Springe auf Hauptinhalt Springe auf Hauptmenü Springe auf SiteSearch
Screening-Tools

Grobscreening körperlicher Belastung

Das PDF dient ausschließlich dem persönlichen Gebrauch! - Weitergehende Rechte bitte anfragen unter: nutzungsrechte@asu-arbeitsmedizin.com.

Harmonisierung der DGUV-Checkliste und des BAuA-Einstiegsscreenings

Coarse Screening of Physical Stress – Harmonization of the DGUV Checklist and BAuA Initial Screening

Hintergrund: Gefährdungsbeurteilung körperlicher Belastung

Die Gefährdungsbeurteilung steht im Zen­trum des betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes. Sie umfasst die Analyse und Bewertung der Arbeitsbelastung einschließlich der Einschätzung gesundheitlicher Risiken, die Ableitung und Umsetzung der jeweils erforderlichen Maßnahmen sowie deren Wirksamkeitskontrolle.

Nach wie vor verursachen Krankheiten und Beschwerden des Muskel-Skelett-Systems gut ein Fünftel aller Arbeitsunfähigkeitstage in Deutschland und gehören zu den häufigsten anerkannten Berufskrankheiten (BMAS u. BAuA 2022). Der Gefährdungsbeurteilung physischer (körperlicher) Arbeitsbelastungen kommt daher eine große Bedeutung zu. Mit ihrer Hilfe kann arbeitsbedingten Beschwerden und Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems präventiv begegnet werden. Nach dem Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) sind alle Unternehmen verpflichtet, die Gefährdungen für ihre Beschäftigten im Betrieb zu ermitteln und zu beurteilen. Voraussetzung dafür sind geeignete Instrumente zur Ermittlung und Bewertung der zugrunde liegenden körperlichen Belastung.

Mehrstufige Gefährdungsbeurteilung

Um Gefährdungen des Muskel-Skelett-Systems gezielt und systematisch zu ermitteln und zu beurteilen, stehen Verfahren auf verschiedenen Differenzierungsstufen zur Verfügung (➥ Abb. 1). Die Genauigkeit der Expositionsermittlung steigt von Grobscreening-Tools für Betriebspraktikerinnen und -praktiker bis hin zu Labormessung und Simulationen, gleichzeitig nehmen Aufwand und Komplexität der Analyse zu. Folglich richten sich die Verfahren an unterschiedliche Zielgruppen.

Im Forschungsprojekt MEGAPHYS (Mehrstufige Gefährdungsanalyse physischer Belastungen am Arbeitsplatz) der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) und dem Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA) wurden Methoden zur Gefährdungsbeurteilung auf verschiedenen Stufen weiterentwickelt und evaluiert (BAuA 2019; DGUV 2020). Es entstand ein umfassendes, wissenschaftlich fundiertes und aufeinander abgestimmtes Methodeninventar auf den Stufen Spezielles Screening, Experten-Screening, Betriebliche Messungen und Labormessungen/Simulation. Auf der Eingangsstufe der Gefährdungsbeurteilung – dem Grobscreening – gab es in MEGAPHYS zunächst keine Weiterentwicklungen. Die im Projekt erarbeiteten Konzepte sowie die erprobten Instrumente der anderen Verfahrensstufen waren jedoch die Grundlage für die in diesem Beitrag behandelten Weiterentwicklungen des Grobscreenings. Die zugrunde liegenden Konzepte aus MEGAPHYS beinhalten ein Bewertungsschema zur Schätzung des Risikos für das Auftreten gesundheitlicher Beeinträchtigungen (➥ Tabelle 1) und eine einheitliche Einteilung der vorherrschenden Arten körperlicher Belastung in sechs Belastungsarten in Verbindung mit zehn körperlichen Zielregionen (s. Infokästen 1 und 2).

Tabelle 1:  Risikokonzept aus MEGAPHYS (BAuA 2019)

Tabelle 1: Risikokonzept aus MEGAPHYS (BAuA 2019)

Grobscreening-Verfahren

Grobscreening-Verfahren prüfen anhand einfacher Anhaltspunkte, ob es an einem Arbeitsplatz erhöhte Belastungen für verschiedene körperliche Belastungsarten gibt. Liegen derartige Belastungen nicht vor, ist die vom Gesetzgeber vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung abgeschlossen. Wird mittels Grobscreening eine erhöhte Belastung durch eine oder mehrere Belastungsarten festgestellt, sind Maßnahmen – wie Gestaltungsmaßnahmen oder vertiefende Gefährdungsbeurteilung – abzuleiten und durchzuführen. Eine vertiefende Analyse mit zum Beispiel einer entsprechenden Leitmerkmalmethode prüft und differenziert beispielsweise, ob wesentlich erhöhte oder hohe Belastungen vorliegen, die nach Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) und Arbeitsmedizinischen Regel (AMR) Nr. 13.2 das Angebot arbeitsmedizinischer Vorsorge auslösen würden (BMAS 2019; 2022; s. auch Infokasten 3).

