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Prekäre Beschäftigung und depressive Symptomatik – geschlechtsabhängige Assoziationen

H. Burr

(eingegangen am 04.04.2023, angenommen am 18.04.2023)

Abstract / Zusammenfassung

Precarious work and depressive symptoms: gender-related associations

Introduction: Longitudinal studies indicate that men are at greater risk than women of developing symptoms of depression as a result of precarious work. A South Korean study suggests that household position may explain this difference. The question arises as to whether these risk differences could be explained by the position in the household (i.e. living alone without a partner or living with a partner).

Methods: The analysis was based on a cohort of 2,009 employees from the “Mental Health at Work Study” (S-MGA) (Rose et al. 2017). Five indicators of precarious work were used: subjective job insecurity, marginal employment, temporary employment, low wages (net hourly wage <60 % of the median) and episodes of unemployment in the past – also summarised in an index of precarious work. Possible associations between precarious work during the period 2012–2017 and depressive symptoms in 2017 were examined by logistic regression analysis – stratified by gender and position in the household (i.e. living alone without a partner or living with a partner) in 2012 and adjusted for depressive symptoms, age, occupational status and partnership status in 2012.

Results: Position in the household had no significant interactions with the indicators of precarious work or an index of precarious work among either women or men.

Conclusion: It is still unclear why, in many studies, the risks of developing depressive symptoms from precarious work are higher in men than in women.

Keywords: precarious work – depressive symptoms – gender differences – longitudinal study

doi:10.17147/asu-1-273034

ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2022; 58: 318–326

Prekäre Beschäftigung und depressive Symptomatik – geschlechtsabhängige Assoziationen

Einleitung: Längsschnittstudien deuten darauf hin, dass das Risiko für die Entwicklung einer depressiven Symptomatik bei prekärer Beschäftigung bei Männern höher ist als bei Frauen. Eine südkoreanische Studie lässt vermuten, dass die Position im Haushalt diesen Unterschied erklären könnte. Es stellt sich die Frage, ob diese Risikounterschiede durch die Position im Haushalt (d.h. alleinlebend ohne Partnerin/Partner oder zusammenlebend mit Partnerin/Partner) erklärt werden können.

Methoden: Die Analyse basiert auf einer Kohorte von 2009 Beschäftigten der „Studie Mentale Gesundheit bei der Arbeit“ (S-MGA) (Rose et al. 2017). Hierbei wurden fünf Indikatoren prekärer Beschäftigung verwendet: subjektive Arbeitsplatzunsicherheit, geringfügige Beschäftigung, zeitlich befristete Beschäftigung, Niedriglohn (Nettostundenlohn < 60 % des Medians) und Episoden von Arbeitslosigkeit in der Vergangenheit – ebenfalls zusammengefasst in einem Index prekärer Beschäftigung. Mögliche Assoziationen zwischen prekärer Beschäftigung im Zeitraum 2012–2017 und einer depressiven Symptomatik im Jahr 2017 wurden durch logistische Regressionsanalysen untersucht – stratifiziert nach Geschlecht und Haushaltsstatus (d. h. alleinlebend ohne Partnerin/Partner oder zusammenlebend mit Partnerin/Partner) im Jahr 2012 und adjustiert für depressive Symptomatik, Alter, beruflichen Status und Partnerschaftsstatus im Jahr 2012.

Ergebnisse: Der Haushaltsstatus zeigte keine signifikanten Interaktionen mit den Indikatoren einer prekären Beschäftigung bzw. dem Index prekärer Beschäftigung, weder bei Frauen noch bei Männern.

Schlussfolgerung: Es ist immer noch ungeklärt, warum in vielen Studien die Risiken von prekärer Beschäftigung für die Entwicklung einer depressiven Symptomatik bei Männern höher sind als bei Frauen.

Schlüsselwörter: prekäre Beschäftigung – depressive Symptomatik –Geschlechtsunterschiede – Längsschnittstudie

Einleitung

Prekäre Beschäftigungsformen wie befristete Beschäftigung und Beschäftigung im Niedriglohnsektor, haben seit den 1980er Jahren zugenommen, auch in Deutschland (Brady u. Biegert 2017; Seeleib-Kaiser u. Fleckenstein 2007).

Es gibt verschiedene Definitionen prekärer Beschäftigung (Bodin et al. 2020; Kreshpaj et al. 2020); doch ein Merkmal, das häufig als definierend angenommen wird, ist Beschäftigungsunsicherheit (Benavides et al. 2006; Olsthoorn 2014; Quinlan et al. 2001; Standing 2011), wobei hier zwei Aspekte zum Tragen kommen: zum einen unsichere Beschäftigungsformen wie eine zeitliche Befristung des Arbeitsvertrags, zum anderen die subjektive Wahrnehmung einer Arbeitsplatzunsicherheit (Rodgers 1989). Ein weiteres, häufig genanntes Definitionsmerkmal ist eine niedrige Einkommenshöhe (Benavides et al. 2006; International Labour Organization (ILO) 2012; Quinlan et al. 2001; Standing 2011). Einige Autorinnen und Autoren betrachten prekäre Beschäftigung als durch belastende Arbeitsbedingungen bestimmt (Benavides et al. 2006; Standing 2011), während andere belastende Arbeitsbedingungen eher als eine Folge von Prekarität ansehen (Kreshpaj et al. 2020). Dieser Artikel konzentriert sich auf folgende Merkmale als Indikatoren für prekäre Beschäftigung: subjektive Arbeitsplatzunsicherheit, geringfügige Beschäftigung, zeitlich befristete Beschäftigung, Niedriglohn (Nettostundenlohn < 60 % des Medians) und Episoden von Arbeitslosigkeit.

