Springe auf Hauptinhalt Springe auf Hauptmenü Springe auf SiteSearch

Dokumentierte Risiken beim Einsatz von Desinfektionsmitteln

L. Anhäuser

U. Eickmann

(eingegangen am 04.12.2020, angenommen am 16.04.2021)

Documented risks when using disinfectants

Objectives: Description of the occurrence of diseases through the use of disinfectants based on the data of the occupational disease routine database (BK-DOK) of the German Social Accident Insurance Institution for the health and welfare services (BGW) for the period from 2010 to 2019.

Methods: An evaluation was carried out of the available data from the
BK-DOK of the BGW on various diseases caused by chemical substances (BK 13xx), obstructive respiratory diseases (BK 4301/02) and skin diseases (BK 5101), which are possibly related to disinfection activities. The data covers the period from 2010 to 2019. The analysis drew a distinction between the 15 sectors of the BGW, the type of decision and the triggers for an occupational disease. Only decided cases were considered.

Results: In the 10-year period, 81,960 cases of the selected occupational diseases were decided. Of these decisions, 92.2 % concerned BK 5101, 6.6 % BK 4301/02 and 1.2 % BK 13xx. Disinfectants were not documented as job-related reasons for the development of systemic diseases and only marginally for obstructive respiratory diseases. Disinfectants and wet work were documented as decisive influencing factors on the development of skin diseases.

Conclusions: Skin diseases in particular occurred when handling disinfectants. This is attributed, on the one hand, to influences from the disinfectants themselves and, on the other hand, to the wet work caused by them. This was not only a problem in the health care sectors but affected every sector of the BGW. Increased prevention work and diligent risk assessment for disinfection and wet work are decisive factors in the reduction of
occupational disease cases.

Keywords: documentation of occupational diseases – disinfectants – wet work – skin diseases

ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2019; 56: 350–358

Dokumentierte Risiken beim Einsatz von Desinfektionsmitteln

Ziel: Beschreibung des Erkrankungsgeschehens durch Verwendung von Desinfektionsmitteln anhand der Daten der Berufskrankheiten-Dokumentation (BK-DOK) der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) für den Zeitraum von 2010 bis 2019.

Methoden: Aus der BK-DOK der BGW wurden die vorliegenden Daten von 2010 bis 2019 zu verschiedenen Erkrankungen durch chemische Stoffe (BK 13xx), obstruktive Atemwegserkrankungen (BK 4301/02) und Hauterkrankungen (BK 5101), die in möglichem Zusammenhang mit Desinfektionstätigkeiten stehen, ausgewertet. Die Analyse erfolgte unter Differenzierung nach den 15 Branchen der BGW, der Entscheidungsart und den BK-auslösenden Gegenständen. Es wurden nur entschiedene BK-Verfahren beachtet.

Ergebnisse: In dem 10-Jahres-Zeitraum wurden 81.960 BK-Verfahren der ausgewählten Erkrankungen entschieden, davon betrafen 92,2 % der Entscheidungen die BK 5101, 6,6 % die BK 4301/02 und 1,2 % die BK 13xx. Desinfektionsmittel wurden als berufsbedingte Gründe nicht für die Entstehung von systemischen Erkrankungen und nur geringfügig für obstruktive Atemwegserkrankungen dokumentiert. Als entscheidende Einflussgrößen auf die Entwicklung von Hauterkrankungen wurden Desinfektionsmittel und Feuchtarbeit dokumentiert.

Schlussfolgerungen: Bei Umgang mit Desinfektionsmitteln traten insbesondere Hauterkrankungen auf, was zum einen auf Einflüsse durch die Desinfektionsmittel selbst, andererseits auf die dadurch bedingte Feuchtarbeit zurückgeführt wird. Dies war nicht nur ein Problem der gesundheitsdienstlichen Branchen, sondern betraf jede Branche der BGW. Verstärkte Präventionsarbeit sowie eine gewissenhafte Gefährdungsbeurteilung für Desinfektions- und Feuchtarbeiten sind entscheidend für die Reduktion der BK-Fälle.

Schlüsselwörter: Berufskrankheiten-Dokumentation – Desinfektionsmittel – Feuchtarbeit – Hauterkrankungen

Einleitung

In Einrichtungen des Gesundheitsdienstes zählen neben der medizinischen Behandlung und Versorgung sowie der Pflege von Menschen Desinfektionsmaßnahmen zu den regelmäßig wiederkehrenden Tätigkeiten der Beschäftigten. Die Infektionsprävention spielt schon lange eine wichtige Rolle und Desinfektionsmittel haben sich dafür als sehr wirksam erwiesen (RKI 2004).