DGUV-Checkliste und BAuA-Einstiegsscreening

Ein Verfahrensbeispiel zum Grobscreening ist die „Checkliste zur orientierenden Gefährdungsbeurteilung bei Belastungen des Muskel-Skelett-Systems“ aus der DGUV Information 208-033 (kurz: DGUV-Checkliste; DGUV 2022; 2023, s. „Weitere Infos“).

Die DGUV-Checkliste wurde ursprünglich aus der Handlungsanleitung für zielgerichtete arbeitsmedizinische Vorsorge bei physischen Belastungen übernommen. Sie wurde erstellt, um Auslöseschwellen für die arbeitsmedizinische Vorsorge im Zusammenhang mit dem Berufsgenossenschaftlichen Grundsatz G 46 „Belastungen des Muskel-Skelett-Systems einschließlich Vibrationen“ zu definieren. Die Checkliste wurde 2007 erstmalig vorgestellt (Hartmann et al. 2007). Mit Vorliegen der Ergebnisse aus MEGAPHYS war eine Aktualisierung der DGUV Information 208-033 „Muskel-Skelett-Belastungen erkennen und beurteilen“ notwendig geworden. Im Zuge dessen wurde im Jahr 2021 auch die DGUV-Checkliste überarbeitet (Hartmann et al. 2021). Die Anpassungen in der Checkliste betrafen vor allem die Einbeziehung aller sechs MEGAPHYS-Belastungsarten und die Angleichung der Auslösekriterien an die Bewertungskriterien der weiterentwickelten Screening- und Messverfahren.

Das Grobscreening-Instrument „BAuA Basis-Check und Einstiegsscreening zum Er­kennen körperlicher Belastung am Arbeitsplatz und zur orientierenden Gefährdungsbeurteilung beim Vorliegen körperlicher Belastung“ (kurz: BAuA-Einstiegsscreening, s. „Weitere Infos“) beruht auf einem Entwurf des Instituts für Arbeitsmedizin, Sicherheitstechnik und Ergonomie (ASER) im Rahmen des Projekts MEGAPHYS, der von der BAuA im Anschluss als eigenständiges Tool zur Gefährdungsbeurteilung komplettiert wurde. Die im BAuA-Einstiegsscreening verwendeten Kriterien für die sechs Belastungsarten basieren im Wesentlichen auf den Kriterien der in MEGAPHYS auf der Stufe Spezielles Screening neu und weiterentwickelten Leitmerkmalmethoden (BAuA 2019). Nach Abstimmung im Arbeitsprogramm der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) „Muskel-Skelett-Belastungen“ wurde das BAuA-Einstiegsscreening 2020 eingeführt.

Sowohl das BAuA-Einstiegsscreening als auch die DGUV-Checkliste zielen auf eine möglichst einfache Einschätzung, ob es an einem Arbeitsplatz erhöhte Belastungen gibt oder ob das Vorliegen wesentlich erhöhter und hoher Belastungen ausgeschlossen werden kann. Sie richten sich an die gleichen Zielgruppen: Unternehmerinnen und Unternehmer, Sicherheitsbeauftragte, Betriebsärztinnen und Betriebsärzte, Fachkräfte für Arbeitssicherheit sowie weitere betriebliche Akteure, zum Beispiel Arbeitnehmendenvertretungen.

Insgesamt unterscheiden sich beide Grobscreening-Instrumente nicht in relevanten Punkten wie ihrem grundsätzlichen Ziel oder der prinzipiellen Höhe der Auslöseschwelle. Beide Instrumente orientieren sich am vierstufigen Risikokonzept nach AMR 13.2 und nehmen die Beurteilung bezogen auf die sechs MEGAPHYS Belastungsarten vor. Bei beiden Instrumenten wird durch einfache Ja/Nein-Entscheidungen geprüft, ob für ein oder mehrere Kriterien einer Belastungsart Anzeichen für erhöhte körperliche Belastungen vorliegen, die Gestaltungsmaßnahmen erfordern beziehungsweise durch vertiefende Verfahren überprüft werden sollten. Im Sinne des Grobscreenings wird damit orientierend differenziert, ob erhöhte Belastungen (wesentlich erhöhte oder hohe Belastungen) vorliegen oder nicht.

