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Beleuchtungssystem bei Schichtarbeit

Chronobiologische Grundlagen

Jahrhundertelang richtete die Menschheit ihren Lebenswandel nach den Rhythmen der Natur aus (z.B. Tag-Nacht-Zyklus und Witterung). Im Zug der frühen Industrialisierung trennte sich die Arbeitszeit von den natürlichen Eigenzeiten ab. Die aufkommende elektrische Fabrikbeleuchtung ermöglichte es, Betriebs- und Arbeitszeiten durch Schichtarbeit zu entkoppeln. Gegenwärtig arbeiten 14 % der Erwerbstätigen in Deutschland zumindest gelegentlich nachts, d.h. zwischen 23:00 und 6:00 Uhr; 15 % der Erwerbstätigen arbeiten in Wechselschicht mit Nachtanteil (Destatis 2014).

Schichtarbeit beeinflusst den endogenen zirkadianen Rhythmus, indem sie die Phasen von Wachen und Schlafen verschiebt. Neben Wachheit und Schlafbedürfnis bestimmen vielfältige endogene Rhythmen u.a. die Körpertemperatur, die Herzfrequenz, den Blutdruck sowie die Hormonkonzentrationen von Melatonin und Cortisol. Exogene Einflüsse synchronisieren die endogenen zirkadianen Rhythmen. Ein dominanter exogener Zeitgeber ist das Sonnenlicht, das den Hell-Dunkel-Rhythmus des 24-Stunden-Tages bestimmt. Bei Nachtarbeit gelingt eine solche Synchronisation in der Regel nur unzureichend (Angerer et al. 2017). Wird die Wechselwirkung endogener und exogener chronobiologischer Rhythmen anhaltend gestört, so leidet die regenerative Fähigkeit des Organismus (Hildebrandt et al. 1998). Insbesondere blaues und weißes Licht mit einem hohen Anteil an kurzwelliger Strahlung am Abend und in der Nacht wirken der Bildung des körpereigenen Nachthormons Melatonin entgegen. Das verhindert, dass die Körperzellen gesund und unbeschädigt bleiben (Tarocco et al. 2019). Nachtarbeit wird zudem mit negativen Folgen für die psychische Gesundheit assoziiert, was sich u.a. als akute bzw. chronische Erschöpfung, Schlafstörungen und Depressionen äußern kann (Amlinger-Chatterjee 2016). Eine anhaltende Desynchronisation der endogenen Rhythmen schränkt die Konzentrationsfähigkeit, die Geschicklichkeit und die Reaktionsgeschwindigkeit des Menschen ein (Blask 2009).

Angesichts alternder Belegschaften und flexibler Arbeitszeitmodelle gewinnen innovative Konzepte einer menschzentrierten Lichtgestaltung an Bedeutung, die nichtvisuelle Lichtwirkungen berücksichtigen.

Visuelle und nichtvisuelle ­Wirkungen des Lichts

Erhöhte Beleuchtungsstärken aktivieren vegetative und zerebrale Funktionen, so dass helle Umgebungen tagsüber vorteilhaft sein können. Während Beleuchtungsstärken von etwa 500 lx (auf Arbeitshöhe) für Sehaufgaben ausreichen, erweisen sich äquivalente melanopische Beleuchtungsstärken von etwa 230 lxmel (am Auge) für eine chronobiologische Aktivierung als zu gering. Niedrige Beleuchtungsstärken während des Tages bei hohen nächtlichen Beleuchtungsstärken destabilisieren die zirkadiane Ordnung (Rosenthal et al. 1984). Darüber hinaus wirkt sich die Farbtemperatur aus: Erhöhte Beleuchtungsstärken und ein blau angereichertes Lichtspektrum tragen insbesondere abends und in der Nacht zu verbesserter visueller Wahrnehmung und zur Aktivitätssteigerung bei. Andererseits reduziert eine nächtliche Lichtexposition die Melatoninsekretion über den gesamten 24-Stunden-Tag, vor allem wenn der Mensch tagsüber einer geringen Lichtdosis ausgesetzt ist (Hébert et al. 2002). Folglich laufen spezifische visuelle und nichtvisuelle Lichtwirkungen bei Schichtarbeit zuwider.

