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Arbeits- und Gesundheitsschutz

Infektionsschutzgerechtes Lüften im Winter

Einleitung

In den letzten Monaten haben sich die Informationen zum Thema geradezu überschlagen. Das Bundesministerium für Arbeit und Sozia­les (BMAS) hat „Empfehlungen für infektionsschutzgerechtes Lüften“, die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) einen Fokus „Infektionsschutzgerechtes Lüften – Hinweise und Maßnahmen in Zeiten der SARS-CoV-2-Epidemie“ veröffentlicht und die Unfallversicherungsträger ein eigenes Portal zur Corona-Pandemie DGUV eingerichtet, über das ungefähr 200 branchenspezifische Handlungshilfen aus den letzten Monaten zu erreichen sind, die im Rahmen der Anpassung der Gefährdungsbeurteilung herangezogen werden können (s. „Weitere Infos“). Mit Vermutungswirkung ist die SARS-CoV-2 Arbeitsschutzregel (s. „Weitere Infos“) belegt, die vor allem die Anforderungen an die in der Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV), der Biostoffverordnung (BioStoffV) sowie der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) und deren technische Regeln während der Geltungszeit des vom Deutschen Bundestag nach § 5 Infektionsschutzgesetz festgestellten Zeitraums der „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ anpasst und erweitert. Die Vermutungswirkung bedeutet, dass bei Einhaltung dieser Konkretisierungen das Unternehmen davon ausgehen kann, dass die Anforderungen aus den Verordnungen erfüllt sind.

Das SARS-CoV-2-Virus wird nach aktuel­len Erkenntnissen vor allem respiratorisch durch Tröpfchen und Aerosole übertragen. Daher betont auch das BMAS, dass neben dem Abstandsgebot und den allgemeinen Kontaktbeschränkungen auch der Innenraumlufthygiene eine große Bedeutung beim Infektionsschutz zukommt. Die zentralen Erkenntnisse, die alle Fachleute teilen, sind, dass intensives Lüften von Gebäudeinnenräumen eine wirksame Abfuhr beziehungsweise Verringerung der Konzentration ausgeschiedener Viren bewirkt und damit das Infektionsrisiko in Räumen senkt, die von mehreren Personen genutzt werden.

Zum Thema Lüften findet sich in der Ar­beitsstättenregel ASR A3.6 Lüftung (s. „Weitere Infos“), dass für eine gesundheitlich zuträgliche Atemluft entweder Fensterlüftung oder eine entsprechende Raumlufttechnische Anlage (RLT) notwendig ist. Dazu müssen die Räume entsprechend ausgelegt sein, sonst dürften diese auch unter „normalen Bedingungen“ nicht betrieben werden.

Die Luftqualität wird dabei an der Leitsubstanz CO2 (Kohlendioxid) festgemacht, da sie neben dem Maß für das in höheren Konzentrationen toxische CO2 ein Indikator dafür ist, wie viel ausgeatmete Luft und damit neben Geruchsstoffen und sonstigen Krankheitskeimen auch potenziell SARS-CoV-2-Viren sich im Raum befinden.

In der frischen Außenluft befinden sich ubiquitär ca. 400 ppm CO2. Normalerweise sollen ab 1000 ppm CO2 in Arbeitsräumen zusätzliche Lüftungsmaßnahmen ergriffen werden. Werte über 2000 ppm CO2 in der Atemluft sind inakzeptabel. In Zeiten der Corona-Pandemie soll jedoch der Wert von 1000 ppm CO2 unterschritten werden, insbesondere wenn sich mehrere Personen im Raum aufhalten, da dann auch die potenzielle Virusdichte niedriger wird. Da der Wirkmechanismus der Erkrankung noch nicht vollständig bekannt ist, liegt derzeit kein zuverlässiger Orientierungswert oder Grenzwert über diese empirische Erfahrung hinaus vor.

Neben der Verminderung potenzieller Viruskonzentrationen ist daher auch der Luftaustausch für eine gesundheitlich zuträgliche Luftqualität mit geringer CO2-Konzentration in jedem Fall sicherzustellen.