Definitionen prekärer Beschäftigung unterscheiden sich von Definitionen atypischer Beschäftigung. Wo Definitionen von prekärer Beschäftigung auf Unsicherheit in der Beschäftigung oder beim Einkommen fokussieren, zielen Definitionen atypischer Beschäftigung auf eine Abweichung von einer typischen Beschäftigungsform ab, die unter anderem durch unbefristete Vollzeit gekennzeichnet ist. Atypische Beschäftigungsformen umfassen wie bei prekärer Beschäftigung auch eine Befristung, aber im Unterschied zu prekärer Beschäftigung auch alle Formen von Teilzeit, das heißt nicht nur Mini-1 und Midijobs, sondern auch sozialversicherte Teilzeitformen (Hünefeld 2018).

Es stellt sich die Frage, ob prekäre Beschäftigung eine negative Auswirkung auf die mentale Gesundheit haben kann (Rönnblad et al. 2019). Ein Grund für einen solchen Zusammenhang könnte sein, dass das Unsicherheitserleben bei prekärer Beschäftigung eine andauernde Stressreaktion zur Folge hat, die dann wiederum eine depressive Symptomatik verursachen kann (Benach et al. 2014; de Witte 1999; Tompa et al. 2007). Dieses Unsicherheitserleben kann auf eine wahrgenommene Arbeitsplatzunsicherheit oder auf eine wahrgenommene Unsicherheit in der Entlohnung zurückzuführen sein (Benach et al. 2014; Tompa et al. 2007; Vives et al. 2010).

Prekäre Beschäftigung kann anhand einer Reihe unterschiedlicher Indikatoren separat oder zusammenfassend als eine Kombination mehrerer Indikatoren durch die Erstellung eines Indexes betrachtet werden (Rönnblad et al. 2019). Der Vorteil der Betrachtung einzelner Faktoren ist, dass konkret untersucht werden kann, welchen Beitrag jeder Indikator zum Krankheitsgeschehen leistet; der Vorteil eines Indexes ist, dass der Gesamteffekt prekärer Beschäftigung ermittelt werden kann (Rönnblad et al. 2019).

Eine Vielzahl von Längsschnittstudien hat sich mit der Frage eines erhöhten Risikos für eine depressive Symptomatik durch prekäre Beschäftigungsbedingungen befasst (Bultmann et al. 2002; Canivet et al. 2016, 2017; Demiral et al. 2022; Ervasti et al. 2014; Hammarström et al. 2011; Han et al. 2017; Hannerz et al. 2023; Hollander et al. 2013; Kim et al. 2017; LaMontagne et al. 2020; Lassalle et al. 2015; Niedhammer et al. 2015; Quesnel-Vallée et al. 2010; Rugulies et al. 2006, 2010; Sirviö et al. 2012; Virtanen et al. 2011; Waenerlund et al. 2011; Wege et al. 2017), von denen elf analysiert haben, ob die Effekte für Frauen und Männer gleich hoch sind (Bultmann et al. 2002; Canivet et al. 2017; Demiral et al. 2022; Hannerz et al. 2023; Hollander et al. 2013; Kim et al. 2017; LaMontagne et al. 2020; Lassalle et al. 2015; Rugulies et al. 2006; Sirviö et al. 2012; Waenerlund et al. 2011). Eine der Studien stammt aus Deutschland (Demiral et al. 2022), sechs aus Skandinavien (Canivet et al. 2017; Hannerz et al. 2023; Hollander et al. 2013; Rugulies et al. 2006; Sirviö et al. 2012; Waenerlund et al. 2011), zwei aus anderen europäischen Ländern (Frankreich und den Niederlanden; Bultmann et al. 2002; Lassalle et al. 2015), eine aus Südkorea (Kim et al. 2017) und eine aus Australien (LaMontagne et al. 2020). Es ist wichtig zu wissen, ob bestimmte Gruppen ein besonders hohes Risiko für depressive Symptomatik unter prekären Beschäftigungsbedingungen haben. Darum sind Studien, die Geschlechtsunterschiede untersucht haben, hier von besonderem Interesse.

Sieben dieser elf Studien haben sich jeweils mit einzelnen Indikatoren prekärer Beschäftigung befasst (➥ Tabelle 1), drei Studien haben nur ein kombiniertes Maß aus mehreren Indikatoren prekärer Beschäftigung eingesetzt (➥ Tabelle 2) und eine Studie setzte sowohl Einzelindikatoren als auch ein kombiniertes Maß aus mehreren Indikatoren ein (Demiral et al. 2022).

