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Untersuchung des Sehvermögens unter arbeitsmedizinischen Belangen

Der sachgerechten Untersuchung des Seh-vermögens durch Betriebsärzte kommt eine zunehmende Bedeutung zu. Hierbei sind neben den berufsgenossenschaftlichen Grundsätzen zu Fragen der Eignung wie bei Fahr-, Steuer- und Überwachungstätigkeiten auch solche zum Schutze des Arbeitnehmers wie bei der Untersuchung zur Arbeit an Bild-schirmarbeitsplätzen oder bei Arbeiten an gefährlichen Arbeitsplätzen zu nennen.

Im Gegensatz zur Untersuchung beim Augenarzt findet die arbeitsmedizinische Untersuchung nicht selten an wechselnden Orten statt oder in Räumen, die im Wesentlichen auch oder vordringlich anderen Untersuchungen dienen. Da besonders bei der komplexen Bestimmung des Sehvermögens reproduzierbare Prüfbedingungen vorausgesetzt werden müssen, wird hier häufig eine Untersuchung mit Hilfe von Sehtest-geräten durchgeführt.

Sehschärfe

Als ein wesentlicher Parameter des Sehvermögens wird grundsätzlich die Sehschärfe geprüft. Hierunter versteht man das Auflösungsvermögen des Auges, zwei dicht bei-einander liegende Punkte voneinander zu unterscheiden. Auf Landoltringe übertragen bedeutet dies, die Lücke des Ringes zu lokalisieren. In DIN 58220 sind die Untersuchungsbedingungen eindeutig und klar geregelt, neben Kontrast und Beleuchtung kommt es insbesondere auf die Benutzung von Landoltringen als Prüfzeichen an, die in 8 Richtungen zu präsentieren sind (DIN 2013). Für jede der logarithmisch abgestuften Visusstufen mit einer Visuszunahme von 25 % von Stufe zu Stufe sind mindestens 5 Darbietungen der Landoltringe erforderlich, mindestens 3 müssen richtig erkannt werden. Von diesem Wert von 60 % richtigen Antworten muss die Ratewahrscheinlichkeit von 12,5 % abgezogen werden, so dass die Schwelle letztlich bei ca. 50 % richtig erkannten Sehzeichen liegt. In diesem Bereich der Antwortkurve kann die Sehschärfe am genauesten bestimmt werden. Mathematisch gesehen liegt hier im Wendepunkt der am steilsten verlaufende Kurvenabschnitt zwischen 100 % richtigen Antworten und reinem Raten mit 12,5 % richtig geratenen Antworten. Da für diese Prüfmethode 40 % falsche Antworten gegeben werden dürfen, ist es unumgänglich, dass für jede Darbietung auch eine Antwort gegeben und auch geraten werden darf („forced choice“ Technik). Da manche Prüflinge es nicht gewohnt sind, einfach darauf los zu raten. muss dies nicht selten mühsam eingefordert werden (Rohrschneider 2012). Die Prüfung hat dar-über hinaus sowohl ein- als auch beidäugig zu erfolgen.

Da für die Prüfung der Sehschärfe für die Ferne nicht immer mindestens 4 Meter freier Raum mit Verdunklungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, wird diePrüfung meist mit einem Sehtestgerät durchgeführt, bei dem dieser Abstand durch Linsen simuliert wird. Besonders bei jüngeren Untersuchten kann eine unwillkürliche Geräteakkommodation zu erheblichen Fehlern, einer nicht vorhandenen Kurzsichtigkeit führen: da be-reits eine unkorrigierte Fehlsichtigkeit von 0,5 Dioptrien zu einer Halbierung der Sehschärfe führen kann, kann dieser Fehler im Einzelfall eine wesentliche Rolle spielen.