Fensterlüftung vorzugsweise als Stoßlüftung

Die Wirkung von Fensterlüftung (oder auch freie Lüftung genannt) hängt neben der geöffneten Fensterfläche, der einseitigen oder der Querlüftung („Durchzug“) vor allem auch von Temperatur und Windverhältnissen ab. Daher sind in der technischen Regel ASR A3.6 Lüftung unterschiedliche Lüftungszeiten angegeben:

In windstillen Sommermonaten dauert es bei Stoßlüftung, also bei den in der technischen Regel ASR A3.6 angegeben Lüftungsquerschnitten, etwa 10 min, bis die Luft im Raum ausgetauscht ist, im Winter nur etwa 3 min, da die warme Luft schneller nach draußen entweicht und kalte, frische Luft nachströmt.

Bei üblichen Büros mit modernen, dichten Fenstern genügt normalerweise eine Lüftung alle 60 min für den Luftwechsel. In Zeiten von Corona soll insbesondere in Mehrpersonenbüros öfter gelüftet werden. In Besprechungszimmern sind meist mehr Personen im Raum als in Büroräumen gleicher Größe. Daher ist hier normalerweise etwa alle 20 min Lüften erforderlich, um den CO2-Gehalt im akzeptablen Bereich zu halten. Unter Corona-Aspekten soll häufiger gelüftet werden.

Durch die Abstandsregeln und die Nutzung von mobiler Arbeit (Homeoffice) ist die Belegungsdichte jedoch derzeit in Besprechungsräumen und Büros häufig niedriger. Das kann bei der Lüftungshäufigkeit berücksichtigt werden. Wenn also in einem Besprechungszimmer, das für 20 Personen ausgelegt ist, nur 8 Personen sind, wäre ein Lüftungsvorgang technisch mindestens alle 40 min ausreichend. Sinnvoll ist eine Lüftung vor Sitzungsbeginn, um definierte Bedingungen zu erreichen.

Mit Hilfe der kostenlosen App CO2-Timer der Unfallkasse Hessen und des Instituts für Arbeitsschutz der DGUV (s. „Weitere Infos“) lassen sich für Besprechungs- und Büroräume geeignete Lüftungsintervalle abschätzen; ein Wecksignal erinnert daran, dass es Zeit ist zu lüften. Diese App berücksichtigt Raumgrößen, Belegungszeit und Anzahl der Anwesenden. Die dort ermittelten Normalzeiten sollen aufgrund der besonderen Corona-Situation – wie oben erwähnt – unterschritten werden.

Von verschiedenen Seiten werden so genannte CO2-Ampeln gefordert. Diese messen die Leitsubstanz CO2 und geben Hinweise zum Zeitpunkt des Lüftens. Allerdings sind viele Geräte aufgrund der Messtechnologie ungenau und driften im Betrieb ab. Dies kann zu kritischen Situationen führen, da dann möglicherweise nicht zuverlässig rechtzeitig gelüftet wird. Der nach ASR A3.6 vorgegebene optimale Messpunkt in 1,5 m Höhe mit Abstand von 1–2 m von der Wand ist – vor allem in Klassenräumen – nicht immer darzustellen und die Frage der repräsentativen Messung in größeren, stark möblierten oder verwinkelten Räumen ist auch oft nicht zu beantworten. Die Geräte bieten daher häufig keinen Vorteil gegenüber einer timerorientierten CO2-App, die außerdem die Aufmerksamkeit nicht für sich beansprucht.

Je nach Lüftungsquerschnitt erreichen gekippte Fenster einen einfachen Luftwechsel selbst im Winter bei dem dann vorherrschenden höheren treibenden Temperaturgefälle erst nach 40–60 min. Auch ist die Durchlüftung in tieferen Räumen nicht befriedigend, so dass Dauerlüften in Ergänzung zum Stoßlüften nur einen schnelleren Anstieg der Konzentration potenzieller Erreger bremsen kann, das Stoßlüften jedoch nicht überflüssig macht. Die Auskühlung der Räume in Fensternähe mindert jedoch auf jeden Fall die Aufenthaltsqualität sowie das Wohlbefinden und birgt weitere Gesundheitsrisiken.