Betrachtet man die Geschlechtsunterschiede im Hinblick auf eine depressive Symptomatik getrennt für die einzelnen Indikatoren, so zeigt sich, dass bezogen auf die Beschäftigungsunsicherheit die Assoziation in fünf von sechs Studien bei Männern stärker als bei Frauen war (Bultmann et al. 2002; Demiral et al. 2022; Hannerz et al. 2023; Kim et al. 2017; LaMontagne et al. 2020; Lassalle et al. 2015; Rugulies et al. 2006). Lediglich in der Studie aus Deutschland zeigte sich kein signifikanter Unterschied zwischen den Geschlechtern (Demiral et al. 2022). In fünf Studien war das Risiko für Männer signifikant erhöht (Bultmann et al. 2002; Kim et al. 2017; LaMontagne et al. 2020; Lassalle et al. 2015; Rugulies et al. 2006), in keiner Studie war das für Frauen der Fall.

Eine befristete Beschäftigung als Indikator für ein prekäres Arbeitsverhältnis wurde in zwei Studien untersucht (Demiral et al. 2022; Hannerz et al. 2023). In beiden Studien wurde kein statistisch signifikanter Unterschied zwischen den Geschlechtern festgestellt.

In zwei Studien stand die Arbeitslosigkeit bei Frauen und Männern im Fokus der Betrachtungen zu Assoziationen einer depressiven Symptomatik. In einer dieser Studien gab es einen statistisch signifikanten Unterschied zwischen den Geschlechtern (Hollander et al. 2013); in der anderen nicht (Demiral et al. 2022).

In Bezug auf das Ausüben einer geringfügigen Beschäftigung ließ sich kein Geschlechtsunterschied hinsichtlich depressiver Symptomatik identifizieren (Demiral et al. 2022).

Bei Niedriglohn (Nettostundenlohn < 60 % des Median) wurde ein signifikanter Unterschied der Risiken zwischen den Geschlechtern gefunden (Demiral et al. 2022).

In einer der vier Studien, die ein kombiniertes Maß aus mehreren Indikatoren prekärer Beschäftigung betrachtet haben (s. Tabelle 2), wurde ein signifikanter Unterschied in den Risiken zwischen beiden Geschlechtern aufgezeigt (Demiral et al. 2022). In den anderen drei Studien waren die Unterschiede statistisch nicht signifikant (Canivet et al. 2017; Sirviö et al. 2012; Waenerlund et al. 2011).

Insgesamt wurden bei Beschäftigungsunsicherheit – und vereinzelt bei Niedriglohn, Arbeitslosigkeit und prekärer Beschäftigung generell – signifikant höhere Risiken bei Männern im Vergleich zu Frauen gefunden. In allen anderen Fällen gab es zwar keine signifikanten Unterschiede zwischen Frauen und Männern, in allen Fällen waren die Risikoschätzer jedoch bei Männern höher als bei Frauen.

Die Geschlechtsunterschiede könnten eventuell darauf zurückzuführen sein, dass Männer im Vergleich zu Frauen ein höheres Stresserleben bei prekärer Beschäftigung berichten, da sie im Durchschnitt für einen Großteil des Haushaltseinkommens verantwortlich sind (Bisello u. Mascherini 2017; Boll u. Lagemann 2019; Bonaccolto-Töpfer et al. 2023; Kim et al. 2017). Nach dieser Annahme wäre das Risiko für Depressionen für die Männer besonders hoch, die mit einer Partnerin/einem Partne im Haushalt zusammenleben. Im Umkehrschluss sollten Männer, die allein leben, vergleichsweise weniger Stress durch prekäre Beschäftigungsbedingungen erleben. Dieser Annahme folgend sollte die Abhängigkeit des Stresserlebens von der Haushaltsposition bei Frauen umgekehrt sein. Hier sollten Frauen vor allem dann Stress erleben, wenn sie alleinlebend sind, weil sie dann ausschließlich von ihrem eigenen Einkommen abhängig wären, wohingegen Frauen, die mit dem Partner/der Partnerin in einem gemeinsamen Haushalt leben, weniger Stress erleben sollten. Die oben zitierte Studie aus Südkorea hat diese Annahme bezüglich des Risikofaktors Beschäftigungsunsicherheit näher untersucht (Kim et al. 2017). Die Studie fand heraus, dass Männer, die die Rolle des Hauptverdieners haben, im Vergleich zu Männern ohne diese Rolle ein signifikant höheres Risiko für depressive Symptome bei Beschäftigungsunsicherheit hatten (Kim et al. 2017). Bei Frauen wiederum, die die Rolle als Hauptverdienerin nicht innehatten, wurde ein signifikant erhöhtes Risiko für depressive Symptomatik bei Beschäftigungsunsicherheit gefunden, wogegen Frauen, die die Rolle als Hauptverdienerin einnahmen, kein signifikant erhöhtes Risiko für depressive Symptomatik aufwiesen.

Es stellt sich also die Frage, ob die oben beschriebenen Risikounterschiede für depressive Symptomatik bei prekärer Beschäftigung durch die Position im Haushalt (d.h. alleinlebend ohne Partnerin/Partner oder zusammenlebend mit Partnerin/Partner) erklärt werden kann. Im Folgenden wird die oben genannte deutsche Studie weiter ausgewertet (Demiral et al. 2022). In dieser neuen Analyse werden zusätzlich die Informationen hinsichtlich der Position und des Faktors „Zusammenlebend mit oder ohne Partnerin/Partner“ berücksichtigt (Kim et al. 2017). Mit diesem Artikel soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit das Zusammenleben in einer Partnerschaft Unterschiede für das Risiko einer depressiven Symptomatik aufgrund von prekärer Beschäftigung zwischen Männern und Frauen beeinflusst.

