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Änderungen im Berufskrankheitenrecht

Zum 01.01.2021 trat eine Gesetzesänderung im Berufskrankheitenrecht in Kraft. Die Legaldefinition der Berufskrankheiten 1315, 2101, 2104, 2108–2110, 4301, 4302 und 5101 wurde geändert. Für diese Berufskrankheiten fällt nun der so genannte Unterlassungszwang weg. Die genannten Berufskrankheitenpositionen betreffen immerhin 39,4 % der Berufskrankheitenverdachtsanzeigen, 51,7 % der in der Kausalität bestätigten Erkrankungsfälle und 7,2 % der anerkannten Berufskrankheiten. Bescheide über wegen des Unterlassungszwangs abgelehnte Berufskrankheiten nach dem 010.1.1997 sind von den Berufsgenossenschaften zu überprüfen, so dass hier auch für die Begutachtung neue Herausforderungen zu erwarten sind. Unter anderem stellt sich hier die Frage, wie die Minderung der Erwerbsfähigkeit zu bewerten ist bei Personen, die die Tätigkeit aufgeben mussten, im Vergleich zu Personen, die weiterhin eine schädigende Tätigkeit ausüben. Sind hier die gleichen Maßstäbe anzuwenden?

Diese Ausgabe der ASU beschäftigt sich aber mehr mit den Konsequenzen der Reform des Berufskrankheitenrechts für die betriebsärztliche Praxis. Hier ergeben sich ganz neue Anforderungen an die Individualprävention, die für die Hauterkrankungen, die Muskel-Skelett-Erkrankungen und die Atemwegserkrankungen beleuchtet werden.

In ihrem Beitrag „Arbeitsbedingte Hautkrankheiten und Gesetzesänderung im Berufskrankheitenrecht zum 01.01.2021“ beschreiben Christoph Skudlik und Peter Elsner zunächst die bisher bereits etablierten Hautarztverfahren und den betriebsärztlichen Gefährdungsbericht Haut. Im Bereich der Hauterkrankungen sind bereits hervorragende Instrumente für die Individualprävention vorhanden. Auch das Meldeverfahren ist unter anderem über den Hautarztbericht gut eingeführt. Insofern ist davon auszugehen, dass die Reform des Berufskrankheitenrechts auf vergleichsweise gut etablierte Strukturen für die Intensivierung individual präventivmedizinischer Maßnahmen trifft. Gleichwohl wird ein drastischer Anstieg der Zahl der rechtlichen Anerkennungen von Berufskrankheiten der Haut auf mehrere 1000 pro Jahr erwartet, was auch bewältigt werden muss.

Rolf Ellegast et al. berichten über die Weiterentwicklung von Individualpräventionsprogrammen bei arbeitsbezogenen Muskel-
Skelett-Erkrankungen. Das intensivierte Angebot individualpräventiver Maßnahmen soll auch hier der Verschlimmerung oder erneuten Ausbrüchen der jeweiligen Berufskrankheit entgegenwirken. Die Thematik wird anhand interessanter bereits existierender Individualpräventionsprogramme (z. B. „Kniekolleg“) dargelegt. Diesen Programmen wird ein großes Potenzial für eine nachhaltige Verbesserung der Lebens- und Arbeitssituation bei Beschäftigten mit Muskel-Skelett-Beschwerden beigemessen. Es wird interessant zu beobachten sein, inwiefern sich diese Programme nach der Reform des Berufskrankheitenrechts in der Praxis bewähren und ob tatsächlich ein Verbleib am Arbeitsplatz häufiger ermöglicht wird.

Alexandra M. Preisser beschreibt Lösungsansätze für die Individualprävention bei Atemwegserkrankungen und betont hierbei zu Recht die große Bedeutung des STOP-Prinzips. Darüber hinaus sind zusätzlich zu diesen primärpräventiven Ansätzen Schulungen zu den verschiedenen Krankheitsbildern und eine intensivierte individuelle ärztliche Betreuung notwendig. Der Lösungsansatz sei in einer individuell zugeschnittenen Beratung und Betreuung durch Unfallversicherungsträger und die unterstützend wirkenden Ärztinnen und Ärzte zu sehen.

Insgesamt wird von den Autorinnen und Autoren der Wegfall des Unterlassungszwangs überwiegend positiv eingeschätzt. Dem ist sicherlich grundsätzlich zuzustimmen. Gleichwohl muss sich in der Praxis zeigen, ob die überzeugenden theoretischen Überlegungen wirklich flächendeckend und zum Wohle der betroffenen Patientinnen und Patienten umgesetzt werden können. Letzteres erfordert mit Sicherheit ein hohes Maß an ärztlicher Beratungskompetenz, auch um die Grenze zwischen „Es geht noch“ und „Es geht nicht mehr“ frühzeitig zu identifizieren und die richtigen Maßnahmen abzuleiten.

Den Autorinnen und Autoren sei an dieser Stelle ganz herzlich für ihre wichtigen Beiträge gedankt. Ich wünsche den Leserinnen und Lesern viele neue Erkenntnisse und gute Anregungen für die betriebsärztliche Praxis.

Ihr Thomas Kraus

Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin,
Uniklinik RWTH Aachen