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Arbeit im Wandel

Psychische Belastung durch die Arbeit im Wandel?

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Chancen und Risiken für die Gestaltung

Mental stress due to work in transition?? Opportunities and Risks for Work Design

Arbeitswelt im Wandel

Die moderne Arbeitswelt unterliegt einem ständigen und tiefgreifenden Wandel, der durch verschiedene Treiber und Trends geprägt ist. Eine sich rasch verändernde Arbeitswelt fordert dabei Betriebe heraus, ihre Strukturen und Prozesse in immer kürzeren Intervallen an wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen anzupassen. Darüber hinaus macht sie es zwingend notwendig, kontinuierliche Veränderung bei der menschengerechten Gestaltung von Arbeit mitzudenken.

Älter werdende Belegschaften

Viele derzeit diskutierten Treiber und Trends des Wandels sind nicht neu. Dementsprechend ist der lange prognostizierte demografische Wandel in den Betrieben mittlerweile Realität geworden und stellt diese vor eine Doppelaufgabe: Einerseits müssen altersgerechte Arbeitsbedingungen geschaffen und die Potenziale älterer Beschäftigter rechtzeitig gefördert werden, um im Wettbewerb zu bestehen. So müssen Unternehmen zunehmend neue Strategien entwickeln, um auf die Bedürfnisse älterer Beschäftigter einzugehen und deren Potenzial optimal zu nutzen. Viele ältere Erwerbstätige blicken auf eine langjährige Berufserfahrung zurück und bringen wertvolles Wissen und Fähigkeiten mit sich. Durch anhaltend hohe Belastungen, die Kumulation von unterschiedlichen Anforderungen und die Notwendigkeit, sich immer wieder an Veränderungen anpassen zu müssen, steigt aber auch das Risiko von psychischen Beanspruchungsfolgen. Zudem müssen Betriebe neue Fachkräfte gewinnen und ausbilden sowie in immer diversere Teams integrieren.

Digitalisierung und neue Technologien

Ein weiterer zentraler Treiber des Wandels ist der rasante Fortschritt in der Technologieentwicklung. Neue Technologien wie künstliche Intelligenz, der Einsatz von Big Data oder virtueller Realität ermöglichen es Unternehmen, die Arbeitsprozesse effizienter zu gestalten. Dies kann dazu führen, dass bestimmte Aufgaben automatisiert werden können, was wiederum die Produktivität steigert und gleichzeitig die Notwendigkeit für manuelle, repetitive Tätigkeiten verringert. Insgesamt hat die Digitalisierung dazu geführt, dass sich die Arbeitswelt schneller verändert als je zuvor. Unternehmen müssen sich kontinuierlich anpassen und restrukturieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Dies bedeutet auch, dass bestehende Aufgaben stark verändert werden oder verloren gehen, während gleichzeitig neue Tätigkeiten und Anforderungen entstehen. Diese Dynamik kann Unsicherheit und Stress für Arbeitnehmende mit sich bringen. Die fortschreitende Digitalisierung verändert aber nicht nur die Art und Weise, wie Menschen arbeiten, sondern auch die Kommunikation und Zusammenarbeit am Arbeitsplatz. Digitale Kollaborationstools und Plattformen haben neue Möglichkeiten zur ortsflexiblen Zusammenarbeit geschaffen. Dies hat zur Entstehung neuer Arbeitsmodelle geführt, die einerseits mit größeren Flexibilitätsmöglichkeiten für Beschäftigte einhergehen, andererseits mit Entgrenzung und erhöhten Anforderungen.

Zunehmende Vernetzung und ­Globalisierung

Die Digitalisierung der Arbeitswelt hat darüber hinaus auch der Globalisierung einen erneuten Schub gegeben. Aufgrund des leichteren Zugangs zu globalen Märkten und des schnelleren Waren- und Dienstleistungsverkehrs können Unternehmen heute einfacher international tätig werden. Dies eröffnet neue Geschäftsmöglichkeiten, geht jedoch auch mit einigen Herausforderungen einher. Unternehmen müssen sich mit verschiedenen kulturellen, rechtlichen und logistischen Aspekten auseinandersetzen und nicht zuletzt über verschiedene Zeitzonen hinweg agieren, um in einem globalisierten Umfeld erfolgreich zu sein. Diese Veränderungen können zu erhöhtem Zeitdruck, längeren Arbeitszeiten und einer ständigen Erreichbarkeit führen, was erhöhte psychischen Belastung für Beschäftigte nach sich ziehen kann.

