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Von der Verantwortung für eine gute Mutterschutzpraxis in Betrieben und Dienststellen

Guter Mutterschutz zählt

Good maternity protection counts – On the responsibility for good maternity protection practice in companies and departments

Gelingende Erwerbsbiografien

Als mit dem Ersten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung vor mehr als zehn Jahren die Lebensverlaufsperspektive Einzug in die Politikberatung gehalten hat, ist die Gleichstellungspolitik – zumindest in der analytischen Betrachtung – einen entscheidenden Schritt vorangekommen (Neue Wege – Gleiche Chancen, 2013; s. „Weitere Infos“). Denn erst in der Längsschnittbetrachtung werden die Folgen bestimmter Lebensentscheidungen an den „Knotenpunkten“ des Lebens erkennbar (➥ Abb. 1).

An diesen Übergängen werden die Weichen gestellt, die die Verwirklichungschancen für unterschiedliche soziale Gruppen von Männern und Frauen beeinflussen – mit Folgen für die Teilhabe an der Erwerbs- und Sorgearbeit und die eigenständige Existenzsicherung ebenso wie für die berufliche und die gesellschaftliche Teilhabe sowie die eigene Alterssicherung (vgl. Neue Wege – Gleiche Chancen, 2013, S. 39).

Familiengründung als Einschnitt

Zu einem der schwerwiegendsten und folgenreichsten Übergänge im Lebensverlauf gehört die Phase der Familiengründung. Die Entscheidung für die Geburt eines Kindes hat gravierende gleichstellungspolitische Implikationen. Am augenfälligsten ist, dass ab diesem Zeitpunkt die Arbeitszeitlücke zwischen Frauen und Männern deutlich größer wird. Die Arbeitsteilung in der Familie muss neu ausgehandelt werden. Wo in zuvor gleichberechtigten Paarbeziehungen Zeitverwendung, Teilhabe am Erwerbsleben und die Aufgaben im Haushalt relativ egalitär zwischen beiden Teilen eines Paares verteilt waren, beginnen sich mit der Geburt eines Kindes die Ver­hältnisse zu ändern. Jakob Hein, Schriftsteller und ehemaliger Väterbeauftragter der Berliner Charité soll das einmal so formuliert haben: „Männer und Frauen gehen als modernes Paar in den Kreißsaal hinein und kommen als Fünfziger-Jahre-Paar wieder heraus“ (zitiert nach Niejahr 2013).

Retraditionalisierung

In der Wissenschaft wird in diesem Zusammenhang von der Retraditionalisierung der Geschlechterarrangements gesprochen, denn die Geburt von Kindern hat immer noch äußerst unterschiedliche Wirkungen auf die Erwerbsarbeitszeit von Vätern und Müttern, und zwar weit über die Stillzeit und die Kleinkindjahre hinaus. Für die meisten Frauen bedeutet die Geburt eines Kindes einen erheblichen Einschnitt in ihr Erwerbsleben; viele von ihnen reduzieren ihre Erwerbstätigkeit auf Teilzeittätigkeiten, sobald Verantwortung für ein Kind übernommen werden muss: Ihr Anteil an der unbezahlten Sorgearbeit im Haushalt nimmt deutlich zu.

Wirtschaftliche und gesellschaftliche Zusammenhänge können jedoch nur verstanden werden, wenn neben der bezahlten auch die unbezahlte Arbeit in den Fokus rückt. Die Sachverständigenkommission für den Zweiten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung hat zu diesem Zweck den Gender Care Gap entwickelt, der den relativen Unterschied in der täglich für Sorgearbeit verwendeten Zeit zwischen Männern und Frauen erfasst. 2012/2013 lag der Gender Care Gap bei 52,4 %, das heißt, Frauen wenden gut anderthalbmal so viel Zeit für Sorgearbeit auf wie Männer, durchschnittlich 87 Minuten am Tag. In Paarhaushalten mit Kindern verrichten Frauen täglich 2 Stunden und 30 Minuten mehr Sorgearbeit als Männer: Der Gender Care Gap beträgt hier 83,3 % (vgl. Erwerbs- und Sorgearbeit gemeinsam neu gestalten, 2018, S. 95 f; s. „Weitere Infos“; aktuell dazu: Schäper et al. 2023).1

