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Einsatz der Indoor Environment Simulation Suite in Innenräumen

Simulative Bewertung der Aerosol- und Humanemissionsbelastung

VEPZO-Modell

Zonale Modelle ermöglichen eine einfachere und schnellere Abschätzung des Raumklimas als aufwändige Computational Fluid Dynamics-(CFD)-Simulationen. Dabei bedienen sie sich ähnlicher mathematischer Theorien, unterteilen den Raum aber nur in 100 bis 1000 Volumenzonen. Das Velocity Propagating Zonal Modell (VEPZO) (Norrefeldt et al. 2012) ist eine um die Weiterleitung der Strömungsgeschwindigkeit erweiterte Form eines zonalen Modells. Im VEPZO-Volumenmodell ist die Erhaltung skalarer Größen wie Masse, Wärme und Feuchte implementiert. Es enthält Schnittstellen zu weiteren Arten von Stoff-, Masse- und Wärmeflüssen, wie beispielsweise Spurengase und Partikel oder zur Wärmeabgabe durch Personen. Benachbarte Zonen sind über Strömungsmodelle verbunden, in denen die Menge der ausgetauschten Luft berechnet wird. Durch dreidimensionale Anordnung der Volumen- und Strömungsmodelle wird ein Raum zonal dargestellt, um Rückschlüsse auf die Temperatur-, Stoff- und Luftstromverteilung zu ziehen.

Bestehende Anwendungen

Die Indoor Environment Simulation Suite wurde ursprünglich entwickelt, um das Raumklima einer Flugzeugkabine in kurzer Zeit und über einen ganzen Flug hinweg transient zu berechnen und ein optimales Klima zu entwickeln. Betrachtet wurden dabei der Passagierkomfort und die Temperaturverteilung im Avionik-System, dem Rechenzentrum des Flugzeugs. Für derartige Anwendungen wurde die Simulation umfangreich validiert (Norrefeldt et al. 2015).

Zur weiteren Gültigkeitsprüfung des Modells bewerteten Lindner et al. (2019) verschiedene klimatische Szenarios in einer Flugzeugküche nahe einer Außentür. Diese stellt aufgrund der strukturellen Verstärkung des Rahmens eine Wärmebrücke dar, infolge derer die Crew oftmals unter unangenehmer Kälte im Fußbereich leidet. Mithilfe der Modellierung ließen sich verschiedene Ansätze zur Klimatisierung simulativ bewerten und viel versprechende Lösungen im Versuchsaufbau umsetzen, um diesen Bereich lokal zu verbessern (➥ Abb. 1). Aufgrund der kurzen Simulationszeit von etwa 10 Minuten (auf einem handelsüblichen PC) konnten dabei viele verschiedene Szenarien flexibel und zeitsparend bewertet werden.

Im Sinne dieser Verbesserung des Raumklimas wurde das zonale Modell auch mit einem genetischen Optimierungsalgorithmus gekoppelt. Angelehnt an Darwins Evolutionstheorie wird eine Schar von verschiedenen Lösungen durch Kombination und Selektion über mehrere Generationen hin zu einer besseren Lösung gezüchtet. Am Beispiel eines hybrid belüfteten Klassenzimmers (Fenster- und zusätzliche mechanische Belüftung) aus ➥ Abb. 2 wurden für winterliche Außenbedingungen die Benutzung von Kippfenstern und die Anordnung von Wärme abgebenden Computern in Bezug auf Heizleistung, Komfort und Luftqualität im Aufenthaltsbereich der Schülerinnen und Schüler optimiert (Norrefeldt et al. 2013; Reim et al. 2015).

