Springe auf Hauptinhalt Springe auf Hauptmenü Springe auf SiteSearch
Die neue Arbeitsweise der Ständigen Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher ­Arbeitsstoffe der Deutschen Forschungsgemeinschaft (MAK-Kommission) am Beispiel der ­Grenzwertevaluierung von Blei

Grenzwertevaluierung von Blei

Die Ständige Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), die so genannte MAK-Kommission, wurde 1955 gegründet, um Maximale Arbeitsplatzkonzentrationen in der Luft (MAK-Werte) abzuleiten, die dann in der Regel vom Bundesminister für Arbeit als Arbeitsplatzgrenzwerte übernommen wurden. Seit 1982 werden auch Biologische Arbeitsstoffgrenzwerte in biologischen Materialien (BAT-Werte) evaluiert. Die Grenzwertsetzung findet im Ausschuss für Gefahrstoffe (AGS) statt, einem Beratungsgremium des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Die wissenschaftliche Grundlage hierfür erarbeitet in vielen Fällen die MAK-Kommission. Die Bewertung einiger spezifischer Stoffgruppen, wie Stäube, Nanomaterialien, Metalle und Schmierstoffe, wird in entsprechenden Arbeitsgruppen für die Diskussion in der MAK-Arbeitsgruppe vorbereitet. Neben der Evaluierung von wissenschaftlich basierten Empfehlungen für MAK- und BAT-Werte werden für jede Substanz auch möglicherweise krebserzeugende, keimzellmutagene, sensibilisierende, hautresorptive und die Schwangerschaft beeinträchtigende Eigenschaften in den jeweiligen Arbeitsgruppen geprüft und die Stoffe entsprechend markiert. Die vertiefte Diskussion komplexer Studienergebnisse findet in Arbeitsgruppen zu aktuellen Themen statt; Beispiele sind die Bewertung früher Entzündungsparameter zur Verhinderung von chronischen Entzündungsprozessen, frühe Indikatoren für neurotoxische Prozesse sowie die Bewertung epidemiologischer Befunde im niedrigen Expositionsbereich (➥ Abb. 1). Die Zusammensetzung der Kommission und deren Arbeitsweise sind auf der Homepage der DFG ausführlich dargestellt. Die Entscheidungen der Kommission werden jeweils am 1. Juli bekannt gegeben und können bei Bedarf bis 31. Dezember mit der Kommission wissenschaftlich diskutiert werden (Kommentierungsphase); hierbei können die Begründungstexte vom Sekretariat der Kommission angefordert werden. Die endgültigen Entscheidungen werden auf der jährlich stattfindenden Plenarsitzung verabschiedet. Die MAK- und BAT-Werte-Liste sowie alle wissenschaftlichen Begründungen werden „Open Access“ bei der ZBMed publiziert (s. „Weitere Infos“) und stehen der Wissenschaft, der Politik und der Öffentlichkeit in deutscher und englischer Sprache frei zur Verfügung. Ferner werden konzeptionelle Arbeiten wie etwa zur Einstufung von Substanzen mit krebserzeugenden Eigenschaften im Tierversuch sowie zur Risikobewertung genotoxischer krebserzeugender Substanzen in internationalen toxikologischen Fachzeitschriften publiziert.

Die Bearbeitung der Stoffe in den verschiedenen Arbeitsgruppen erfolgte bislang oftmals nacheinander oder bestenfalls parallel, was die endgültigen Entscheidungen häufig verzögerte und zum Teil auch dazu führte, dass die Anpassung eines BAT-Wertes erst um ein Jahr zeitversetzt zur MAK-Neufestsetzung erfolgte oder umgekehrt. Die COVID-19-Pandemie hat die DFG zur Empfehlung veranlasst, Arbeitsgruppensitzungen auf digitalem Weg durchzuführen. Damit haben sich – trotz massiver Einschränkungen aufgrund fehlender Präsenzsitzungen – viele Entscheidungen innerhalb der Kommission beschleunigt. Videokonferenzen ermöglichen es den Mitgliedern der Kommission, punktuell stoffspezifisch und arbeitsgruppenübergreifend an Sitzungen zu spezifischen Substanzen teilzunehmen und so Entscheidungen für Stoffe mit umfangreicher Datenlage und unter Berücksichtigung vielschichtiger toxikologischer Endpunkte umfassend vorzubereiten.