Schwangerschaft als Vereinbar­keitsthema

Doch bei allem, was sich mit der Geburt eines Kindes für die frischgebackenen Eltern ändert – für Frauen stellt sich bereits mit Eintritt der Schwangerschaft und damit früher und dringlicher als für Männer die Frage nach der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Viele erwerbstätige Frauen stoßen häufig bereits während der Schwangerschaft auf Hindernisse. Denn schwanger zu sein und mitten im Berufsleben zu stehen, ist bis heute nur in den seltensten Fällen eine Selbstverständlichkeit. Dabei ist mit der Novellierung des Mutterschutzgesetzes (MuSchG) auch explizit klargestellt worden, dass der Schutz von Schwangeren und ihres ungeborenen Kindes beziehungsweise der stillenden Mutter und ihres Neugeborenen im Arbeitsalltag durch angemessene, präventiv angelegte Maßnahmen und ohne Benachteiligungen sichergestellt werden muss. Doch schon vorher galt, dass sich Schwangerschaft und Berufstätigkeit nicht wie Pole eines Magneten zueinander verhalten dürfen.

Diskriminierungsfreier ­Gesundheitsschutz

Das MuSchG von 2018 formuliert zum ersten Mal ausdrücklich diese doppelte Zielstellung: Einerseits schützt es die Gesundheit der Schwangeren und Stillenden sowie ihres Kindes am Arbeits-, Ausbildungs- und Studienplatz in allen Phasen der besonderen Schutzbedürftigkeit; andererseits ermöglicht es ohne Gefährdung der Gesundheit die Berufsausübung oder die Fortsetzung einer Ausbildung – und zwar ohne Benachteiligungen.

Inwieweit die praktische Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben in Betrieben und Dienststellen die Ziele des Gesetzes erreicht, hat der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) in einer Online-Befragung zur betrieblichen Umsetzung des Mutterschutzgesetzes 021/20222 untersucht und dabei festgestellt, dass sich in der praktischen Umsetzung erhebliche Defizite auftun (Pfahl u. Unrau 2022). Das soll hier an ausgewählten Beispielen näher skizziert werden.

Die mutterschutzrechtliche ­Gefährdungsbeurteilung …

Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sind verpflichtet, im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG eine mutterschutzrechtliche Gefährdungsbeurteilung durchzuführen, unabhängig davon, ob zum Zeitpunkt der Beurteilung an einem bestimmten Arbeitsplatz Frauen beschäftigt sind oder die betreffende Tätigkeit von einer Frau ausgeführt wird. Die mutterschutzrechtliche Gefährdungsbeurteilung ist also zunächst anlassunabhängig durchzuführen. Mögliche Gefährdungen sind zu ermitteln, zu beurteilen und es ist festzulegen, ob gegebenenfalls Schutzmaßnahmen ergriffen werden müssen oder eine Fortführung der Tätigkeit an einem bestimmten Arbeitsplatz ausgeschlossen ist. Sobald eine Frau ihre Schwangerschaft oder den Wunsch zu stillen mitgeteilt hat, sind die Ergebnisse der Gefährdungsbeurteilung unverzüglich auf Aktualität zu überprüfen und die erforderlichen Schutzmaßnahmen durchzuführen. Diese zweite – anlassbezogene – Stufe der Gefährdungsbeurteilung sieht außerdem ein Gesprächsangebot der Arbeitgeberin oder des Arbeitgebers über weitere Anpassungen der Arbeitsbedingungen verpflichtend vor.

In der Verknüpfung der mutterschutzrechtlichen Gefährdungsbeurteilung mit der Beurteilung der Arbeitsbedingungen nach dem allgemeinen Arbeitsschutzrecht wird nicht nur in besonderer Weise der Präven­tionsgedanke augenfällig. Sie dient auch der effektiven und effizienten Umsetzung in Betrieben und Dienststellen und müsste damit ebenso den Interessen von Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern entgegenkommen.

