Springe auf Hauptinhalt Springe auf Hauptmenü Springe auf SiteSearch
Arbeitsmedizinische Aspekte

Cannabis konsumierende Beschäftigte

Grundsätzliche Überlegungen zum Thema Cannabis und Cannabiskonsum

Der Cannabiskonsum ist im jungen Erwachsenenalter weit verbreitet. Fast 24 % der 18- bis 24-Jährigen haben in den letzten 12 Monaten bei mindestens einer Gelegenheit Cannabis geraucht, die allerwenigsten davon fallen im Betrieb auf. Man schätzt allerdings, dass etwa 5 % der Konsumierenden zumindest phasenweise Symptome einer Abhängigkeit entwickeln (Hoch 2018).

Im Gegensatz zum problematischen Alkoholkonsum sinkt die Neigung zum „Kiffen“ mit steigendem Lebensalter deutlich – dies ist erkennbar an der 12-Monats-Prävalenz: Nach dem epidemiologischen Suchtsurvey von 2018 sinkt sie von 16 % bei den 25- bis 29-Jährigen über 6,7 % bei den 30- bis 39-Jährigen und 2,8 % bei den 40- bis 49-Jährigen auf 1,8 % bei den 50- bis 59-Jährigen (Jahrbuch Sucht 2020).

Damit erstreckt sich also der Cannabiskonsum für die meisten User auf einige Jahre und wird dann wieder spontan eingestellt. Oft steht Cannabiskonsum anscheinend mit dem jugendlichen Probierverhalten im Zusammenhang, mit steigender Verantwortung in Beruf und Familienleben verliert er an Anziehungskraft.

Angesichts der Epidemiologie sollte ein Drogenscreening für alle Beschäftigten zu Ausbildungsbeginn nicht überbewertet werden, da es nur begrenzt aussagekräftig ist. Zum einen beginnt die Mehrheit der Berufseinsteiger erst während der Ausbildung mit dem Cannabiskonsum, zum anderen ist die Bedeutung eines einzelnen positiven Urintests fraglich. Nicht die Tatsache, dass im Laufe der letzten Wochen irgendwann einmal ein Joint geraucht worden ist, gibt Hinweise auf Eignung beziehungsweise zu erwartenden Ausbildungserfolg, sondern die Intensität und der Stellenwert des Konsums im Lebenszusammenhang – so wie das auch für den Alkohol gilt. Wichtiger erscheint eine altersgemäße Aufklärung über Konsumrisiken und ein aufmerksamer Blick der Ausbilder und Führungskräfte auf Leistung und Verhalten beziehungsweise Verhaltensänderungen: Wenn die Fehlzeiten steigen, Unpünktlichkeit sich häuft, Leistungsbereitschaft sowie Aufmerksamkeit nachlassen und möglicherweise auch die Noten schlechter werden, dann ist es notwendig, den Gründen für eine solche Veränderung nachzugehen. Natürlich ist nicht immer ein Drogenkonsum die Ursache, auch überlanges Computerspielen auf Kosten der Schlafdauer, tiefgreifende Schicksalsschläge oder Beziehungsprobleme können dieselben Auffälligkeiten verursachen. Daher ist es wichtig, das erste Gespräch mit den Betroffenen offen und unvoreingenommen zu beginnen.

Wenn Ursachen für die Auffälligkeiten im gemeinsamen Gespräch eruiert werden, kann behutsam geklärt werden, welche Unterstützungsmöglichkeiten realisierbar sind, wobei Wert auf ein „shared decision making“ im Rahmen der betrieblichen Regelungen gelegt werden sollte.

Wie unterscheiden sich die Cannabis-Konsumierende von alkoholauffälligen Beschäftigten?