Jedoch gibt es Unterschiede im Aufbau und in der Vorgehensweise der Instrumente. Das BAuA-Einstiegsscreening geht beispielsweise in zwei Schritten vor: Zuerst wird gefragt, ob die Belastungsart überhaupt vorkommt beziehungsweise erforderlich ist. Das Tool differenziert damit auch zwischen Tätigkeiten ohne beziehungsweise geringen sowie mäßig erhöhten Belastungen. Falls die Tätigkeiten mit der jeweiligen Belastungsart erforderlich sind, wird im nächsten Schritt anhand von Kriterien geprüft, ob eine gewisse Belastungshöhe, die erhöhte Belastungen durch die jeweilige Belastungsart wahrscheinlich machen, erreicht wird. Dies führt pro Belastungsart zu einer Vergabe von 0, 1 oder 2 Punkten. Bei der DGUV-Checkliste wird nur angekreuzt, ob das Belastungsmerkmal für erhöhte körperliche Belastungen in der jeweiligen Belastungsart erfüllt ist oder nicht.

In beiden Instrumenten können in unterschiedlicher Form tätigkeitsspezifische Beschwerden im Zusammenhang mit den Belastungsarten dokumentiert werden. In der DGUV-Checkliste erfolgt das direkt in jeder Belastungsart, im BAuA-Einstiegsscreening kann dies am Ende zusammengefasst dokumentiert werden.

Neben den sechs MEGAPHYS Belastungsarten werden in der DGUV-Checkliste zusätzlich noch Belastungen durch Ganzkörper- und Hand-Arm-Vibrationen betrachtet.

Zudem unterschieden sich die 2020 veröffentlichte Version des BAuA-Einstiegsscreenings und die 2021 neu veröffentlichte DGUV-Checkliste in den adressierten Risikokategorien und damit in einigen Auslösekriterien. Das BAuA-Einstiegsscreening war in dieser Version etwas sensibler und löste bereits bei Belastungen ab Risikobereich 2 aus, um auch vermindert belastbare Personen zu berücksichtigen. Die Checkliste hingegen war konzipiert für Auslösungen ab Risikobereich 3 mit einem entsprechenden Verweis auf spezifische Gefährdungsbeurteilungen für besonders schutzbedürftige Beschäftigtengruppen. Um zu gewährleisten, dass die Beurteilungsergebnisse tatsächlich vergleichbar sind, wurde eine Harmonisierung beider Instrumente vorgenommen.

Harmonisierung der Instrumente

Die Harmonisierung sowie auch die vorausgegangene Entwicklung/Aktualisierung von BAuA-Einstiegsscreening beziehungsweise DGUV-Checkliste fanden im Rahmen des Arbeitsprogramms „Muskel-Skelett-Belastungen“ der 3. Periode der GDA statt. Die Harmonisierung wurde gemeinsam von BAuA und IFA durchgeführt. Der Harmonisierungsprozess beinhaltete die Abstimmung und gegenseitige Prüfung der Auslösekriterien sowie die erforderlichen Überarbeitungen in allen Belastungsarten. Bei allen Unschärfen eines Grobscreenings sollte die Harmonisierung dafür sorgen, dass beide Instrumente bei der Entscheidung, ob an einem Arbeitsplatz Handlungsbedarf besteht, möglichst zum selben Ergebnis kommen. Darüber hinaus sollten in den Auslösefragen explizit genannte Schwellen wie Häufigkeiten, Zeitangaben usw. angeglichen werden.

Gemeinsame Auslöseschwelle

Um sicherzustellen, dass jeglicher Handlungsbedarf auch angezeigt wird, verfolgen BAuA-Einstiegsscreening und DGUV-Checkliste nun gleichermaßen das vorrangige Ziel, Arbeitsplätze mit wesentlich erhöhten oder hohen Belastungen nicht fälschlicherweise als nicht belastet beziehungsweise nicht erhöht belastet einzustufen. Als Forderung an die Sensitivität der Auslösekriterien für jede Belastungsart wurde demnach formuliert:

