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Humanzentrierte Arbeitsgestaltung im Zeitalter von KI

KI in der Arbeitswelt

Arbeit lässt uns als Menschen Erfolge erleben, mit anderen zusammenkommen und ist Teil dessen, was uns ausmacht. Daher ist ein Wandel der Arbeitswelt immer auch ein Wandel für die Beschäftigten. In den letzten Jahrzehnten haben digitale Technologien enorme Fortschritte gemacht. Vor allem Künstliche Intelligenz (KI) ist dabei von besonderem Interesse, da sie als Motor für Produktivität und Fortschritt angesehen wird (Yang u. Siau 2018). Der Einsatz birgt Potenziale für eine effizientere Arbeitswelt, verbunden mit veränderten Arbeitsanforderungen und der Notwendigkeit, die Arbeitsgestaltung sowie den Arbeits- und Gesundheitsschutz an die sich verändernden Bedingungen anzupassen.

Unter den Begriff der KI fallen verschiedene Arten von Technologien, die nach Dellermann et al. (2021) Automationen umfassen, die in der Lage sind, komplexe Ziele zu erreichen. Dies beinhaltet die Speicherung von Wissen und dessen Anwendung zur Problemlösung, Verarbeitung von Sprache und Wahrnehmung von Objekten. Zudem sind KI-Technologien gekennzeichnet durch maschinelles Lernen zur Anpassung an neuen Umgebungen und zum Vorschlagen oder Ausführen entsprechender Handlungen (Dellermann et al. 2021). Sie können bereits heute schon in die alltägliche Arbeit integriert werden, haben jedoch tiefgreifende Auswirkungen auf die Gestaltung und Wirkung von Arbeit. Beschäftigte sind mit einer neuen Form der Arbeit konfrontiert, in der sie zunehmend mit digitalen Technologien interagieren (Mirbabaie et al. 2021) und diese immanente Bestandteile der Aufgabenausführung werden. Das hat zur Folge, dass sich nicht nur Aufgabeninhalte und Abläufe verändern, sondern auch daran geknüpfte Werte und Überzeugungen, die die berufliche Identität ausmachen und die Wahrnehmung des Arbeitsplatzes beeinflussen (Petriglieri 2011). Der Einsatz von KI hat also starke Auswirkungen darauf, was einen Job ausmacht, wie Beschäftigte ihn wahrnehmen und wie motiviert sie sind, ohne dass klar ist, wie diese Auswirkungen im Einzelnen aussehen. Somit fehlt dieses Wissen bei der Gestaltung und Einführung von KI-Systemen.

In der Vergangenheit konzentrierten sich die Grundsätze für die Gestaltung von technischen Systemen häufig auf die Potenziale zur Steigerung der Arbeitseffizienz, zur Verbesserung der Arbeitssicherheit und zur Senkung der Kosten (Kluge et al. 2021). Ein solch einseitiger Fokus geht jedoch oft mit unerwünschten Nebeneffekten aufseiten der betroffenen Erwerbstätigen einher: Auf Leistungsebene zeigten sich Fertigkeitsverluste (Frank u. Kluge 2019) sowie die Reduktion der eigenen Aufmerksamkeit (Parasuraman et al. 1993). Auch eine Abnahme von Motivation und Wohlbefinden am Arbeitsplatz (Bartzik u Peifer 2019) zeichnete sich ab. Letztere hängen wiederum mit wesentlichen Ressourcen wie Arbeitszufriedenheit, Arbeitsengagement, Flow-Erleben und beruflicher Selbstwirksamkeit zusammen (Tausch u. Peifer 2019) die dabei verloren gehen können. Um dem entgegenzuwirken, erfordert die Implementierung von KI-Anwendungen einen Fokus auf den Menschen mit seinen Potenzialen, Bedürfnissen und Fähigkeiten. Auch die Job-Identität muss Berücksichtigung finden, da die Identifikation mit arbeitsbezogenen Zielen, Aufgaben und Werten (Reay et al. 2017) essenziell für die Person, die Arbeitsausführung und das Engagement ist (Endacott 2021). Arbeitsbezogene Veränderungen können als bedrohlich für die eigene Identifikation angesehen werden und somit in ablehnendes Verhalten münden (Strich et al. 2021). Daher stellen die Bewahrung der Job-Identität und der Fokus auf den Menschen wesentliche Bestandteile einer erfolgreichen KI-Entwicklung und -Einführung dar.