Die Normungsgremien haben die Bedeutung der nichtvisuellen Lichtwirkung erkannt und Empfehlungen für die Planung und den Betrieb künstlicher, biologisch wirksamer Beleuchtung an Arbeitsplätzen erarbeitet (vgl. DIN SPEC 5031-100, DIN SPEC 67600). Diese Empfehlungen ergänzen die anerkannten Richtlinien für die Lichtgestaltung am Arbeitsplatz (vgl. ASR A3.4). Werden die Kriterien qualitätsvoller Arbeitsplatzbeleuchtung eingehalten, so kann ein farbdynamisches, aus warm- und kaltweißen Lichtanteilen bestehendes Beleuchtungskonzept die chronobiologische Rhythmik fördern und eine Gefährdung des Menschen durch nichtvisuelle Lichteinflüsse verringern (vgl. Braun et al. 2009). Wird die Beleuchtung der natürlichen Lichtdynamik angepasst, so lässt sich eine Melatoninsuppression während der Nacht vermeiden.

Grundlegende Lichtstudien im Labor

In einer Laborstudie verbrachten n=14 Probanden jeweils 49 Stunden unter statischem und unter dynamisch wechselndem Licht. In den zwei achtstündigen Schlafphasen waren die fensterlosen Laborräume völlig verdunkelt. Während der Wachheit wurde die Lichtexposition im statischen Zustand auf eine Farbtemperatur von 4000 K festgelegt. Unter dynamischen Bedingungen änderte sich die Farbtemperatur nach dem Aufwachen von 3500 K kontinuierlich auf 5000 K um 10:00 Uhr. Ab 15:00 Uhr sank die Farbtemperatur kontinuierlich bis auf 4000 K um 18:00 Uhr und schließlich weiter bis auf 2700 K vor dem Schlafengehen. Die dynamische Beleuchtung führte zu signifikant höheren Melatoninwerten vor dem Schlafengehen. Die Studienergebnisse stützen die Empfehlung, wärmere Farbtemperaturen am Abend zu realisieren. Trotz reduzierter Farbtemperatur hat sich hier das Müdigkeitsempfinden der Probanden nicht verändert (Veitz et al. 2018). Es liegt nahe, ein alternierendes Beleuchtungssystem auch bei industrieller Schichtarbeit einzusetzen und zu erproben.

Pragmatische Grenzen der ­Lichtforschung

Bislang liegen nur wenige Feldstudien vor, die den Einfluss farbdynamischer Beleuchtung auf den Menschen untersuchen. Ursächlich hierfür sind einerseits unkontrollierbare Randbedingungen, wie Chronotyp, Lichthistorie und Alter. Andererseits lassen sich physiologische, endokrinologische und neurokognitive Daten nicht ohne Weiteres unter betrieblichen Umfeldbedingungen erheben. Unternehmen scheuen oftmals den hohen Aufwand eines solchen Forschungsvorhabens: Neben finanziellen Aufwendungen für die Lichtinstallation bzw. für die Planung und Durchführung von Versuchen sind Mitarbeiter zur Teilnahme zu gewinnen und während der Befragung von ihrer regulären Arbeitstätigkeit freizustellen.

Nichtsdestotrotz bekundete die Fa. Festo, Esslingen, ihr Interesse an innovativen Beleuchtungskonzepten und erklärte sich zur Durchführung einer Feldstudie im laufenden Produktionsbetrieb bereit.

Beleuchtungssystem für die Festo Technologiefabrik Scharnhausen

In einem Pilotprojekt haben wurde in ausgewählten Bereichen der Festo Technologiefabrik Scharnhausen (➥ Abb. 1) ein alternierendes Beleuchtungssystem hinsichtlich des Gefallens der Mitarbeiter sowie deren Befindlichkeit bezüglich Wachheit/Müdigkeit bei Schichtarbeit untersucht.

Die Fabrikhalle für die Montage pneumatischer Steuerungstechnik ist mit zwei Lichtsystemen unterschiedlicher Lichtfarbe (2-mal T16 [T5] 49 W 865 und 827 Leuchtstofflampen) in einer Höhe von 4 m ausgestattet. Diese Lichtsysteme entsprechen den einschlägigen Normen zur Beleuchtung von Arbeitsstätten. Die Beleuchtungsstärke liegt über dem in ASR A3.4 empfohlenen Wert von 500 lx für präzise Montagearbeiten.