… längst nicht selbstverständlich

Die Ergebnisse der DGB-Online-Befragung zeigen allerdings, dass dennoch nur bei etwas mehr als der Hälfte der Befragten (54 %) eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt worden ist. Bei mehr als jeder dritten Schwangeren (35 %) war das nicht der Fall. Elf Prozent der Befragten gaben an, nicht zu wissen, ob eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt worden sei (➥ Abb. 2).

Das wirft auch ein bezeichnendes Licht auf die Einhaltung der Informationspflichten von Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern, denn die Ergebnisse der Gefährdungsbeurteilung sind laut § 14 MuSchG nicht nur zu dokumentieren, sondern die Beschäftigten und im Einzelfall auch die schwangere oder stillende Frau sind über die Ergebnisse und die erforder­lichen Schutzmaßnahmen zu informieren.

Die Befragungsergebnisse geben außer­dem Hinweise darauf, dass eine späte Schwangerschaftsmitteilung das Risiko erhöht, dass auf eine Gefährdungsbeurteilung ganz „verzichtet wird“. Besonders für diejenigen Schwangeren, die ihre Schwangerschaft sehr spät, das heißt später als mehrere Wochen nach der 12. Schwangerschaftswoche mitgeteilt haben, ist demnach mehrheitlich (55 %) keine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt worden3 (Pfahl u. Unrau 2022).

Abb. 2:  Durch die Arbeitgeberin/den Arbeitgeber beziehungsweise die Dienststelle durchgeführte Gefährdungsbeurteilung während der Schwangerschaft

Abb. 2: Durch die Arbeitgeberin/den Arbeitgeber beziehungsweise die Dienststelle durchgeführte Gefährdungsbeurteilung während der Schwangerschaft

Mangel an Information und ­Kommunikation

Vieles deutet also darauf hin, dass in der praktischen Umsetzung des Mutterschutzes eines der zentralen Instrumente des Arbeitsschutzes – die Gefährdungsbeurteilung – nicht funktioniert. Besorgniserregend ist darüber hinaus, dass das in diesem Zusammenhang gesetzlich vorgeschriebene Gespräch nicht einmal der Hälfte der Befragten (46 %) angeboten wurde (➥ Abb. 3).

Über die Gründe, warum 54 % der Befragten kein Gespräch angeboten worden ist – Unkenntnis der Rechtslage, mangelnde Dia­logbereitschaft, Geringschätzung des Mutterschutzinstrumentariums – gehen aus der Erhebung keine Erkenntnisse hervor. Wohl aber darüber, dass das Gespräch nur in 40 % der Fälle, in denen es überhaupt stattgefunden hat, zeitnah geführt worden ist. 43 % der Befragten hatten das Gespräch innerhalb der zwei Wochen nach der Schwangerschaftsmeldung; bei jeder sechsten Befragten (17 %) fand es erst mehr als zwei Wochen nach Mitteilung der Schwangerschaft statt (vgl. Pfahl u. Unrau 2022, S. 21).

Abb. 3:  Gesprächsangebot der Arbeitgeberin oder des Arbeitgebers beziehungsweise der Dienststelle über die Gestaltung der Arbeitsbedingungen während der Schwangerschaft gemäß § 10 MuSchG

Abb. 3: Gesprächsangebot der Arbeitgeberin oder des Arbeitgebers beziehungsweise der Dienststelle über die Gestaltung der Arbeitsbedingungen während der Schwangerschaft gemäß § 10 MuSchG