  • Sehr hohe Sensitivität in Bezug auf Arbeitsplätze mit hohen Belastungen (Risikobereich 4): Diese Arbeitsplätze sollen sehr sicher als erhöht belastet eingestuft werden.
  • Hohe Sensitivität in Bezug auf Arbeitsplätze mit wesentlich erhöhten Belastungen (Risikobereich 3): Diese Arbeitsplätze sollen sicher als erhöht belastet eingestuft werden.
  • Gleichzeitig sollen Arbeitsplätze ohne oder mit nur geringer Exposition in der jeweiligen Belastungsart auch sicher als nicht erhöht belastet eingestuft werden, um beispielsweise keine unnötigen weiteren Beurteilungsaufwand zu erzeugen. Somit gilt als Forderung an die Spezifität der Auslösekriterien:

  • Hohe Spezifität in Bezug auf Arbeitsplätze ohne/mit geringen Belastungen (Risikobereich 1): Diese Arbeitsplätze sollen sehr sicher als nicht erhöht belastet eingestuft werden.
  • Daher wurde als Grenzwertbereich festgelegt, dass die Auslösekriterien – unter Berücksichtigung der Varianz durch die Formulierungen der Kriterien – im Bereich der mäßig erhöhten Belastungen (Risikobereich 2) liegen sollen. Keinesfalls sollten sie in Risikobereich 3 (wesentlich erhöhte Belastung) oder Risikobereich 4 (hohe Belastung) liegen.

    Prüfkriterien

    Die Auslösefragen von DGUV-Checkliste und BAuA-Einstiegsscreening wurden anhand der gleichen Kriterien geprüft. Für alle Belastungsarten dienten die Punktwerte aus den jeweiligen Leitmerkmalmethoden sowie Kriterien aus physiologischen und biomechanischen Messverfahren als Prüfkriterien.

    Die Bewertung anhand der Leitmerkmalmethoden erfolgt über Wichtungen für die jeweiligen Hauptmerkmale (z.B. beim Heben/Halten/Tragen: Häufigkeit und Lastgewicht oder beim Ausüben von Ganzkörperkräften: Dauer und Krafthöhe) und zugehörige Nebenmerkmale (Ausführungsbedingungen, Arbeitsorganisation usw.). In den Auslösefragen der Grobscreenings sollten die entsprechenden Kombinationen der beiden Hauptmerkmale immer so gewählt sein, dass bei Hinzunahme der noch möglichen Nebenmerkmale mit maximal möglicher Wichtung der Risikobereich 3 knapp verfehlt wird (maximal ca. 48 Leitmerkmalmethoden-Punkte). Die „noch möglichen Nebenmerkmale“ waren hierbei alle Merkmale, die nicht schon in den Abfragen der Grobscreenings explizit berücksichtigt wurden.

    Bei der Prüfung in Anlehnung an physiologische und biomechanische Messverfahren wurden die Prüfkriterien nach jeweiligen Engpassbetrachtungen ausgewählt. Dabei wurden die für die jeweiligen relevanten Belastungsarten in MEGAPHYS zugeordneten relevanten Zielregionen beziehungsweise Organsysteme betrachtet, auf die die jeweilige Belastungsart hauptsächlich wirkt (BAuA 2019). Diese bilden die arbeitsphysiologische Grundlage aller Bewertungsverfahren. So wurden als gesicherte arbeitsphysiologische Bewertungsansätze beispielsweise bei der Belastungsart Manuelles Ziehen und Schieben von Lasten lumbale Bandscheibenkompressionskräfte, Aktionskräfte, Schultergelenkmomente und Arbeitsenergieumsätze oder bei der Belastungsart Manuelle Arbeitsprozesse die Repetition und der Kraftaufwand der Hände herangezogen. Der Prüfung wurden messwertbasierte Expositionsdaten aus Datenbanken des IFA zugrunde gelegt. Die der Auslösefrage entsprechenden Dosiswerte mussten auch im ungünstigsten anzunehmenden Fall ebenfalls unterhalb Risikobereich 3 liegen. Als Prüfschwellen dienten hier zum Beispiel Indikatoren zur Bewertung messwertbasierter Belastungsdaten aus MEGAPHYS (CUELA-Indikatoren; DGUV 2020) oder Auslöseschwellen nach der Deutschen Wirbelsäulenstudie (DWS; Bolm-Audorff et al. 2007).

    Darüber hinaus wurden auch Tagesdosiskriterien aus der Anerkennung von Berufskrankheiten des Muskel-Skelett-Systems zur Prüfung herangezogen.

