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Studie zur Umsetzung und Akzeptanz des SARS-CoV-2 Arbeitsschutzstandards und der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel für einen erfolgreichen Infektionsschutz im Unternehmen

S. Casjens

T. Behrens

T. Brüning

D. Taeger

(eingegangen am 22.06.2021, angenommen am 27.07.2021)

Study of the implementation and acceptance of the SARS-CoV-2 occupational safety and health standard and the SARS-CoV-2 occupational safety and health rules for successful infection control in companies

Objectives: This study is intended to provide insights into the real-life implementation of SARS-CoV-2-related occupational safety and health (OSH) measures in German companies. It should also help to identify possible perspectives for further measures to improve the approach of the German accident insurance institutions in comparable situations and to reduce the burden on employees.

Methods: Between December 2020 and May 2021, we conducted an online survey on the implementation of SARS-CoV-2 OSH measures. With the help of various German Social Accident Insurance Institutions, we recruited 344 OSH professionals and 92 other people with OSH responsibility from the public sector, industrial, financial, retail and local public transport sectors, and analysed their responses.

Results: Most OSH professionals are familiar with SARS-CoV-2 OSH standards, SARS-CoV-2 OSH rules and sector-specific supplements. In only very rare exceptions (1 %) were the employees not informed of preventive and occupational safety measures that had been initiated. Sector-specific differences were particularly evident in contact reduction measures and the stockholding of protective equipment. The increase in mobile working and the greater use of digital communication media were cited as major long-term consequences of the pandemic on future work types.

Conclusions: This study confirms that the importance of occupational and infection protection has increased in the SARS-CoV-2 pandemic. Many companies took infection control measures early in the pandemic.

Keywords: coronavirus – COVID-19 – SARS-CoV-2 pandemic – preventive measures – occupational safety and health professionals

ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2021; 56: 638–643

Studie zur Umsetzung und Akzeptanz des SARS-CoV-2-
Arbeitsschutzstandards und der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel für einen erfolgreichen Infektionsschutz
im Unternehmen

Zielstellung: Diese Studie soll einen Einblick in die reale Umsetzung der SARS-CoV-2-bedingten Arbeitsschutzmaßnahmen in deutschen Unternehmen geben und mögliche Perspektiven für weiterführende Maßnahmen aufzuzeigen, um das Vorgehen der Unfallversicherungsträger in vergleichbaren Situationen zu verbessern und die Belastung der Beschäftigten zu verringern.

Methoden: Zwischen Dezember 2020 und Mai 2021 wurde eine Online-Befragung zur Umsetzung der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzmaßnahmen durchgeführt. Mit Hilfe verschiedener Berufsgenossenschaften und Unfallkassen konnten 344 Fachkräfte für Arbeitssicherheit und 92 weitere mit dem Arbeitsschutz betraute Personen aus den Branchen Industrie, öffentlicher Dienst, Finanzsektor, Einzelhandel und Öffentlicher Personennahverkehr rekrutiert und deren Angaben analysiert werden.

Ergebnisse: SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandards, SARS-CoV-2-Arbeitsschutzsregel und branchenspezifische Ergänzungen sind den meisten Arbeitsschutzexperten bekannt. In nur sehr seltenen Ausnahmen (1 %) wurden die Beschäftigten nicht zu eingeleiteten Präventions- und Arbeitsschutzmaßnahmen informiert. Branchenspezifische Unterscheide zeigten sich insbesondere bei den Maßnahmen zur Kontaktreduktion sowie der Vorratshaltung von Schutzausrüstung. Die Zunahme der mobilen Arbeit und die vermehrte Nutzung digitaler Kommunikationsmedien wurden als wesentliche langfristige Konsequenzen der Pandemie auf die zukünftige Arbeitsform genannt.