Dialogorientierter Mutterschutz

Dabei bietet das Gespräch echte Chancen für beide Seiten: Es dient nicht nur dazu, auf der Grundlage der Gefährdungsbeurteilung die eventuell erforderlichen Schutzmaßnahmen im Kontext der konkreten Arbeitsplatzbedingungen zu besprechen. Auch der Austausch über mögliche weitere Anpassungen der Arbeitsbedingungen, wie ihn das Gesetz vorsieht, eröffnet der Schwangeren oder Stillenden die Möglichkeit, ihre Bedarfe zu schildern und der Arbeitgeberin oder dem Arbeitgeber beziehungsweise der oder dem Vorgesetzten nach Wegen zu suchen, die Beschäftigte längerfristig an den Betrieb zu binden. Im besten Fall findet das Gespräch – auf Wunsch der Schwangeren oder Stillenden auch in Begleitung der Betriebsärztin/des Betriebsarztes und/oder eines Mitglieds des Betriebs- oder Personalrats – in einer von Offenheit und Verständnis geprägten Atmosphäre statt. Dazu gehört der Wille zur gemeinsamen Verständigung, in der die Schwangere oder Stillende auch ihre Wünsche und Bedürfnisse zum Ausdruck bringen kann.

Dass Information und Kommunikation dem Wunsch vieler schwangerer und stillender erwerbstätiger Frauen entsprechen, lässt sich an den Antworten auf die offenen Fragen der DGB-Befragung ablesen. Was sich die befragten Teilnehmerinnen von ihren Vorgesetzten, Personalverantwortlichen, Geschäfts- oder Betriebsleitungen in ihrer Situation gewünscht hätten, waren vor allem Gespräche, Austausch, Informationen, Kommunikation, Aufklärung und das Einbeziehen eigener Wünsche und Bedarfe. Beklagt wurden insbesondere mangelnde Kompetenz und fehlende Kenntnisse der geltenden Rechtslage in den Personalabteilungen (Pfahl u. Unrau 2022, S. 48).

Defizite bei Umsetzung von ­Schutzmaßnahmen

Eklatante Defizite zeigen sich auch bei der Umsetzung einschlägiger Arbeitsschutzmaßnahmen: Nur bei einer knappen Mehrheit der Befragten wurden überhaupt Schutzmaßnahmen ergriffen (54 %). Mehr als die Hälfte der befragten Teilnehmerinnen berichteten, dass kein Ruheraum zur Verfügung stand und fast vier von zehn Befragten gaben an, keine räumlichen oder arbeitsorganisatorischen Möglichkeiten zu haben, um sich jederzeit unter geeigneten Bedingungen ausruhen, also sich hinsetzen oder hinlegen zu können (➥ Abb. 4).

Dabei treffen diese Aussagen nicht nur bei kleineren Unternehmen zu: Auch fast die Hälfte der Befragten aus Großbetrieben konnten keinen Ruheraum nutzen, mehr als einem Viertel von ihnen standen keine geeigneten Bedingungen zum Ausruhen zur Verfügung. Als besonders unzureichend erwiesen sich auch die organisatorischen Vorkehrungen für Stillpausen in geschützter räumlicher Umgebung.

Ein kleinerer Teil der Befragten berichtete davon, dass die vorgeschriebene elfstündige Ruhezeit zwischen Arbeitsende und nächstem Arbeitsbeginn und vorgeschriebene Pausenzeiten nicht immer eingehalten wurden. Annähernd ein Viertel der Befragten hatte zudem keine Möglichkeit, die Tätigkeit jederzeit kurz zu unterbrechen und ein gutes Fünftel der Frauen konnte während der Arbeitszeit nicht die im Rahmen der Schwangerschaft erforderlichen Untersuchungen in Anspruch nehmen.