Tabelle 2:  Index prekärer Beschäftigung als Risikofaktor für eine beeinträchtigte mentale Gesundheit in vier LängsschnittstudienTable 2: Index of precarious work as risk factor for impaired mental health in four longitudinal studies

Tabelle 2: Index prekärer Beschäftigung als Risikofaktor für eine beeinträchtigte mentale Gesundheit in vier Längsschnittstudien
Table 2: Index of precarious work as risk factor for impaired mental health in four longitudinal studies

Methodik

Population

Die vorliegende Analyse basiert auf Daten der „Studie Mentale Gesundheit bei der Arbeit“ (S-MGA), einer durch die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) durchgeführten Längsschnittstudie zur mentalen Gesundheit Beschäftigter in Deutschland (Rose et al. 2017). Die Stichprobe wurde auf Basis einer Zufallsauswahl von sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (31–60 Jahre) aus den integrierten Erwerbsbiografien (IEB) des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit rekrutiert (umfasst somit keine Beamtinnen und Beamten sowie keine selbstständig Tätigen). Alle Personen wurden über die Studienziele aufgeklärt und erklärten ihre Teilnahmebereitschaft schriftlich (Rose et al. 2017). An der in den Jahren 2011/2012 durchgeführten Basiserhebung nahmen 4511 Personen teil (AAPOR-Teilnahmerate = 36 %; American Association for Public Opinion Research [AAPOR] 2011). Von dieser Stichprobe wurden für die im Folgenden vorgestellten Analysen zunächst die Personen ausgeschlossen, die im Zeitraum zwischen Stichprobenziehung und Befragung ihre Erwerbstätigkeit aufgegeben hatten (n = 308; ➥ Abb. 1). Von den 4203 Beschäftigten der Ersterhebung, die zum Zeitpunkt der Erstbefragung entweder in Vollzeit, in Teilzeit oder geringfügig beschäftigt (Mini- oder Midijob) waren oder an einer Beschäftigungsmaßnahme teilnahmen, nahmen 2485 an der Folgebefragung fünf Jahre später teil (AAPOR-Teilnahmerate am Follow-up = 69 %). Bei 313 Personen fehlten Werte bezüglich der für die hier vorliegenden Analysen benötigten Studienvariablen, so dass die demnach nicht berücksichtigt werden konnten. Weitere 163 Personen berichteten eine depressive Symptomatik zum Zeitpunkt der Ersterhebung. Somit verblieben für die longitudinale Analyse 2009 Teilnehmende.

Abb. 1: Flussdiagramm – von der gezogenen Stichprobe im Jahr 2010 zur Analysestichprobe für den Längsschnitt (2012–2017) der S-MGA
Fig. 1: Flow chart – from the sample taken in 2010 to the analysis sample for the S-MAG longitudinal study (2012-2017)

Datenerhebung und berücksichtigte Variablen

Die Datenerhebung erfolgte zu beiden Erhebungszeitpunkten durch computergestützte persönliche Interviews (CAPI), mittels derer die untenstehenden Variablen, bis auf depressive Symptomatik, erhoben wurden. Im Anschluss an das Interview füllten die Probandinnen und Probanden einen Fragebogen zur depressiven Symptomatik in Abwesenheit der Interviewenden aus, um Befragungseffekte, zum Beispiel sozial erwünschte Antworten bei Interviews, zu minimieren (Feveile et al. 2007). Für die Studie liegt ein positives Ethikvotum der Ethikkommission der BAuA vor (Votum 006_2016_Müller).

Depressive Symptomatik

Die Zielgröße dieser Analyse – depressive Symptomatik – wurde mit der deutschsprachigen Version des „Patient Health Questionnaire“ (PHQ-9) erfasst. Der PHQ-9 ist ein Screening-Instrument, das für die Anwendung im klinischen Bereich konzipiert wurde und das Vorliegen der Leitsymptome einer „Major Depression“ nach DSM-IV-Kriterien abfragt (Kroenke et al. 2001; Löwe et al. 2004). Beispiele für Symptome sind „wenig Interesse oder Freude an Ihren Tätigkeiten” und „Niedergeschlagenheit, Schwermut oder Hoffnungslosigkeit”. Erfasst wird die Häufigkeit, mit der die Symptome in den 14 Tagen vor der Befragung auftraten (0 = überhaupt nicht; 1 = an einzelnen Tagen; 2 = an mehr als der Hälfte der Tage; 3 = beinahe jeden Tag). Der Gesamtwert wird als Summe aller Item-Punktwerte ermittelt und kann Werte zwischen 0 und 27 annehmen. Das Vorliegen einer depressiven Symptomatik wurde mit einem Cut-off-Wert von ≥ 10 festgelegt (Kroenke et al. 2001; Manea et al. 2015).

