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Ausstellung

BGW-Wanderausstellung „In Würde Abschied nehmen“

BGW Travelling Exhibition „In Würde Abschied nehmen“

Hintergrund

Beschäftigte in medizinischen Berufen sind hohen physischen und psychischen Belastungen ausgesetzt (Tanner et al. 2017; Jacobs et al. 2020). Spezifische Belastungen im Gesundheitswesen werden hierbei unter dem Oberbegriff emotionale Inanspruchnahme subsumiert. Hierzu zählt auch das Thema Gewalt gegenüber Beschäftigten (Schablon et al. 2018; Vincent-Höper et al. 2020), überlange Arbeitszeit, zum Beispiel bei Klinikärztinnen und -ärzten (Tanner et al. 2017), quantitative Anforderungen, zum Beispiel hoher Zeitdruck (BAuA 2020) und qualitative Anforderungen, zum Beispiel Umgang mit dementen Bewohnerinnen und Bewohnern (Werner u. Leopold 2020).

Während der Corona-Zeit ist die psychische Belastung des medizinischen Personals von einer ohnehin bereits hohen Belastung noch weiter angestiegen (Riedel-Heller u. Bohlken 2020). Angehörige durften beispielsweise nicht mehr zu den Patientinnen und Patienten ins Krankenhaus oder zu den in Senioreneinrichtungen lebenden Menschen. Somit waren das medizinische Personal sowie das Verwaltungs-, Reinigungs- und Küchenpersonal die einzigen Kontaktpersonen für diese Menschen. Die steigende Zahl von Corona-Patientinnen und -Patienten im Krankenhaus und die intensivierten Hygienemaßnahmen verstärkten zudem die Arbeitsverdichtung beim Personal.

Die Todeszahlen von Patientinnen und Patienten, die mit oder an Corona im Krankenhaus oder in Pflegeeinrichtungen verstarben, stieg deutlich an. Oft blieb zu wenig Zeit, um sich in Ruhe um die Bedürfnisse der sterbenden Menschen zu kümmern.

Wie ist unter diesen extremen Bedingungen eine würdevolle Sterbebegleitung durch die Beschäftigten möglich?

Vor einigen Jahren hat die BGW ein Konzept zur betrieblichen Gesundheitsförderung durch Personalentwicklung vorgestellt. Der heutige Name des Interventionsprogramms heißt BGW Personalkompetenz. Dieses Programm wurde aus aktuellen Forschungsergebnissen entwickelt, wissenschaftlich geprüft und schließlich in ein Umsetzungskonzept überführt (Zimber et al. 2010; Gregersen et al. 2010) (➥ Abb. 1).

Ein Baustein dieses Interventionsprogramms – nämlich der Umgang mit Tod und Trauer – passt genau in die oben aufgeworfene Frage, wie Sterbende im Krankenhaus und in Senioreneinrichtungen auch bei wenig Zeit in Würde begleitet werden können.

Für den Transfer dieses Bausteins des Konzepts wurde die Form einer Ausstellung gewählt; darin kann das medizinische Personal den eigenen Umgang mit dem Thema Tod und Sterben reflektieren und zusammen mit anleitenden Guides sowie den anderen Teilnehmenden Methoden für die Sterbebegleitung erarbeiten, diskutieren und ausprobieren. Außerdem wird den Teilnehmenden aufgezeigt, welche persönlichen, zwischenmenschlichen und fachlichen Ressourcen für ihre tiefgreifende Arbeit aktiviert werden können.

Das Ziel der Ausstellung lautet, die Patientinnen und Patienten sowie die in Pflegeeinrichtungen lebenden Menschen achtsam beim Sterbeprozess zu begleiten und sich selbst vor chronischer Erschöpfung zu schützen.

Zur Entwicklung der Ausstellung wurde eine Arbeitsgruppe gegründet.

Konzept der Ausstellung

Bei der Arbeitsgruppe lag der Fokus auf dem oben vorgestellten Baustein des Interven­tionsprogramms, um daraus eine interaktive, emotionsbasierte Ausstellung zu konzipieren und umzusetzen. Der Name der resultierenden Ausstellung lautet „In Würde Abschied nehmen“ und benennt die Aufgabe, Kranken oder alten Menschen – auch bei Zeitknappheit – eine gute Sterbebegleitung zukommen zu lassen und sich – wie im vorgehenden Absatz als Zielsetzung beschrieben – als medizinisches Personal vor chronischer Erschöpfung zu schützen.