Schlussfolgerung: Diese Studie bestätigt, dass der Stellenwert des Arbeits- und Infektionsschutz in der SARS-CoV-2-Pandemie zugenommen hat. Viele Betriebe ergriffen bereits in der frühen Phase der Pandemie Maßnahmen zum Infektionsschutz.

Schlüsselwörter: Coronavirus – COVID-19 – SARS-CoV-2-Pandemie – Präventionsmaßnahmen – Fachkräfte für Arbeitssicherheit

Einleitung und Zielstellung

Das neuartige SARS-CoV-2 Virus breitet sich seit Ende 2019 weltweit aus. Die erste Infektionswelle traf Deutschland im Frühjahr 2020 und stellte Beschäftigte und Unternehmen vor neue Herausforderungen. In Deutschland ist der Arbeitsschutz in einem dualen System geregelt. Zum einen erlassen Bund und Länder Gesetze, die durch Verordnungen konkretisiert und durch Technische Regeln spezifiziert werden. Die zweite Säule stellen gemäß des Sozialgesetzbuchs VII die Unfallversicherungsträger dar. Sie stellen bei der Wahrnehmung ihrer Pflichten im Bereich Sicherheit und Gesundheit Regeln und Grundsätze zur Unterstützung der Unternehmen und Versicherten auf. In diesem Kontext veröffentlichte am 16.04.2020 das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) mit Unterstützung der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) den SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard (Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2020). Die notwendigen zeitlich befristeten Arbeitsschutzmaßnahmen wurden erstmalig im August 2020 in der von den Arbeitsschutzausschüssen beim BMAS gemeinsam entwickelten SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel konkretisiert (Bundesministerium für Arbeit und Soziales und Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin 2020). Gemeinsam mit den branchenspezifischen Ergänzungen der DGUV, Berufsgenossenschaften (BG) und Unfallversicherungsträger trugen diese dazu bei, den Infektionsschutz in Unternehmen zu regeln und Beschäftigte in den Betrieben wirksam vor dem Coronavirus zu schützen (Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung 2020). Für die Umsetzung des SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandards ist der Arbeitgeber verantwortlich, jedoch stellt er kein verbindliches Gesetz dar. Im Gegensatz dazu handelt es sich bei der im Januar 2021 beschlossenen SARS-CoV-2-Arbeitschutzverordnung um eine verbindliche Rechtsvorschrift.

Auch nach über einem Jahr der Pandemie haben Sicherheit und Gesundheitsschutz oberste Priorität und der Arbeitsschutz spielt weiterhin eine zentrale Rolle. Um einen Einblick in die Umsetzung der SARS-CoV-2-bedingten Arbeitsschutzmaßnahmen in deutschen Unternehmen zu erhalten, haben wir inmitten der zweiten Welle im Dezember 2020 eine Online-Befragung unter Fachkräften für Arbeitssicherheit (Sifa) und weiteren Personen, die mit dem Arbeitsschutz in den Betrieben und Einrichtungen betraut sind, initiiert. Die Studienergebnisse sollen helfen, mögliche Perspektiven für weiterführende Maßnahmen aufzuzeigen, um das Vorgehen der Unfallversicherungsträger in vergleichbaren Situationen zu verbessern und die Belastung der Beschäftigten in einer solchen Extremsituation zu verringern.