In einer Auswertung der BASF für den Zeitraum zwischen 2009 bis 2018 fanden sich insgesamt 290 Personen, die erstmals wegen Suchtproblemen Kontakt mit der Abteilung Arbeitsmedizin hatten, ausgewertet wurden F1X-Diagnosen. Am häufigsten, nämlich bei 146 Beschäftigten, waren die Ursache Alkoholprobleme, bei 51 war Cannabis der Anlass für den Sprechstundenbesuch. Das Durchschnittsalter bei Erstkontakt war bei den Alkoholauffälligen 49 Jahre, bei den Cannabisauffälligen 20 Jahre im Median. Die durchschnittliche Anzahl der BASF-Berufsjahre betrug bei den Cannabiskonsumierenden 3 Jahre, bei den Alkoholauffälligen 25 Jahre. In einer vorangegangenen Studie mit alkoholauffälligen Beschäftigten konnte (in Übereinstimmung mit Evaluationen von Suchtfachkliniken) eruiert werden, dass diese schon 10 Jahre lang einen zumindest riskanten Konsum betrieben hatten, bevor sie sich in Beratung und Behandlung in der arbeitsmedizinischen Abteilung, teilweise auch des externen Suchthilfesystems begaben (Croissant u. Hupfer 2008). So hat sich ein ungesundes Konsumverhalten schon über viele Jahre verfestigt, häufig mit zahlreichen frustranen Eigenversuchen, zu moderaten Konsummustern oder Abstinenz zurückzufinden. Daher ist bei auftretenden Alkoholproblemen im Betrieb sehr häufig die Unterstützung durch das Suchthilfesystem oder zumindest eine langfristige betriebsärztliche Begleitung erforderlich.

Ein Drittel der Alkoholauffälligen in der aktuellen Auswertung hatte eine Abhängigkeitsdiagnose (66 von 182), wobei die Mehrheit aktuell abstinent waren. Bei den Cannabiskonsumierenden überwiegt der schädliche Konsum deutlich (49 von 51 Betroffenen). Diese Beschäftigten befinden sich meist noch in der Ausbildung oder in den ersten Berufsjahren mit einer vergleichsweise kurzen Suchtmittelanamnese. Wenn sie ihren Ausbildern beziehungsweise Führungskräften auffallen und die Drogentests positiv auf Cannabis sind, ist das oft die erste für sie relevante kritische Rückmeldung des sozialen Umfelds. Meist entscheiden sie sich dann, im Interesse der Fortsetzung ihrer Ausbildung dazu, auf einen weiteren Konsum zu verzichten, was überwiegend auch ohne zusätzliche externe suchttherapeutische Hilfe gelingt. Flankierend wird die aktuelle Lebenssituation mit den Betroffenen erörtert und geklärt, welche individuelle Unterstützung sinnvoll und möglich ist. Das kann Hilfe bei der Wohnungssuche sein, wenn es Probleme im Elternhaus gibt, Vermittlung zur Schuldnerberatung bei finanziellen Nöten, Organisation von Nachhilfe bei Lerndefiziten, Interventionen bei einem schlechtem „Betriebsklima“ oder auch Therapievermittlung insbesondere bei Komorbiditäten wie Angststörungen oder Depression. Eine Inanspruchnahme einer Entgiftung und Entwöhnungstherapie kommt nur selten vor.

Infolge der kurzen Zugehörigkeitszeit zum Unternehmen bei den Cannabiskonsumierenden ist die emotionale Bindung an den Betrieb im Vergleich zur Alkoholgruppe im Allgemeinen niedriger. Möglicherweise ist dies die Ursache dafür, dass 75 % der Cannabiskonsumierenden inzwischen das Unternehmen verlassen haben (Stand 3/2019), die meisten allerdings nach Ausbildungsabschluss. Damit arbeiten nur 25 % weiterhin im Unternehmen. Demgegenüber sind 72 % der damals Alkoholauffälligen weiterhin in ihrem Betrieb aktiv, häufig nach einer erfolgreich absolvierten Entwöhnungstherapie, in anderen Fällen nach Vermittlung ins ambulante Suchthilfesystem.

Wie und wo fallen die Cannabis­konsumenten auf?