Übergang zur Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft

Schließlich ist auch die Transformation der Arbeitswelt hin zu einer Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft ein bereits länger währender Prozess. Die Entwicklungen im Zusammenhang mit der steigenden Bedeutung der Kreislaufwirtschaft sind noch nicht vollständig absehbar. Deutlich ist jedoch, dass wissensintensive Berufe wie etwa in der IT-Branche an Bedeutung gewinnen. Darüber hinaus verzeichnen interaktive Tätigkeiten – sei es im Verkauf, der Beratung oder der Fortbildung ein erhebliches Wachstum. Ein Großteil der Beschäftigten hat täglich direkten Kontakt zu Kundinnen und Kunden, Klientinnen und Klienten oder anderen externen Personen. Die Interaktionsarbeit geht dabei häufig mit unwegsamen
Situationen für Beschäftigte einher und fordert sie auch emotional heraus.

Aktuelle Veränderungen

Verstärkte Investitionen in digitale Geschäftsprozesse wie auch der Ausbau von Homeoffice und virtueller Zusammenarbeit während der COVID-19-Pandemie hat in den vergangenen Jahren die Arbeitswelt grundlegend verändert. Etwa die Hälfte der Beschäftigten in Deutschland arbeitet mindestens gelegentlich von zuhause (Entgelmeier u. Tisch 2023). Die hohen Flexibilitätsmöglichkeiten im Homeoffice werden von vielen Beschäftigten geschätzt und können entlastend wirken. Wichtig sind hierbei Vereinbarungen zur Ausgestaltung
der Arbeit von zuhause (➥ Abb. 1). Gleichzeitig stellen sie neue Ansprüche an die Selbstorganisation wie auch an die Zusammenarbeit. Dementsprechend werden Einarbeitungsprozesse, aber auch die Kommunikation zwischen Beschäftigten untereinander sowie mit Führungskräften erschwert. Es müssen hy­bride Lösungen gefunden werden, die die Vorteile der Ortsflexibilität mit der gemeinsamen Arbeit vor Ort im Betrieb vereinen und der Betrieb als sozialer Ort aktiv gefördert werden (Rat der Arbeitswelt 2022, s. „Weitere Infos“).

Schlüsselfaktoren für die Arbeits­gestaltung

Der Wandel der Arbeitswelt verändert nicht nur einzelne Arbeitsbedingungen, sondern häufig ganze Arbeitssysteme. Arbeitsbedingungen sind dabei selten einzeln zu betrachten, sondern treten meist in Kombination auf. Dies kann die Gestaltung von Arbeitssystemen komplex machen, da verschiedene Faktoren sich gegenseitig beeinflussen. Es erscheint deshalb sinnvoll, zuerst jene Arbeitsbedingungen zu betrachten, die besonders stark auch auf andere Arbeitsbedingungen wirken. Diese sogenannten Schlüsselfaktoren können sowohl als Stressor als auch als Ressource bei der Bewältigung von Anforderungen wirken. In einem großangelegten Projekt zur psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt wurden Arbeitsintensität, Arbeitszeiten, der Handlungsspielraum sowie die Art der Führung als besonders wichtige Faktoren identifiziert (Rothe et al. 2017).

Reduktion von Arbeitsintensität

Der Stressreport der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA 2020) zeigt, dass die Arbeitsintensität in Deutschland in den vergangenen Jahren konstant auf einem hohen Niveau liegt. Immer mehr Beschäftigte empfinden dies als belastend. Es kann davon ausgegangen werden, dass vor allem anhaltender Termin- und Leistungsdruck langfristig auch mit psychosomatischen Folgen einhergehen kann. Um den Druck auf Beschäftigte zu verringern, können Maßnahmen ergriffen werden, die entweder die verfügbare Arbeitszeit erhöhen oder die erforderliche Arbeitsmenge und -qualität reduzieren. Beispiele für solche Maßnahmen sind eine angemessene Personalbesetzung, die Einschränkung des Aufgabenbereichs (z. B. durch verringerte Zielvorgaben oder eine Reduzierung der zu betreuenden Kundinnen und Kunden oder Patientinnen und Patienten). Auch kann die Digitalisierung genutzt werden, um Prozesse zu optimieren sowie Doppelarbeit, unnötige Aufgaben (z. B. übermäßige Dokumentation) oder Informationsmängel zu vermeiden.