Abb. 4:  Arbeitsschutzmaßnahmen am Arbeitsplatz, in Prozent (n > 831, < 842)

Abb. 4: Arbeitsschutzmaßnahmen am Arbeitsplatz, in Prozent (n > 831, < 842)

Rangfolge der Schutzmaßnahmen ist nicht beliebig

Diejenigen mutterschutzrechtlichen Maßnahmen, die schwangeren und stillenden Frauen die Fortsetzung ihrer Berufstätigkeit ermöglichen sollen, werden im Betrieb und in den Dienststellen nicht oder nicht im umfassenden Sinne umgesetzt. Abgesehen davon, dass damit Arbeits- und Gesundheitsschutz infrage stehen, wird auch die verpflichtende Rangfolge der Schutzmaßnahmen nach § 13 MuSchG ausgehebelt. Sie dient nicht nur dem Schutz der schwangeren oder stillenden Frau oder ihres Kindes vor unverantwortbaren Gefährdungen, sie schützt auch vor möglichen Benachteiligungen. Am Ende dieser Rangfolge steht das Beschäftigungsverbot; sie ist die Ultima ratio für den Fall, dass unverantwortbare Gefährdungen der schwangeren oder stillenden Frau oder ihres Kindes anders nicht ausgeschlossen werden können.

Diskriminierungserfahrungen und längerfristige Nachteile

Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass ein Teil der Befragten von Diskriminierungserfahrungen und längerfristigen Nachteilen berichtet (➥ Abb. 5): Von denjenigen Frauen, die zum Zeitpunkt der Befragung nach Mutterschutz und Elternzeit ihre berufliche Tätigkeit bereits wieder aufgenommen hatten – rund die Hälfte der Befragten – war mehr als ein Viertel von Nachteilen betroffen. Bei rund 70 % der wieder berufstätigen Frauen kam es aufgrund der Schwangerschaft zu Verzögerungen oder Blockaden in der beruflichen Weiterentwicklung. Für knapp die Hälfte der Befragten (47 %) war es ein anstehender Karriereschritt, der sich verzögerte oder der blockiert war. Rund 40 % mussten Abstriche bei ihren Tätigkeiten machen; ihnen wurden weniger interessante Tätigkeiten zugeteilt. Bei mehr als einem Drittel der Frauen (36 %) verzögerte sich die anstehende Gehaltserhöhung oder sie wurde ganz ausgesetzt. Über insgesamt schlechtere Arbeitsbedingungen berichtete ein Viertel der Befragten und ein Fünftel (22 %) konnte beim Wiedereinstieg in den Beruf nicht mehr in die alte berufliche Position zurückkehren.

Abb. 5:  Nachteile im Betrieb bzw. in in der Dienststelle aufgrund der Schwangerschaft/Mutterschaft (in Prozent)

Abb. 5: Nachteile im Betrieb bzw. in in der Dienststelle aufgrund der Schwangerschaft/Mutterschaft (in Prozent)

Hürden im Erwerbsverlauf

Es ist längst nicht mehr von der Hand zu weisen, dass Schwangerschaft und Mutterschaft für erwerbstätige Frauen mit hohen Risiken für ihre Erwerbsbiografie, ihre Berufsper­spektiven und ihre eigenständige Existenzsicherung verbunden sind – sowohl kurz- als auch langfristig betrachtet. Trotz mangelnder systematischer Erfassung gibt es neben der hier zitierten DGB-Befragung weitere aufschlussreiche Erhebungen, die die Diskriminierungserfahrungen erwerbstätiger Frauen aufgrund von Schwangerschaft und Mutterschaft (und, wenn auch deutlich seltener, von Männern aufgrund von Elternschaft) dokumentieren. Dazu gehören die bereits etwas ältere erste (Ziegler et al. 2015; hierzu auch: Ziegler u. Graml 2011) ebenso wie die zweite Frankfurter Karriere-Studie von Yvonne Ziegler und Regine Graml (Ziegler u. Graml 2022), die Erkenntnisse aus dem Prognos-Bericht über „Diskriminierungserfahrungen von fürsorgenden Erwerbstätigen im Kontext von Schwangerschaft, Elternzeit und Pflege von Angehörigen“ (Mohr et al. 2021), die Ergebnisse aus dem EU-Projekt „Parents@work“ (Bergmann et al. 2021; s. „Weitere Infos“) sowie ganz aktuell die Einsichten aus der Online-Befragung eines Netzwerks ärztlicher Organisationen unter rund 4750 Ärztinnen und Medizinstudentinnen (Schwangere Ärztinnen unter Druck, 2023; s. „Weitere Infos“).