Wie oben schon erwähnt, ist Cannabiskonsum ganz überwiegend ein Phänomen im jüngeren Lebensalter. Auch in der eigenen Erhebung lag der Schwerpunkt ganz deutlich bei den jungen Erwachsenen:

  • <20 Jahre: 24
  • 20–29 Jahre: 22
  • 30–39 Jahre: 4
  • 40–49 Jahre: 0
  • >50 Jahre: 1
  • Typische Auffälligkeiten bei diesen Beschäftigten sind ein Leistungsabfall bei den Prüfungen, Nachlässigkeit bei den Lernaufgaben, geringere aktive Mitarbeit in Schule und Betrieb, Rückzugsverhalten, hohe Fehlzeiten und Unpünktlichkeit. Seltener fällt eine Müdigkeit auf; diese spricht nach eigenen Erfahrungen eher für die Nachwirkungen eines Stimulanzienkonsums zum Beispiel vom vorangegangenen Wochenende oder für polytoxe Konsummuster.

    Die Verhaltensänderungen verstärken sich oft über Monate, bis sie dann so offensichtlich werden, dass die Beschäftigten darauf angesprochen werden. Deutlich seltener ist ein abrupter Einbruch der Leistung festzustellen – dies spricht eher für akut überfordernde Lebensereignisse.

    Die Symptome, die am Arbeitsplatz dominieren, ähneln also durchaus denen von Alkoholauffälligen. Die Cannabiskonsumierenden unterscheiden sich aber von diesen vor allem durch ihr Alter und dementsprechend eine kürzere Konsumhistorie, so dass sich typischerweise weniger verfestigte Konsummuster zeigen. Erfahrungsgemäß gelingt es diesen Beschäftigten wohl daher auch häufiger, als Konsequenz auf die betriebliche Intervention, das Cannabisrauchen umgehend einzustellen, was sich in nachfolgend durchwegs negativen Drogentests zeigt. Warum sie trotzdem häufig nach Ausbildungsabschluss das Unternehmen verließen, lässt sich aus den Erhebungen leider nicht feststellen.

    Die Auszubildenden unterliegen einem vergleichsweise intensiven Leistungsmonitoring. Performance-Einbrüche fallen daher schneller auf als bei den regulären Beschäftigten. So werden oftmals Auszubildende, bei denen ein Verdacht auf Drogenkonsum entstand, in die werksärztliche Abteilung zu Beratung geschickt, , wobei sich der Verdacht aber nicht bestätigte. Stattdessen fanden sich sehr unterschiedliche Ursachen von verändertem Verhalten: Anpassungsstörungen bei familiären oder Partnerkonflikten, Angststörungen, depressive Episoden, aber auch übermäßiger Computer-Gebrauch mit konsekutivem Schlafdefizit, Unzufriedenheit mit der Berufswahl oder eine Kombination von mehreren dieser Faktoren. Auch in diesen Konstellationen ist eine eingehende individuelle Beratung und gegebenenfalls Therapieanbahnung sinnvoll und erfolgversprechend.

    Was tun bei Auffälligkeiten im ­Betrieb?

    Wie in zahlreichen anderen Unternehmen hat sich auch bei der BASF eine von den betrieblichen Sozialpartnern gemeinsam erarbeitete Betriebsvereinbarung bewährt. Diese regelt das Vorgehen bei alkohol- und drogenauffälligen Mitarbeitern.

    Akute Auffälligkeiten

    Wenn ein Beschäftigter am Arbeitsplatz akut beeinträchtigt durch Drogen erscheint, soll die/der disziplinarische Vorgesetzte die betroffene Person umgehend darauf ansprechen und zu Überprüfung der Arbeitsfähigkeit in Begleitung eines weiteren Betriebsangehörigen in die ärztliche Abteilung schicken. Der betriebsärztliche Dienst führt ein Gespräch beziehungsweise untersucht den betroffenen Beschäftigten und veranlasst einen Alkohol-Atemtest und/oder einen Drogenschnelltest aus dem Urin. Bei positivem Alkometertest wird der Mitarbeiterin oder dem Mitarbeiter für den aktuellen Tag eine Arbeitsunfähigkeit bescheinigt und der Betrieb organisiert eine sichere Heimfahrt. Es folgen disziplinarische Konsequenzen nach einem festgelegten Stufenplan.

