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Pilotprojekt

Arbeitsmedizinische Vorsorge für Studierendengruppen

Das PDF dient ausschließlich dem persönlichen Gebrauch! - Weitergehende Rechte bitte anfragen unter: nutzungsrechte@asu-arbeitsmedizin.com.

Ein innovatives Online-Angebot

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Gleichstellung von Studierenden und Beschäftigten im Arbeits- und Gesundheitsschutz

Die Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) im Geltungsbereich des Arbeitsschutzgesetzes sieht die Zurver­fügungstellung beziehungsweise Veranlassung der arbeitsmedizinischen Vorsorge für alle Beschäftigten vor. Studierende werden in dieser Rechtsvorschrift nicht explizit genannt. Dennoch kann sich aus der Gefährdungsbeurteilung der studiengangsbezogenen Tätigkeit die Notwendigkeit einer arbeitsmedizinischen Vorsorge ergeben, zum Beispiel bei Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffen (vgl. Biostoffverordnung (BioStoffV) § 2 (9) 2) oder mit Gefahrstoffen (vgl. Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) § 2 (7) 1), wie sie in vielen naturwissenschaftlichen Studiengängen oder an medizinischen Fakultäten vorkommen. Nicht zuletzt aufgrund der Ausführungen der Vorschrift 1 der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) § 2 (1) und der DGUV Regel 102-603 müssen Studierende im Arbeits- und Gesundheitsschutz den Beschäftigten gleichgestellt werden; es gilt, einen einheitlichen Arbeits- und Gesundheitsschutz für Studierende an Universitäten und Hochschulen zu etablieren.

Digitale arbeitsmedizinische Vorsorge

Zunehmend finden digitale Formate An­wendung in der arbeitsmedizinischen Vorsorge. Videosprechstunden ermöglichen dabei einen erleichterten Zugang zu einer individuellen ärztlichen Beratung und zu präventiven Angeboten. So können beispielsweise wesentliche Teile der individuellen arbeitsmedizinischen Vorsorge, das heißt insbesondere die Anamnese sowie Beratung auch in Form einer Videosprechstunde umgesetzt werden (Nordbrock et al. 2022).

Für Beschäftigte und Studierende mit regelmäßigen Tätigkeiten in niederer Vegetation, zum Beispiel im Rahmen von Lehr­exkursionen, ergibt sich nach dem Anhang Teil 2 (1) 3 m) der ArbMedVV eine arbeitsmedizinische Pflichtvorsorge aufgrund des potenziellen Infektionsrisikos mit Borrelia burgdorferi oder, in Endemiegebieten, mit dem Frühsommer-Meningoenzephalitis-(FSME)-Virus. Zudem sieht die BioStoffV eine Unterweisung vor Aufnahme der Tätigkeit und jährliche Wiederholungen vor. An der Universität Tübingen werden entsprechende Tätigkeiten unter anderem in Studiengängen der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät ausgeübt und damit durch über 500 Studierende pro Semester. Im Rahmen der betriebsärztlichen Betreuung der Universität Tübingen bestand die Herausforderung zum einen darin, der Vielfältigkeit der Studiengänge, aber insbesondere auch der Vielzahl der Studierenden Rechnung zu tragen, und zum anderen, eine Form der arbeitsmedizinischen Vorsorge zu schaffen, die sowohl den Anforderungen einer Pflichtvorsorge genügt als auch praktikabel und mit hoher Akzeptanz bei den Studierenden umgesetzt werden kann. Aus diesem Grund ergab sich die Überlegung, das während der COVID-19-Pandemie geschaffene Format der arbeitsmedizinischen Vorsorge im Format einer individuellen Videosprechstunde („Online-Vorsorge“) als Angebot für Studierendengruppen weiterzuentwickeln und für die Studierenden mit Tätigkeiten in niederer Vegetation an der Universität Tübingen zu etablieren. Ziel war und ist, möglichst viele Studierende mit Informationen zu Maßnahmen der Individualprävention zu erreichen.