Raumlufttechnische Anlagen (RLT)

Sofern Lüftungsanlagen vorhanden sind, sind die Betreiber aufgefordert, diese mit möglichst hohem Außenluftanteil und mit möglichst hoher Luftleistung zu betreiben. Die Anforderungen werden von der BAuA genau beschrieben (s. „Weitere Infos“).

Besprechungszimmer mit technischer Lüftung haben eine begrenzte Belegungsdichte, die sich aus der Leistungsfähigkeit der RLT ergibt. Diese Zahl ist zu ermitteln und sicherzustellen. Häufig jedoch ist diese durch das Abstandsgebot von 1,5 m bereits unterschritten.

Luftreiniger

Derzeit angebotene Luftreiniger sind in der Regel ursprünglich nicht für die Abreinigung von Viren in der Umgebungsluft konstruiert und viele daher auch nicht dafür wirksam. Andere verwenden Verfahren, deren Wirksamkeit nicht ausreichend untersucht ist, die aber im Betrieb Schadstoffe, zum Beispiel reizendes Ozon oder Biostoffe, freisetzen können. Viele der beworbenen Geräte sind, wenn sie dann den notwendigen Luftdurchsatz erreichen, viel zu laut, um in den Räumen dann noch arbeiten zu können. Ein Einsatz solcher Geräte kommt daher nur in begründeten Einzelfällen in Frage. Diese Auffassung wird derzeit insbesondere von den Fachleuten der BAuA, des Umweltbundesamtes und des Ausschusses für Arbeitsstätten vertreten. Im Rahmen eines geplanten Einsatzes müssen die Geräteanforderungen in der Gefährdungsbeurteilung im Einzelfall festgelegt werden. Die DGUV hat dazu Kriterien veröffentlicht (s. „Weitere Infos“).

Das Abstandsgebot nach Infektionsschutzverordnung (ersatzweise Maske) wird durch diese Geräte nicht außer Kraft gesetzt, da sie das direkte Übertragen durch Tröpfchen nicht beeinflussen. Darüber hinaus ersetzen diese Geräte nicht das Lüften, da sie den CO2-Anteil nicht verringern. Die oben angesprochenen Lüftungsintervalle für Frischluft sind trotzdem mindestens einzuhalten.

Fazit

Das regelmäßige Lüften bleibt trotz aller anderen Nachteile nicht nur wegen der notwendigen Abfuhr von CO2 in der Atemluft der wesentliche Baustein im Kampf gegen die luftgetragene Übertragung von SARS-CoV-2. Das BMAS formuliert: „Kommunikativ kann dies durch die Erweiterung der bekannten AHA-Formel zur AHA+L-Formel verdeutlicht werden. Denn: Wirksamer Infektionsschutz besteht aus Abstand, Hygiene, Alltagsmasken + Lüften.“

Interessenkonflikt: Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.

Weitere Infos

Empfehlung der Bundesregierung Infektionsschutzgerechtes Lüften vom 16.09.2020
https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/Thema-Arbeitsschutz/
infektionsschutzgerechtes-lueften.pdf;jsessionid=5D80E060A2A3C1B225A8391736AE923D.delivery2-master?__blob=publicationFile&v=3

BAuA: Infektionsschutzgerechtes Lüften – Hinweise und Maßnahmen in Zeiten der SARS-CoV-2-Epidemie, 24.09.2020
https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Fokus/Lueftung.pdf?__blob…

DGUV Corona-Portal
https://www.dguv.de/de/mediencenter/pm/pressearchiv/2020/quartal_3/deta…

SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel, Stand 20.08.2020
https://www.baua.de/DE/Angebote/Rechtstexte-und-Technische-Regeln/Regel…

Arbeitsstättenregel ASR A3.6 Lüftung
https://www.baua.de/DE/Angebote/Rechtstexte-und-Technische-Regeln/Regel…

CO2 APP der Unfallkasse Hessen
https://www.dguv.de/de/mediencenter/pm/pressearchiv/2020/quartal_1/deta…

DGUV-Fachbeitrag Raumluftreiniger
https://www.dguv.de/medien/inhalt/corona/fachbeitrag-raumluftreiniger.p…

Kontakt

Tilman Teuscher
Weilstraße 47; 73734 Esslingen

Foto: privat

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