Abb. 2:  Zonale Simulation eines Klassenzimmers (Reim et al. 2015)

Abb. 2: Zonale Simulation eines Klassenzimmers (Reim et al. 2015)

Erweiterung für die Bewertung der Aerosol-Ausbreitung

Im Rahmen eines Forschungsprojekts wird die Indoor Environment Simulation Suite um die Ausbreitungsrechnung potenziell infektiöser Aerosole in geschlossenen Räumen erweitert. Hierzu wurde der Mensch als CO2- und Aerosolquelle integriert. Der Quellcode der Modelle wurde so erweitert, dass die von Menschen emittierten Aerosole mit der Raumluftströmung weiter in den Raum getragen werden. Daraus ergibt sich die lokale Verteilung der abgegebenen Aerosole im Raum. Die Quellstärke kann hierbei an die Tätigkeit der Person (z. B. Schweigen, Sprechen, Singen) und deren persönliche Schutzausrüstung (keine, verschiedene Maskentypen, Visiere etc.) angepasst werden.

Mit der Modellierung können auch Maßnahmen zur Reduktion der Aerosol-Ausbreitung bewertet werden. Diese Maßnahmen werden im Modell in ihrer prinzipiellen Wirkweise beschrieben, zum Beispiel eine verstärkte Lüftung oder Raumluftfilterung. Dies wird mit Leistungsdaten ergänzt, die in den Laboren des Fraunhofer IBP ermittelt wurden.

Abb. 3:  Schematische Darstellung des betrachteten Beispiels eines Restaurants aus Guangzhou von oben (links) und in einer 3D-Darstellung (rechts)

Abb. 3: Schematische Darstellung des betrachteten Beispiels eines Restaurants aus Guangzhou von oben (links) und in einer 3D-Darstellung (rechts)

Beispielanwendung: Restaurant in Guangzhou, China

Als Anwendungsbeispiel der Modellierung diente ein gut dokumentiertes Superspreading-Event in einem Restaurant in Guangzhou. Ausgehend von einem Index-Patienten wird durch den Ansatz eines Spurengases die Partikelverteilung der ansteckenden Aerosole berechnet. ➥ Abbildung 3 zeigt den betrachteten Fall des Restaurants. Im Nachhinein konnten neun Ansteckungen mit Covid-19 von Familienmitgliedern dreier Familien (A, B und C) auf dieses Event und damit einen Indexpatienten (A1) zurückgeführt werden (Lu et al. 2020). Besagte Familien hielten sich am 24. Januar 2020 zusammen mit 81 weiteren Personen (73 Gäste, 8 Beschäftigte) gleichzeitig im Restaurant auf. In Abb. 3 sind das Belüftungssystem sowie Zu- und Auslässe dargestellt. Die Luftstromrate betrug 1 Liter pro Sekunde und pro Person, aufgeteilt auf insgesamt fünf AC-Einheiten (Klimageräte). Dabei wurde die Luft nur umgewälzt, eine Frischluftzufuhr blieb aus.

Unter Berücksichtigung aller wichtigen Kenngrößen dieses dokumentierten Falls aus Lu et al. (2020) wurde mittels des VEPZO-Modells die in ➥ Abb. 4 gezeigte Verteilung des Luftalters und des Ausbreitungsbereichs der Emission der Index-Person errechnet. Zum einen ist damit nachvollziehbar, dass sich vor allem die Familien an den zwei Tischen direkt neben dem Indexpatienten angesteckt haben. Die Konzentration bleibt hier besonders hoch und nach gewisser Verweildauer erhöht sich das Ansteckungsrisiko nachweislich (Sun u. Zhai 2020).

Zum anderen spielen die in diesem Fall schlechte Belüftung und niedrige Luftaustauschrate eine zentrale Rolle, die verhinderten, dass eine schnelle Erneuerung der Raumluft stattfand. Dies führte dazu, dass mit infektiösen Partikeln angereicherte Luft nicht ausreichend schnell abgeführt wurde, was aus dem erhöhten Durchschnittsalter der Raumluft zu schließen ist. Gleichzeitig zeigt sich ein erhöhtes lokales Alter der Raumluft entlang der gesamten Länge des Restaurants, aufgrund der Luftführung fand aber nur im linken Bereich eine Ansteckung statt.