In einem dreistündigen Rundgang führen jeweils zwei Guides aus der Palliativpflege ihre Gruppe durch verschiedene Stationen der Ausstellung. Die Guides sind von der Palliativfachfrau Marion Basler für ihre Tätigkeit in der Ausstellung speziell geschult worden. Mit ihrem Fachwissen und geschult im Hinblick auf Moderationsfähigkeiten agieren die Guides mit tiefem fachlichen Verständnis als empathische Gesprächspartnerinnen und -partner und garantieren somit ein emotions­basiertes und interaktives Erlebnis. Die Ausstellung beinhaltet zwei Räume für die aktive Auseinandersetzung mit dem Thema. In beiden Räumen der Ausstellung erwarten die Teilnehmenden unterschiedliche Szenarien, Erlebnisse und Exponate, die Impulse zum Dia­log geben und vom Guide begleitet werden. Der Dialog findet dabei auf drei Ebenen statt:

  • der innere Dialog der Teilnehmenden zum eigenen Umgang mit dem Thema Tod und Sterbenden und den damit in Verbindung stehenden Emotionen;
  • der Dialog mit dem Guide, basierend auf dem hohen Maß an Fach- und Erfahrungswissen;
  • der Dialog mit anderen Teilnehmenden, deren Emotionen und Erfahrungen die Ausstellung bereichern.
  • Das Ausstellungserlebnis teilt sich dabei sowohl räumlich als auch thematisch auf. Ein Raum der Ausstellung ist dem Thema Selbstfürsorge gewidmet, ein anderer dem Thema Kommunikation mit Sterbenden. Das Erlebnis in den zwei Räumen dauert jeweils eineinhalb Stunden. Zwei Gruppen à 15 Personen können in Begleitung ihrer Guides parallel starten und wechseln nach 90 Minuten den Raum und somit den Themenbereich (➥ Abb. 2).

    Inhaltlich thematisiert werden unter anderem die Sterbephasen nach Kübler-Ross, die verbale und nonverbale Kommunikation mit Angehörigen und Sterbenden sowie die Frage, woher Ressourcen für das medizinische Personal kommen können (persönliche, externe, soziale, organisatorische).

    Methodisch aufbereitet ist diese Ausstellung mit audiovisuellen und interaktiven Elementen, durch die Guides aus der Pallia­tivpflege die Gruppen führen. Es handelt sich bei den Exponaten um eine Mischung aus sogenannten „Hands-On-“, „Hearts-On-“ und „Minds-On“-Interaktionen.

    Abgerundet wird das Konzept durch aktuelle Studienergebnisse und Interviews mit Expertinnen und Experten aus Praxis und Wissenschaft, die in einem extra für die Ausstellung entwickelten Film resultieren.

    Die Ausstellung wendet sich sowohl an Pflegeschülerinnen und -schüler, Ärztinnen und Ärzte in der Ausbildung als auch an jede Person, die medizinisch tätig ist, Ehrenamtliche oder thematisch Interessierte.

    Die Ausstellung wurde bereits im Podcast in der BGW-Reihe „Herzschlag – Für ein gesundes Berufsleben“ vorgestellt und, wie im Folgenden skizziert, einem Praxistest auf einem Kongress unterzogen.

    Praxistest Deutscher Pflegetag 2022

    Im Rahmen des Deutschen Pflegetages wurde ein sogenannter Teaser-Workshop mit Auszügen aus der Gesamtausstellung zusammengestellt und einem breiten Publikum zugänglich gemacht. Im Stundentakt wurden Gruppen mit jeweils einem Guide aus der Palliativpflege in 45 Minuten durch die für den Teaser gekürzte Ausstellung geführt.

    Zu erleben war ein Übergang von der Betriebsamkeit des Kongresses in die Thematik des Workshops „In Würde Abschied nehmen“. Diese Transition wurde mithilfe von eingesprochenen Texten von medizinischem Personal über die unterschiedlichen schwierigen Situationen und Emotionen bei der Sterbebegleitung per Kopfhörer umgesetzt.

    Eine eindrückliche räumliche Gestaltung und atmosphärisches Lichtdesign schafften ein intimes Eingangsszenario, durch das sich die Teilnehmenden langsam auf das Erlebnis „zubewegen“ konnten (➥ Abb. 3). Diese gedankliche Einstimmung und Raum für emotionale Einlassung erlaubten einen wirkungsvollen Einstieg in das Erlebnis und wurden von den Teilnehmenden im Feedback besonders wertschätzend erwähnt.

    Im Teaser-Workshop erarbeiteten die Teilnehmenden außerdem Rituale als Bewältigungsstrategien und probierten sich in Kommunikationsstrategien beispielsweise dem aktiven Zuhören aus.

    Nach dem Workshop-Besuch wurden die Teilnehmenden gebeten, der Arbeitsgruppe ein Feedback zu geben, um im Anschluss gegebenenfalls Anpassungen an der Gesamtausstellung durchführen zu können. Nachfolgend einige wörtliche Zitate:

  • „Austausch in der Gruppe ist toll, dadurch, dass alle aus verschiedenen Bereichen kamen.“
  • „Technik beeindruckend, guter methodischer Mix, wäre toll, wenn es Teil der Ausbildung wäre.“
  • „Wir hatten überlegt, unseren ersten Jahrgang mitzunehmen, haben uns am Ende dagegen entschieden, das wäre doch etwas für sie gewesen. Würde sehr gerne an dem großen Workshop teilnehmen.“
  • Dieser Workshop-Teaser wird das nächste Mal beim BGW forum 2023 eingesetzt (s. „Weitere Infos“).