Desinfektionsarbeiten umfassen dabei Flächendesinfektionen von kleinen medizinischen Geräten bis zu Liegen und Bettgestellen, die Desinfektion von Medizinprodukten wie chirurgischem Instrumentarium, die Desinfektion von Patientenhaut oder die Händedesinfektion des Personals. Die Desinfektionsaufgaben sind sehr vielfältig und so variiert auch die Zusammensetzung der Desinfektionsmittelinhaltsstoffe, um die Übertragung der Infektionserreger zu minimieren.

Mögliche dermale und inhalative Gefährdungen durch eine Exposition gegenüber Desinfektionsmitteln werden durch die Verwendungsart wie Wischen, Versprühen oder Eintauchen, die Häufigkeit, die Menge des benutzten Desinfektionsmittels und insbesondere durch die Stoffeigenschaften der enthaltenen Wirkstoffe beeinflusst. Einige Inhaltsstoffe können ein gesundheitliches Risiko für Beschäftige im Gesundheitsdienst darstellen (Eickmann u. Knauff-Eickmann 2017). Inhalative Gefährdungen gehen von den Dämpfen flüchtiger Inhaltstoffe wie Alkohole und Aldehyde aus und eine dermale Gefährdung besteht bei direktem Hautkontakt mit Desinfektionsmitteln wie bei Spritzerbildung. Dabei sind insbesondere Produkte bedenklich, die auf Stoffgruppen mit karzinogenen, keimzellmutagenen, reproduktions­toxischen (CMR) oder sensibilisierenden Eigenschaften wie Aldehyde und insbesondere Formaldehyd basieren (Eickmann u. Knauff-Eickmann 2017; Eickmann u. Thullner 2017). Die eingesetzten Gebrauchslösungen weisen zwar relativ geringe Wirkstoffkonzentrationen auf, die Beschäftigten arbeiten aber mit diesen Produkten regelmäßig und langzeitig, wodurch Haut- und Atemwegserkrankungen entstehen können. Desinfektionsarbeiten können mit Feuchtarbeit (häufiger Kontakt mit Wasser, langes Tragen feuchtigkeitsdichter Schutzhandschuhe) verbunden sein, die ebenfalls Hauterkrankungen auslösen können. Umfangreiche Schutzmaßnahmen für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Beschäftigten bei Desinfektionsmaßnahmen sind schon viele Jahre in der Technischen Regel für Gefahrstoffe 525 (BMAS 2014) oder in Konkretisierungen der Unfallversicherungsträger (UV-Träger) wie die DGUV Information 207-206 (DGUV 2016) beschrieben, um inhalative, dermale und physikalisch-chemische Gefährdungen beim Umgang mit Desinfektionsmitteln zu reduzieren.

Im Rahmen des Meldeverfahrens von Berufskrankheiten (BK) werden die fallspezifischen Daten von den UV-Trägern erfasst, diese bieten eine nützliche Quelle, um die Entwicklung von berufsbedingten Erkrankungen über einen längeren Zeitraum zu analysieren. Die Berufskrankheiten-Dokumentation (BK-DOK) ist für die UV-Träger im § 204 des SGB VII (SGB VII 1996) gesetzlich vorgeschrieben; sie erhebt nicht nur versicherungsrechtliche Angaben zum Versicherungsverlauf, sondern auch Angaben zu Tätigkeiten, zu Expositionen sowie zu möglichen BK-auslösenden Gegenständen oder zu Erkrankungsfolgen. Die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) ist die Berufsgenossenschaft für private und frei gemeinnützige Institutionen im Gesundheitsdienst und der Wohlfahrtspflege. Die erfassten Routinedaten der BGW bieten somit einen Einblick in das BK-Geschehen und können neue Präventionsansätze der BGW beeinflussen, um eine Reduzierung der BK-Fälle zu erzielen.

Zielstellung

Ziel der vorliegenden Auswertung war es, anhand der Daten der BK-DOK die gesundheitlichen Belastungen für die Versicherten der BGW (und deren Entwicklung) durch Tätigkeiten mit Desinfektionsmitteln für den Zeitraum von 2010 bis 2019 zu beschreiben.