Das prototypisch realisierte, alternierende Beleuchtungssystem zeichnet sich durch relativ hohe Helligkeiten (X = 850 lx), relativ hohe Farbtemperaturen (X = 5300 K) und einen erhöhten, biologisch wirksamen Blauanteil am Tag aus (➥ Abb. 2). Tagsüber wird eine vertikale Beleuchtungsstärke von mindestens 175 lx erreicht (vgl. ASR A3.4).

DIN-5035-7 empfiehlt eine warm- oder neutralweiße Lichtfarbe für Arbeitsstätten. Warmweiß entspricht einer Farbtemperatur unter 3300 K, neutralweiß einer Farbtemperatur von 3300–5300 K (DIN EN 12464-1, 2011). Die realisierten Farbtemperaturen liegen sowohl am Tage als auch in der Nacht in diesem Bereich (vgl. ➥ Tabelle 1). Bei Montagearbeiten soll der Farbwiedergabeindex gemäß ASR A3.4 bei 80 liegen.

Tabelle 1:  Beleuchtungsparameter, gemessen vertikal und horizontal am Arbeitsplatz unter den Bedingungen bei statischer Beleuchtung und ­alternierender Beleuchtung.
Tabelle 1: Beleuchtungsparameter, gemessen vertikal und horizontal am Arbeitsplatz unter den Bedingungen bei statischer Beleuchtung und ­alternierender Beleuchtung.

Unter Nachtbedingungen führt eine reduzierte Helligkeit (X = 580 lx) mit niedriger, warmweißer Farbtemperatur (X = 3400 K) und reduziertem Blauanteil zu einer verringerten Melatoninsuppression. Dadurch soll die natürliche Synchronisation der zirkadianen Rhythmen möglichst wenig beeinträchtigt werden.

Um technische Einflüsse auszuschließen, die sich nicht auf den Lichtwechsel beziehen, wurden Vergleiche mit statischen Lichtbedingungen (X = 760 lx, X = 4600 K) durchgeführt. Tabelle 1 stellt die Beleuchtungsparameter übersichtsartig dar. Der tageszeitliche Verlauf von Farbtemperatur und Beleuchtungsstärke des alternierenden Beleuchtungskonzepts geht aus ➥ Abb. 3 hervor.

Überprüfung der Wirksamkeit des Beleuchtungssystems

In einer schriftlichen Befragung wurde die Wirksamkeit des alternierenden Beleuchtungssystems überprüft. Insgesamt beteiligten sich 542 Probanden an der Befragung, die sich allesamt aus der Belegschaft rekrutierten. In einem ersten Durchgang bewerteten n1 = 256 Probanden das statische Beleuchtungskonzept, indem sie einen strukturierten Fragebogen ausfüllten. In einem zweiten Durchgang äußerten sich n2 = 287 Probanden zum alternierenden Beleuchtungskonzept. Der Anteil weiblicher und männlicher Probanden war etwa gleich verteilt. 41 % der Probanden, die das alternierende Beleuchtungskonzept erprobten, nahmen im ersten Durchgang an der Befragung zum statischen Beleuchtungskonzept teil. Etwa drei Viertel der Probanden waren zwischen 21 und 50 Jahre alt, mit gleichmäßiger Altersverteilung über die 10-Jahres-Alterskohorten. Die Probanden ließen sich der Früh-, Spät- und Nachtschicht zuordnen.

Zunächst bewerteten alle Probanden die spezifischen Beleuchtungsmerkmale (wie Lichtfarbe, Helligkeit, Farbwiedergabe, Gefallen) anhand einer siebenstufigen Skala. Hierbei waren mehrere, schichtübergreifende Antworten möglich. ➥ Abbildung 4 fasst beispielhaft die Ergebnisse für das Merkmal „Gefallen“ zusammen. Bezüglich der alternierenden und statischen Lichtbedingungen waren keine signifikanten Unterschiede im Antwortverhalten festzustellen (p >0,05). Die Übergänge von Tag- zu Nachtbedingung und umgekehrt wirkten sich nicht störend auf die befragten Beleuchtungskriterien aus. Daraus kann gefolgert werden, dass die Belegschaft das alternierende Beleuchtungssystem akzeptiert.