Umsetzung der Gruppenvorsorge

Die betriebsärztliche Ambulanz der Universität Tübingen am IASV erarbeitete hierfür in enger Absprache mit den Studiengangsverantwortlichen und der zuständigen UKBW zum Wintersemester 2022/23 das Pilotprojekt „Gruppenberatung im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge zur Gefährdung durch Zecken“. Ziel war es, die Studierenden vor Durchführung einer potenziell gefährdenden Freilandtätigkeit im Rahmen der curricularen Exkursionen über von Zecken ausgehende Gesundheitsrisiken und mögliche präventive Maßnahmen einheitlich zu informieren und zu beraten. Beratungsinhalte umfassten neben den rechtlichen Grundlagen der arbeitsmedizinischen Vorsorge die Epidemiologie, Ätiologie, Klinik sowie insbesondere präventive Maßnahmen bei einer Infektion mit Borrelia burgdorferi oder dem FSME-Virus. Zusätzlich zur Gruppenberatung wurden ausdrücklich das Angebot einer persönlichen Beratung vor Ort in der Ambulanz sowie die Möglichkeit der Immunisierung gegen das FSME-Virus im Rahmen der betriebsärztlichen Betreuung formuliert. Das digitale Format erfolgte an mehreren Terminen in Form einer Live-Präsentation durch eine Betriebsärztin beziehungsweise einen Betriebsarzt der Ambulanz wahlweise in deutscher oder in englischer Sprache. Eine aktive Beteiligung der Studierenden sowie die Möglichkeit, Fragen zu stellen, wurden über die Forum- und die Chatfunktion gewährleistet. Hierbei konnten die Studierenden zwischen einem für alle Teilnehmenden sichtbaren Chat oder der nicht sichtbaren Chat-Kommunikation mit der Betriebsärztin oder dem Betriebsarzt wählen. Um den Anforderungen an eine Pflichtvorsorge zu genügen, erfolgte darüber hinaus eine individuelle Anwesenheitskontrolle über Angabe der Immatrikulationsnummer per Chat an die Betriebsärztin oder den Betriebsarzt.

Während der Pilotphase im Wintersemester 2022/23 nahmen über 800 Studierende an der Online-Gruppenvorsorge teil. Ab dem Folgesemester wurde aus den Ergebnissen einer Befragung zur Verständlichkeit, zum Nutzen und zum Informationsgewinn eine deutlich positive Bewertung und breite Akzeptanz des Online-Gruppenangebots bei den Studierenden deutlich (Befragungsteilnehmende n = 525 von N = 701 Teilnehmenden an der Online-Gruppenberatung). Die überwiegende Mehrheit der Teilnehmenden bewertete die Inhalte als verständlich und hilfreich. Über 90 % der an der Befragung teilnehmenden Studierenden gaben an, die Online-Beratung in der Gruppe gegenüber einer individuellen Videosprechstunde oder einer persönlichen Vorstellung in der Ambulanz zu bevorzugen. Im Anschluss an die Online-Gruppenberatung im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge nahmen die Studierenden vielfach das ausgesprochene Impfangebot wahr.

