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Grundanforderungen der betrieblichen Ersten Hilfe und Entwicklungen im Kontext hybrider Arbeitsformen

Erste Hilfe im Betrieb

Der hohe Stellenwert der Ersten Hilfe drückt sich durch deren Verankerung im Siebten Buch Sozialgesetzbuch aus (§ 23 SGB VII). Basierend auf der gesetzlichen Anforderung präzisiert die Unfallverhütungsvorschrift „Grundsätze der Prävention“ im dritten Abschnitt die Anforderungen an die Organisation der Ersten Hilfe im Betrieb. Im Folgenden werden die Grundpflichten zur Organisation der Ersten Hilfe zusammenfassend dargestellt und mit aktuellen Änderungen, die im Betrieb berücksichtigt werden müssen, verknüpft. In einem zweiten Teil wird das Thema „hybride Arbeitsformen“ im Kontext der Ersten Hilfe aufgegriffen.

Grundanforderungen der ­betrieblichen Ersten Hilfe

Kernelement der Ersten Hilfe im Betrieb sind die betrieblichen Ersthelfenden. Sie müssen in Abhängigkeit von der Anzahl der anwesenden Versicherten und der Art des Betriebs zur Verfügung stehen. Bei zwei bis 20 anwesenden Versicherten bedarf es eines Ersthelfenden. Bei mehr als 20 anwesenden Versicherten müssen in Verwaltungs- und Handelsbetrieben 5 % als aus- beziehungsweise fortgebildete Ersthelfende zur Verfügung stehen, bei sonstigen Betrieben 10 %. Für Kindertageseinrichtungen und Hochschulen gelten gesonderte Bedingungen (§ 26 (1) Nr. 2 c), d) der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) Vorschrift 1). Die Bestimmung der notwendigen Anzahl an Ersthelfenden ist davon abhängig, wie viele Beschäftigte an einem Ort zur gleichen Zeit tätig werden. Somit müssen verschiedene Betriebsstätten genauso gesondert betrachtet werden wie Tages- und Nachtschichten bei Schichtbetrieben. Ergänzend sind Abwesenheitszeiten der Ersthelfenden durch beispielsweise Urlaub, Krankheit, Dienstreisen, Weiterbildung oder mobile Arbeitsformen zu berücksichtigen. Im Ergebnis reicht es damit in der Regel nicht aus, die geforderten 5 % beziehungsweise 10 % der Belegschaft in Erster Hilfe zu schulen, denn die Ersthelfenden müssen in der geforderten Anzahl auch zur Verfügung stehen. Demnach ist es erforderlich, eine größere Grundgesamtheit als Pool an Ersthelfenden vorzuhalten.

Zur Sicherung der Qualität ist die Aus- und Fortbildung der betrieblichen Ersthelfenden Ausbildungsstellen vorbehalten, die von den Unfallversicherungsträgern hierzu ermächtigt sind. Diese ermächtigten Stellen werden kontinuierlich Qualitätskontrollen unterzogen und der Fortbestand der Ermächtigungsvoraussetzungen wird durch turnusmäßige Rezertifizierungen geprüft. Diese Aufgaben übernimmt für beinahe alle Unfallversicherungsträger die Qualitätssicherungsstelle Erste Hilfe (QSEH), die bei der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG) angesiedelt ist. In diesem Zusammenhang sind die Inhalte der Erste-Hilfe-Aus- und Fortbildungen durch den DGUV Grundsatz 304-001 „Ermächtigung von Stellen für die Aus- und Fortbildung in der Ersten Hilfe“ zentral vorgegeben. Basis für die Inhalte sind auch die vom Deutschen Rat für Wiederbelebung (German Resuscitation Council, GRC) veröffentlichten Leitlinien. Im Zusammenhang mit der Wiederbelebung wird immer wieder diskutiert, ob eine reine Thoraxkompression gelehrt werden sollte, um die Vereinfachung der Maßnahme zu ermöglichen. Da die Kombination aus Thoraxkompression und Atemspende weiterhin als Goldstandard gilt, werden die betrieblichen Ersthelfenden weiterhin im Modus 30:2 Herzdruckmassage zu Beatmung geschult.