Anschließend wurde der psychische Zustand der Probanden anhand des „Mehrdimensionalen Fragebogens (MDBF)“ nach Steyer et al. (1997) erhoben. In Abhängigkeit von Beleuchtungskonzept und Schicht bewerteten die Probanden u.a. die bipolaren Dimensionen „Wachheit/Müdigkeit“ anhand einer sechsstufigen Skala. Eine geringe Anzahl gültiger Antworten (n=16) erlaubte allerdings keine Bewertung der Befindlichkeit unter nächtlicher Lichtbedingung. Bei der Auswertung der Befindlichkeiten ergab sich kein signifikanter Unterschied zwischen Früh- und Spätschicht hinsichtlich Wachheit und Müdigkeit (➥ Abb. 5). Demnach empfanden die Probanden trotz verhinderter Melatoninsuppression keine erhöhte Müdigkeit in den Abendstunden. Zugleich genügt die Beleuchtungsstärke den visuellen Anforderungen bei der präzisen Montage feinmechanischer Komponenten.

Schlussfolgerungen

Trotz diverser methodischer Einschränkungen belegen die hier auszugsweise vorgestellten Studienergebnisse die Zweckmäßigkeit einer farbdynamischen Lichtgestaltung bei Schichtarbeit. Zugleich ermutigen die Studienergebnisse zu weiteren Forschungs- und Entwicklungsarbeiten. Die Äußerungen einiger älterer Beschäftigter hinsichtlich der Erlebnisqualität von Nachtschichtarbeit untermauern die Notwendigkeit einer altersgerechten Gestaltung industrieller Arbeitsbedingungen u.a. mittels alternierender Beleuchtungskonzepte.

In den zurückliegenden Jahren nahm die Sensibilität für differenzierte Gestaltungsanforderungen bezüglich visueller und nichtvisueller Lichtwirkungen zu. Einschlägige Forschungsaktivitäten steigerten die Aufmerksamkeit der betrieblichen Praktiker für eine zweckmäßige Lichtgestaltung, um abweichende Lichtbedingungen zu integrieren und gesundheitliche Risikopotenziale zu minimieren. Die weite Verfügbarkeit innovativer und kosteneffizienter LED-Leuchtmittel wird der betrieblichen Umsetzung humanzentrierter Lichtkonzepte erwartungsgemäß weitere Impulse geben.

Interessenkonflikt: Die Autoren erklären, dass die vorliegende Arbeit im Rahmen eines Forschungsprojekts des Fraunhofer IAO im Auftrag der Fa. Festo entstanden ist.

Literatur

Amlinger-Chatterjee M: Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt. Atypische Arbeitszeiten. Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, 2016.

Angerer P, Schmook R, Elfantel I, Li J: Night work and the risk of depression – a systematic review. Dtsch Arztebl Int 2017; 114: 404–411.

Braun M, Stefani O, Pross A, Bues M, Spath D: Human factors in lighting. In: Salvendy G, Stephanidis C (Hrsg.): Proceedings of the HCI International 2009. Heidelberg: Springer, 2009, S. 223 ff.

Hébert M, Martin SK, Lee C, Eastman CI: The effects of prior light history on the suppression of melatonin by light in humans. J Pineal Res 2002; 33: 198–203.

Hildebrandt G, Moser M, Lehofer M: Chronobiologie und Chronomedizin. Stuttgart: Hippokrates, 1998.

Stevens RG: Artificial lighting in the industrialized world: circadian disruption and breast cancer. Cancer Causes & Control (CCC) 2006; 17: 501–507.

Veitz S, Stefani O, Freyburger M, Meyer M, Weibel J, Rudzik F, Basisvilli T, Cajochen C: Effects of lighting with continuously changing color temperature and illuminance on subjective sleepiness and melatonin profiles. Basel: ESRS, 2018.

Die komplette Literaturliste mit ergänzenden ­Quellen kann auf der ASU-Homepage beim
Beitrag eingesehen und heruntergeladen werden (www.asu-arbeitsmedizin.com).

Für die Autoren
Dr. Martin Braun
Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation
Nobelstraße 1270569 Stuttgart
Foto: Ginger Neumann / © Fraunhofer IAO
Koautoren
Mitautoren des Beitrags sind Achim Pross, Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation, Stuttgart, Dr. Oliver Stefani und Isabel Schöllhorn, beide Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel, sowie Kilian Seiler, Festo AG & Co. KG, Ostfildern.

Weitere Infos

Technische Regel für ­Arbeitsstätten (ASR) A3.4

https://www.baua.de/DE/Angebote/Regelwerk/ASR/pdf/ASR-A3-4.pdf?__blob=publicationFile

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