Methoden

Für die folgende Auswertung des BK-Geschehens der BGW wurde auf Daten der BK-DOK im Zeitraum von 2010 bis 2019 zurückgegriffen. Dabei wurden nur entschiedene BK-Verfahren beachtet, die nach einer der vier möglichen Entscheidungsarten (EA) beurteilt wurden. Ein BK-Fall kann mit einer Rentenzahlung anerkannt (EA 1), ohne Rentenzahlung anerkannt (EA 2), abgelehnt (EA 3) oder dem Grunde nach anerkannt (EA 4) werden. Bei EA 4 wurde die beruflich bedingte Erkrankung bestätigt, aber die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit wie die Aufgabe der Tätigkeit nach § 9 Abs. 4 SGB VII (SGB VII 1996) waren nicht erfüllt. Weiterhin wurden die BK-Fälle nach den 15 verschiedenen Branchen der BGW, denen die Versicherten zugeordnet werden, sortiert: Humanmedizin (ambulante Einrichtungen der ärztlichen Versorgung, medizinische Labore), Zahnmedizin (ambulante und (teil-)stationäre Einrichtungen der zahnärztlichen/kieferorthopädischen Versorgung), therapeutische Praxen (Physio-, Ergotherapie, Hebammenpraxen etc.), Kliniken (stationäre Einrichtungen der ärztlichen Versorgung), Pharmazie (Apotheken), Tiermedizin (ambulante und stationäre Einrichtungen der veterinärmedizinischen Versorgung), Beratung und Betreuung (Einrichtungen und mobile Dienste), Beauty und Wellness (Fußpflege, Kosmetik-, Sonnen- und Tätowierstudios etc.), Friseurhandwerk (Unternehmen und Fachschulen), Verwaltung (Geschäfts- und Verwaltungsstellen), Pflege (Heime, Wohneinrichtungen, ambulante Pflegedienste), Bildung (allgemeinbildende Schulen, Fach- und Hochschulen), Kinderbetreuung (Kindertagesstätte und -pflege), berufliche Rehabilitation und Werkstätten (Einrichtungen für Rehabilitation und behinderte Menschen) sowie Schädlingsbekämpfung (Unternehmen der Schädlingsbekämpfung). Für die Auswertung wurden nur die BK-Ziffern ausgewählt, die einen möglichen Zusammenhang mit Desinfektionsarbeiten darstellen. Diese umfassen verschiedene Erkrankungen durch chemische Stoffe (BKen 1301, 1302, 1303, 1306, 1308, 1310, 1317, 1318), die zu der Gruppe BK 13xx zusammengefasst wurden, obstruktive Atemwegserkrankungen durch allergisierende Stoffe (BK 4301) und durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe (BK 4302) sowie schwere oder wiederholt rückfällige Hauterkrankungen (BK 5101). Zusätzlich wurden die eingetragenen BK-auslösenden Gegenstände nach den Gruppen Desinfektionsmittel (z. B. Desinfektionsmittel allgemein, spezielle Desinfektionsmittelinhaltsstoffe wie Alkohole oder Aldehyde, Desinfektionsreiniger, Duft- und Konservierungsstoffe), Reinigungsmittel (z. B. Seife, verschiedene Reiniger, Waschpulver), Handschuhmaterialien (z. B. Latex, Thiurame), Feuchtarbeit (z. B. Feuchtmilieu), Sonstiges (alle anderen BK-auslösenden Gegenstände) und keine Angaben (kein Eintrag oder keine Gefährdung ermittelt) unterteilt. Innerhalb der Desinfektionsmittelgruppe konnten Produkte für Hände-, Flächen- oder Instrumentendesinfektion als Auslöser nicht weiter differenziert werden, da dies in der BK-DOK nicht erfasst wird.

Diese Differenzierungen wurden durch die Beschreibung der BK-Fälle pro 1000 Versicherte ergänzt. Die entsprechenden Versichertenzahlen der einzelnen Branchen wurden den Jahresberichten und -informationen der BGW (BGW 2010–2019) entnommen. Dabei wurden die Daten der Branchen therapeutische Praxen mit Beauty und Wellness, Tiermedizin mit Schädlingsbekämpfung sowie Bildung mit Kinderbetreuung jeweils zusammenfassend ausgewertet.

Ergebnisse

Entwicklung der Versichertenzahl

In dem betrachteten 10-Jahres-Zeitraum erfuhr die BGW insgesamt einen Zuwachs von 1.761.672 Versicherten zu über 8,8 Mio. Versicherten im Jahr 2019. Die Pflegebranche blieb mit 2.550.847 Versicherten in 2019 die mit Abstand größte Branche der BGW, die zweitgrößten Branchen waren einmal die Kliniken sowie Bildung und Kinderbetreuung mit jeweils etwa einer Million Versicherten (➥ Tabelle 1). Fast alle Branchen verzeichneten einen geringen (Pharmazie +6,3 %) bis starken (Beratung und Betreuung +53,2 %) Zuwachs der Versichertenzahlen, nur die Versichertenzahlen im Friseurhandwerk sowie in der beruflichen Rehabilitation und Werkstätten blieben weitgehend konstant. Allein die Verwaltungsbranche schrumpfte um 30,7 %. Die Gruppe Sonstiges umfasst fremdartige Nebenunternehmen und seit dem Jahr 2016 auch noch Versicherte von Arbeitsfördermaßnahmen, was den sprunghaften Anstieg erklärt. Diese Gruppe wurde aber in der weiteren Auswertung des BK-
Geschehens nicht berücksichtigt.