Die neue und sehr effiziente Arbeitsweise der Kommission hat sich bei der Ableitung der Grenzwerte und Einstufungen von Blei und seinen anorganischen Verbindungen sehr bewährt. In nur sechs Monaten konnten trotz der sehr umfangreichen Datenlage alle toxikologisch relevanten Aspekte ausführlich in den Arbeitsgruppen und einer ad-hoc-Arbeitsgruppe diskutiert und bearbeitet werden.

Grenzwertfindung und Einstufungen von Blei

Blei ist nach wie vor ein bedeutsamer Arbeitsstoff und nicht nur ein Altstoff. Deutschland hat im Jahr 2016 Bleiraffinade im Umfang von 370.000 Tonnen Metallinhalt verbraucht (Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe 2018, s. „Weitere Infos“). Blei ist für den Arbeitsschutz weltweit ein wichtiges Thema und entsprechend umfangreich ist die wissenschaftliche Literatur zu dessen toxischen Effekten.

Am 1. Juli 2021 konnten nach nur sechsmonatiger umfassender Bearbeitung die neuen Einstufungen und Grenzwerte, sowohl im biologischen Material als auch in der Luft, wie folgt bekannt gegeben werden.

Krebserzeugende Wirkung

Blei ist kanzerogen im Tierversuch und war daher 2004 in die Krebskategorie 2 der DFG-Kommission (entspricht 1B des AGS) eingestuft worden; entsprechend wurden der MAK- und der BAT-Wert ausgesetzt. Bei der Neubewertung von Blei war daher zunächst die Frage entscheidend, ob Blei auch krebserzeugend für den Menschen ist und welcher Wirkungsmechanismus der krebserzeugenden Wirkung zugrunde liegt. Epidemiologische Studien geben Hinweise auf eine mögliche krebserzeugende Wirkung, aber auch neue Daten lassen nicht den Schluss zu, dass es sich bei Blei um ein gesichertes Humankanzerogen handelt. Blei ist nicht direkt genotoxisch, verursacht aber eine indirekte DNA-Schädigung, die sehr wahrscheinlich durch eine Hemmung der DNA-Reparatur verursacht wird. Beim Menschen wurden chromosomale Schäden ab ca. 300 µg/l Blut beschrieben, die damit oberhalb der Konzentration liegen, die zu neurotoxischen Effekte führen (s.u.). Die Kommission kam somit zu dem Schluss, dass genotoxische Effekte bei Einhaltung eines BAT-Wertes von 150 µg/l Blut und eines daraus abgeleiteten MAK-Wertes keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielen. Blei wurde daher in die Kanzerogenitätskategorie 4 der MAK-Kommission eingestuft. In der Kategorie 4 finden sich Stoffe, die bei Tier oder Mensch Krebs erzeugen oder als krebserzeugend für den Menschen anzusehen sind, für die aber ein MAK-Wert abgeleitet werden kann, der auch vor der krebserzeugenden Wirkung schützt (DFG 2020). Diese Einstufung wird insbesondere durch Befunde zum Wirkungsmechanismus gestützt, der – wie im Fall von Blei – auf indirekten genotoxischen Effekten beruht, für die entweder selbst ein Grenzwert abgeleitet werden kann oder vor denen durch die Ableitung eines Grenzwertes für empfindlichere, nicht-kanzerogene Effekte geschützt wird.