Eine Arbeitsgestaltung im Sinne von Mensch-KI-Teaming bietet dafür einen sinnvollen Ansatzpunkt und die Möglichkeit, die Akzeptanz und Motivation der Beschäftigten langfristig zu fördern (Wilkens et al. 2020). Mensch-KI-Teaming bezeichnet die Entwicklung einer soziotechnischen Einheit aus dem menschlichen und technischen Part, die gekennzeichnet ist durch gemeinsame Kommunikation, gegenseitige Unterstützung, transparente Denk- und Handlungsprozesse sowie durch ein gemeinsames situatives Verständnis (Kluge et al. 2021). Das bedeutet, dass das KI-System nicht separat von den Menschen betrachtet wird, sondern deren Arbeit zusammen unter Berücksichtigung aller Abhängigkeiten und menschlicher Bedürfnisse gestaltet wird. Als Synergieeffekte, die sich daraus ergeben, sind die Entwicklung relevanter Fähigkeiten und ein Anstieg der Motivation zu nennen (Hughes et al. 2019). Denn in soziotechnischen Teams kann der technische Part die Aufgaben übernehmen, die vom Menschen weniger gern durchgeführt werden, so dass dieser mehr Zeit in die Aufgaben investieren kann, die Gefühle von Bedeutsamkeit und Wichtigkeit fördern, was wiederrum mit einem Anstieg der Motivation assoziiert ist (Van Wingerden u. Van der Stoep 2018). Ein weiterer Vorteil ist eine verbesserte Arbeitsleistung, da mögliche Fehler des einen Parts durch den anderen aufgefangen werden können (Kluge et al. 2021).

Instrumente, die bei der Gestaltung oder Umstellung hin zu motivations- und identitätsförderlichen Mensch-KI-Teaming-Arbeitsplätzen unterstützen, fehlen bislang. Daher entwickelt der Lehrstuhl für Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie (AOW) der Ruhr-Universität Bochum als wissenschaftlicher Partner im Verbundprojekt HUMAINE in Kooperation mit der Arbeitsgruppe Arbeit und Gesundheit der Universität zu Lübeck ein Inventar, das bei der Neugestaltung von KI-Teaming-Arbeitsplätzen helfen soll: das Job Perception Inventory (JOPI). Das JOPI ermöglicht die Erfassung des Ist-Zustandes bestehender Arbeitsplätze im Hinblick auf relevante Arbeitsplatzmerkmale, Job-Identität und die Art und Weise, wie Beschäftigte ihren Arbeitsplatz wahrnehmen. Auf Grundlage dieser Ergebnisse sollen humanzentrierte Implementierungsstrategien und arbeitsplatzspezifische Kriterien für eine motivations- und identitätsförderliche Gestaltung eines KI-Arbeitsplatzes abgeleitet werden. Auch die Bewertung des umgestalteten Arbeitsplatzes kann durch einen weiteren Einsatz des JOPI nach der Implementierung erfasst werden.