Entschiedene BK-Verfahren

Unter Beachtung aller BK-Ziffern wurden bei der BGW von 2010 bis 2019 branchenübergreifend 128.874 BK-Verfahren entschieden, von denen 81.960 BK-Verfahren (63,6 %) die ausgewählten BK-Ziffern (13xx, 4301, 4302, 5101) betrafen, die in einem möglichen Zusammenhang mit Desinfektionsarbeiten stehen. Diese 81.960 BK-Fälle stellen die Basis für die im Folgenden dargestellten Auswertungen dar. Die restlichen 36,4 % (n = 46.914) beliefen sich auf alle übrigen BK-Ziffern wie Infektionskrankheiten oder Erkrankungen durch muskuloskelettale Belastungen. Bezogen auf die 128.874 BK-Fälle wurden in den Branchen Kliniken (n = 32.028) und Pflege (n = 34.424) jeweils 25 % und im Friseurhandwerk (n = 16.109) 12,5 % aller Entscheidungen getroffen. Andere Branchen wie Humanmedizin, Zahnmedizin, therapeutische Praxen sowie Beratung und Betreuung hatten jeweils einen Anteil von 5,3 % bis 8,3 %.

Die Gesamtzahl der entschiedenen Verfahren in den 10 Jahren (n = 81.960 = 100%) enthält zu 92,2 % schwere oder wiederholt rückfällige Hauterkrankungen (BK 5101) und zu 6,6 % obstruktive Atemwegserkrankungen, bei denen zwei Drittel durch allergisierende Stoffe und ein Drittel durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe (BK 4301/02) angezeigt wurden. Erkrankungen durch chemische Stoffe (BK 13xx) wurden nur zu einem sehr geringen Anteil (1,2 %) aufgeführt (➥ Tabelle 2).

Von diesen knapp 82.000 entschiedenen BK-Verfahren wurden 20,5 % den Kliniken (n = 16.797), 17,4 % dem Friseurhandwerk (n = 14.255) und 23,2 % der Pflege (n = 19.029) zugeordnet. Humanmedizin, Zahnmedizin, therapeutische Praxen sowie Beratung und Betreuung hatten je einen Anteil an entschiedenen Verfahren von 5,9–7,7 %.

Die Verteilung der BK-Ziffern in den Branchen Kliniken und Pflege spiegelte ebenfalls wider, dass Hauterkrankungen mit einem Anteil von mehr als 95 % die wesentlichen dokumentierten Erkrankungen der Beschäftigten in diesen Branchen waren. Im Friseurhandwerk war der Anteil an BK-Verfahren aufgrund von Atemwegserkrankungen mit 19,3 % höher als bei Kliniken und Pflege, wodurch die BK-Verfahren aufgrund von Hauterkrankungen nur 76,7 % betrugen (s. Tabelle 2). Eine ähnliche prozentuale Verteilung lag in der Branche Tiermedizin und Schädlingsbekämpfung mit 34,7 % entschiedener Verfahren für BK 4301/02 und 62,6 % für BK 5101 vor. In diesen beiden Branchen spielen für die Beschäftigten inhalative Belastungen durch allergisierend und chemisch-irritativ wirkende Stoffe eine wichtigere Rolle, da Haarmittel und Tierhaare verstärkt als Auslöser dokumentiert wurden.

Tabelle 2:  Fallzahlen und prozentuale Fallverteilung der ausgewählten BK-Ziffern für alle Branchen der BGW sowie für ausgewählte Branchen wie Kliniken, Friseurhandwerk und Pflege von 2010 bis 2019. Für die absolute Anzahl wurden nur entschiedene BK-Verfahren berücksichtigtTable 2: Numbers and percentage distribution of the selected occupational disease cases for all sectors of the BGW as well as for selected sectors such as clinics, hairdressing and care from 2010 to 2019. Only decided cases were considered for the absolute number

Tabelle 2: Fallzahlen und prozentuale Fallverteilung der ausgewählten BK-Ziffern für alle Branchen der BGW sowie für ausgewählte Branchen wie Kliniken, Friseurhandwerk und Pflege von 2010 bis 2019. Für die absolute Anzahl wurden nur entschiedene BK-Verfahren berücksichtigt
Table 2: Numbers and percentage distribution of the selected occupational disease cases for all sectors of the BGW as well as for selected sectors such as clinics, hairdressing and care from 2010 to 2019. Only decided cases were considered for the absolute number

Bezug auf 1000 Versicherte

Die Versichertenzahlen in den verschiedenen Branchen waren stark unterschiedlich, somit wurde für eine genaue Aussage über die Relevanz der entschiedenen BK-Verfahren in den jeweiligen Branchen auf die Versichertenzahlen normiert. Dazu wurde die Darstellung der BK-Fälle pro 1000 Versicherte gewählt. Von 2010 bis 2019 sind die BK-Fälle pro 1000 Versicherte von 1,12 auf 0,83 für die gesamte BGW gesunken. Die absolute Anzahl an entschiedenen BK-Verfahren für Kliniken (n = 16.797) und Pflege (n = 19.029) unterschieden sich nicht sehr stark, im Gegensatz dazu besaß die Pflegebranche 2,5-mal mehr Versicherte als die Kliniken. Dementsprechend verzeichneten von 2010 zu 2019 die Kliniken 1,77 zu 1,61 BK-Fälle pro 1000 Versicherte und die Pflege knapp die Hälfte der BK-Fälle pro 1000 Versicherte (0,91 zu 0,75). Das Friseurhandwerk mit einer Versichertenzahl von etwa 320.000 machte einen Anteil von 17,4 % aus, wodurch die BK-Fälle pro 1000 Versicherte in 2010 5,58 betrugen. In den folgenden zehn Jahren wurde aber eine Reduzierung auf 2,91 erreicht.