Guter Mutterschutz – viel Luft nach oben

Angesichts steigender Erwerbstätigkeit von Frauen und Müttern und vor dem Hintergrund des sich zuspitzenden Fachkräftemangels in vielen Branchen und Berufen sollte man glauben, dass Mutterschutzpraxis in Betrieben und Dienststellen funktioniert. Doch da ist viel Luft nach oben.

Betriebliche Akteurinnen und Akteure müssen sich ihrer Verantwortung für gute Mutterschutzpraxis im Betrieb und in der Dienststelle bewusst sein: Das gilt in allererster Linie für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber als Normadressatinnen und -adressaten des Mutterschutzgesetzes. Das betrifft aber ebenso die fachkundige Person, die von der Arbeitgeberin oder vom Arbeitgeber beauftragt ist, den Mutterschutz umzusetzen und zu überwachen, ebenso wie Betriebsärztinnen und Betriebsärzte oder die Fachkraft für Arbeitssicherheit. Sie dürfen sich nicht weg­ducken, wenn es darum geht, die Instrumente des Mutterschutzgesetzes vorschriftsgemäß und verantwortungsbewusst anzuwenden.

Unterstützen und begleiten

Die betrieblichen Interessenvertretungen – Betriebs- und Personalräte sowie Gleichstellungsbeauftragte – sind gefragt, die Maßnahmen zu begleiten und im Sinne der Beschäftigten zu unterstützen. Nicht alle Frauen haben bereits in der Schwangerschaft einen ausgefeilten Lebensplan. Bei etlichen werden sich Vorfreude auf das Kind und Unsicherheit bezüglich der beruflichen und privaten Lebensplanung mischen. Manche brauchen – abgesehen von den erforderlichen Mutterschutzmaßnahmen – einen Fingerzeig, wie es nach der Rückkehr aus Mutterschutz oder Elternzeit weitergehen kann. Viele wollen wissen, ob es überhaupt weitergehen wird. Die betrieblichen Akteurinnen und Akteure können durch Sensibilisierung für die Belange von Schwangeren und Stillenden unterstützen und um Verständnis bei Geschäftsführung ebenso wie bei Kolleginnen und Kollegen werben. Es wäre viel gewonnen, gäbe es gut aufbereitete Informationen und Tipps, wo in individuellen Fragen um Rat nachgesucht werden kann. (Online)Sprechstunden für einzelfallbezogene Hilfestellung und Betriebs- oder Personalversammlungen, um dem Thema Schwangerschaft, Stillzeit und Mutterschutz Sichtbarkeit zu verleihen, sollten Standard sein.

Gelebte Normalität im Betriebsalltag

Allen muss bewusst sein, dass der vermeintlich bequemere Weg eines betrieblichen Beschäftigungsverbots, ohne zuvor Arbeitsschutzmaßnahmen durch die Anpassung der Arbeitsbedingungen geprüft zu haben, zwar Kosten oder finanzielle Nachteile für alle Beteiligten vermeidet. Für die betroffenen erwerbstätigen Frauen ist die Wahrscheinlichkeit, dass das in ihrem Erwerbsverlauf und darüber hinaus mit negativen Folgen verbunden sein wird, ziemlich hoch. Schwangerschaft und Geburt müssen endlich zur gelebten Normalität im Betriebsalltag werden. Dazu müssen die arbeitsweltlichen Akteurinnen und Akteure Impulse in Betrieb oder Dienststelle aussenden. Ihre Rolle ist nicht zuletzt die des Vorbilds, der Mahnenden, der Mentorin oder des Mentors. Ihre Botschaft: Schwangerschaft und Stillzeit müssen als selbstverständliche personalpolitische Ereignisse ihren geschützten Platz in der Betriebswirklichkeit haben.

Interessenkonflikt: Die Autorin gibt an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.