Ein Anwendungsfall: KI-Einsatz in der Logopädie

Der Wunsch, KI-Systeme zur Entlastung von Personal einzusetzen, besteht in vielen Branchen, vor allem vor dem Hintergrund des wachsenden Fachkräftemangels und des demografischen Wandels (Hughes et al. 2019). Davon ist auch die Logopädie betroffen, die im Projekt HUMAINE einen Use Case für KI-Entwicklung und -Implementierung bildet. Hier soll eine App-Anwendung (ISi-Speech) zum Einsatz kommen, die von Patientinnen und Patienten für Sprechübungen genutzt werden kann, indem sie individuell auf Basis intelligenter Spracherkennung Rückmeldung gibt. Der Einsatz dieser Anwendung kann die therapeutische Arbeit grundlegend verändern – sie kann Therapiesitzungen von Angesicht zu Angesicht ersetzen, Entwicklungsrückmeldung geben, Fortschritte dokumentieren, aber auch zum Beispiel notwendige Unterstützung in Rand- oder Urlaubszeiten zur Verfügung stellen, umfassende Daten für die Therapierenden liefern, von Dokumentationspflichten befreien und vieles mehr. Somit ergeben sich verschiedene Einsatzmöglichkeiten; die zentrale Frage ist jedoch, welche davon den Menschen in seiner Arbeit am besten unterstützen und ergänzen, um als Mensch-KI-Team nicht nur die Therapie besser zu gestalten, sondern auch die Arbeit der Therapierenden nachhaltig attraktiv zu machen. Als Entscheidungshilfe dafür müssen die Gegebenheiten des aktuellen Arbeitsplatzes und mögliche Veränderungen durch den Technologieeinsatz, die Wahrnehmung und Wohlbefinden der betroffenen Beschäftigten beeinflussen, untersucht werden. An diesem Punkt setzt das von uns entwickelte Erhebungsinventar JOPI an und unterstützt Organisationen, durch ganzheitliche Diagnostik die optimale Mensch-KI-Schnittstelle zu finden.

Das Job Perception Inventory

Das Job Perception Inventory ist eine baukastenartig aufgebaute Fragebogenbatterie, die von Betrieben vor, während und nach der Einführung von KI eingesetzt werden kann, um die Wahrnehmung der Beschäftigten ihrer eigenen Arbeit und des KI-Einsatzes systematisch und psychologisch fundiert zu erfassen. Das JOPI erfasst dafür vier Bereiche, die für humanzentrierte Mensch-KI-Teaming-Arbeitsplätze relevant sind: Arbeitsplatzmerkmale, Job-Identität, Erlebens-Facetten und KI-Evaluation.

Im Bereich der Arbeitsplatzmerkmale werden die soziale und organisationale Umgebung sowie spezifische Attribute der auszuführenden Tätigkeiten erfasst. Angelehnt an der Zusammensetzung des Work Design Questionnaire (Morgeson u. Humphrey 2006) werden im JOPI Autonomie, Anforderungsvielfalt, Informationsverarbeitung, Technikgebrauch und psychische Beanspruchung erhoben. Die Auswahl der erfassten Merkmale entspricht den fünf Schlüsselaspekten, die einen Einfluss bei der Einführung von neuen Technologien am Arbeitsplatz haben (Parker u. Grote 2020). Die Beschäftigten bewerten im JOPI Aussagen wie „Ich kann bei meiner Arbeit viele Entscheidungen eigenständig treffen“. Die dadurch erfassten Informationen über die Gestaltung und Anforderungen eines Arbeitsplatzes liefern wichtige Hinweise auf Job-Ressourcen und Belastungen (Braine u. Roodt 2021). Zudem ermöglichen die Erkenntnisse, Implementierungsstrategien an bestehende Arbeitsmerkmale anzupassen (Bhargava et al. 2021).

Der zweite Bereich des JOPI erlaubt Rückschlüsse auf die Job-Identität im jeweils untersuchten Berufszweig. Ihr kommt eine große Bedeutung für die Wahrnehmung der eigenen Arbeitstätigkeit zu (Ugheoke et al. 2021), weshalb es gerade bei umfassenden Veränderungen wie einer KI-Implementierung relevant, aber bisher kaum praktiziert ist, darauf zu achten, dass neue Arbeitsformen die Kernaspekte der jeweiligen Job-Identität nicht gefährden. Die mangelnde Beachtung liegt auch daran, dass es bislang keine geeigneten Erhebungsverfahren für die Erfassung von Job-Identität gibt. Für das JOPI wurde eine gänzlich neue Herangehensweise gewählt, so dass möglichst ganzheitlich, aber auch jobspezifisch und vor allem mit Fokus auf Technikimplementierung relevante Facetten der Jobidentität ermittelt werden können. Dazu dienen vier Skalen:

  • Die erste Skala erfasst die Gründe für die eigene Berufswahl als sogenannte Motive, also überdauernde Antriebe einer Person. Hier sollen aus 12 Motiven diejenigen ausgewählt werden, die für die eigene Berufswahl relevant waren, zum Beispiel: „berufliche Aufstiegsmöglichkeit“ oder „Arbeit mit Menschen“.
  • Darauf folgt die Erhebung des beruflichen Commitments mithilfe der Utrecht Management of Identity Scale (Crocetti et al. 2010). In dieser wird erfasst, in welchem Stadium sich eine Person hinsichtlich der Verbundenheit mit ihrer derzeitigen Arbeit befindet: Fühlt sie sich sicher an ihren Arbeitsplatz gebunden („commitment“), reflektiert sie ihre aktuelle berufliche Si­tuation, um sich diesbezüglich abzusichern („in-depth exploration“) oder hat sie sich innerlich von ihrer aktuellen Tätigkeit abgekapselt („reconsideration of commitment“)? Ein hohes Commitment zeigt
    positive Zusammenhänge mit einem stabilen Selbstkonzept und Offenheit für neue Erfahrungen, die beide wichtig sind, wenn es darum geht, Teil eines Mensch-KI-Teaming-Prozesses zu sein (Crocetti et al. 2008) sowie neue Technologien zu akzeptieren und zu nutzen (Mirbabaie et al. 2022).
  • Als drittes Messinstrument für Identität wird die Role Based Identity Scale verwendet (Welbourne 2012). Mithilfe dieser wird die Rolle erfasst, mit der sich eine Person während ihrer Arbeit identifiziert. Welbourne (2012) unterschied dabei zwischen fünf verschiedenen Rollen: Die Identifikation mit der Organisation und den dazugehörigen Zielen und Werten, mit dem eigenen Arbeitsplatz und den zugehörigen Aufgaben, mit der eigenen Karriere, mit dem Bestreben, Innovationen und Veränderungen im Unternehmen voranzutreiben sowie mit den Mitgliedern der eigenen Arbeitsgruppe. Dadurch generierte Erkenntnisse sollen helfen, die Job-Identität weiter zu spezifizieren, um berufsspezifische Maßnahmen zur KI-Implementierung abzuleiten.
  • Abschließend folgt eine Skala zur Erhebung der Aufgabenidentifikation. Mittels dieser soll auf die Art der Tätigkeiten geschlossen werden, die Teil der Job-Identität und damit zentral für das innere Berufsbild der Beschäftigten sind. Hintergrund ist, dass nahezu jeder Beruf Tätigkeiten unterschiedlicher Art beinhaltet (Katz 1978), wovon jedoch nur ein Teil zur Job-Identität beiträgt – beispielsweise das Arbeiten mit Menschen in der Logopädie – und die daher nicht durch KI übernommen werden sollten. Möglicherweise können diese durch KI-Einsatz noch stärker als zuvor den speziellen Job prägen, weil beispielsweise nicht identitätsrelevante Tätigkeiten wie das Dokumentieren automatisiert werden. Insgesamt wurden aus den Anforderungsprofilen des Fleishman Job Analysis System (Kleinmann et al. 2010) elf Tätigkeitsarten identifiziert, darunter Aufgaben kreativer Art, praktischer Art und sozialer Art. Mittels des JOPI können so Jobprofile erstellt werden, die für verschiedene Berufsbilder identitätsstiftende Tätigkeiten beschreiben.
  • Der dritte Bereich des JOPI erhebt, wie die von KI-Einführung betroffenen Beschäftigten ihren Arbeitsplatz erleben. Erfasst werden Arbeitszufriedenheit, Arbeitsengagement, Flow-Erleben, berufliche Selbstwirksamkeit und allgemeines Wohlbefinden. Dies ermöglicht durch die wiederholte Durchführung des Inventars Auswirkungen umstrukturierter Arbeitsplätze auf die Wahrnehmung betroffener Arbeitnehmender sichtbar zu machen (Bhargava et al. 2021). Zudem können Ressourcen des aktuellen Arbeitsplatzes identifiziert werden, ebenso wie Ansatzpunkte für eine optimierte Umgestaltung.