Arbeitszeiten: Flexibilitätsmöglichkeiten schaffen

Auch wenn überlange Arbeitszeiten in den vergangenen Jahren im Durchschnitt zurückgegangen sind und immer mehr Beschäftigte Einfluss auf ihre Arbeitszeiten nehmen können, werden an viele Beschäftigte dennoch hohe arbeitszeitbezogene Anforderungen gestellt. In einigen Branchen und Berufen sind atypische Arbeitszeiten am Abend, in der Nacht oder am Wochenende weit verbreitet. Einige Beschäftigte arbeiten auf Abruf oder haben das Gefühl, ständig erreichbar sein zu müssen. Auch wenn atypische Arbeitszeiten und Erreichbarkeit nicht vollständig vermieden werden können, tragen Mitbestimmung bei der eigenen Arbeitszeitgestaltung (z. B. bezüglich des Beginns und des Endes der Arbeitszeit, vgl. ➥ Abb. 2) sowie verlässliche Absprachen dazu bei, dass sich Beschäftigte besser erholen können. Gerade auch bei neuen, flexiblen Arbeitsformen hilft eine systematische Arbeitszeitdokumentation darüber hinaus, Entgrenzung vorzubeugen.

Abb. 2:  Einfluss auf Arbeitszeiten und ausgewählte psychosomatische Beschwerden. Daten: BAuA-Arbeitszeitbefragung 2021, eigene Darstellung

Abb. 2: Einfluss auf Arbeitszeiten und ausgewählte psychosomatische Beschwerden. Daten: BAuA-Arbeitszeitbefragung 2021, eigene Darstellung

Handlungsspielräume gewähren

Handlungsspielräume in Bezug auf die Arbeitszeitgestaltung können helfen, Anforderungen wie Termin- und Leistungsdruck besser zu bewältigen. Aber auch Handlungsspielräume bezüglich Arbeitsmenge und -inhalte sind förderlich für die psychische Gesundheit von Beschäftigten und tragen dazu bei, den stetigen Wandel besser zu bewältigen. Um geeignete Gestaltungsmaßnahmen zu identifizieren, sollten tätigkeits- und kontextspezifische Faktoren berücksichtigt werden. So ist gerade beim Einsatz von digitalen Technologien zu prüfen, inwiefern monotone, wiederkehrende Arbeitsabläufe verhindert und Handlungsspielräume geschaffen werden können (Tisch u. Wischniewski 2022).

Soziale Unterstützung durch ­Führungskräfte

Führungskräfte haben sowohl direkten als auch indirekten Einfluss auf das Wohlbefinden von Beschäftigten. So gestalten sie durch Führungspraktiken die Arbeitsbedingungen und nehmen aufgrund ihrer Vorbildfunktion eine zentrale Rolle bei der Bewältigung von sich ändernden Anforderungen ein. Besonders unter unsicheren und dynamischen Rahmenbedingungen können Führungskräfte ihren Teammitgliedern Unterstützung und gleichzeitig Spielraum für Flexibilität bieten. Dabei schränkt eine zu starke Mikromanagement-Kultur den Tätigkeitsspielraum ein. Transparente, offene Kommunikation hingegen trägt dazu bei, Unsicherheiten in den Belegschaften abzubauen. Durch das Vorleben von gesundheitsbewussten Verhalten (wie etwa dem Einhalten von Pausen- und Ruhezeiten) tragen sie insgesamt zu einer förderlichen Kultur bei.