Methoden

Die Online-Umfrage startete zu Beginn der zweiten Welle und endete im Frühjahr 2021 (7. Dezember 2020 bis 19. Mai 2021). Die Teilnehmenden wurden mit Hilfe der eingebundenen Berufsgenossenschaften (BG Handel und Warenlogistik, BG Rohstoffe und chemische Industrie, Verwaltungs-BG) und der Unfallkasse Hessen rekrutiert, indem die Sifa oder entsprechende Personen der jeweiligen Betriebe durch die BG-Aufsichtsperson auf eine Projektteilnahme hingewiesen wurden. Des Weiteren wurde die Rekrutierung durch den VDSI – Verband für Sicherheit, Gesundheit und Umweltschutz bei der Arbeit e.V. unterstützt. Die Teilnehmenden wurden aus den Branchen Industrie, öffentlicher Dienst, Finanzsektor, Einzelhandel und Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) rekrutiert und anonym zu folgenden Themen befragt: Funktion des/der Befragten im Betrieb, Betriebscharakteristika (Größe, Branchenzugehörigkeit), eingeleitete Präventionsmaßnahmen basierend auf SARS-CoV-2-
Arbeitsschutzstandards und SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel, technische Umrüstungen im Betrieb etwa für mobiles Arbeiten, Angebot von persönlicher Schutzausrüstung (PSA) für die Beschäftigten, langfristige Konsequenzen der SARS-CoV-2-Pandemie auf Pandemiepläne und Präventionsmaßnahmen. Die Befragung wurde in Kooperation mit dem Institut für Arbeit und Gesundheit der DGUV (IAG) durchgeführt. Die erforderlichen datenschutzrechtlichen Anforderungen wurden durch den für das IPA zuständigen Datenschutzbeauftragten geprüft. Für die Studie liegt ein positives Votum der Ethik-Kommission der Ruhr-Universität Bochum vor (Registrier-Nr. 20-7072).

Zur Deskription der Ergebnisse werden Häufigkeiten und Prozente angegeben. Mittels Chi²-Test oder bei zu kleinen erwarteten Häufigkeiten alternativ mit Hilfe des Exakten Test nach Fisher wird geprüft, ob Abhängigkeiten zwischen zwei kategorialen Merkmalen bestehen. Die Daten wurden mithilfe des Statistikprogramms SAS Version 9.4 (SAS Institute Inc., Cary, NC, USA) analysiert.

Ergebnisse

Beschreibung der Studienpopulation

Insgesamt konnten die Angaben von 436 Teilnehmenden aus den genannten Branchen analysiert werden (➥ Tabelle 1). Darunter waren 344 Sifa, 23 Sicherheitsbeauftragte, 29 Betriebs- oder Personalratsmitglieder, 33 Führungskräfte und 30 weitere mit dem Arbeitsschutz betraute Personen. Die Teilnehmenden stammten hauptsächlich aus großen (≥ 250 Beschäftigte) und mittleren Betrieben und Einrichtungen (50–249 Beschäftigte). In 58 % der Betriebe gab es einen betriebsärztlichen Dienst, wobei der Anteil mit zunehmender Beschäftigtenzahl stieg (≥ 250 Beschäftigte 72 %, 50–249 Beschäftigte, 22 %, < 50 Beschäftigte 6 %, pχ2 = 0,009). In 69 % der Betriebe wurde den Beschäftigten eine arbeitsmedizinische Beratung angeboten und in 77 % der Betriebe erhielten Beschäftigte aus Risikogruppen ein Angebot zu individuellen Schutzmaßnahmen. Mit zunehmender Betriebsgröße waren diese Angebote häufiger (pχ2 < 0,001). Personen einer Risikogruppe erhielten insbesondere im Öffentlichen Dienst (91 %) und im Einzelhandel (87 %) individuelle Schutzmaßnahmen. Die meisten Betriebe reagierten bereits früh auf die SARS-CoV-2-Pandemie. Ein Pandemieplan bestand in 35 % aller Betriebe bereits vor der SARS-CoV-2-Pandemie und am häufigsten im ÖPNV (64 %) und im Finanzsektor (52 %). In den meisten Betrieben wurden bestehende Pandemiepläne überarbeitet oder neu eingeführt, so dass in 87 % der Betriebe zum Zeitpunkt der Befragung ein Pandemieplan vorlag. Im Öffentlichen Dienst lag etwas seltener ein Pandemieplan vor (75 %), und die Beschäftigten wurden auch weniger häufig über diesen informiert als in den anderen Branchen (81 % vs. 93 %, pχ2 = 0,002).