    Der letzte Bereich des JOPI widmet sich der eingeführten KI-Anwendung und der damit entstehenden Zusammenarbeit aus Sicht der Beschäftigten. Dieser Teil kann lediglich nach einer KI-Implementierung erfasst werden, da die Erfahrungen der Zusammenarbeit wesentlich für die Bewertung der involvierten Aussagen sind. Vor der Implementierung sind in diesem Bereich einzelne prospektive Fragen möglich, ähnlich wie im vorgestellten Fallbeispiel der Logopädie. Insgesamt werden hier drei Skalen erhoben. Zunächst erfolgt die Bewertung des Mensch-KI-Teamings, bei dem Aussagen bezüglich der Zusammenarbeit mit dem KI-System bewertet werden sollen, zum Beispiel: „Wenn ich mit dem KI-System zusammenarbeite, dann ergänzen wir uns ideal“. Darauf folgt die Einschätzung zum Task-Technology-Fit, sprich zur Passung der entwickelten KI zu den zu bearbeitenden Aufgaben, mit Aussagen wie „Das KI-System passt sehr gut zu den Aufgaben, die ich mache“. Die letzte Skala zur KI-Evaluation erfasst das Wohlbefinden in der Zusammenarbeit mit dem KI-System ebenfalls durch zu bewertende Aussagen, wie „In der Zusammenarbeit mit dem KI-System fühle ich mich wohl“. Die Erkenntnisse sollen Hinweise auf die Aufgabenangemessenheit der KI liefern und Ansatzpunkte aufdecken, die noch verbesserungswürdig sind. Hier liegt der Fokus darauf, die KI als Teil eines Mensch-KI-Teaming-Arbeitsplatzes zu sehen, wo sie ein Werkzeug zur Augmentation, zur Erweiterung menschlicher Fähigkeiten, und nicht zur Automatisierung darstellen soll (Jarrahi 2018). Daher ist es wichtig, über die verwendeten Fragebögen ein Verständnis dafür entstehen zu lassen, wie die KI bestmöglich an die Fähigkeiten und Bedürfnisse des Menschen angepasst werden kann, damit nicht der umgekehrte Weg, die Anpassung des Menschen an das, was die KI „mitbringt“, gegangen wird. Erste Ansatzpunkte zur Optimierung der technischen Komponente und des Mensch-KI-Teamings können mithilfe dieses Bereichs des JOPI abgeleitet werden.

    Befunde zum Anwendungsfall in der Logopädie

    Erstmalig eingesetzt wurde das JOPI im Bereich der Logopädie, um eine geeignete Schnittstelle für den Einsatz von ISi-Speech zu finden. Zu diesem Zweck erfolgte die Erhebung online in Kombination mit einer Fallvignette, in der die Funktionen von ISi-Speech mithilfe von Video- und Textmaterial vorgestellt wurden. Rekrutiert wurden 75 Logopädinnen und Logopäden. Erste Auswertungen zeigen, dass bei der offenen Frage „Was macht für Sie Ihre Arbeit im Kern aus?“ die Aspekte „anderen zu helfen“, „sozialer Anschluss“ und „Abwechslung im Arbeitsalltag“ am häufigsten genannt wurden (➥ Abb. 1). Das bedeutet, dass für die Job-Identität des Logopädieberufs vor allem Tätigkeiten sozialer Natur, bei denen es darum geht, mit anderen zusammenzuarbeiten und anderen zu helfen, zentral sind. Somit sollte bei einem Einsatz von ISi-Speech darauf geachtet werden, dass solche Tätigkeiten, auch nach der Implementierung von ISi-Speech weiterhin zum Aufgabenrepertoire gehören. Ansonsten könnte die Job-Identität als bedroht wahrgenommen werden und zu ablehnendem Verhalten sowie geringer Akzeptanz und Nutzung der Anwendung führen (Myers et al. 2019), von weiteren Folgen für Arbeitszufriedenheit oder Stress bis hin zu innerer oder tatsächlicher Kündigung einmal abgesehen.