Nach Rücksprache mit der UKBW konnte das neue Format aus Online-Gruppenberatung plus – bei Bedarf – individueller Beratung beziehungsweise Impfung in der betriebsärztlichen Ambulanz im Verlauf als onlinebasierte „Gruppenvorsorge“ etabliert werden, zusätzlich zur Unterweisung der Studierenden vor der jeweiligen Lehrveranstaltung durch die Lehrenden. Die hohe Anzahl der Teilnehmenden sowie die Evaluation der Akzeptanz des Formats durch die Studierenden selbst bestätigte die positiven Ergebnisse aus der Pilotphase. In unserer betriebsärztlichen Reflexion der Online-Gruppenberatung wird die Tatsache, dass viele Fragen von den Studierenden mündlich oder schriftlich für alle Teilnehmenden gestellt wurden und dass deren Beantwortung im Rahmen der Online-Gruppenberatung teilweise zu Nachfragen anderer Teilnehmenden führten, als Mehrwert empfunden. Darüber hinaus bietet das Online-Format mit der Möglichkeit des persönlichen Chats im Vergleich zur Durchführung einer Gruppenberatung in Präsenz den Vorteil, dass individuelle Fragen auch nicht-öffentlich beantwortet werden können. Zusätzlich zu diesen Vorteilen stieße die betriebsärztliche Betreuung an Grenzen, wenn die jedes Semester erforderliche große Anzahl von Pflichtvorsorgen für Studierende, die im Rahmen ihres Studiengangs Tätigkeiten in niederer Vegetation ausüben, in einem individuellen Format umgesetzt werden müsste – sei es in Präsenz oder als Videosprechstunde. Die weitere Ausarbeitung mit laufender Aktualisierung der Beratungsinhalte sowie gegebenenfalls Umsetzung des Angebots für weitere Vorsorgeanlässe, die im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung der studiengangsbezogenen Tätigkeiten abgeleitet werden und für große Studierendengruppen umgesetzt werden müssen, sind aktuelle Ziele im Rahmen der betriebsärztlichen Betreuung der Universität Tübingen, um den Arbeits- und Gesundheitsschutz für Studierende zukunftsweisend und mit für die Studierenden attraktiven Formaten auszugestalten.

Interessenkonflikt: Die Autorinnen geben an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.

Literatur

Letzel S: Ganzheitliches Gesundheitsmanagement für Studierende. ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2018; 53: 711–712.

Nordbrock C, Keller S, Elsässer F: Videosprechstunden in der arbeitsmedizinischen und sicherheitstechnischen Betreuung. DGUV Forum, 2022; 3: 40–41 (Open Access: https://forum.dguv.de/ausgabe/3-2022/artikel/videosprechstunden-in-der-…).

Schweighart R, Thätz J, Demar L, Zehl F, Neuderth S, Löbmann R: Welche Bedarfe haben Studierende hinsichtlich gesundheitsförderlicher Maßnahmen und welche sind ihnen bekannt? Eine Befragung an zwei Hochschulstandorten. Prävention und Gesundheitsförderung 2023 (Open Access: doi.10.1007/s11553-023-01031-w).

doi:10.17147/asu-1-342889

Weitere Infos

DGUV Regel 102-603
https://publikationen.dguv.de/widgets/pdf/download/article/4346

Biostoffverordnung (BioStoffV) § 2 (9) 2)
https://www.gesetze-im-internet.de/biostoffv_2013/__2.html

Kernaussagen

  • Studierende sind im Arbeits- und Gesundheitsschutz den Beschäftigten gleichgestellt.
  • Digitale Gruppenangebote zur Gestaltung der arbeitsmedizinischen Vorsorge erleichtern die Umsetzung von Präventionsangeboten und fördern deren Akzeptanz und Inanspruchnahme.
  • Als Pilotprojekt wurde eine arbeitsmedizinische Pflichtvorsorge für eine Studierendengruppe onlinebasiert umgesetzt. Die Studierenden werden über Gefährdungen durch regelmäßige Tätigkeiten in niederer Vegetation, insbesondere dem potenziellen Infektionsrisiko mit Borrelia burgdorferi und dem Frühsommer-Meningoenzephalitis-(FSME)-Virus, informiert.
  • Koautorinnen

    Kontakt

    Dr. med. Katja Witzel
    Institut für Arbeitsmedizin, ­Sozialmedizin und Versorgungsforschung, Arbeits- und sozialmedizinische Ambulanz; Universitätsklinikum Tübingen; Wilhelmstraße 27; 72074 Tübingen

    Foto: privat