    Anpassung der Instrumente

    Für beide Grobscreening-Instrumente und alle Belastungsarten wurden die jeweiligen Prüfkriterien angelegt. Ergab die Prüfung, dass ein Kriterium nicht erfüllt ist, wurden notwendige Änderungen abgeleitet und umgesetzt. Danach folgte eine erneute Prüfung, so lange, bis alle Prüfkriterien einer Belastungsart erfüllt waren. Neben den Kriterien und der Vorgehensweise der Prüfung wurde für jede Belastungsart die Entscheidung dokumentiert, ob die Verfahren als harmonisiert und sicher in der Erkennung der Risikobereiche 3 und 4 anerkannt werden.

    Bei der Belastungsart Manuelles Heben, Halten und Tragen von Lasten beispielsweise enthalten beide Instrumente eine Tabelle, die für unterschiedliche Lastgewichte geschlechtsspezifische Handhabungshäufigkeiten angibt, ab deren Erreichen von einer erhöhten Belastung auszugehen ist. Zusätzlich gibt es jeweils Abfragen zum Vorliegen weiterer Bedingungen, wie besonders ungünstige Körperhaltungen oder Ausführungsbedingungen, die für sich genommen bereits Handlungsbedarf anzeigen. Durch Ergänzen oder Angleichen dieser Abfragen zu sonstigen Bedingungen, war es möglich, auch die Handhabungshäufigkeiten anzugleichen. So verweisen zum Beispiel in der harmonisierten Version nun beide Instrumente auf weitere Maßnahmen bei einem überwiegenden Anteil einhändiger Lastenhandhabung oder bei ungünstigen Ausführungsbedingungen wie Hitze oder beeinträchtigender Kleidung. Geringfügige Unterschiede bleiben jedoch bestehen: Das BAuA-Einstiegsscreening nennt beispielsweise konkrete Häufigkeiten für die Lastkategorie 3–5 kg, während die DGUV-Checkliste die Abfrage etwas gröber formuliert: „Liegen Lastenhandhabungen vor mit Lasten unter 5 kg und sehr hohen Häufigkeiten?“. Des Weiteren sind im BAuA-Einstiegsscreening ungünstige Körperhaltungen oder ungünstige Ausführungsbedingungen mit einer größeren Anzahl von Beispielen beschrieben als in der DGUV-Checkliste. Diese Unterschiede haben jedoch keinen direkten Einfluss auf die Auslöseschwelle und sollten das Ergebnis der Bewertung nicht beeinflussen.

    Angleichungen wurden in diesem Sinne für alle Belastungsarten vorgenommen und gegenseitig konsentiert. Die Instrumente unterscheiden sich nach wie vor in geringem Maß in ihrem Aufbau und beispielweise der Ausführlichkeit von Hinweisen. Ein weiterer Unterschied bleiben die Vibrationen, die nur in der DGUV-Checkliste zusätzlich betrachtet werden. Bezogen auf die sechs MEGAPHYS-Belastungsarten haben die Angleichungen dazu geführt, dass das BAuA-Einstiegsscreening und die DGUV-Checkliste nun harmonisiert sind und einheitlich wesentlich erhöhte und hohe Belastung erkennen sollten. Erste Praxiserprobungen deuten darauf hin, dass dieses Ziel gut erreicht wurde (Liebers et al. 2023a,b; Weber et al. 2023).

    Fazit und Ausblick

    Grobscreening-Instrumente unterstützen Unternehmen, schnell und einfach zur erkennen, ob und welche Belastungsarten vorliegen und ob Maßnahmen, wie Gestaltungsmaßnahmen oder vertiefende Gefährdungsbeurteilung, erforderlich sind. Die Grobscreening-Instrumente DGUV-Checkliste und BAuA-Einstiegsscreening liefern eine orientierende Gefährdungsbeurteilung in den sechs körperlichen Belastungsarten Heben, Halten und Tragen von Lasten, Ziehen und Schieben von Lasten, manuelle Arbeitsprozesse, Ausübung von Ganzkörperkräften, Körperzwangshaltungen und Körperfortbewegung. Beide sollen mit hoher Sensitivität Arbeitsplätze mit erhöhten, wesentlich erhöhten oder hohen körperlichen Belastungen sicher als belastet einstufen, aber auch Arbeitsplätze ohne oder mit nur geringen Belastungen von weiteren Betrachtungen ausschließen (hohe Spezifität). Genauere Einstufungen erfordern differenziertere Gefährdungsbeurteilungen.