Fazit

Die Arbeitswelt ist geprägt von einem kontinuierlichen und tiefgreifenden Wandel, der durch verschiedene Faktoren wie die Digitalisierung, demografische Veränderungen, Globalisierung und den Übergang zur Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft vorangetrieben wird. Diese Veränderungen stellen sowohl Unternehmen als auch Beschäftigte vor neue Herausforderungen und Chancen. Die psychische Gesundheit stellt eine wichtige Ressource dar, um den Herausforderungen des ständigen Wandels in der Arbeitswelt erfolgreich zu begegnen. Maßnahmen zur Förderung und zum Erhalt der psychischen Gesundheit tragen dazu bei, die Leistungsfähigkeit und Zufriedenheit der Beschäftigten zu erhalten. Die Berücksichtigung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz und die Implementierung geeigneter Maßnahmen zur Reduzierung von Stress und Überlastung sind entscheidend, um die Arbeitszufriedenheit und Leistungsfähigkeit der Mitarbeitenden zu erhalten. Dementsprechend sollte die Gefährdungsbeurteilung „Psychische Gesundheit“ einen festen Platz in Unternehmen einnehmen, um die psychische Gesundheit der Beschäftigten nachhaltig zu schützen und zu fördern (BAuA 2014).

Einige Schlüsselfaktoren der Arbeitsgestaltung, wie die Reduktion von Arbeitsintensität, die Schaffung von Flexibilitätsmöglichkeiten bei den Arbeitszeiten, die Gewährung von Handlungsspielräumen und die Unterstützung durch Führungskräfte, sind entscheidend, um die psychische Gesundheit der Beschäftigten zu fördern. Unternehmen sollten diese Faktoren deshalb gezielt in ihre Arbeitsgestaltung integrieren, um den Anforderungen der modernen Arbeitswelt gerecht zu werden.

Interessenkonflikt: Die Autorin gibt an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.

Literatur

BAuA (Hrsg.): Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung: Erfahrungen und Empfehlungen. 1. Aufl. Berlin: Erich Schmidt Verlag, 2014.

BAuA: Stressreport Deutschland 2019. Psychische Anforderungen, Ressourcen und Befinden, 1. Aufl. Dortmund: BAuA, 2020 (doi:10.21934/baua:bericht20191007).

Entgelmeier I, Tisch A: Arbeit von zuhause. In: BAuA (Hrsg.): Arbeitszeitreport Deutschland: Ergebnisse der BAuA-Arbeitszeitbefragung 2021. 2. Aufl. Dortmund: BAuA, 2023 (doi:10.21934/baua:bericht20230526).

Rothe I, Adolph L, Beermann B et al.: Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt – Wissenschaftliche Standortbestimmung. 1. Aufl. Dortmund: BAuA, 2017 (doi:10.21934/baua:bericht20170421).

Tisch A, Wischniewski S (Hrsg.): Sicherheit und Gesundheit in der digitalisierten Arbeitswelt. Kriterien für eine menschengerechte Gestaltung, 1. Aufl. Baden-Baden: Nomos, 2022.

doi:10.17147/asu-1-316841

Weitere Infos

Rat der Arbeitswelt: Der Betrieb als sozialer Ort. Entwicklungen. Herausforderungen. Empfehlungen. Ein Positionspapier (2022)
https://www.arbeitswelt-portal.de/arbeitsweltbericht/betrieb-als-sozial…

Kernaussagen

  • Die Arbeitswelt befindet sich in einem ständigen Wandel, der durch verschiedene Faktoren wie neue Technologien, demografische Veränderungen, Globalisierung und den Übergang zur Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft geprägt ist.
  • Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen Betriebe sich an diese Veränderungen anpassen, ihre Strukturen und Prozesse kontinuierlich verbessern und dabei auch die menschengerechte Gestaltung der Arbeit im Blick haben.
  • Insbesondere der rasante Fortschritt in der Technologieentwicklung hat das Potenzial, Arbeitsprozesse effizienter zu machen, geht aber häufig auch mit Unsicherheiten und Stress für Beschäftigte einher.
  • Die Reduktion von Arbeitsintensität, die Schaffung von Flexibilitätsmöglichkeiten bei den Arbeitszeiten, die Gewährung von Handlungsspielräumen und die Unterstützung durch Führungskräfte sind entscheidende Faktoren, um die psychische Gesundheit der Beschäftigten in der sich wandelnden Arbeitswelt zu fördern.
  • Kontakt

    Prof. Dr. Anita Tisch
    Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin; Friedrich-Henkel-Weg 1–25; 44149 Dortmund

    Foto: Fotoagentur FOX/Uwe Voelkner

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