Das Unternehmen hat außerdem dafür Sorge zu tragen, dass Mittel zur Ersten Hilfe jederzeit schnell erreichbar sind und leicht zugänglich bereitgehalten werden. In der Regel erfüllen Unternehmen diese Pflicht durch das Vorhalten von Verbandkästen nach DIN-Norm. In Frage kommen der kleine betriebliche Verbandkasten nach DIN 13157 oder der große betriebliche Verbandkasten nach DIN 13169. Inhaltlich unterscheiden sich diese Verbandkästen nur bezüglich der Menge an Materialien, wobei der große Verbandkasten die doppelte Menge an Materialien enthält. Eine schnelle und leichte Erreichbarkeit von Erste-Hilfe-Material ist daher in vielen Fällen leichter zu erfüllen, wenn mehrere kleine Verbandkästen zur Verfügung stehen. Da die Materialien regelmäßig auf ihre Haltbarkeit überprüft werden müssen, empfiehlt es sich, bereits bei der Anschaffung auf eine lange Verwendbarkeit zu achten, die von Hersteller zu Hersteller variiert. Um verwendete Materialen ersetzen zu können, muss außerdem ein entsprechendes innerbetriebliches Informations- und Kontrollsystem etabliert werden. Im November 2021 wurden nach über zehn Jahren die DIN-Normen 13157 und 13169 in aktualisierter Version veröffentlicht, wobei keine Materialen entfallen sind. Ergänzt wurden weitere Wundschnellverbände, Feuchttücher zum Reinigen unverletzter Haut sowie medizinische Gesichtsmasken. Einen vergleichenden Überblick über die Inhalte der genormten Verbandkästen können Unternehmen sich über die Veröffentlichung des Fachbereichs Erste Hilfe der DGUV verschaffen. Insgesamt müssen Unternehmen ergänzend zur Norm das Ergebnis ihrer Gefährdungsbeurteilung beachten, um eventuelle Erfordernisse für besondere Einrichtungen und Sachmittel berücksichtigen zu können. So kann es beispielsweise erforderlich sein, besondere Rettungsmittel für die Rettung aus Höhen vorzuhalten. Die Fachbereiche der DGUV unterstützen hier mit entsprechenden Informationsmaterialien.

Als Pflicht des Unternehmens schreibt die Unfallverhütungsvorschrift die Dokumentation jeder Erste-Hilfe-Leistung vor (§ 24 (6) DGUV Vorschrift 1). Diese Aufzeichnungen unterstützen das Unternehmen bei der Organisation der Ersten Hilfe und des betrieblichen Rettungswesens und können zur Analyse von Unfallschwerpunkten herangezogen werden. Aufgezeichnet werden müssen dabei

  • der Name des/der Verletzten beziehungsweise Erkrankten,
  • Datum/Uhrzeit des Unfalls beziehungsweise Gesundheitsschadens,
  • Ort, Hergang,
  • Art und Umfang der Verletzung/Erkrankung,
  • Namen der Zeugen,
  • Datum und Uhrzeit der Erste-Hilfe-Leistung,
  • Art und Weise der Erste-Hilfe-Maß­nahmen,
  • Name der/des Erste-Hilfe-Leistenden.
  • Als etabliertes Instrument für die Dokumentation ist das sogenannte „Verbandbuch“ (DGUV Information 204-020) bekannt. Da die erfassten Daten sensibel verwaltet werden müssen und nicht von jedem Beschäftigten eingesehen werden dürfen, ist eine Aufbewahrung beispielsweise direkt im Verbandkasten ausgeschlossen. Aus diesem Grund hat der Fachbereich Erste Hilfe 2021 beschlossen, das „Verbandbuch“ nicht weiter zur Verfügung zu stellen. Um Betrieben die Einhaltung des Datenschutzes zu erleichtern und trotzdem die „Erinnerungsfunktion“ durch die Präsenz bei den Erste-Hilfe-Materialien sicherzustellen wird stattdessen der sogenannte „Meldeblock“ (DGUV Information 204-021) angeboten. Er enthält perforierte Seiten, die nach dem Ausfüllen herausgetrennt und an geeigneter Stelle aufbewahrt werden können. Denkbar sind alternativ auch digitale Varianten zur Dokumentation, die auch eine Auswertung der Daten erleichtern.

    Neben den beschriebenen Erfordernissen zur Organisation der Ersten Hilfe im Betrieb bestehen weitere Pflichten, die hier nicht abschließend genannt sind, zum Beispiel zum Vorhalten von Betriebssanitäterinnen bzw. -sanitätern und zu Unterstützungspflichten der Versicherten. Nachzulesen sind diese in Abschnitt drei der DGUV Vorschrift 1.