    Das BAuA-Einstiegsscreening und die DGUV-Checkliste wurden im Rahmen des Arbeitsprogramms „Muskel-Skelett-Belastungen“ der 3. GDA-Periode (weiter)entwickelt und hinsichtlich ihrer Beurteilungskriterien harmonisiert. Mit der Harmonisierung wurde sichergestellt, dass beide Instrumente bei der Arbeitsplatzbewertung zum gleichen Ergebnis kommen.

    Weiterhin bestehende Unterschiede in Aufbau, Vorgehensweise oder Detaillierungsgrad der harmonisierten Instrumente haben keinen Einfluss auf die Auslöseschwelle. Sie dienen vielmehr dazu, den unterschiedlichen Anforderungen und Präferenzen der Praxis gerecht zu werden. Haben die anwendenden Personen beispielsweise bereits Erfahrungen mit den Leitmerkmalmethoden, ist das BAuA-Einstiegsscreening möglicherweise die geeignetere Wahl. Soll das Grobscreening so einfach wie möglich gehalten werden oder treten am Arbeitsplatz regelmäßig Hand-Arm- oder Ganzkörper-Schwingungen auf, bietet sich gegebenenfalls eher die DGUV-Checkliste an.

    Die harmonisierten Instrumente wurden in der laufenden 3. GDA-Periode durch Expertinnen und Experten in Bezug auf den Inhalt und ihrer Praktikabilität erprobt und für geeignet befunden, so dass sie nun vom GDA-Arbeitsprogramm „Muskel-Skelett-Belastungen“ zur Anwendung empfohlen werden.▪

    Interessenkonflikt: Das Autorenteam gibt an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.

    Literatur

    AMR Nr. 13.2: Tätigkeiten mit wesentlich erhöhten körperlichen Belastungen mit Gesundheitsgefährdungen für das Muskel-Skelett-System. Bek. des BMAS in: GMBl 2022; 7: 154.

    Baars S: Die neue AMR 13.2: Arbeitsmedizinische Vorsorge bei Belastungen des Muskel-Skelett-Systems. ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2023; 58: 160–164 (Open Access: doi:10.17147/asu-1-257894).

    BAuA – Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: BAuA-Basis-Check zum Erkennen körperlicher Belastung am Arbeitsplatz und Einstiegsscreening zur orientierenden Gefährdungsbeurteilung beim Vorliegen körperlicher Belastung. Berlin: BAuA, 2022.

    BAuA – Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: MEGAPHYS - Mehrstufige Gefährdungsanalyse physischer Belastungen am Arbeitsplatz. Gemeinsamer Abschlussbericht der BAuA und der DGUV. Band 1. Dortmund, Berlin, Dresden: BAuA, 2019.

    BMAS – Bundesministerium für Arbeit und Soziales, BAuA – Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit – Berichtsjahr 2021. Unfallverhütungsbericht Arbeit. 1. Aufl. Dortmund, Berlin, Dresden: BAuA, 2022.

    BMAS – Bundesministerium für Arbeit und Soziales: Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge vom 18. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2768), zuletzt geändert durch Artikel 1 der Verordnung vom 12. Juli 2019 (BGBl. I S. 1082).

    Bolm-Audorff U, Bergmann A, Ditchen D et al.: Forschungsvorhaben „Epidemiologische Fall-Kontroll-Studie zur Untersuchung von Dosis-Wirkungs-Beziehungen bei der Berufskrankheit 2108“ (Deutsche Wirbelsäulenstudie), Abschlussbericht. Berlin: DGUV, 2007 (Open Access: https://www.dguv.de/medien/ifa/de/fac/ergonomie/pdf/abschlussbericht.pdf).

    DGUV – Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e.V.: MEGAPHYS – Mehrstufige Gefährdungsanalyse physischer Belastungen am Arbeitsplatz. Gemeinsamer Abschlussbericht der BAuA und der DGUV. Band 2. Berlin: DGUV, 2020.

    DGUV – Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e.V.: DGUV Information 208-033: Muskel-Skelett-Belastungen – erkennen und beurteilen. Berlin: DGUV, 2022.

    DGUV – Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e.V.: DGUV Information 208-033: Anhang 1 der DGUV Information 208-033: Orientierende Gefährdungsbeurteilung bei Belastungen des Muskel- und Skelettsystems. Berlin: DGUV, 2023.

    Ellegast R: Quantifizierung physischer Belastungen am Arbeitsplatz. Zbl Arbeitsmed 2010; 60: 386–389.