Sowohl die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandards als auch die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzsregel waren nahezu allen Teilnehmenden bekannt (97 %). Die branchenspezifischen Ergänzungen kannten etwas weniger Teilnehmende (78 %). Bevorzugte Informationsquellen waren die DGUV, die zuständige BG beziehungsweise Unfallkasse, das BMAS und die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA). Im Einzelhandel sowie im ÖPNV diente auch das Gesundheitsamt vermehrt als Informationsquelle. Die BG-Aufsichtspersonen spielten eine untergeordnete Rolle. Gut die Hälfte der Teilnehmenden (51 %) hatte seit Pandemiebeginn Kontakt zu der für sie zuständigen Aufsichtsperson. Die untersuchten Branchen unterschieden sich diesbezüglich nicht.

Im Allgemeinen waren Sifa besser informiert als die anderen Teilnehmenden. In Betrieben mit Sifa lag häufiger bereits vor der SARS-CoV-2-Pandemie ein Pandemieplan vor (38 % vs. 25 %, pχ2 = 0,002) und die Betriebe reagierten bereits häufiger vor dem ersten Lockdown auf die SARS-CoV-2-Pandemie (72 % vs. 55 %, pχ2 = 0,002).
Des Weiteren kannten Sifa häufiger die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandards (99 % vs. 89 %, pFisher <0,001), SARS-CoV-2-Arbeitsschutzsregel (99 % vs. 90 %, pFisher < 0,001) und insbesondere die branchenspezifischen Ergänzungen (83 % vs. 59 %, pFisher < 0,001). Allerdings stammten ausgebildete Sifa am häufigsten aus großen Betrieben (84 %). Der Bekanntheitsgrad der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzsstandards, -Arbeitsschutzregel und der branchenspezifischen Ergänzungen unterschied sich hingegen nicht zwischen den Teilnehmenden aus Betrieben unterschiedlicher Größe.

Eingeleitete SARS-CoV-2-bedingte Präventionsmaßnahmen

➥ Tabelle 2 zeigt die eingeleiteten personenbezogenen und organisatorischen Präventions- und Arbeitsschutzmaßnahmen zur Eindämmung von SARS-CoV-2. In nahezu allen Betrieben wurden die Beschäftigten zur Einhaltung der Maßnahmen informiert und unterwiesen. Die eingeleiteten Maßnahmen zur Kontaktreduktion waren häufig branchenabhängig verschieden. Generell waren die Reduzierung der Personenzahl im Betrieb durch Regelungen zum mobilen Arbeiten (92 %), die Einführung technischer Alternativen zu Präsenzveranstaltungen (95 %) und das Anbringen von Trenn- und Spuckschutzscheiben (92 %) die am häufigsten genannten Maßnahmen. Im Einzelhandel konnte mobiles Arbeiten (80 %) und der Ersatz von Präsenzveranstaltungen (87 %) seltener umgesetzt werden. In der Industrie wurden häufiger versetzte Pausenzeiten (91 %), feste Personengruppen je Schicht (82 %) und geänderte Schichtwechsel (82 %) angewandt und im Finanzsektor die Trennung von Abteilungen (15 %).

In den meisten Betrieben wurden den Beschäftigten Pandemie-bezogen Desinfektionsmittel (95 %) und eine gesonderte PSA (90 %) zur Verfügung gestellt. Dabei handelte es sich am häufigsten um Masken (86 %). Zu Beginn der Pandemie waren dies häufig Alltagsmasken und später medizinische Gesichtsmasken. In 53 % der Betriebe wurden auch partikelfiltrierenden Halbmasken bereitgestellt. Seltener wurden etwa Handschuhe (16 %) und Gesichtsschilder (7 %) angeboten, wobei diese am häufigsten im Einzelhandel zum Einsatz kamen (40 % und 20 %).