    Erste Hilfe im Kontext hybrider ­Arbeitsformen

    Mit der ab März 2020 einsetzenden Coronavirus-Lage hat sich der Anteil der Beschäftigten, die ihre Tätigkeit mobil beziehungsweise aus dem Homeoffice verrichten, erheblich erhöht. In der Folge sind in den Unternehmen häufig weniger Ersthelfende vor Ort. Mit dieser neuen Situation dezentralen Arbeitens geht für Unternehmen die Herausforderung einher, die Verfügbarkeit von Ersthelfenden neu zu organisieren. Um die geforderte Anzahl von Ersthelfenden vorzuhalten, muss in der Regel eine größere Anzahl an Beschäftigten in Erster Hilfe qualifiziert werden als es bei reiner Präsenzarbeit der Fall war. An dieser Stelle soll nicht unerwähnt bleiben, dass Unternehmen, die an verschiedenen Betriebsstätten mit wechselnder Besetzung (z. B. kleine Filialen) und im Schichtdienst tätig werden, schon seit jeher mit dieser Herausforderung konfrontiert sind. Im Unterschied zum produzierenden Gewerbe, bei dem Beschäftigte an festen Arbeitsplätzen eingesetzt werden, ist bei Bürotätigkeiten der Aspekt der örtlichen Flexibilität innerhalb der Präsenztätigkeit zu berücksichtigen. Die Arbeit am Schreibtisch kann innerhalb der Firma bei flexiblen Raumkonzepten von unterschiedlichen Orten aus verrichtet werden. Damit müssen Unternehmen neben der Frage, ob eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter im Gebäude ist, auch die Frage klären, in welchem Raum sich die Person befindet. Dieses Wissen benötigen Betroffene beziehungsweise Helfende, um einen nächstgelegenen betrieblichen Ersthelfenden alarmieren zu können. In der betrieblichen Praxis reichen die Ideen zur Begegnung dieser Problematik von der Einrichtung einer telefonischen Sammelnummer für Ersthelfende bis zu digitalen Info-Screens, die die aktuell im Gebäude befindlichen Ersthelfenden anzeigen. In den kommenden Jahren wird sich die Kultur hybriden Arbeitens etablieren und sich „Best-Practice“-Verfahren zur Organisation der Ersten Hilfe herauskristallisieren. Der Fachbereich Erste Hilfe ist an gelungenen praktischen Umsetzungen interessiert – es ist daher ausdrücklich erwünscht, dass Unternehmen sich an die Geschäftsstelle des Fachbereichs Erste Hilfe wenden.

    Interessenkonflikt: Sonja Palme ist Leiterin der Geschäftsstelle des Fachbereichs Erste Hilfe der DGUV. Sie ist Angestellte bei der gesetzlichen Unfallversicherung VBG. Die VBG nimmt keinen Einfluss auf die Entscheidung, diesen Fachbeitrag zu schreiben.

    Literatur

    Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e.V. (DGUV): DGUV Regel 100-001 – Grundsätze der Prävention, 2014.

    Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e.V. (DGUV): DGUV Vorschrift 1 – Unfallverhütungsvorschrift – Grundsätze der Prävention, 2013.

    Deutscher Rat für Wiederbelebung – German Resuscitation Council e. V. (GRC): Reanimation 2021 – Leitlinien kompakt, 2021.

    DIN-Normenausschuss Rettungsdienst und Krankenhaus (NARK): Begriffe im Rettungswesen (DIN 13050): DIN Deutsches Institut für Normung e.V., 2021.

    doi:10.17147/asu-1-211440

    Weitere Infos

    Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e.V. (DGUV): Erste Hilfe im Betrieb (DGUV Information 204-022)
    https://publikationen.dguv.de/widgets/pdf/download/article/759

    Hans Böckler Stiftung: Studien zu Homeoffice und mobiler Arbeit
    https://www.boeckler.de/de/auf-einen-blick-17945-Auf-einen-Blick-Studie…

    Organisation der Ersten Hilfe im Betrieb – Checkliste
    https://www.dguv.de/medien/fb-erstehilfe/de/pdf/organisation_eh.pdf

    Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG): Organisation von Arbeitsschutz und Motivation – Präventionspreis 2020 für Carglass GmbH, Köln
    https://www.vbgnext.de/profitieren/?id=189

    Kernaussagen

  • Bei der Organisation der Ersten Hilfe im Betrieb muss besonderes Augenmerk auf die ­tatsächliche Verfügbarkeit der Ersthelfenden gelegt werden.
  • Bei der Reanimation werden betriebliche Ersthelfende im Modus 30:2, Thoraxkompression
    zu Beatmung geschult.
  • Die Organisation der Ersten Hilfe im Kontext hybrider Arbeitsformen ist eine Herausforderung. Best-Practice-Beispiel können an die Geschäftsstelle des Fachbereichs Erste Hilfe
    der DGUV gemeldet werden.
  • Kontakt

    Sonja Palme, M.A.
    Verwaltungs-Berufs­genossenschaft (VBG); Geschäftsstelle Fachbereich Erste Hilfe; Riemenschneiderstr. 2; 97072 Würzburg

    Foto: privat

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