    Hartmann B, Ellegast R, Schäfer K, Hecker C, Kusserow H, Steinberg U, Ponto K, Jäger M, Meixner U, Neugebauer G: Eine Checkliste zur Prüfung des Angebots arbeitsmedizinischer Vorsorge bei körperlichen Belastungen des Muskel-Skelett-Systems. ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2007; 42: 499–507.

    Hartmann B, Weber B, Ellegast R, Jäger M, Schick R, Spallek M: Die "Checkliste 2021" für physische Belastungen bei der Arbeit. Eine überarbeitete Hilfe zur Beurteilung körperlicher Belastungen. Zbl Arbeitsmed 2021; 71: 144–156

    Liebers F, Weber B, Ellegast R, Hessenmöller A-M: Pilotierung zweier Basis-Tools zur Beurteilung körperlicher Belastung. In: 63. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGAUM. 15.–18. März 2023. DGAUM, Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin e.V. (Ed.). Jena, 2023a: 2 S.

    Liebers F, Weber B, Ellegast R, Hessenmöller A-M: Pilotierung zweier Basis-Tools zur Beurteilung körperlicher Belastung. In: 69. GfA-Frühjahrskongress 2023, Hannover – nachhaltig arbeiten und lernen – Analyse und Gestaltung lernförderlicher und nachhaltiger Arbeitssysteme und Arbeits- und Lernprozesse. GfA, Gesellschaft für Arbeitswissenschaft (Ed.). Hannover: GfA-Press, 2023b: A.1.11.

    Weber B, Schust M, Liebers F, Ellegast R: Harmonisierung der DGUV Checkliste und des BAuA Einstiegsscreenings. In: 69. GfA-Frühjahrskongress 2023, Hannover – nachhaltig arbeiten und lernen – Analyse und Gestaltung lernförderlicher und nachhaltiger Arbeitssysteme und Arbeits- und Lernprozesse. GfA, Gesellschaft für Arbeitswissenschaft (Ed.). Hannover: GfA-Press, 2023: A.1.18.

    doi:10.17147/asu-1-309294

    Weitere Infos

    BAuA: Basis-Check und Einstiegsscreening bei körperlicher Belastung: Interaktives Formular
    www.baua.de/einstiegsscreening-interaktiv

    BAuA: Gefährdungsbeurteilung mit den Leitmerkmalmethodenr
    www.baua.de/lmm

    DGUV: Orientierende Gefährdungsbeurteilung bei Belastungen des Muskel- und Skelettsystems. DGUV Information 208-033 „Anhang 1“ (Februar 2023)
    https://publikationen.dguv.de/media/pdf/3f/59/ee/208-033_Anhang_1_Check…

    GDA-Arbeitsprogramm Muskel-Skelett-Belastungen
    https://gdabewegt.de/gda

    Körperliche Belastungen im Gartenbau (Quelle: DGUV)

    Foto: Kaj Kandler/kombinatrotweiss.de

    Körperliche Belastungen im Gartenbau (Quelle: DGUV)

    Kernaussagen

  • Zur orientierenden Gefährdungsbeurteilung körperlicher Belastung können Grobscreening-Tools wie das BAuA-Einstiegsscreening und die DGUV-Checkliste eingesetzt werden.
  • Sie unterstützen Betriebspraktikerinnen und -praktiker beim Erkennen und ersten, groben Beurteilen körperlicher Anforderungen am Arbeitsplatz.
  • In einem Harmonisierungsprozess wurden die Auslösekriterien beider Instrumente anhand von Kriterien aus etablierten Screening- und Messverfahren geprüft und angeglichen.
  • Die harmonisierten Instrumente wurden in der laufenden 3. GDA-Periode von Expertinnen und Experten inhaltlich und auf ihre Praxistauglichkeit hin geprüft und für geeignet befunden, so dass sie nun vom GDA-Arbeitsprogramm „Muskel-Skelett-Belastungen“ zur Anwendung empfohlen werden.
  • Info 1

    Risikokonzept aus MEGAPHYS

    Mit zunehmender Belastungshöhe steigt in der Regel die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Beschwerden und Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems. Basierend darauf wurde ein Konzept zur Risikoabschätzung für negative Gesundheitsfolgen entwickelt. Das Risikokonzept definiert vier Risikobereiche mit den Belastungsintensitäten geringe, mäßig erhöhte, wesentlich erhöhte und hohe Belastung. Dabei ist der jeweiligen Belastungshöhe die Wahrscheinlichkeit einer körperlichen Überbeanspruchung und mögliche gesundheitliche Folgen zugeordnet. Zudem sind zu ergreifende Maßnahmen angegeben. Dieses Risikokonzept war die Grundlage für die Beurteilung der in MEGAPHYS weiterentwickelten Verfahren sowie den nachfolgenden weiterentwickelten Grobscreening-Instrumenten.