Biologischer Arbeitsstoff-Toleranzwert

Wissenschaftliche Studien zu bleibedingten Gesundheitseffekten beziehen sich fast ausschließlich auf die Blutbleispiegel. Belastbare Studien mit Raumluftkonzentrationen zur Expositionserfassung sind für Blei kaum vorhanden. Der Ausgangspunkt für die Grenzwertfindung waren daher die Blutbleiwerte von Exponierten. Beim Menschen ist die Neurotoxizität als die kritische Toxizität zu betrachten. Wenn mit einem Grenzwert die Wirkungen der kritischen Toxizität verhütet werden, sind auch die anderen Wirkungen nicht mehr zu erwarten. Blei zeigt neben der Neurotoxizität nierentoxische, kardiovaskuläre und hämatologische Effekte und führt zu Störungen der Fertilität des Mannes. Bei schwangeren Frauen führt es zu entwicklungsneurotoxischen Effekten.

Die differenzierte Bewertung der vorhandenen wissenschaftlichen Studien führte zu dem Ergebnis, dass neurotoxische Effekte beim Menschen um die 200 µg/l Blut auftreten können. Einige Studien ordnen adverse Effekte auch noch geringeren Bleikonzentrationen zu. Nach kritischer Würdigung wurden diese Arbeiten aber als nicht ausreichend belastbar für die Grenzwertableitung betrachtet (Hartwig et al., in Vorbereitung). Es wurde festgestellt, dass nach gegenwärtiger Datenlage unterhalb von 180 µg/l (= NOAEL – „no observed effect level“) relevante nachteilige Effekte auf das Nervensystem nicht mehr zu beobachten sind. Daraus ergibt sich nach der Verfahrensweise der MAK-Kommission ein BAT-Wert von 150 µg/l Vollblut.

Maximale Arbeitsplatzkonzentration

Um neben dem BAT- einen Luftgrenzwert abzuleiten, wurde ein von CalEPA (2013, s. „Weitere Infos“) vorgestelltes Modell verwendet, das ausgehend vom Blutbleiwert einen Luftgrenzwert zuordnet. Der Wert wurde dabei am 95. Perzentil festgesetzt, was bedeutet, dass bei Einhaltung dieses Luftwertes der Blutbleiwert bei 95% der Exponierten nicht überschritten wird. Das Modell wurde anhand einer Probandenstudie sowie anhand von Arbeitsplatzbelastungen validiert und erzielte sehr gute Übereinstimmungen.

Anhand dieses Modells ergibt sich die Abschätzung eines Luftgrenzwertes von 0,0039 mg Pb/m³, der mit einer Blutbleibelastung von 150 μg/l korrespondiert. Hieraus ergibt sich ein MAK-Wert von 0,004 mg/m³.

Reproduktionstoxizität

Männliche Fertilität

Epidemiologische Studien weisen auf einen Einfluss beruflicher Bleiexposition von Männern auf ein erhöhtes Risiko für Spontanaborte, perinatale Sterblichkeit und geringeres Geburtsgewicht hin. Beschrieben ist weiter eine reduzierte Fertilität und Beeinträchtigung der Spermaqualität. Diese Effekte treten bei Blutbleispiegeln oberhalb von 400 μg/l auf (Bolt et al. 2019).

Fruchtschädigende Wirkung

Die entwicklungstoxische Wirkung von Blei durch Störung der Entwicklung des zentralen Nervensystems ist seit langem bekannt; hierfür liegt eine konsistente Datenlage aus Querschnitts- und Kohortenstudien an Kindern vor. Im Vordergrund stehen die Verminderung von neurologischen Funktionen und die Veränderung von Verhalten und Stimmung (Aufmerksamkeit, Hyperaktivität, Impulsivität, Reizbarkeit, Delinquenz) sowie eine Beeinträchtigung von neuromotorischen und neurosensorischen Funktionen. Eine Wirkschwelle für Entwicklungsneurotoxizität konnte nicht identifiziert werden; diesbezügliche Effekte werden aber auch unterhalb einer Bleibelastung von 150 μg/l Blut beobachtet. Blei wird daher der Schwangerschaftsgruppe A zugeordnet (Fruchtschädigung beim Menschen sicher nachgewiesen und auch bei Einhaltung des MAK- und BAT-Wertes zu erwarten).