    Ein weiterer identitätsrelevanter Aspekt ist die Abwechslung im Arbeitsalltag: Eine hohe Anforderungsvielfalt und die Bewältigung unterschiedlicher Aufgaben im Arbeitsdesign werden als zentral für den Beruf einer Logopädin und eines Logopäden angesehen. Demgegenüber stehen Antworten auf die Frage „Inwiefern würde sich Ihre Rolle bei der Arbeit durch den Einsatz einer computergestützten Assistenz ändern?“ (siehe Abb. 1), dass sich bei dem Einsatz von ISi-Speech die eigene Rolle von einer aktiven behandelnden zu einer passiven kontrollierenden verändern würde. Ähnlich einzuordnen ist die von den Befragten geäußerte Befürchtung, dass durch den KI-Einsatz mehr erklärende Tätigkeiten mit weniger Interaktion auszuführen wären. Diese Antworten deuten auf eine ungünstige Rollenentwicklung hin, da sie relevante Aspekte der Job-Identität beeinträchtigen. Nichtsdestotrotz wurden auch positive Entwicklungen angenommen, wie beispielsweise eine bessere Versorgung für Patientinnen und Patienten und somit mehr Möglichkeiten, diesen zu helfen. Diese unterschiedlichen Erwartungen unterstreichen die Annahme, dass die Art und die Schnittstelle der KI-Implementierung entscheidend für die Wahrnehmung der eigenen Rolle und des Arbeitsplatzes sind (Parker u. Grote 2020).

    Die hier dargestellten Ergebnisse geben Hinweise darauf, dass im Anwendungsfall Logopädie für eine humanzentrierte Implementierung ISi-Speech ergänzend zu den Therapieangeboten eingesetzt werden sollte, so dass die Beschäftigten weiterhin Kontakt zu Patientinnen und Patienten pflegen und diesen mithilfe ihrer Expertise helfen können. Dies hätte ebenfalls zur Folge, dass die Logopädinnen und Logopäden weiterhin aktive Akteure in ihren Job bleiben, und sich durch eine gelungene Implementierung der KI die Versorgung der Patientinnen und Patienten verbessert, was auf den Aspekt „anderen zu helfen“ als Teil der Job-Identität einzahlen würde. Angestrebt wird demnach ein KI-Einsatz, der die vorhandenen Kernaspekte eines Jobs unterstützt, wie es hier am Beispiel der Logopädie exemplarisch aufgezeigt wurde. Ermöglicht wird ein solcher Implementierungsprozess durch den Einsatz des JOPI.

    Abschluss und Resümee

    Ein KI-Einsatz birgt Chancen und Risiken. Entscheidend ist daher, wie KI-Systeme implementiert werden, um Synergieeffekte optimal nutzen zu können. Ein ergänzender Einsatz, bei dem die Tätigkeiten, die zur Job-Identität beitragen, geschützt oder sogar verstärkt werden, ist ideal im Sinne eines humanzentrierten Mensch-KI-Teaming-Arbeitsplatzes. Zur erfolgreichen Umsetzung eignet sich das JOPI als Werkzeug, da es die Bedürfnisse und Wahrnehmung der betroffenen Beschäftigten in den Vordergrund stellt.

    Interessenkonflikt: Die Autorinnen geben an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.

    Literatur

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    Ugheoke SO, Mashi MS, Isa MFM: Can Workplace Fun Moderate Organizational Identification and Job Satisfaction Relationship. Business Perspectives and Research 2021: 227853372110183.

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    Welbourne TM: The role-based identity scale: Towards a parsimonious measure of work-related identity. Center for Effective Organizations, 2012.