Tabelle 2:  Eingeleitete Präventions- und Arbeitsschutzmaßnahmen in den Betrieben je Branche [%]Table 2: Prevention and occupational safety measures introduced in the companies per sector [%]

Tabelle 2: Eingeleitete Präventions- und Arbeitsschutzmaßnahmen in den Betrieben je Branche [%]
Table 2: Prevention and occupational safety measures introduced in the companies per sector [%]

Branchenspezifische Präventionsmaßnahmen

Die Unfallversicherungsträger haben für eine leichtere Umsetzung des SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandards und der zugehörigen SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel Handlungshilfen und Konkretisierungen erarbeitet, die auf die Bedürfnisse und Gegebenheiten in den verschiedenen Branchen und Wirtschaftszweigen zugeschnitten sind. Die Auswertung der Präventionsmaßnahmen, basierend auf den branchenspezifischen Empfehlungen, zeigten im Industriesektor eine sehr häufig personenbezogene Nutzung von PSA (97 %) und Arbeitskleidung (91 %) und etwas seltener von Werkzeugen und Arbeitsmitteln (76 %). Dienstfahrzeuge wurden meistens alleine (94 %) oder mit Mund-Nasen-Bedeckung genutzt (76 %) und mit Desinfektionsmittel ausgestattet (86 %). Seltener wurde einem Fahrzeug ein festes Team zugewiesen (26 %). In Betrieben und Einrichtungen mit Kundenkontakt wurde in allen Branchen in der Regel die Kundenanzahl beschränkt und Trennscheiben als Tröpfchen- und Spuckschutz installiert. Im Finanzsektor war Desk Sharing vor der SARS-CoV-2-Pandemie eine verbreitete Organisationsform (78 %), die jedoch aufgrund der Pandemie entweder vermieden (62 %) oder mit einem geeigneten Reinigungs- und Hygienekonzept praktiziert (33 %) wurde. Verbreitete Präventionsmaßnahmen im Einzelhandel waren die Bereitstellung von Desinfektionsmitteln im Kassenbereich (100 %) sowie für Kundinnen und Kunden (93 %), erhöhte Reinigungsintervalle (93 %), Bevorzugung bargeldloser Bezahlvorgänge (87 %) und kontaktlose Übergaben von Waren, Bargeld oder Lieferpapieren (67 %). Weniger gut umsetzbar war hingegen die Desinfektion von Waren, die von Kundinnen und Kunden angefasst wurden, oder Waren mit Kontaminationsverdacht vorübergehend in Quarantäne zu nehmen. In allen Betrieben des ÖPNV wurden sowohl dem Fahr- als auch dem Prüfpersonal Desinfektions- und Hautschutzmittel zur Verfügung gestellt. In neun Betrieben war Fahrpersonal beschäftigt, wobei nur in drei Betrieben eine geschlossene Fahrerkabine ohne Kontakt zu den Fahrgästen existierte. Besondere Schutzmaßnahmen für das Fahrpersonal bei einer offenen Fahrerkabine waren die Sperrung des Bereichs um die Fahrerkabine (83 %), kein Fahrausweisverkauf (83 %), Trennscheiben (50 %), Abschaltung von Lüftungsanlagen sowie Stoßlüftung an Haltestellen (17 %). Das Prüfpersonal benutzte eine FFP-2-Maske (80 %) oder eine Mund-Nasen-Bedeckung und wurde stets angehalten, die Kontrolltätigkeit möglichst kontaktlos durchzuführen.