Prekäre Beschäftigung

Prekäre Beschäftigung wurde über fünf Indikatoren ermittelt, von denen vier zum Zeitpunkt der Ersterhebung (subjektive Arbeitsplatzunsicherheit, geringfügige Beschäftigung, zeitlich befristete Beschäftigung und Niedriglohn) im Interview erfragt wurden. Episoden von Arbeitslosigkeit zwischen der Erst- und der Zweiterhebung wurden im Interview bei der Folgebefragung erhoben.

Die subjektive Arbeitsplatzunsicherheit wurde im Jahr 2012 anhand einer Skala ermittelt, die als Mittelwert aus zwei Items der COPSOQ-Arbeitsplatzunsicherheitsskala berechnet wurde (Kristensen et al. 2005; Nübling et al. 2006): „In welchem Maß machen Sie sich Sorgen, dass Sie arbeitslos werden?“ und „In welchem Maß machen Sie sich Sorgen, dass es schwierig für Sie wäre, eine neue Arbeit zu finden, wenn Sie arbeitslos würden?“. Die Antwortmöglichkeiten reichten von „in sehr hohem Maße“ (4) über „in hohem Maße“ (3), „etwas“ (2) und „in geringem Maße“ (1) bis zu „in sehr geringem Maße“ (0). Cronbachs Alpha der Skala betrug 0,52, wobei die Inter-Item-Korrelation bei 0,35 lag. Die Arbeitsplatzunsicherheitsskala wurde dikotomisiert, so dass ein Wert von 2,5 oder höher auf subjektive Arbeitsplatzunsicherheit hinweist. Der Schwellenwert 2,5 entspricht den obengenannten Antwortkategorien „in sehr hohem Maße“ und „in hohem Maße“.

Eine geringfügige Beschäftigung wurde als dichotome Variable anhand folgender Frage erhoben (Broughton et al. 2016; Eichhorst u. Marx 2011): „Was machen Sie zurzeit hauptberuflich? Sind Sie derzeit … ? “. Dabei wurden die Antwortmöglichkeiten „geringfügig“, „gelegentlich oder unregelmäßig beschäftigt“, auch „Minijob bis 400 Euro“ oder „Midijob bis 800 Euro im Monat“ als geringfügige Beschäftigung gewertet.

Eine zeitliche Befristung wurde als dichotome Variable mit der Frage „Ist Ihr derzeitiger Arbeitsvertrag ...?“ mit den beiden Antwortmöglichkeiten „zeitlich befristet“ und „zeitlich unbefristet“ ermittelt.

Ein Niedriglohn wurde ebenfalls als dichotome Variable in den Analysen berücksichtigt. Teilnehmende mit geringem Einkommen waren hiernach diejenigen, die weniger als 60 % des Medians des Nettostundenlohns in der vorliegenden Kohorte erzielten (d. h. Netto weniger als 6,40 €/Stunde im Jahr 2012). Der Nettostundenlohn wurde als Quotient aus dem monatlichen Nettoeinkommen zum Zeitpunkt der Erstbefragung und der Arbeitszeit bestimmt. Die Ermittlung des Einkommens erfolgte anhand der Frage „Bitte sagen Sie mir noch, wie hoch Ihr derzeitiges monatliches Nettoeinkommen aus Ihrer beruflichen Tätigkeit ist“ mit den Antwortmöglichkeiten: „bis zu 400 €“, „über 400 € bis 800 € “, „über 800 € bis unter 1000 €“, „1000 € bis unter 1500 €“, „1500 € bis unter 2000 €“, „2000 € bis unter 2500 €“, „2500 € bis unter 3000 €“, „3000 € bis unter 4000 €“, „4000 € bis unter 5000 €“, „5000 € und mehr“. Jede dieser Antwortmöglichkeiten wurde anhand des Mittelpunkts der jeweiligen Einkommensspanne kodiert. Informationen zur Arbeitszeit wurden mit den folgenden zwei Fragen erhoben: „Und wie viele Stunden pro Woche arbeiten Sie normalerweise, einschließlich regelmäßig geleisteter Überstunden, Mehrarbeit usw.?“ und – für Personen mit einem oder mehreren Nebenjobs – „Und wie viele Stunden arbeiten Sie da normalerweise pro Woche? Bei mehreren Nebentätigkeiten zählen Sie bitte alle zusammen!“ Die Antworten als Stunden pro Woche wurden auf monatliche Arbeitsstunden umgerechnet. (Es wurde mit 4,34 Wochen pro Monat gerechnet – 365,25 : 7 : 12 – d.h. Anzahl der Tage pro Jahr : Anzahl der Tage pro Woche : Anzahl der Monate im Jahr.)

Arbeitslosigkeit zwischen Erst- und Zweitbefragung, das heißt zwischen 2012 und 2017, fand als dichotome Variable Berücksichtigung. Zur Ermittlung dieser Variablen diente die Antwort auf die Fragen bei der Nachuntersuchung zu Episoden von Arbeitslosigkeit seit der Erstbefragung: „Was haben Sie anschließend hauptberuflich gemacht?“, wenn die Befragten die Antwortmöglichkeit „arbeitslos oder arbeitsuchend gemeldet“ wählten. Die dichotome Variable „Arbeitslosigkeit“ spiegelt dann das Ereignis einer Arbeitslosigkeit von mindestens ≥1 Monat zwischen der Erstbefragung im Jahr 2012 und der Zweitbefragung im Jahr 2017 wider.

