schweiz heute die Feststellung zulässig: Berufskrankheiten durch ionisierende Strahlung sind vergleichsweise selten und spielen insgesamt keine große Rolle.

Schlussfolgerungen

Festzuhalten ist, dass die fast 160 000 Untersuchungen im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge nur eine sehr kleine Zahl an Interventionen wegen Nichteignung triggerten. Zudem wurde in 15 Jahren keine einzige strahlenbedingte Berufskrankheit aus der Vorsorge heraus bekannt. Insgesamt waren solche Berufskrankheiten in den vergangenen Jahren auch nur sehr vereinzelt aufgetreten. Und schließlich ist bis heute kein medizinischer Parameter bekannt, der der Früherkennung einer strahlenbedingten Berufskrankheit dient. Folgerichtig beschloss die Abteilung Arbeitsmedizin der Suva das Reihen-Medical-Screening bei beruflich strahlenexponierten Beschäftigten ab Juni 2016 einzustellen. Mit der Dosimetrie besteht bei dieser Belastung eine lückenlose Erfassung der beruflichen Lebenszeitexposition, auf die bei Kausalitätsfragen zurückgegriffen werden kann.

Hingegen wird die Entscheidung über medizinische Maßnahmen nach einem Er­eignis, zum Beispiel einer biologischen Dosimetrie mittels Untersuchung der Chromosomenaberrationen an Lymphozyten beibehalten. Ergänzend werden die Strahlenschutzsachverständigen anlässlich ihrer Ausbildung nun verstärkt darauf hingewiesen, dass die Abteilung Arbeitsmedizin der Suva für spezifische Fragen zur Verfügung steht, beispielsweise zur Beurteilung von Hauterkrankung bei Beschäftigten im Umgang mit offenen Strahlern.

Medical Screening von Beschäftigten ist auch ein Element des Maßnahmenpakets zur Sicherstellung der Betriebssicherheit („fit for duty“/Tauglichkeitsuntersuchung). Eine solche Untersuchung und Beurteilung sieht die schweizerische Gesetzgebung in zwei Verordnungen für das Personal und die Betriebswachen für Kernanlagen auch vor. Die Schweiz kennt aber keine „ermächtigte“ Ärztinnen und Ärzte, sondern die Anlagenbetreibenden können beliebiges ärztliches Fachpersonal mit der medizinischen Beurteilung der Personen gemäß der beiden Verordnungen betreuen. Weil für eine geeignete Risikobeurteilung aber eine genaue Kenntnis der Arbeitsverhältnisse und der Arbeitstätigkeiten des Betroffenen notwendig sind, sind dafür Ärztinnen und Ärzte mit der Fachspezialisierung Arbeitsmedizin besser geeignet als andere. Sie sind auch besser geeignet als „ermächtigte“ Ärztinnen und Ärzte, denen meist Detailkenntnisse des Arbeitsplatzes fehlen, sofern sie nicht gleichzeitig die Arbeitsmedizinerin oder den Arbeitsmediziner des Betriebs sind. Die Ausbildung der „ermächtigten“ Ärztinnen und Ärzte konzentriert sich immer noch vorwiegend auf die Grundlagen der Strahlenmedizin, während sich der eigentliche Auftrag überwiegend auf die Sicherstellung der Betriebssicherheit erstreckt.

In den normativen Texten (Gesetze, Verordnungen und Richtlinien) sowie in den Empfehlungen der internationalen Institutionen ILO und IAEA (s. „Weitere Infos“) sollte die für die europäische Leserschaft deutlich hervortretende Vermischung zwischen Gesundheitsschutz der Beschäftigten und Betriebssicherheit der Strahlenquellen bereinigt werden. Der Begriff der „arbeitsmedizinischen Vorsorge“ darf nach europäischem
Verständnis der Arbeitsmedizin dort nicht verwendet werden, wo eine medizinische Beurteilung das Risiko betrachtet, das ein gesundheitliches Defizit der Beschäftigten für den sicheren Betrieb der Strahlenquelle darstellt.

Interessenkonflikt: Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.

Weitere Infos

Arbeitsmedizinische Vorsorge beruflich strahlenexponierter Personen durch ermächtigte Ärzte. Richtlinie zur Strahlenschutzverordnung und zur ­Röntgenverordnung
https://www.bmu.de/fileadmin/bmu-import/files/pdfs/allgemein/application/pdf/ErmAerzte151203end.pdf

Richtlinie 2013/59/Euratom des Rates vom 5. Dezember 2013 zur Festlegung grundlegender Sicherheitsnormen für den Schutz vor den Gefahren einer Exposition gegenüber ionisierender Strahlung ...

https://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ%3AL%3A2014%3A013%3AFULL%3ADE%3APDF

Eidgenössisches Departement des Inneren EDI: Dosimetrie der beruflich strahlenexponierten Personen in der Schweiz. Jahresberichte
https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/das-bag/publikationen/taetigkeitsberichte/jahresberichte-strahlenschutz-umweltradioaktiviaet-und-dosimetrie.html

International Labor Organisation ILO: Convention C115- Radiation Protection Convention
https://www.ilo.org/dyn/normlex/en/f?p=NORMLEXPUB:12100:0::NO::P12100_ILO_CODE:C115

International Atomic Energy Agency 1998: Health surveillance of persons occupationally exposed to ionizing radiation: guidance for occupational physicians
https://www-pub.iaea.org/MTCD/Publications/PDF/STIPUB1056-5291793.pdf

International Atomic Energy Agency 2004: Health effects and medical surveillance
https://www.iaea.org/publications/6769/health-effects-and-medical-surveillance

Jahresbericht 2015: Dosimetrie der beruflich strahlenexponierten Personen in der Schweiz. 2016
https://www.bag.admin.ch/dam/bag/de/dokumente/str/DOS/jahresberichte/dosimetriebericht-2015.pdf.download.pdf/dosimetriebericht-2015-de.pdf

Autor
Dr. med. Klaus Stadtmüller
Facharzt für ArbeitsmedizinSchweizerische Unfallver­sicherungsanstalt SuvaAbteilung für Arbeitsmedizin
Fluhmattstr. 1
6002 Luzern, Schweiz

Foto: privat

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