Konsequenzen der SARS-CoV-2-Pandemie auf betriebliche Präventionsmaßnahmen

➥ Abbildung 1 zeigt die von den Teilnehmenden erwarteten langfristigen Konsequenzen der SARS-CoV-2-Pandemie auf die betrieblichen Präventionsmaßnahmen. Im Großteil der Betriebe (86 %) soll der Pandemieplan zukünftig regelmäßiger überprüft werden. Vor der SARS-CoV-2-Pandemie praktizierten dies bereits 45 % der Betriebe des ÖPNV. Noch häufiger sollen zukünftig PSA bevorratet werden (91 %), wobei dabei generell die Bevorratung von Masken (80 %) und insbesondere von partikelfiltrierenden Halbmasken (46 %) im Fokus steht. Im Einzelhandel und im Öffentlichen Dienst ist eine entsprechende Vorratshaltung weniger häufig geplant (80 % bzw. 82 %). Eine dauerhafte Umrüstung der technischen Ausstattung insbesondere für das mobile Arbeiten wird am häufigsten im Öffentlichen Dienst erwartet. Insgesamt vermuten Sifa im Gegensatz zu anderen Teilnehmenden mehr langfristige Konsequenzen der SARS-CoV-2-Pandemie auf die betrieblichen Präventionsmaßnahmen. So gehen sie etwas häufiger von einer regelmäßigen Überprüfung des Pandemieplans (87 % vs. 79 %, pχ2 = 0,064) sowie einer stärkeren Bevorratung insbesondere von partikelfiltrierenden Halbmasken (49 % vs. 36 %, pχ2 = 0,024) aus.

Abb. 1: Langfristige Konsequenzen der SARS-CoV-2-Pandemie auf ausgewählte betriebliche Präventionsmaßnahmen aufgeschlüsselt nach Branche (violett: Einzelhandel, rot: Industrie, blau: Finanzsektor, grün: Öffentlicher Personennahverkehr, orange: Öffentlicher Dienst, grau: andere Branchen)
Fig. 1: Long-term consequences of the SARS-CoV-2 pandemic on selected operational prevention measures stratified by sector (purple: retail, red: industrial sector, blue: financial sector, green: local public transport, orange: public sector, grey: other sectors)

Diskussion

Diese Studie zeigt analog zu einer Betriebsbefragung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und der BAuA (Robelski et al. 2020a,b), dass der Stellenwert des Arbeits- und Infektionsschutz in der SARS-CoV-2-Pandemie stark zugenommen hat und von großer Bedeutung ist. In nahezu allen Betrieben wurden empfohlene Arbeitsschutzmaßnahmen umgesetzt und die Beschäftigten hierzu unterwiesen. Der Bekanntheitsgrad der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandards, -Arbeitsschutzregel und der branchenspezifischen Ergänzungen war höher unter Sifa als unter den anderen Teilnehmenden, aber er unterschied sich nicht zwischen Teilnehmenden aus Betrieben unterschiedlicher Größe. Somit konnte nicht bestätigt werden, dass insbesondere die branchenspezifischen Empfehlungen in größeren Betrieben häufiger bekannt sind, wie es in der repräsentativen Betriebsbefragung des IAB und der BAuA Ende August bis Anfang September 2020 beobachtet wurde. Ebenfalls konnten wir keinen branchenspezifischen Unterschied diesbezüglich feststellen. Generell gaben mehr Teilnehmende in der IPA-Studie als in der früheren Betriebsbefragung an, die branchenspezifischen Ergänzungen zu kennen (78 % vs. 68 %). Innerhalb der IPA-Studie zeigte sich kein zeitlicher Trend, sodass wir nicht mit einer Zunahme des Bekanntheitsgrads im Zeitverlauf der Studie ausgehen. Mögliche Unterschiede zwischen beiden Studien könnte in der Rolle der Teilnehmenden liegen. Wir befragten hauptsächlich Sifa während in der Betriebsbefragung im Regelfall leitende Personen aus der Geschäftsführung interviewt wurden (Bellmann et al. 2020).