Gesichtsfeld

Das Gesichtsfeld stellt das dreidimensionale Feld dar, aus dessen Richtungen im Geradeausblick bei unbewegtem Kopf op-tische Reize wahrgenommen werden. Es ist insbesondere für die Orientierung in fremder Umgebung wie im Straßenverkehr von erheblicher Bedeutung und stellt zusammen mit der Sehschärfe einen weiteren wichtigen Teilaspekt des Sehvermögens dar. Dennoch ist die Untersuchung des Gesichtsfeldes häufig Augenärzten vorbehalten: zum einen ist die Untersuchung an spezielle Ge-räte gekoppelt und die Beurteilung von Gesichtsfeldausfällen erfordert augenärztliches Wissen und die Kenntnis der sonstigen augenärztlichen Befunde. Zum anderen sind isolierte Gesichtsfeldausfälle sehr selten, so dass gleichzeitig andere Störungen des Sehvermögens vorliegen können.

Man unterscheidet die klassische kinetische Perimetrie mit dem Goldmann-Perimeter als dem unveränderten Goldstandard für die augenärztliche Begutachtung und die computergestützte, automatisch ablaufende, statische Perimetrie. Letztere ist im augenärztlichen Alltag der Standard, hierbei wird häufig nur das zentrale 30-Grad Gesichtsfeld untersucht. Allerdings ist ge-rade bei Beurteilungen im Arbeitsleben oder auch bei Eignungsprüfungen das gesamte, nach schläfenwärts bis über 90 Grad reichende Gesichtsfeld wesentlich und eine manuell-kinetische Perimetrie im Zweifel unerlässlich. Deshalb reichen die Routinebefunde des Augenarztes z. B. bei Glaukompatienten nicht aus, um Begutachtungsfragen zu beantworten.

Bei Hinweisen auf Gesichtsfeldausfälle ist im berufsgenossenschaftlichen Grundsatz G 25 eine Perimetrie am Halbkugelperi-meter gefordert. Lediglich bei der Fahreignungsbegutachtung ist seit einigen Jahren für Klasse C, D, E und Personenbeförderung grundsätzlich auch eine Gesichtsfelduntersuchung am Halbkugelperimeter auch für Arbeits- und Betriebsmediziner unbedingt erforderlich.

Stereosehen

Das räumliche Sehvermögen spielt vor allem bei feinmanuellen Tätigkeiten eine Rolle, dar-über hinaus sind Arbeiter mit reduziertem Stereosehen häufiger in Arbeitsunfälle verwickelt. Die Prüfung des räumlichen Sehvermögens erfolgt meist mit Testtafeln, auf denen Objekte querdisparat für beide Augen getrennt abgebildet sind.

Die Erkennung sehr kleiner Schielwin-kel unter 5° („Mikrostrabismus“) gelingt oft nicht mittels Titmus-Test, da größere flächige Objekte, wie Ringe oder Tiere noch räumlich erkannt werden können. Demgegenüber müssen im Lang-Test eine Viel-zahl kleinster zufallsverteilter Punkte beid-äugig verrechnet und als querdisparat erkannt werden. Dies können Patienten mit einem Mikrostrabismus zumeist nicht, so dass dieser Screeningtest zu 90 % schon im Kindesalter einen Mikrostrabismus ausschließen kann. Die Bildtrennung für beide Augen wird durch ein System feiner parallel angeordneter Halbzylinder ermöglicht. Damit ist die Prüfung ohne eine zusätzliche Polarisationsbrille möglich. Wesentlich beim Benutzen des Lang-Tests ist allerdings, dass die Testtafel unbewegt in definiertem Abstand dargeboten wird. Das Wackeln der Tafel lässt die Testobjekte hin und her springen, so dass sie auch ohne Stereosehen erkannt werden können. Grundsätzlich sind solche Tests nach entsprechender Trennung der Bildeindrücke beider Augen auch in den Sehtestgeräten realisiert. Infolge der exakt definierten optischen Prüfbedingungen ist hier sogar eine höhere Sensitivität denkbar.