Werden die ausgewählten BK-Fälle nach den Gruppen der BK-auslösenden Gegenstände auf die Versichertenzahlen der jeweiligen Branchen bezogen, ergibt sich ein differenzierteres Bild (s. Tabelle 1). Die Auslöser Desinfektionsmittel und Feuchtarbeit wurden bei über der Hälfte der BK-Verfahren angegeben. Der Quotient „BK-Fälle pro 1000 Versicherte“ hat sich für beide Gruppen in den 10 Jahren gering geändert. In Zahnmedizin, Kliniken und Pflege wurden die meisten BK-Fälle pro 1000 Versicherte mit Desinfektionsmitteln als BK-auslösenden Gegenstand verzeichnet, gegensätzlich verzeichnete das Friseurhandwerk den höchsten Wert bei Feuchtarbeit als Auslöser.

Abb. 1 a–f:  Prozentuale Verteilung der Gruppen der BK-auslösenden Gegenstände für alle Branchen der BGW sowie für ausgewählte Branchen wie Humanmedizin, Klinken, Friseurhandwerk, Pflege sowie Tiermedizin und Schädlingsbekämpfung von 2010 bis 2019 (eigene Darstellung)Fig. 1 a–f: Percentage distribution of triggers for occupational diseases for all sectors of the BGW as well as for selected sectors such as human medicine, clinics, hairdressing, care, veterinary medicine and pest control from 2010 to 2019 (own illustration)

Abb. 1 a–f: Prozentuale Verteilung der Gruppen der BK-auslösenden Gegenstände für alle Branchen der BGW sowie für ausgewählte Branchen wie Humanmedizin, Klinken, Friseurhandwerk, Pflege sowie Tiermedizin und Schädlingsbekämpfung von 2010 bis 2019 (eigene Darstellung)
Fig. 1 a–f: Percentage distribution of triggers for occupational diseases for all sectors of the BGW as well as for selected sectors such as human medicine, clinics, hairdressing, care, veterinary medicine and pest control from 2010 to 2019 (own illustration)

Differenzierte Darstellung

Tätigkeiten mit Desinfektionsmitteln (n = 34.141) und Feuchtarbeit (n = 21.213) waren nach der BK-Dokumentation die maßgebenden Auslöser für Anzeigen einer der ausgewählten Berufskrankheiten (➥ Abb. 1a). Von diesen 34.141 entschiedenen BK-Verfahren mit dem Auslöser Desinfektionsmittel betrafen 54,5 % die beiden Branchen Pflege und Kliniken. Für den Auslöser Feuchtarbeit wurden 60,6 % der angezeigten Berufskrankheiten in den Branchen Kliniken (21,3 %), Friseurhandwerk (14,3 %) und Pflege (25 %) entschieden. Humanmedizin, Zahnmedizin, therapeutische Praxen mit Beauty und Wellness sowie Beratung und Betreuung waren bei beiden Auslösern jeweils zwischen 5,6 % und 8,9 % vertreten. Reinigungsmittel und Handschuhmaterialien wurden nur geringfügig als Auslöser genannt.

Wurde die Verteilung der BK-auslösenden Gegenstände für jede Branche einzeln betrachtet, zeigte sich, dass für die Branchen Humanmedizin, Kliniken und Pflege der genannte Anteil aufgrund von Desinfektionsmitteln bei über 50 % lag (s. Abb. 1b,c,e). Für überwiegend alle anderen Branchen lag dies bei über 25 %, allein das Friseurhandwerk stellte eine Ausnahme mit 3,1 % dar (s. Abb. 1d). Der Desinfektionsmittelgruppe wurden immer die Duft- und Konservierungsstoffe zugeordnet, da diese Stoffe in allen Branchen einen sehr geringen Anteil ausmachten und somit keine prozentuale Überschätzung der Desinfektionsmittelgruppe verursachten. Nur für das Friseurhandwerk wurden die Duft- und Konservierungsstoffe gesondert dargestellt. Dies gilt ebenso für die Gruppe der Haarmittel, die allein im Friseurhandwerk auftrat und aus der Gruppe Sonstiges entnommen wurde. Der prozentuale Anteil an dem BK-auslösendem Gegenstand Feuchtarbeit lag für fast alle Branchen zwischen 20–33 %, nur in der Tiermedizin und Schädlingsbekämpfung bei 15 %. Ebenfalls wurde für diese Branche aus der Gruppe Sonstiges der Auslöser „Haare, Borsten, Federn“ gesondert dargestellt (s. Abb. 1f).