    Bei Drogennachweis im Urin ist die Sachlage komplizierter: Wenn der Drogenschnelltet aus dem Urin positiv ist, lässt sich leider nicht zuverlässig darauf schließen, dass die getestete Person zum aktuellen Zeitpunkt unter dem Einfluss dieser Droge steht. Der letzte Konsum kann, was Cannabis betrifft, im Extremfall bei einem ehemals hohen, regelmäßigen Gebrauch schon mehr als 4 Wochen zurückliegen. Im Screening werden nämlich nicht nur die psychoaktiv wirksamen Cannabinoide Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC) und das direkte Abbauprodukt THC-OH angezeigt, sondern auch die unwirksamen weiteren Abbauprodukte wie beispielsweise die Carbonsäure, die sich aufgrund der Lipophilie viele Wochen im Fettgewebe einlagern kann. Ein schon seit längerer Zeit negativer Test kann sogar bei Menschen, die Fettmasse abbauen, durch Freiwerden des gespeicherten THC wieder positiv werden. In diesem Fall findet man im Serum allerdings kein THC OH, da dieses hydrophil ist.

    So ist der Nachweis, dass eine psychoaktiv wirksame Droge auf den Menschen einwirkt, nur aus einer gaschromatographisch-massenspektrometrischen Untersuchung aus dem Blutserum zu führen, genauso wie das im Verkehrsstrafrecht gehandhabt wird. Daher erfolgt bei den im Urin positiv getesteten Beschäftigten mit ihrem Einverständnis eine Blutentnahme. Ein Fremdlabor liefert dann innerhalb von 1–2 Wochen das genaue quantitative Ergebnis, welche Drogen beziehungsweise Drogenabbauprodukte im Serum nachweisbar waren.

    Niedrige Drogenkonzentrationen im Organismus – und bei illegalen Drogen bewegen sich diese im Nanogrammbereich – bewirken oft keine deutlichen Auffälligkeiten. So kann bei einem unauffällig verlaufenden explorierenden Gespräch trotzdem nicht ausgeschlossen werden , dass zumindest leichtere Beeinträchtigungen vorliegen. Bei unauffällig erscheinenden Beschäftigten mit positivem Urinbefund wird bei der BASF daher in aller Regel gegenüber vorgesetzten Personen folgende Antwort auf die Frage nach der Arbeitsfähigkeit gegeben: „Eine Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit kann nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Daher empfehlen wir, diese Person am heutigen Tag nicht mit Fahr- und Steuertätigkeiten und nicht mit gefahrgeneigten Tätigkeiten zu beschäftigen. Eine Laboruntersuchung wurde in Auftrag gegeben, das Ergebnis liegt in 1–2 Wochen vor“. Nur wenn im Serum Delta-9-THC nachweisbar war, wird den Führungskräften im Nachgang mitgeteilt, dass der Beschäftigte gegen die betrieblichen Regeln gemäß der Betriebsvereinbarung verstoßen hat und an diesem Tag tatsächlich eingeschränkt arbeitsfähig war.

    Leider gibt es bei Cannabis bisher keine klaren Erkenntnisse und schon gar keinen allgemein anerkannten Grenzwert, ab welchem THC-Serumspiegel man von einer tatsächlichen Beeinträchtigung in den kognitiven Funktionen ausgehen kann. Bei Alkohol hat man sich im Verkehrsstrafrecht auf 0,3 beziehungsweise 0,5 Promille Alkohol im Blut festgelegt. 0,3 Promille entsprechen 283 Millionen Nanogramm Alkohol!