Literatur

Mohr S et. al.: Diskriminierungserfahrungen von fürsorgenden Erwerbstätigen im Kontext von Schwangerschaft, Elternzeit und Pflege von Angehörigen. Abschlussbericht erstellt im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Berlin, 2021.

Niejahr E: Mehr muss es nicht sein. Viele möchten auf Geld verzichten, um mehr Zeit für die Familie zu haben. DIE ZEIT 2013; 49.

Pfahl S, Unrau E: Erfahrungen mit dem Mutterschutz am Arbeitsplatz. Befragung zu den Arbeitsbedingungen schwangerer und stillender Arbeitnehmerinnen. Berlin, 2022.

Schäper C, Schrenker A, Wrohlich K: Gender Pay Gap und Gender Care Gap steigen bis zur Mitte des Lebens stark an. DIW Wochenbericht 2023; 9: 99–105.

Ziegler Y, Graml R: Die Illusion von der Vereinbarkeit von Familie und Karriere. Erkenntnisse aus der Frankfurter Karrierestudie 2010: Karriereperspektiven berufstätiger Mütter. GiP 2011; 2: 15–21.

Ziegler Y, Graml R, Weissenrieder C: Karriereperspektiven berufstätiger Mütter. 1. Frankfurter Karrierestudie. Die neuen 3 K: Kinder, Kompetenz, Karriere. Göttingen, 2015.

Ziegler Y, Graml R: Karriereperspektiven berufstätiger Mütter. Gute Arbeit 2022; 11: 20–22.

doi:10.17147/asu-1-273020

Weitere Infos

Erfahrungen mit dem Mutterschutz am Arbeitsplatz – Befragung zu den Arbeitsbedingungen schwangerer und stillender Arbeitnehmerinnen
https://frauen.dgb.de/-/lqR

Schwangere Ärztinnen unter Druck. Ergebnisse der bundesweit größten Online-Befragung von angestellten und angehenden Ärztinnen in der Schwangerschaft. 2023
https://www.marburger-bund.de/sites/default/files/files/2023-02/Zusamme…

Gender Pay Gap und Gender Care Gap steigen bis zur Mitte des Lebens stark an. DIW Wochenbericht 9/2023
https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.867348.de/23-9-1…

Bergmann N et al.: Eltern am Arbeitsplatz. Zwischen Vereinbarkeit und Diskriminierung. Wien, 2021
https://www.gleichbehandlungsanwaltschaft.gv.at/dam/jcr:1d78cf99-ddce-4…

Neue Wege – Gleiche Chancen. Gleichstellung von Frauen und Männern im Lebensverlauf. Erster Gleichstellungsbericht der Bundesregierung (2011), 4. Aufl. Berlin, 2013.
https://www.gleichstellungsbericht.de/de/topic/6.erster-gleichstellungs…

Erwerbs- und Sorgearbeit gemeinsam neu gestalten. Zweiter Gleichstellungsbericht der Bundesregierung (2017), 2. Aufl. Berlin, 2018
https://www.gleichstellungsbericht.de/de/topic/2.zweiter-gleichstellung…

Kernaussagen

  • Gute Mutterschutzpraxis ist essenziell für die Erwerbsbiografien von Frauen und die gute ­Vereinbarkeit von Beruf und Familie von Anfang an.
  • Die Phase der Familiengründung gehört zu einem der schwerwiegendsten und folgenreichsten Übergänge im Lebensverlauf von Frauen mit gravierenden finanziellen und sozialen Folgen.
  • Die praktische Umsetzung des Mutterschutzes in Betrieben und Dienststellen muss besser werden.
  • Alle betrieblichen Akteurinnen und Akteure müssen sich ihrer Verantwortung für gute ­Mutterschutzpraxis im Betrieb und in der Dienststelle bewusst sein.
  • Schwangerschaft und Geburt müssen zur gelebten Normalität im Betriebsalltag werden.
  • Kontakt

    Silke Raab
    DGB Bundesvorstand; Keithstraße 1; 10787 Berlin

    Foto: Barbara Dietl

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