Abb. 2:  a Prozentuale Verteilung der Branchen sowie b der BK-auslösenden Gegenstände für die BK 5101 von 2010 bis 2019 (eigene Darstellung)Fig. 2: a Percentage distribution of the sectors as well as b the triggers for occupational disease no. 5101 from 2010 to 2019 (own illustration)

Abb. 2: a Prozentuale Verteilung der Branchen sowie b der BK-auslösenden Gegenstände für die BK 5101 von 2010 bis 2019 (eigene Darstellung)
Fig. 2: a Percentage distribution of the sectors as well as b the triggers for occupational disease no. 5101 from 2010 to 2019 (own illustration)

Im Folgenden werden die ausgewählten BK-Ziffern jeweils detailliert nach Entscheidungsart, Branchenverteilung und BK-auslösenden Gegenstand beschrieben.

Erkrankungen durch chemische Stoffe

Für die ausgewählten Erkrankungen durch chemische Stoffe (BK 13xx) wurden zwischen 2010 und 2019 963 BK-Verfahren entschieden, dies entsprach dem geringen Anteil von 1,2 % (s. Tabelle 2). Die BK-auslösenden Gegenstände wurden überwiegend der Gruppe „Sonstiges“ (42,6 %) zugeordnet oder es lagen „keine Angaben“ (57,1 %) vor. Nur drei Fälle wurden aufgrund von Desinfektionsmitteln angezeigt, die allerdings abgelehnt wurden. Werden nur die BK-Verfahren beachtet, die mit oder ohne Rentenzahlung anerkannt wurden (EA 1 oder 2), waren dies 330 Verfahren. Die Anerkennungsrate betrug 34,3 %. Davon betrafen 298 Verfahren die BK-Ziffer 1301, die wegen Belastung von aromatischen Aminen bei Beschäftigten im Friseurhandwerk positiv bewertet wurden. Von 2010 bis 2019 wurde kein auf- oder absteigender Trend der BK-Fälle pro 1000 Versicherte verzeichnet, sondern ein schwankender Wert zwischen 0,07 und 0,12.

Atemwegserkrankungen

Für die obstruktiven Atemwegserkrankungen durch allergisierende Stoffe (BK 4301) wurden 3658 Verfahren (4,5 %) und durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe (BK 4302) 1754 Verfahren (2,1 %) entschieden (s. Tabelle 2). Wie bei BK 13xx wurden jeweils bei über 54 % der BK-Verfahren kein BK-auslösender Gegenstand dokumentiert, hingegen zu knapp 15 % Desinfektionsmittel. Unabhängig von der Branche und der Auslöser wurden jeweils mehr als 80 % der BK-Fälle abgelehnt. Für die BK 4301 wurden folglich 680 BK-Verfahren nach EA 1, 2, oder 4 entschieden, von diesen Entscheidungen betrafen 49 % das Friseurhandwerk (n = 335) und 13 % die Tiermedizin und Schädlingsbekämpfung (n = 89). In beiden Branchen verzeichnet sich aber ein rückläufiger Trend der BK-Fälle pro 1000 Versicherte von 0,25 in der Tiermedizin und Schädlingsbekämpfung sowie 0,17 im Friseurhandwerk in 2010 auf jeweils 0,06 in 2019. Für die BK 4302 wurden 287 BK-Verfahren nach EA 1, 2, oder 4 entschieden und davon betrafen 65 % der Entscheidungen das Friseurhandwerk (n = 188). Von 2010 bis 2019 wurde kein auf- oder absteigender Trend der BK-Fälle pro 1000 Versicherte verzeichnet, sondern ein schwankender Wert zwischen 0,04 und 0,07. Als BK-auslösende Gegenstände wurden überwiegend Haarmittel wie Sprays, Färbemittel und Shampoos oder organische Materialien wie Haare, Federn und Borsten genannt. Desinfektionsmittel als Auslöser waren vernachlässigbar.