    Bislang wird im deutschen Verkehrsrecht bei 1–5 Nanogramm THC sanktioniert, auch wenn die Auswirkungen auf die Fahrsicherheit in Studien widersprüchliche Ergebnisse boten (Bates 1999). Sicher hat ein über Wochen zurückliegender Cannabiskonsum keine Auswirkungen mehr auf die Leistung, selbst wenn sich noch Spuren von THC im Körper finden lassen: Nach 16 Tagen Cannabisabstinenz war in einer Untersuchungsgruppe bei 30 % der Probanden noch THC im Blut nachweisbar (siehe Artikel von Bonnet in diesem Heft). Daher besteht Forschungsbedarf, welcher Grenzwert gerechtfertigt ist. Bislang wird sich bei der Beurteilung im Betrieb allerdings meist weiterhin an den Richtlinien im Verkehrsrecht orientiert.

    Länger bestehende Leistungseinbußen, die den Verdacht auf Drogenkonsum bedingen

    Beschäftigte können durch Anzeichen für eine akute Berauschtheit auffallen oder auch über Monate hinweg Verschlechterungen ihrer Leistung und Zuverlässigkeit zeigen, die den Verdacht auf einen Drogenkonsum erwecken. Entsprechend der Betriebsvereinbarung Suchtmittel bei der BASF führt die Führungskraft dann ein Gespräch mit der betreffenden Person, in dem die Auffälligkeiten benannt werden und auch der Verdacht geäußert wird, dass diese im Zusammenhang mit einem Drogenkonsum stehen könnten. Es werden die Erwartungen formuliert, inwiefern das Verhalten sich verändern muss, um den betrieblichen Erfordernissen wieder gerecht zu werden und es wird auf Unterstützungsangebote aufmerksam gemacht. Erst wenn mehrere dokumentierte Disziplinargespräche keine ausreichende Verbesserung bewirkt haben, wobei auch Sozialberatung und ärztliche Abteilung eingebunden werden, droht eine Kündigung. Dabei wird eine Wiedereinstellung nach erfolgreicher Therapie und Suchtmittelabstinenz innerhalb eines Jahres zugesichert. Einige Auszubildende mit Symptomen einer Drogenabhängigkeit haben schon eine Entwöhnungsbehandlung erfolgreich abgeschlossen und konnten anschließend das letzte Ausbildungsjahr wiederholen.

    Die Betriebsvereinbarung schützt insofern vor Arbeitsplatzverlust, als bei Kündigungsrelevanz der Verstöße gegen die betrieblichen Regeln (z. B. unentschuldigtes Fehlen) von Betroffenen oder dem Betriebsrat diese Fehler als krankheitsbedingt erklärt werden können. Durch Behandlung der Erkrankung, also durch Teilnahme an einer anerkannten Therapie, kann somit eine ansonsten mögliche Kündigung abgewendet werden.

    Sonderfall: Ärztlich verordnetes Cannabis

    Erst 1990 wurde das so genannte Endocannabinoidsystem des Körpers entdeckt. Die Rezeptoren finden sich als CB1-Rezeptoren im gesamten zentralen und peripheren Nervensystem und als CB2-Rezeptoren unter anderem auf den Zellen des Immunsystems. Daher ist die Wirkung der Cannabinoide äußerst vielfältig und auch noch nicht vollständig erforscht. Evidenz hinsichtlich einer Wirksamkeit ergibt sich unter anderem für eine Reduktion von Schmerz, Spastik, Übelkeit und bestimmte Formen epileptischer Anfälle. Bei anderen Indikationen wie der posttraumatischen Belastungsstörung oder dem Tourette-Syndrom sind die Studienergebnisse uneinheitlich (Hoch 2018).