Auf Basis dieser fünf Einzelindikatoren wurde ein zusammenfassender Index prekärer Arbeit als Summenwert erstellt (Index prekärer Arbeit; Rönnblad et al. 2019). Da die Anzahl der Beschäftigten, bei denen mehr als zwei Indikatoren auftraten und die somit einen Indexwert von ≥ 2 hatten, sehr gering war (Männer: n = 22; Frauen: n = 84), wurden die drei höchsten Werte zu einer Kategorie des Index „≥ 2 Indikatoren“ zusammengefasst. In der Stichprobe hatten 10 % (199 Personen) der Befragten einen Index von 2 und waren somit mindestens zwei Indikatoren gleichzeitig ausgesetzt. Weitere 24 % (488 Personen) der Befragten hatten einen Index von 1 und waren also einem Indikator ausgesetzt, während 66 % (1322 Personen) einen Index von 0 hatten. Bei ihnen trat keiner der Indikatoren auf.

Kontroll- und Stratifizierungsvariablen

Alter und Geschlecht wurden als Kontrollvariablen eingeschlossen. Das Alter wurde sowohl als stetige Variable als auch als „Alter Quadrat“ berücksichtigt, um auch nicht-lineare Zusammenhänge zwischen depressiver Symptomatik und Alter aufzeigen zu können (Busch et al. 2013; Schmitt et al. 2006).

Der berufliche Status wurde auf Basis des nach der „International Standard Classification of Occupations (ISCO-08)“ kodierten aktuellen Berufs mit vier Kategorien nach der Klassifikation des Ausbildungsniveaus „International Standard Classification of Education (ISCED)“ erfasst: Hilfsarbeitskräfte (ISCO-Hauptgruppe 9), Fachkräfte (4–8), gehobene Fachkräfte (3) und akademische Berufe und Führungskräfte (1,2) (Hagen 2015; International Labor Office Staff 2012). In der ISCED, die das Bildungsniveau einbezieht, findet die Tätigkeit als Führungskraft keine Berücksichtigung. Für die vorliegende Arbeit wurden Führungskräfte gemeinsam mit den akademischen Berufen in einer ISCED-Gruppe zusammengefasst (Goldthorpe 2000; Müller et al. 2007).

Die Angabe zum Haushaltstatus mit den Ausprägungen „alleinlebend, d.h. lebt nicht mit einer Partnerin/einem Partner zusammen“, „zusammenlebend, d. h. lebt mit einer Partnerin/einem Partner zusammen“ basiert auf drei Fragen zum Familienstand.

Der Partnerstatus wurde mit den Antwortmöglichkeiten „Ja, hat eine Partnerin/einen Partner (einschließlich auch nicht zusammenlebend)“, „Nein, hat keine Partnerin/keinen Partner“ basiert auf drei Fragen zum Familienstand.

Statistische Methoden

Die Analysen wurden sowohl nach Geschlecht und Haushaltsstatus (d. h. alleinlebend ohne Partnerin/Partner oder zusammenlebend mit Partnerin/Partner) stratifiziert und an folgenden Variablen der Ersterhebung adjustiert: depressive Symptomatik, Alter, beruflicher Status und Partnerschaftsstatus. Assoziationen zwischen den fünf Indikatoren der prekären Beschäftigung (Arbeitsunsicherheit 2012, befristeter Arbeitsvertrag 2012, geringfügige Beschäftigung 2012, Niedriglohn 2012 und Arbeitslosigkeit 2012–2017) beziehungsweise ein Index prekärer Beschäftigung (unabhängige Variable) und depressiver Symptomatik im Jahr 2017 (abhängige Variable) wurden mittels einer multiplen logistischen Regression untersucht, wobei die Risikoschätzungen als Odds Ratios (OR) und ihre relativen 95 %-Konfidenzintervalle (95 %-KI) berechnet wurden. In den Berechnungen wurde jeder Indikator prekärer Arbeit separat berücksichtigt.

Um zu prüfen, ob beobachtete Unterschiede im OR bezüglich des Haushaltstatus (d. h. alleinlebend ohne Partnerin/Partner oder zusammenlebend mit Partnerin/Partner) bei Frauen beziehungsweise Männern variierten, wurden in den Regressionsmodellen zusätzlich Interaktionsterme berücksichtigt. Die Terme waren das Produkt aus Haushaltsstatus und Indikatoren beziehungsweise dem Index prekärer Arbeit.

Ergebnisse

Die Risiken alleinlebender Frauen unterschieden sich nicht signifikant von den Risiken der mit Partner/Partnerin zusammenlebenden Frauen, das heißt, der Haushaltsstatus (also alleinlebend ohne Partnerin/Partner oder zusammenlebend mit Partnerin/Partner) zeigte keine signifikante Interaktion mit den Indikatoren prekärer Beschäftigung beziehungsweise dem Index prekärer Beschäftigung (➥ Tabelle 3). Weder bei alleinlebenden Frauen noch bei in Partnerschaft lebenden Frauen zeigten sich signifikant erhöhte Risiken für eine depressive Symptomatik bei prekärer Beschäftigung.