Abb. 3 a,b: 10-Jahres-Trend der BK-5101-Fälle pro 1000 Versicherte für ausgewählte Branchen
der BGW für die BK-auslösenden Gegenstände Desinfektionsmittel (a) und Feuchtarbeit (b) (eigene Darstellung)
Fig. 3 a,b: 10-year trend of cases of occupational disease no. 5101 per 1000 insured persons for selected
sectors of the BGW for the triggers disinfectants (a) and wet work (b) (own illustration)

Hauterkrankungen

Die wesentliche Berufskrankheit, auch im Zusammenhang mit Desinfektionsmitteln oder Feuchtarbeit, ist die BK 5101 für schwere oder wiederholt rückfällige Hauterkrankungen (92,2 %, s. Tabelle 2). Von den 75.585 entschiedenen BK-Verfahren wurden 60,4 % der Entscheidungen in Kliniken, Friseurhandwerk und Pflege getroffen (➥ Abb. 2a). Humanmedizin, Zahnmedizin, Therapeutische Praxen mit Beauty und Wellness sowie Beratung und Betreuung hatten je einen Anteil zwischen 6,2 und 8 %. Der Anteil an den Entscheidungen der restlichen Branchen betrug jeweils weniger als 5 %, wodurch diese zu „anderen Branchen“ zusammengefasst wurden. Unabhängig der Branchen wurden Desinfektionsmittel und Feuchtarbeit zu 72,3 % als BK-auslösende Gegenstände und „keine Angaben“ nur zu 12,0 % eingetragen (s. Abb. 2b). Es lag eine hohe Anerkennungsrate von 90,1 % (n = 68.362) über den 10-Jahres-Zeitraum vor, davon wurden 97,2 % mit der Anerkennung „dem Grunde nach“ (EA 4) entschieden.

Die positiv beurteilten BK-Verfahren (EA 1, 2 und 4) wurden weiter nach dem BK-auslösenden Gegenstand aufgeschlüsselt: Als Auslöser wurden zu 45,8 % Desinfektionsmittel, 29,0 % Feuchtarbeit, 3,0 % Reinigungsmittel und 1,8 % Handschuhmaterialien genannt. Reinigungsmittel und Handschuhmaterialien spiegelten nur eine kleine Gruppe der Auslöser wider. Sie verzeichneten einen rückläufigen Trend über die 10 Jahre: von 0,035 auf 0,018 BK-Fälle pro 1000 Versicherte wegen Reinigungsmitteln und 0,031 auf 0,0062 wegen Handschuhmaterialien. Wegen der hohen Anzahl an Entscheidungen aufgrund von Desinfektionsmitteln und Feuchtarbeit wurde die Entwicklung beider Auslöser branchenspezifisch über die 10 Jahre analysiert. Von den 31.325 positiv beurteilten BK-Verfahren mit dem Auslöser Desinfektionsmittel wurden 25,9 % Beschäftigte in Kliniken und 28,9 % in der Pflege zugeordnet. Die Normierung auf die Versichertenzahl der jeweiligen Branche zeigte wie schon in Tabelle 1, dass Kliniken doppelt so viele BK-Fälle pro 1000 Versicherte wie die Pflege verzeichneten (➥ Abb. 3a). Über die verschiedenen Branchen betrachtet, ließ sich kein ab- oder aufsteigender zeitlicher Trend beobachten. Bei dem Auslöser Feuchtarbeit wurden von den 19.811 positiv beurteilten BK-Verfahren 21,3 % Beschäftigten in Kliniken, 13,8 % im Friseurhandwerk und 25,4 % in der Pflege zugeordnet. Bei Bezug auf die Versichertenzahl der jeweiligen Branchen lag allein für das Friseurhandwerk ein stark rückläufiger Trend von 1,15 zu 0,58 BK-Fällen pro 1000 Versicherte im 10-Jahres-Zeitraum vor. In den anderen Branchen zeigte sich eine überwiegend konstante Entwicklung mit niedrigeren Werten (s. Abb. 3b).

Diskussion

Die Auswahl der BK-Ziffern, für die ein möglicher Zusammenhang mit Desinfektionsmitteln hergestellt werden kann, machte einen über 60%igen Anteil an allen entschiedenen BK-Verfahren in den Jahren von 2010 bis 2019 aus. Da in dieser Arbeit der Fokus auf den gesundheitlichen Belastungen der Versicherten der BGW durch Desinfektionsmittel lag, wurden die anderen Erkrankungen wie Infektionskrankheiten oder muskuloskelettale Erkrankungen nicht berücksichtigt. Die BK 5101 (schwere oder wiederholt rückfällige Hauterkrankungen) war die wesentliche BK-Meldung in fast allen Branchen der BGW, die einer Entscheidung bedurfte. Somit ist diese Erkrankung nicht nur bei Beschäftigten in typischen gesundheitsdienstlichen Branchen wie Pflege und medizinischer Versorgung präsent, sondern auch in Gesundheitsdienst-fremden Branchen wie Kinderbetreuung, Verwaltung oder Friseurhandwerk.

BK 13xx

Für die Erkrankung durch chemische Stoffe konnte kein berufsmäßiger Zusammenhang durch Desinfektionsmittel festgestellt werden. Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch aromatische Amine (BK 1301) treten verstärkt bei Beschäftigten im Friseurhandwerk auf, da vor 1978 in Haarmitteln krebserzeugende aromatische Amine enthalten sein konnten (DGUV 2019).