    Die Gesamtausstellung steht ab Anfang 2024 zur Verfügung und wird in die Regionen Nord, Süd, Ost und West kommen. Die Werbung und die Termine hierzu folgen in Kürze zum Beispiel im BGW Magazin.

    Abb. 2:  Skizziertes Szenario der zwei Ausstellungsräume samt Ausstattung

    Grafik: BGW

    Abb. 2: Skizziertes Szenario der zwei Ausstellungsräume samt Ausstattung

    Fazit

    Studienergebnisse berufsspezifisch für die jeweilige Zielgruppe aufzubereiten, erfordert zunächst einen Dialog mit der Zielgruppe; um herausfinden, in welcher Form Ergebnisse einen sinnvollen Eingang in den Berufsalltag der Teilnehmenden finden können, ist „Out-of-the box“-Denken erforderlich. Im vorgestellten Beispiel wurden Studienergebnisse in ein Interventionsprogramm überführt und zu einem späteren Zeitpunkt das Format einer Ausstellung gewählt, um einzelne Schwerpunkte des Programms erlebbar zu machen. Der Methodenmix aus bewegen, hören, sehen sowie die spielerische Interaktion und empathische Kommunikation in der Gruppe ermöglichen jedem Teilnehmenden, den eigenen Zugangsweg zu der schwierigen Thematik zu finden. Sorgen, Ängste und damit verbundene Belastungssituationen in der Begleitung von Sterbenden können ausgesprochen, aber auch bearbeitet werden. Die Teilnehmenden verlassen die Ausstellung damit nicht nur mit Wissen, sondern auch mit einem kleinen Koffer an Handwerkszeug für die Selbstfürsorge und Kommunikation mit Sterbenden.

    Interessenkonflikt: Das Autorenteam gibt an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.

    Literatur

    Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (Hrsg.): Stressreport Deutschland 2019. Psychische Anforderungen, Ressourcen und Befinden. Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), 2020.

    Jacobs K, Kuhlmey A, Greß S, Klauber J, Schwinger (Hrsg.): Pflege-Report 2019. Mehr Personal in der Langzeitpflege – aber woher? Springer Open, Berlin, 2020 (https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-662-58935-9)

    Riedel-Heller S, Bohlken J: Psychische Folgen für Bevölkerung und medizinisches Personal. 2020 (https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7652038/).

    Schablon A, Wendeler D, Kozak A et al.: Prevalence and consequences of aggression and violence towards nursing and care staff in Germany – a survey. Int J Environ Res Public Health 2018; 15: E1247.

    Tanner G, Bamberg E, Kersten M et al.: The Rela­tionship between workingtime and illhealth. Z Arbeits- Organisationspsychol 2017; 61: 181–196.

    Vincent-Hoper S, Lengen JC, Kersten M et al.: Analysis of job-related demands and resources in ambulatory youth welfare services: a qualitative and quantitative approach. Int J Environ Res Public Health 2020 (https://doi.org/10.3390/ijerph17082941).

    Werner B, Leopold D: Mental stress and strain of employees in long-term nursing of dementia patients: outpatient dementia housing communities vs. segre­gated living areas in residential geriatric nursing.
    Z Gerontol Geriatr 2020; 53: 498–504.

    doi:10.17147/asu-1-266304

    Weitere Infos

    Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW): Sicher und gesund im Krankenhaus – Fachkongress in der Reihe „BGW forum“
    https://www.bgw-online.de/bgw-online-de/service/schulung-beratung/bgwfo…

    Abb. 3:  Sensorische Transition vom Kongress in die Inhalte des Workshops über Hören, Sehen und Bewegen

    Foto: BGW

    Abb. 3: Sensorische Transition vom Kongress in die Inhalte des Workshops über Hören, Sehen und Bewegen

    Kernaussagen

  • Die Wanderausstellung „In Würde Abschied nehmen“ bereitet Wissenstransfer zielgruppen­spezifisch auf.
  • Inhalt der Ausstellung sind die Themen: Sterbende achtsam begleiten – auch bei Zeitknappheit – und sich als medizinisches Personal vor chronischer Erschöpfung schützen.
  • Es handelt sich um eine interaktive, emotionsbasierte Ausstellung mit Schwerpunkt auf ­Ressourcen des medizinischen Personals.
  • Koautorinnen und Koautor

    Marion Basler
    Fachkraft für Palliative Care

    Andreas Schatte
    Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW), Abteilung Modellvorhaben und Kongresse

    Annkatrin Meyer
    Dialogue Social Enterprise GmbH (DSE)

    Kontakt

    Dr. Maren Kersten
    Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW); Abteilung Modellvorhaben und Kongresse; Pappelallee 33/35/37; 22089 Hamburg

    Foto: privat

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