    Seit März 2017 dürfen in Deutschland chronisch Schwerkranken auf Betäubungsmittelrezept medizinisches Cannabis verordnet bekommen (Höchstmenge: 100 g getrocknete Cannabisblüten pro Monat bzw. 1 g reiner Cannabisextrakt). Falls dies zu Lasten der Krankenkasse erfolgen soll, muss die Kostenzusage dort vorher beantragt werden. Obligatorisch ist dann auch die anonymisierte Erfassung in einer Begleitstudie. In der Auswertung dieser Studie zeigte sich, dass die mit 70 % häufigste Indikation für die Cannabisverordnung chronischer Schmerz war, bei 11 % erfolgte die Verordnung wegen Spastik zum Beispiel im Rahmen einer Multiplen Sklerose (Schmidt-Wolf 2019). Bei zahlreichen anderen Diagnosen wie beispielsweise ADHS oder posttraumatischer Belastungsstörung verweigern die Krankenkassen in der Regel die Kostenübernahme. Dann besteht allerdings die Möglichkeit, dass Cannabis auf Patientenkosten verordnet werden kann.

    Im Jahr 2019 wurden 6500 kg Cannabis von den Apotheken ausgegeben. In 30 % wurde diese Behandlung allerdings vor Ablauf eines Jahres wieder beendet (Deutscher Bundestag, März 2020). Bei einer Verordnung von 1 g/Tag entspräche das einer mit Medizinalcannabis versorgten Patientenanzahl von 17 800 Personen. Zum Vergleich: Die Verordnungsmenge von Opiaten ist ausreichend für die ganzjährige Therapie von 1,1 Mio. Menschen (Jahrbuch Sucht 2020).

    Die Verschreibung von Medizinalcannabis ist aus arbeitsrechtlicher Sicht eine legale Medikation. Genauso wie bei Opiaten, Antipsychotika, Antidepressiva und anderen Medikamenten auf Rezept besteht jedoch natürlich auch hier die Möglichkeit, dass die Einnahme Auswirkungen auf die kognitiven Leistungen hat (Hupfer 2017).

    Im Verkehrsrecht ist festgelegt, dass jede am Verkehr teilnehmende Person – insbesondere unter Einfluss von psychoaktiven Medikamenten – vor Fahrtantritt kritisch überprüfen muss, ob sie in der Lage ist, ihr Fahrzeug verantwortungsvoll zu führen. Während einer Medikamenteneindosierung wird vom Fahren abgeraten; wenn ein stabiler Wirkspiegel erreicht ist, kann die Befähigung jedoch durchaus vorliegen (Brunnauer 2014). So führen viele Opiat- und Cannabispatientinnen und -patienten eine ärztliche Bescheinigung über ihre Verordnung mit sich.

    Wenn sich im arbeitsmedizinischen Kontext die Frage nach der Eignung für bestimmte Tätigkeiten stellt, ergibt sich ganz unideologisch die Notwendigkeit der Einzelfallbetrachtung: Welche Gefährdungen bestehen an diesem Arbeitsplatz? Gibt es Hinweise auf eine Beeinträchtigung von Konzentration, Aufmerksamkeit, Gedächtnis oder Reaktionsgeschwindigkeit beim Beschäftigten? Was hätte das für Auswirkungen? Wie sieht das verordnete Konsummuster aus – nur vor
    und nach der Arbeit oder auch mittags?

    Falls Cannabis über Verdampfer inhaliert wird, ist bei der BASF festgelegt, dass mindestens in der folgenden Stunde nach Inhalation eine Arbeitspause eingelegt wird. Bis dahin hat sich die Blutkonzentration um drei Halbwertszeiten reduziert.

    Wird Cannabis inhaliert, sind die Wirkspiegel genauso wie bei zigarettenrauchenden Personen stark fluktuierend, was in der Eignungsbeurteilung berücksichtigt werden muss. So ist ein nur abendlicher Konsum deutlich unproblematischer zu sehen als ein zwei- oder dreimaliger Konsum pro Tag. Wenn Eignungszweifel nicht auszuräumen sind, kann eine testpsychologische Untersuchung zur Beurteilung herangezogen werden. Der betriebsärztliche Dienst der BASF hat in seiner Abteilung Eignungsdiagnostik ein bewährtes Tool am PC zusammengestellt.