Die Risiken alleinlebender Männer unterschieden sich nicht signifikant von den Risiken der mit Partnerin/Partner zusammenlebenden Männer, das heißt, Haushaltsstatus zeigte keine signifikante Interaktion mit den Indikatoren prekärer Beschäftigung beziehungsweise mit dem Index prekärer Arbeit (s. Tabelle 3). Bezüglich der Beschäftigungsunsicherheit und des Indexes prekärer Beschäftigung waren die Punktschätzungen zwar bei alleinlebenden Männern höher als bei zusammenlebenden Männern, aber der Unterschied war nicht signifikant. Sowohl Männer, die allein leben, als auch solche, die mit jemandem zusammenleben, hatten signifikant erhöhte Risiken für eine depressive Symptomatik mit höheren Werten auf dem Index prekärer Arbeit (alleinlebende Männer OR 7,47, 95%-KI 1,73–32,12; zusammenlebende Männer OR 4,08, 95 %-KI 1,38–12,08; siehe ➥ Tabelle 4).
Zudem hatten mit Partnerin/Partner zusammenlebende Männer ein signifikant erhöhtes Risiko bei subjektiver Arbeitsplatzunsicherheit (OR 2,89, 95 %-KI 1,46–5,63). Bei alleinlebenden Männern waren die Risiken bei geringem Einkommen (OR 7,26, 95 %-KI 1,70–31,04) und Arbeitslosigkeit (OR 6,06, 95 %-KI 1,35–27,19) signifikant erhöht.

Tabelle 3:  Assoziationen zwischen Indikatoren prekärer Arbeit im Jahr 2012 und depressiver Symptomatik im Jahr 2017 bei 1008 weiblichen Beschäftigten in Deutschland im Alter von 31 bis 60 Jahren ohne depressive Symptomatik im Jahr 2012. Logistische Regressionen1. Odds RatiosTable 3: Associations between indicators of precarious work in 2012 and depressive symptoms in 2017 among 1,008 female employees in Germany aged from 31 to 60 without depressive symptoms in 2012. Logistic regressions1. Odds ratios

Tabelle 3: Assoziationen zwischen Indikatoren prekärer Arbeit im Jahr 2012 und depressiver Symptomatik im Jahr 2017 bei 1008 weiblichen Beschäftigten in Deutschland im Alter von 31 bis 60 Jahren ohne depressive Symptomatik im Jahr 2012. Logistische Regressionen1. Odds Ratios
Table 3: Associations between indicators of precarious work in 2012 and depressive symptoms in 2017 among 1,008 female employees in Germany aged from 31 to 60 without depressive symptoms in 2012. Logistic regressions1. Odds ratios

Diskussion

Die vorliegenden Analysen konnten die Ergebnisse einer südkoreanischen Studie nicht bestätigen (Kim et al. 2017), die von einem Zusammenhang zwischen prekärer Beschäftigung und depressiver Symptomatik einerseits und dem Haushaltsstatus andererseits berichtet hatten. Wir fanden zwar wie erwartet, dass Männer, die mit einer Partnerin/einem Partner zusammenlebten, eine höhere Risikoschätzung für depressive Symptomatik hatten als Männer, die nicht in einer Partnerschaft zusammenlebten –die Unterschiede waren jedoch nicht signifikant. Dieselben insignifikanten Unterschiede fanden wir auch bei dem Index prekärer Arbeit. Hier waren die Risiken bei mit Partnerin/Partner zusammenlebenden Männern ebenfalls signifikant höher als bei alleinlebenden Männern. Bei Frauen fanden sich keine einheitlichen Unterschiede.

Hiernach ist also immer noch ungeklärt, warum in vielen Studien die Risiken von prekärer Beschäftigung für depressive Symptomatik bei Männern höher sind als bei Frauen. Darum sollten weitere mögliche Erklärungen für diese Geschlechterunterschiede geprüft werden. Wie schon in der Einleitung erwähnt, wird angenommen, dass das Risiko für depressive Symptomatik bei prekärer Beschäftigung erhöht ist, weil Beschäftigungsunsicherheit oder Einkommensunsicherheit bei prekärer Beschäftigung zu einer anhaltenden Stressreaktion führen können (Benach et al. 2014; de Witte 1999; Tompa et al. 2007). Es könnte also sein, dass es seltener zu dieser Stressreaktion kommt, wenn eine prekäre Beschäftigung freiwillig gewählt wird. Auch wenn es in Deutschland keine Geschlechterunterschiede bei Personen gibt, die freiwillig in einer befristeten Beschäftigung arbeiten (Eurostat 2022), bestehen möglicherweise Unterschiede bezüglich anderer Formen prekärer Beschäftigung. Es wäre ebenfalls denkbar, dass es weniger zu dieser Stressreaktion kommt, wenn eine Beschäftigungs- oder Einkommensunsicherheit als unbedeutend empfunden wird. Außerdem spielen eventuell Geschlechterrollen eine Rolle: Frauen identifizieren sich vielleicht eher mit sozialen Beziehungen und Verpflichtungen in der Familie, wohingegen Männer sich möglicherweise eher mit der Arbeitsrolle identifizieren (Wiley 1991). Diese komplexen Fragen sollten verstärkt untersucht werden.