Mithilfe der Indoor Environment Simulation Suite wurden verschiedene Varianten untersucht, wie der Verbreitungsbereich lokal konzentrierter hätte gehalten werden können. Bewertet wurden hierbei das lokale Alter der Luft sowie der Bereich erhöhter Last. ➥ Abbildung 5 zeigt die gefundene Lösung anhand eines veränderten Zu- und Abluftluftsystems. Hierbei wird über die gesamte Länge des Restaurants zentral an der Decke Frischluft zugeführt, welche an den unteren Kanten der Längsseiten wieder abgesaugt wird. Eine Verbesserung von Luftalter und Ausbreitungswegen ist klar erkennbar.

Abb. 4:  Simulation des dokumentierten Falls bezüglich des Luftalters (links) und der ­Partikelausbreitung (rechts)

Abb. 4: Simulation des dokumentierten Falls bezüglich des Luftalters (links) und der ­Partikelausbreitung (rechts)

Diskussion

Mit der Indoor Environment Simulation Suite können vergleichsweise schnell und auf vereinfachtem Weg Vorhersagen über das lokale Luftalter und die Ausbreitung von Raumluftbestandteilen getroffen werden. Es kann eine Quelle simuliert und deren Verteilung im Raum aufgrund von Luftströmungen dargestellt werden. Insbesondere fokussiert sich diese Simulation auf die Ausbreitung kleiner Aerosole, die mit der Raumluft weiter schweben.

Auf dieser Studie können weitere Untersuchungen aufbauen und die Wirksamkeit von Verbesserungsmaßnahmen (Konzepte, Produkte) kann in kurzer Zeit bewertet werden.

Danksagung: Wir möchten uns herzlich bei Kilian Schneider für die Unterstützung beim Verfassen des Artikels bedanken.

Interessenkonflikt: Die Autoren geben an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.

Literatur

Lindner AJM, Pschirer M, Norrefeldt V, Siede M: Case studies validating a new climate concept for cold galley areas with the DressMAN and the IESS model. AST 2019.

Lu J, Gu J, Li K et al.: COVID-19 outbreak associated with air conditioning in restaurant, Guangzhou, China, 2020. Emerging Infectious Diseases 2020; 26: 1628–1631.

Norrefeldt V, Grün G, Sedlbauer K: VEPZO – Velocity propagating zonal model for the estimation of the airflow pattern and temperature distribution in a confined space. Building and Environment 2012; 48: 183–194.

Norrefeldt V, Grün G, van Treeck C: Use of the VEPZO model to optimize a hybrid ventilation system 2013.

Norrefeldt V, Pathak A, Lemouedda A, Siede M, Grün G: Validation of the zonal thermal model VEPZO/RADZO for cold outside conditions on a business jet mock-up. AST 2015.

Reim H, Norrefeldt V, Noisten P, Nasyrov V, Stratbücker S: Export of BIM data to energy simulation tools and more refined zonal models. Lake Constance 5D-Conference 2015.

Sun C, Zhai Z: The efficacy of social distance and ­ventilation effectiveness in preventing COVID-19 transmission. Sustain Cities Soc 2020; 62: 102390

Abb. 5:  Simulation einer optimierten Belüftung (links) bezüglich des Luftalters (Mitte) und der Partikelausbreitung (rechts)

Abb. 5: Simulation einer optimierten Belüftung (links) bezüglich des Luftalters (Mitte) und der Partikelausbreitung (rechts)

Koautoren

An der Erstellung des Beitrags beteiligt waren Dr. Ing. Victor Norrefeldt und Prof. Dr.-Ing. Gunnar Grün, beide Fraunhofer-Institut für Bauphysik, Valley.

Kontakt

Dr.-Ing. Victor Norrefeldt
Fraunhofer-Institut
für ­BauphysikFraunhoferstr. 1083626 Valley

Foto: Fraunhofer IBP / Bernd Müller

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