    Wilkens U, Langholf V, Dewey M, Andrzejewski S: Service co-creation with artificial intelligence in radiology: Exploring the mindset of clinical staff in order to understand the transformation challenge. Angenommen für 82. Wissenschaftliche Jahrestagung des VHB vom 17.03.2020 – 20.03.2020 zum Thema “Digital Transformation”, 2020.

    Yang Y, Siau KL: A qualitative research on marketing and sales in the artificial intelligence age. MWAIS 2018 Proceedings 2018 (41).

    doi:10.17147/asu-1-225905

    Weitere Infos

    HUMAINE – Kompetenzzentrum der Metropole Ruhr für die Arbeitswelt der Zukunft mit Künstlicher Intelligenz
    https://humaine.info/

    ISi-Speech – Individualisierte Spracherkennung in der Rehabilitation für Menschen mit Beeinträchtigung in der Sprechverständlichkeit
    https://www.isi-speech.de/

    Abb. 1:  Antworthäufigkeiten in Prozent angegeben von insgesamt n = 232 Angaben (lila) und n = 37 Angaben (grau)

    Abb. 1: Antworthäufigkeiten in Prozent angegeben von insgesamt n = 232 Angaben (lila) und n = 37 Angaben (grau)

    Kernaussagen

  • Eine Arbeitsgestaltung im Sinne von Mensch-KI-Teaming bietet für eine humanzentrierte ­KI-Implementierung und -Nutzung einen sinnvollen Ansatzpunkt und die Möglichkeit, die ­Akzeptanz und Motivation der Beschäftigten langfristig zu fördern.
  • Arbeitsbezogene Veränderungen, die Teile der Job-Identität betreffen, können als bedrohlich für die eigene Identifikation angesehen werden und somit in ablehnendes Verhalten münden, weswegen die Bewahrung der Job-Identität essenziell bei einer erfolgreichen KI-Entwicklung und Einführung ist.
  • Das Bewertungsinventar JOPI begleitet den Transformationsprozess hin zu einem Mensch-KI-Teaming-Arbeitsplatz und berücksichtigt dabei relevante Arbeitsplatzmerkmale, Job-Identität, Wahrnehmungsfacetten des eigenen Arbeitsplatzes sowie die Evaluation der einzusetzenden KI-Anwendung.
  • Info

    Das Forschungsprojekt HUMAINE

    HUMAINE ist ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördertes Verbundprojekt und wird vom Projektträger Karlsruhe betreut (FK: 02L19C200). In Zusammenarbeit von Forschungs- und Praxispartnern unter anderem aus der Arbeitswissenschaft, Logopädie, Neuroinformatik, Wirtschaftspsychologie, dem Ingenieurswesen und der KI-Entwicklung wird ein integrativer Ansatz zur humanzentrierten KI-Entwicklung, Implementierung, und Nutzung verfolgt und in sieben Pilotprojekten angewendet. Der Fokus liegt auf der Humanzentrierung und der Sicherstellung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes betroffener Beschäftigter. Die gewonnen Erkenntnisse sollen im Aufbau eines Kompetenzzentrums münden, das Entwicklungsleitfäden, Implementierungsstrategien und Best-Practice-Modelle für die Praxis zugänglich macht.

    Koautorinnen

    Dr. Alina Tausch
    Ruhr-Universität Bochum; Lehrstuhl für Arbeits-, Organisations- und ­Wirtschaftspsychologie

    Prof. Dr. rer. nat. Corinna Peifer
    Institut für Psychologie I Universität zu Lübeck
    corinna.peifer@uni-luebeck,de

    Prof. Dr. Dipl.-Psych. Annette Kluge
    Ruhr-Universität Bochum; Lehrstuhl für Arbeits-, Organisations- und ­Wirtschaftspsychologie

    Kontakt

    Sophie Berretta
    Ruhr-Universität Bochum; Lehrstuhl für Arbeits-, ­Organisations- und ­Wirtschaftspsychologie; Universitätsstr. 150; 44801 Bochum

    Foto: privat

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