In 87 % der Betriebe lag zum Zeitpunkt der Befragung ein neuer oder überarbeiteter Pandemieplan vor. Dieser Anteil ist vergleichbar mit den Ergebnissen einer BAuA-Befragung von Arbeitsschutzexpertinnen und -experten zwischen September und Dezember 2020 (Adolph et al. 2021). Es zeigte sich jedoch, dass der Umsetzungsgrad vieler Präventions- und Arbeitsschutzmaßnahmen im Laufe der Pandemie erwartungsgemäß zunahm. So wurden in unserer Studie etwa häufiger Abstandsgebote umgesetzt (99 % vs. 86 %) oder Handlungsanweisungen für Verdachtsfälle erstellt (95 % vs. 87 %), gleichwohl Gebote zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung bzw. PSA waren in beiden Studien ähnlich hoch (95 % vs. 93 %).

In einer Studie, die abhängig Beschäftigte zu Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 und Anfang 2021 untersuchte, zeigte sich eine Zunahme der personenbezogenen und eine Abnahme der organisatorischen Arbeitsschutzmaßnahmen im Zeitverlauf (Meyer et al. 2021). In der vorliegenden IPA-Studie bejahten die Teilnehmenden ebenfalls etwas häufiger die Einleitung von personenbezogen als von organisatorischen Maßnahmen, jedoch in beiden Fällen auf sehr hohem Niveau. Daher können wir die Dominanz personenbezogener Maßnahmen nicht bestätigen. Nichtsdestotrotz sollten Arbeitsschutzmaßnahmen nach Möglichkeit entsprechend der Rangfolge des TOP-Prinzips (Technik, Organisation, Person) erfolgen. Analog zur Befragung der abhängig Beschäftigten unterscheiden sich die untersuchten Branchen bezüglich der eingeleiteten Präventionsmaßnahmen (Meyer et al. 2021). Hier sind insbesondere Maßnahmen zur Kontaktreduktion und zur Vorratshaltung von PSA zu nennen.

Folgende Limitationen dieser Studie müssen genannt werden. Bei der hier vorgestellten Studie handelt es sich um eine nichtrepräsentative, anonyme Umfrage unter Fachkräften für Arbeitssicherheit und anderen mit dem Arbeitsschutz betrauten Personen in den Betrieben und Einrichtungen. Die Rekrutierung der Teilnehmenden erfolgte zum einen durch die gezielte Ansprache der Unternehmen durch die beteiligten Unfallversicherungsträger und zum anderen durch die Vorstellung der Studie im Mitgliedermagazin des VDSI, dem viele Sifa angehören. Somit kann aufgrund des Studiendesigns keine Teilnahmequote ermittelt werden. Ferner zeigten sich stark unterschiedliche Teilnahmezahlen in den untersuchten Branchen, die einen Branchenvergleich erschweren. Des Weiteren könnte die Teilnahmebereitschaft bei Personen aus Unternehmen mit überdurchschnittlichen Corona-Schutzmaßnahmen möglicherweise höher ausgefallen sein, so dass eine Stichprobenverzerrung diesbezüglich ebenfalls nicht ausgeschlossen werden kann.

Schlussfolgerungen

Durch diese Pandemie scheinen die Überprüfung von Gefährdungssituationen sowie die Aktualisierung von Pandemieplänen in vielen Betrieben an Aufmerksamkeit gewonnen zu haben. Somit könnten die Betriebe für zukünftige Ereignisse besser vorbereitet sein und die Belastung der Beschäftigten geringer ausfallen. Der hohe Bekanntheitsgrad der branchenspezifischen Ergänzungen, die branchenspezifischen Unterschiede bei den eingeleiteten Präventionsmaßnahmen sowie die Nutzung der DGUV als Informationsquelle für den SARS-CoV-2-Infektionsschutz demonstrieren die Bedeutung der branchenspezifischen Ausrichtung der Unfallversicherungsträger.