Methodische Überlegungen

Eine Stärke dieser Studie ist, dass sie auf einem prospektiven Design und auf einer relativ großen Stichprobe basiert. Zudem berücksichtigt die Studie mehrere Indikatoren prekärer Arbeit und es konnten die Analysen für den beruflichen Status adjustiert werden. Ein niedriger beruflicher Status ist sowohl mit prekärer Beschäftigung als auch mit depressiver Symptomatik assoziiert, weshalb eine solche Adjustierung wichtig ist.

Eine Limitation der Studie ist, dass sie eine niedrige Kohortenteilnahmequote von 20 % hat (Demiral et al. 2022, s. Tabelle 3). Basierend auf einem Vergleich zwischen der Kohorte und der Sample Frame, war die Verzerrung aufgrund Geschlecht, Alter, Bildung, Beruf und Einkommen jedoch begrenzt (Demiral et al. 2022). Eine weitere Limitation der Studie besteht darin, dass in den Analysen gesundheitsbedingte Selektionseffekte bezüglich prekärer Beschäftigung nicht kontrolliert werden konnten. Möglicherweise nehmen Personen mit beeinträchtigter mentaler Gesundheit eher prekäre Beschäftigungen auf (de Groot et al. 2021; Giver et al. 2011; Lie et al. 2017). Eine weitere Limitation ist, dass die Zahl von Alleinlebenden in der vorliegenden Studie relativ klein ist, was zu statistischer Unsicherheit in den Risikoschätzungen geführt hat.

Tabelle 4:  Assoziationen zwischen Indikatoren prekärer Arbeit im Jahr 2012 und depressiver Symptomatik im Jahr 2017 bei 1001 männlichen Beschäftigten in Deutschland im Alter von 31 bis 60 Jahren ohne depressive Symptome im Jahr 2012. Logistische Regressionen1. Odds RatiosTable 4: Associations between indicators of precarious work in 2012 and depressive symptoms in 2017 among 1,001 male employees in Germany aged from  31 to 60 without depressive symptoms in 2012. Logistic regressions1. Odds ratios

Tabelle 4: Assoziationen zwischen Indikatoren prekärer Arbeit im Jahr 2012 und depressiver Symptomatik im Jahr 2017 bei 1001 männlichen Beschäftigten in Deutschland im Alter von 31 bis 60 Jahren ohne depressive Symptome im Jahr 2012. Logistische Regressionen1. Odds Ratios
Table 4: Associations between indicators of precarious work in 2012 and depressive symptoms in 2017 among 1,001 male employees in Germany aged from
31 to 60 without depressive symptoms in 2012. Logistic regressions1. Odds ratios

Ausblick

Wie schon in der Einleitung erwähnt, ist die Zahl von veröffentlichten Längsschnittstudien zu mentalen Gesundheitseffekten prekärer Beschäftigung begrenzt (Demiral et al. 2022), und die Anzahl von Studien, die sich mit Geschlechtsunterschieden beschäftigen, ist bisher eher gering (s. Tabellen 1 und 2). Einige bestehende Kohorten und Panels, die Informationen zu prekärer Beschäftigung und mentaler Gesundheit beinhalten, lassen neue Studien zu, die diese Problemstellungen künftig besser untersuchen können. Solche neuen Studien könnten Grundlagen für Metaanalysen darstellen, die das Problem fehlender statistischer Stärke (z. B. relativ kleine Gruppen, die durch die Kombination prekäre Beschäftigung, Geschlecht und Haushaltsstatus zustande kommen) bewältigen können.

Möglicherweise beinhalten aber die meisten existierenden Daten weder Informationen zur Freiwilligkeit, in einer prekären Beschäftigung zu arbeiten, noch Daten zu Geschlechterrollen. Hier sind qualitative Forschungsansätze gefragt.

Acknowledgement: Die Analysen der vorliegenden Studie erfolgten auf Basis der Daten der ersten und zweiten Welle der Studie zur Mentalen Gesundheit bei der Arbeit (S-MGA). Alle Personen wurden über die Studienziele aufgeklärt und erklärten ihre Teilnahmebereitschaft schriftlich (Rose et al. 2017). Für die Studie liegt ein positives Ethikvotum der Ethikkommission der BAuA vor (Votum 006_2016_Müller). Diese Panel-Studie wurde durch die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) initiiert und in Kooperation mit dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und dem Institut für angewandte Sozialwissenschaft (infas) durchgeführt. Die Stichprobenbasis für die S-MGA bildet die Beschäftigtenhistorie (BeH) als ein Teil der Integrierten Erwerbsbiografien (IEB) der Bundesagentur für Arbeit (BA). Ein Zugang zu den Daten der S-MGA ist als Scientific-Use-File nach einem Antragverfahren über das Forschungsdatenzentrum der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin möglich (doi:10.21934/baua:doku20210208 – Datendokumentation; doi:10.48697/smga.w1w2.suf.1 – Datensatz).

Interessenkonflikt: Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.

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Kontakt

Hermann Burr, Ph.D.
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA)
Gruppe 3.2 Psychische Belastung und Mentale Gesundheit
Fachbereich 3 Arbeit und Gesundheit
Nöldnerstr. 40-42
10317 Berlin
hermann.m.burr@baua.bund.de

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