Keimzellmutagenität

Aufgrund der positiven Befunde zur Klastogenität (Schädigung der Chromosome) von Blei bei beruflich Exponierten und der Bioverfügbarkeit von Blei in Keimzellen wurden Blei und seine anorganischen Verbindungen bereits früher der Kategorie 3A für Keimzellmutagene zugeordnet (Greim 2004).

Allergene Wirkung

Es liegen nur vereinzelte Hinweise auf ein mögliches sensibilisierendes Potenzial von Blei vor. Angesichts der sehr breiten Verwendung von Bleiacetat in Haarfärbeprodukten und der Verwendung in medizinischen Externa in der Vergangenheit, kann nicht auf eine relevante Sensibilisierungsfähigkeit von Blei oder Bleisalzen geschlossen werden. Zur atemwegssensibilisierenden Wirkung liegen keine Studien oder Kasuistiken vor. Blei wurde daher nicht als sensibilisierend eingestuft.

Hautresorption

Die Fähigkeit zur dermalen Penetration von Blei ist konsistent belegt. Allerdings finden sich keine quantitativen Daten in der Literatur, die darauf hinweisen, dass unter Arbeitsplatzbedingungen die dermale Resorption entscheidend zur Toxizität beiträgt; dies wäre aber eine Voraussetzung für eine Markierung mit „H“ (Drexler 1998). Trotz der experimentell gesicherten dermalen Aufnahme wurde Blei daher nicht als hautresorptiv eingestuft.

Interessenkonflikt: Der Erstautor und seine Koautorin geben an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.

Literatur

Bolt HM, Drexler H, Hartwig A: Addendum zu Blei und seine Verbindungen (außer Bleiarsenat, Bleichromat und Alkylbleiverbindungen) [BAT Value Documentation in German language, 2019]. In: The MAK-Collection for Occupational Health and Safety. Am Cancer Soc 2019; 4: 921–949.

CalEPA (California Environmental Protection Agency) (2013) Estimating Workplace Air and Worker Blood Lead Concentration using an Updated Physiologically-based Pharmacokinetic (PBPK) Model. Air, Community and Environmental Research Branch, Office of Environmental Health Hazard Assessment. 2013.

Drexler H: Assignment of skin notation for MAK ­values and its legal consequences in Germany. Int
Arch Occup Environ Health 1998; 71: 503–505.

Greim H (Hrsg.): Blei und seine anorganischen Verbindungen (einatembare Fraktion), Gesundheitsschädliche Arbeitsstoffe, Toxikologisch-arbeitsmedizinische Begründung von MAK-Werten, 38. Lieferung. Weinheim: Wiley-VCH, 2004.

Hartwig A, Drexler H, Greiner A: Blei, wissenschaft­liche Begründung. German Medical Science, Düsseldorf (in Vorbereitung).

Weitere Infos

Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe: Blei. Rohstoffwirtschaftliche Steckbriefe. Hannover, 2018.
https://www.deutsche-rohstoffagentur.de/DE/Themen/Min_rohstoffe/Downloa…

DFG: MAK- und BAT-Werte-Liste 2020. Düsseldorf: ZBMed, Informationszentrum Lebenswissenschaften, 2020
https://series.publisso.de/sites/default/files/documents/series/mak/lmb…

Koautorin

An der Erstellung des Beitrags beteiligt war Frau Prof. Dr. rer. nat. Andrea Hartwig, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Abteilung Lebensmittelchemie und Toxikologie, Karlsruhe.

Kontakt

Prof. Dr. med. Hans Drexler
Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und ­Umweltmedizin der FAU Erlangen-Nürnberg ; Henkestraße 9–11 ; 91054 Erlangen

Foto: Glasow

Jetzt weiterlesen und profitieren.

+ ASU E-Paper-Ausgabe – jeden Monat neu
+ Kostenfreien Zugang zu unserem Online-Archiv
+ Exklusive Webinare zum Vorzugspreis

Premium Mitgliedschaft

2 Monate kostenlos testen