Danksagung: Wir danken der Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie, der Verwaltungs- Berufsgenossenschaft, der Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik sowie der Unfallkasse Hessen für die Rekrutierung der Fachkräfte für Arbeitssicherheit in den für sie zuständigen Branchen. Ohne diese Unterstützung wäre diese Studie nicht möglich gewesen. Die Befragung wurde in Kooperation mit dem Institut für Arbeit und Gesundheit der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IAG) durchgeführt. Wir danken insbesondere Frau Dr. Annekatrin Wetzstein und Frau Jutta Jähnichen vom IAG für die Erstellung der Online-Fragebögen und den reibungslosen Datentransfer. Des Weiteren danken wir dem VDSI - Verband für Sicherheit, Gesundheit und Umweltschutz bei der Arbeit für die Unterstützung bei der Probanden-Rekrutierung durch die Vorstellung dieser Studie im VDSI-Magazin VDSI aktuell 1/2021.

Angaben zu den Autorenschaften: Alle Autoren unterstützten den Entwurf des Manuskripts, trugen zur Überarbeitung des Manuskripts bei und genehmigten die Endfassung. Dr. Swaantje Casjens war für die Datenanalyse verantwortlich.

Interessenskonflikt: Dr. Swaantje Casjens und Prof. Dr. Brüning erhielten Honorare für eine Autorenschaft im Rahmen einer Publikation mit Bezug zum hier präsentierten Thema. Alle Autoren erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt haben.

Literatur

Adolph L, Eickholt C, Tausch A, Trimpop R: SARS-CoV-2-Arbeits- und Infektionsschutzmaßnahmen in deutschen Betrieben: Ergebnisse einer Befragung von Arbeitsschutzexpertinnen und -experten. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, 2021.

Bellmann L, Kagerl C, Koch T et al.: Was bewegt Arbeitgeber in der Krise? Eine neue IAB-Befragung gibt Aufschluss. https://www.iab-forum.de/was-bewegt-arbeitgeber-in-derkrise-eine-neue-i… (zuletzt abgerufen am: 11.06.2021).

Bundesministerium für Arbeit und Soziales: SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard: SARS-CoV-2 Occupational Safety and Health Standard. www.bmas.de (zuletzt abgerufen am: 17.06.2021).

Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel. GMBl 2020; 24: 484–95.

Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung: SARS-CoV-2: Informationen für spezifische Branchen. https://www.dguv.de/de/praevention/corona/informationen-fuer-spezifisch…. (zuletzt abgerufen am: 17.06.2021).

Meyer S-C, Robelski S, Tisch A, Sommer S, Schröder C: Gut geschützt im Betrieb? Arbeitsschutz in der Corona-Pandemie aus Sicht der Beschäftigten. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), 2021.

Robelski S, Steidelmüller C, Backhaus N et al.: Handlungshilfen und Ausnahmeregelungen zum Arbeitsschutz in der Corona-Krise Wie gut fühlen sich Betriebe informiert und unterstützt? Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, 2020a.

Robelski S, Steidelmüller C, Pohlan L: Betrieblicher Arbeitsschutz in der Corona-Krise. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), 2020b.

Kontakt

Dr. rer. nat. Swaantje Casjens
Institut für Prävention und Arbeitsmedizin der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung
Institut der Ruhr-Universität Bochum (IPA)
Bürkle-de-la-Camp-Platz 1
44789 Bochum
casjens@ipa-dguv.de

Kernaussagen

  • Die Bedeutung des Arbeits- und Infektionsschutz hat in der SARS-CoV-2-Pandemie stark zugenommen.
  • Branchenspezifische Unterscheide bezüglich der eingeleiteten Präventions- und Arbeitsschutzmaßnahmen zeigten sich insbesondere bei den Maßnahmen zur Kontaktreduktion sowie der Vorratshaltung von Schutzausrüstung.
  • Die wichtigsten langfristigen Konsequenzen der SARS-CoV-2-Pandemie werden in der Zunahme der mobilen Arbeit sowie der verstärkten Nutzung digitaler Kommunikationsmedien gesehen.