Farbensehen

Etwa 8 % aller Männer haben eine x-chromo-somale Rot-Grün-Störung. Bei 6 % liegt eine leichte Farbschwäche (Prot- oder Deuter-anomalie) vor, bei lediglich 2 % fehlt der mittelwellige Zapfentyp (Deuteranopie) oder der langwellige, rote Zapfentyp (Protanopie). Bei letzterem wird selbst ein intensiv leuchtendes Rot nur als dunkles Braunrot wahrgenommen, was z. B. bei der Erkennung von Warnlichtern (z. B.Rücklichter von Auto-mobilen) wichtig ist. Daher ist von augenärztlicher Seite nicht nachvollziehbar, dass nach der letzten Änderung der Fahrerlaubnisverordnung selbst ein Protanoper den Busführerschein der Klasse D erwerben darf. Allerdings schließt der Grundsatz G 25 eine solche berufliche Tätigkeit bei einer starken Rotschwäche (Anomalquotienten unter 0,5) und bei Protanopen weiterhin unverändert aus. Auch in zahlreichen anderen Berufen ist aus Sicherheitsgründen oder bei Beurteilung unterschiedlicher Farbschattierungen ein normales Farbunterscheidungsvermö-gen erforderlich, z. B. bei Elektronikern.

Die Feststellung einer angeborenen Farb-sinnstörung gelingt mittels pseudoisochro-matischer Tafeln wie z. B. nach Ishihara recht sicher. Dabei ist jedoch keine Abgrenzung zwischen den verschiedenen Formen der Farbsinnstörung möglich, auch sind diese Tafeln lediglich zur Aufdeckung angeborener Rot-Grün-Störungen entsprechend der zugrundeliegenden Verwechslungslinien im Farbdreieck konzipiert. Wichtig ist eine korrekte Beleuchtung entsprechend Tageslicht oder der Normlichtart D 65 sowie die exakte Einhaltung des Untersuchungsabstandes von 75 cm, da auch der Winkel, unter dem die Farben wahrgenommen werden, für das Erkennen eine Rolle spielt. Durch mehrere verschiedene Tafeln entsprechend der unter-schiedlichen Verwechslungslinien wird eine ausreichende Sensitivität zur Erkennung ei-ner Farbsinnstörung erreicht. Aus diesem Grund sind bei unterschiedlichen Fahrtätigkeiten sogar zwei verschiedene Tafelwerke zu benutzen.

Die exakte Diagnose einer angeborenen Farbsinnstörung ist aber ausschließlich am Anomaloskop möglich. Nur hiermit kann sicher zwischen Anomalien und Anopien und zwischen Proto- und Deuterostörungen differenziert werden. Diese nicht einfache Untersuchung sollte Augenärzten vorgehalten bleiben.

Inzwischen werden verschiedene Farbtests auch am Computer und im Internet an-geboten, hierbei ist allerdings eine Überprüfung der Farbskalierung des Monitors erforderlich. Demgegenüber ist das Einblenden solcher Tafeln in Sehtestgeräten problemlos möglich und wird inzwischen häufig ange-boten.

Dämmerungssehen / Kontrastsehen

Obwohl ein gestörtes Kontrastsehen gerade bei Vorliegen einer Sehbehinderung zu den wesentlichen Problemen gehört, ist die Untersuchung des Dämmerungssehens oder des Kontrastsehvermögens und der Blendempfindlichkeit erst seit der Änderung der Fahrerlaubnisverordnung im Jahre 2011 auch für die Klassen A, B etc. gesetzlich vor-geschrieben, sobald der Sehtest nicht bestanden wird. Für die höheren Führerscheinklasen (C, D, E etc.) wird eine Untersuchung des Kontrastsehens auch durch Betriebsmediziner oder Arbeitsmediziner gefordert.

Die Untersuchung des Dämmerungssehens und der Blendempfindlichkeit erfolgte seit Jahrzehnten insbesondere durch Augenärzte mit speziellen Einblickgeräten, wobei lediglich das Mesotest der Fa. Oculus und das Nyktometer der Fa. Rodenstock von der DOG als standardisierte Prüfgeräte zugelassen sind. Da diese Prüfung auch nach dem Grundsatz G 25 gefordert wird, benutzen auch Arbeits- und Betriebsmediziner größerer Unternehmen diese. Hierbei ist für Neubewerber der Klasse C die Kontraststufe 1:2,7 und für Inhaber die Stufe 1:5 zu fordern. In der Fahrerlaubnis-Verordnung sind die Grenzen milder: bei Klasse D 1:2,7, bei Klasse C 1:5 und bei Klasse B 1:23.