    Fazit

    Cannabis ist eine psychoaktive Substanz, die weltweit stark verbreitet ist und im Hinblick auf die Konsumerfahrung nach Alkohol und Zigaretten an Platz 3 vor allen anderen Drogen steht. In Deutschland ist der Gebrauch vor allem im jungen Erwachsenenalter verbreitet. Ein sporadischer Konsum fällt in aller Regel nicht auf und erscheint ungefährlicher als Alkohol zu sein (Nutt 2010). Aber auch Cannabis kann zu körperlichen und psychischen Folgeerkrankungen und zur Abhängigkeit führen. Wenn sich Verdachtsmomente ergeben, dass ein Cannabiskonsum Ursache für eine Verschlechterung der Arbeitsleistung oder für sonstige Versäumnisse und Unzuverlässigkeiten ist, dann ist der Betrieb gefordert, analog den Regeln für Alkoholauffällige vorzugehen: Die Beschäftigten werden von der disziplinarischen Führungskraft mit den Arbeitsmängeln sowie dem Verdacht auf einen Zusammenhang mit vermutetem Drogenkonsum konfrontiert und bekommen die Gelegenheit, diesen Verdacht mit einem freiwilligen Drogentest auszuräumen und die vertraglich festgelegte Arbeitsleistung wieder angemessen zu erbringen. Es gelten im Grunde dieselben Regeln wie bei allen anderen suchtmittelbedingten Auffälligkeiten. Wenn Cannabis als Medikament verordnet wurde, ist in der Eignungsbeurteilung einzelfallbezogen: Der spezielle Arbeitsplatz, das Konsummuster und die Leistungsfähigkeit der Beschäftigten sind dabei zu berücksichtigen.▪

    Interessenkonflikt: Die Autorin gibt an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.

    Literatur

    Bates MN, Blakely TA: Role of Cannabis in motor vehicle crashes. Epidemiol Rev 1999; 21: 222–232.

    Brunnauer A, Widder B, Laux G: Grundlagen der Fahreignungsbeurteilung bei neurologischen und psychischen Erkrankungen. Nervenarzt 2014; 85: 805–810.

    Croissant B, Hupfer K, Löber S, Mann K, Zober A: Längsschnittuntersuchung alkoholauffälliger Mitarbeiter in einem Großbetrieb nach werksärztlicher Kurzintervention. Nervenarzt 2008; 79: 80–85.

    Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS): Jahrbuch Sucht 2020. Lengerich: DHS, 2020.

    Hoch E et al.: Cannabis: Potential und Risiko. Berlin: Springer, 2018.

    Hupfer K: Suchtprobleme und Unfallrisiken im Betrieb. In: Windemuth R et al. (Hrsg.): Psychische Faktoren als Unfallrisiken. Wiesbaden: Universum, 2017.

    Nutt DJ, King LA, Phillips LD, Independent Scientific Committee on Drugs: Drug harms in the UK: a multicriteria decision analysis. Lancet 2010; 376: 1558–1565.

    Schmidt-Wolf G: Begleiterhebung zur Anwendung von Cannabisarzneimitteln in Deutschland – Zwischenerhebung. Bundesgesundheitsblatt 2019; 845–855.

    Weitere Infos

    Deutscher Bundestag ­Drucksache 19/18292 (Versorgungssituation und Bedarf von medizinischem Cannabis), 19. Wahlperiode 23.03.2020
    https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/182/1918292.pdf

    Kontakt:

    Dr. med. Kristin Hupfer
    BASF SE Corporate Health Management, ESG/BN ; 67056 Ludwigshafen am Rhein

    Foto: privat

    Jetzt weiterlesen und profitieren.

    + ASU E-Paper-Ausgabe – jeden Monat neu
    + Kostenfreien Zugang zu unserem Online-Archiv
    + Exklusive Webinare zum Vorzugspreis

    Premium Mitgliedschaft

    2 Monate kostenlos testen