    Info 2

    Arten körperlicher Belastung

    Im Projekt MEGAPHYS wurde eine einheitliche Einteilung der vorherrschenden Arten körper­licher Belastung vorgenommen. Folgende sechs Belastungsarten, die in zehn körperlichen Ziel­regionen (Nacken/Halswirbelsäule, Schultern/Oberarme, Ellenbogen/Unterarme, Handgelenke/Hände, oberer Rücken/Brustwirbelsäule, unterer Rücken/Lendenwirbelsäule, Hüfte/Oberschenkel, Knie, Sprunggelenke/Füße und Herz-Kreislauf-System) zu Beschwerden/Beeinträchtigungen führen können, wurden definiert (BAuA 2019):

  • Manuelles Heben, Halten und Tragen von Lasten (ab 3 kg Lastgewicht)
  • Manuelles Ziehen und Schieben von Lasten (mit Flurförderzeugen)
  • Manuelle Arbeitsprozesse (repetitive Arbeiten mit den Händen, bis zu 3 kg Last)
  • Ausübung von Ganzkörperkräften (z. B. Bedienen großer Hebel)
  • Körperzwangshaltung (z. B. Knien oder Überkopfarbeit)
  • Körperfortbewegung (z. B. Klettern, Steigen oder Fahrradfahren)
  • Info 3

    Arbeitsmedizinische Vorsorge bei körperlicher Belastung

    Eng verzahnt mit der Gefährdungsbeurteilung ist die arbeitsmedizinische Aufklärung und
    Beratung von Beschäftigten im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge. Zur Prävention der Folgen körperlicher Fehlbelastungen sieht die ArbMedVV seit 2013 einen entsprechenden Vorsorgeanlass vor: Liegen wesentlich erhöhte oder hohe Belastungen durch Lastenhandhabung, repetitive manuelle Tätigkeiten oder Arbeiten in erzwungenen Körperhaltungen vor, müssen
    Arbeitgebende arbeitsmedizinische Vorsorge anbieten (Angebotsvorsorge; BMAS 2019). Der Vorsorgeanlass wird in der AMR 13.2 „Tätigkeiten mit wesentlich erhöhten körperlichen Belastungen mit Gesundheitsgefährdungen für das Muskel-Skelett-System“ konkretisiert. Nach Vorliegen der Ergebnisse des Projekts MEGAPHYS wurde die AMR 13.2 grundlegend überarbeitet und 2022 neu veröffentlicht (BMAS 2022). Die neugefasste AMR 13.2 ordnet die Belastungsarten aus MEGAPHYS dem Vorsorgeanlass zu (s. hierzu auch Baars 2023). Auch das vierstufige Risikokonzept im Anhang der AMR 13.2 wurde in Anlehnung an die Vorlage aus MEGAPHYS aktualisiert. Bei Vorliegen von Belastungen aus Risikobereich 3 oder 4 (wesentlich erhöhte oder hohe Belastung) sind vorrangig Maßnahmen zur Arbeitsgestaltung zu prüfen (Risikobereich 3) bzw. erforderlich (Risikobereich 4). Zudem muss den Beschäftigten arbeitsmedizinische Vorsorge angeboten werden. Daneben können weitere ergänzende Präventionsmaßnahmen (z. B. Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung) geprüft werden. Zur Prüfung der Belastungshöhe nennt die AMR 13.2 als ersten möglichen Schritt die Anwendung von Grobscreening-
    Verfahren wie des BAuA-Einstiegsscreenings oder der DGUV-Checkliste.

    Koautoren

    Dr. Falk Liebers
    Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), Berlin

    Prof. Dr. Rolf Ellegast
    Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA), Sankt Augustin

    Kontakt

    Dr. Britta Weber
    Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA), Sankt Augustin; Alte Heerstraße 111; 53757 Sankt Augustin

    Foto: DGUV

    Jetzt weiterlesen und profitieren.

    + ASU E-Paper-Ausgabe – jeden Monat neu
    + Kostenfreien Zugang zu unserem Online-Archiv
    + Exklusive Webinare zum Vorzugspreis

    Premium Mitgliedschaft

    2 Monate kostenlos testen