Zur Prüfung des Kontrastsehens unter Tageslichtbedingungen (photopisches Kontrastsehen) existieren bisher keine validierten Prüfmethoden. Allerdings sind alters-gerechte Normwerte für die Pelli-Robson-Tafeln und die MARS-Tafeln vorhanden. Diese können ohne Probleme in die bisher benutzten Sehtestgeräte integriert werden. Für die Prüfung im freien Raum haben sich die nur DIN A4 großen MARS-Tafeln be-währt, die auch mit einfachen Beleuchtungsmöglichkeiten korrekt und homogen ausgeleuchtet werden können. Daher erscheinen MARS-Tafeln als erste Wahl für Arbeits- und Betriebsmediziner, sofern sie nicht über anerkannte Geräte verfügen (DOG BVA 2013). Dagegen sollte für eine korrekte Benutzung der deutlich größeren Pelli-Robson-Tafeln ein Lichtkasten vorhanden sein, der eine gleichmäßige Beleuchtung gewährleistet (Durst et al. 2013).

Beurteilung des Sehvermögens

Insgesamt ist bei der Beurteilung des Sehvermögens zu beachten, dass die in der Regel quantitativen Ergebnisse eine fälschlich hohe Genauigkeit vortäuschen können. So sind z. B. bei der Sehschärfeprüfung trotz standardisierter Untersuchungsbedingungen und mit motivierten Normalpersonen bei Wiederholung am selben Tag Schwankungen um 2 oder 3 Visusstufen möglich. Darüber hinaus sind die Grenzwerte für viele berufliche Tätigkeiten nicht durch Untersuchungen oder statistisch belegte Unfallzahlen begründet. Dies wird auch neuerdings in der Fahrerlaubnis-Verordnung berücksich-tigt: für Klasse B kann die scharfe Sehschärfengrenze von 0,5 unterschritten werden, wenn die sonstigen Befunde beim Dämmerungssehvermögen und der Gesichtsfeld-prüfung normal sind. Aus der Rehabilitation Sehbehinderter weiß man, dass selbst bei erheblicher Einschränkung des Sehvermögens bestimmte handwerkliche Berufe gut ausgeübt werden können, sofern eine adäquate Arbeitsplatzausstattung besteht. Vor allem Bildschirmtätigkeiten haben in den letzten Jahrzehnten eine berufliche Rehabilitation selbst hochgradig Sehbehinderter ermöglicht. Auch wird nicht selten verkannt, dass selbst bei hochgradiger Sehschärfeminderung durch ein freies Gesichtsfeld eine freie Orientierung gewährleistet ist und dementsprechend bestimmte Tätigkeiten wie z. B. als Gärtner selbst bei gesetzlicher Blindheit nicht prinzipiell ausgeschlossen sind. 

Literatur

DIN Deutsches Institut für Normung e.V. (2013) DIN-Taschenbuch 177. Augenoptik, 5. Auflage, Beuth Verlag GmbH, Berlin, Wien, Zürich

DOG BVA (2013) Fahreignungsbegutachtung für den Straßenverkehr 2013. Empfehlung der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) und des Berufsverbandes der Augenärzte Deutschlands (BVA)

Durst W, Wilhelm B, Wilhelm H (2013) Bestim-mung des Kontrastsehens mit der MARS-Tafel – bei welcher Beleuchtung? Klin Monatsbl Augen-heilkd 230: 932–936

Rohrschneider K (2012) Begutachtung im Schwer-behindertenrecht und sozialen Entschädigungs-recht. In: Lachenmayr B (Hrsg) Begutachtung in der Augenheilkunde, 2. Aufl. Springer, Heidelberg, Berlin, 257–275

Sattler C, Kaiser J (1931) Berufswahl und Auge, F. Enke, Stuttgart

Schmidtke H, Schober H (1967) Sehanforderungen bei der Arbeit, A.W.Gentner Verlag, Stuttgart

    Autor

    Prof. Dr. med. Klaus Rohrschneider

    Ophthalmologische Rehabilitation

    Universitäts-Augenklinik Heidelberg

    Im Neuenheimer Feld 400

    69120 Heidelberg

    kr@uni-hd.de

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