BK 4301/02

Die obstruktiven Atemwegserkrankungen spielten in Branchen wie Friseurhandwerk, Tiermedizin und Schädlingsbekämpfung eine verstärkte Rolle. Auslöser waren dabei aber weniger Desinfektionsmittel, sondern Allergene oder chemisch irritative Stoffe durch die tägliche Exposition gegenüber Haarmitteln oder Tierhaaren (Dulon et al. 2011; Zahradnik u. Raulf 2016).

BK 5101

Die Entstehung einer Erkrankung nach BK 5101 wurde dementsprechend in engem Zusammenhang mit Desinfektionstätigkeiten oder Feuchtarbeit dokumentiert. Reinigungsmittel und Handschuhmaterialien wurden seltener als Auslöser genannt, dies kann mehrere Ursachen haben. Die Verwendung von Reinigungsmitteln geht oft einher mit Desinfektions- und Feuchtarbeiten. Ebenfalls sind Hauterkrankungen durch Handschuhmaterialien eine Folgeerscheinung vom Handschuhtragen bei Desinfektions-, Reinigungs- oder Feuchtarbeiten. Zudem spielt die verstärkte Nutzung von allergenfreien Handschuhen ohne Latex und Thiurame eine Rolle. Die Entstehung einer schweren oder wiederholt rückfälligen Haut­erkrankung ist ein langjähriger Prozess durch das Zusammenspiel unterschiedlichster Faktoren wie Feuchtarbeit (z. B. Hautkontakt mit flüssigen Medien, Okklusion, häufige Händereinigung) und Hautkontakt mit chemischen Substanzen mit allergener und irritativer Potenz (z. B. Inhaltsstoffe in Desinfektions- und Reinigungsmitteln) (BMA 1996). Somit liegt die Vermutung nahe, dass die dokumentierten Auslöser in der BK-DOK übergreifend und nicht voneinander getrennt zu betrachten sind. Weiterhin wird in der BK-DOK nicht in Flächen-, Instrumenten- oder Händedesinfektionsmittel untergliedert. Die Desinfektionsaufgabe ist jedoch eine zusätzliche Einflussgröße für die Entstehung von Hauterkrankungen. Inhaltsstoffe wie Aldehyde und quartäre Ammoniumverbindungen in Flächen- und Instrumentendesinfektionsmitteln wirken sensibilisierend (Eickmann u. Knauff-Eickmann 2017). Bei diesen Desinfektionsaufgaben ist Handschuhtragen notwendig, um den direkten Hautkontakt mit den Desinfektionsmitteln zu verhindern, was aber eine Gefährdung durch Feuchtarbeit bedingen kann. Während länger andauernden Flächen- und Instrumentendesinfektionsarbeiten sind Chemikalienschutzhandschuhe (DIN EN ISO 374 Teil 1, 2 und 4)
zu tragen, medizinische Einmalhandschuhe sind in der Regel nicht gegen Desinfektionsmittelinhaltsstoffe flüssigkeitsdicht und widerstandsfähig. Bei Arbeiten mit einer sehr kurzen Expositionszeit (z. B. Desinfektion einer einzelnen Fläche von < 0,1 m2 mit alkoholischem Flächendesinfektionsmittel) können medizinische Einmalhandschuhe einen vollkommen ungeschützten Hautkontakt vermeiden (DGUV 2021). Auf der anderen Seite sind zugelassene Händedesinfektionsmittel auf alkoholischer Basis ohne Duft- und Konservierungsstoffe allgemein hautverträglich und nicht sensibilisierend, rückfettende Zusatzstoffe reduzieren zudem die irritative Potenz (Kampf 2005, 2007; Löffler 2008; Uter 2005). Aus diesen Gründen wird die regelmäßige Händedesinfektion empfohlen und nicht die Händewaschung mit Seife und Wasser (KRINKO 2016). Anhand des unterschiedlichen Gefährdungspotenzials der Desinfektionsinhaltsstoffe kann daher vermutet werden, dass der dokumentierte Auslöser „Desinfektionsmittel“ für BK 5101 in der BK-DOK vermehrt Flächen- und Instrumentendesinfektionsmittel und weniger Händedesinfektionsmittel betraf.

Durch die Normierung auf 1000 Versicherte wurde ein Branchenvergleich möglich. Die Klinikbranche verzeichnete doppelt so viele BK-Fälle pro 1000 Versicherte wie die Pflegebranche. Beide Branchen sind klassische Bereiche des Gesundheitsdienstes, in denen Desinfektionsarbeiten eine zentrale Stellung einnehmen. Das Tätigkeitsfeld in beiden Branchen scheint aber so unterschiedlich zu sein, dass solch eine signifikante Abweichung vorliegt. Mögliche Ursachen könnten einmal die zeitlich kompaktere Wiederholung der Händedesinfektion beziehungsweise -waschung, verbunden mit Handschuhtragen, der Fachkräfte in Kliniken sowie ein geringeres BK-Meldeverhalten in der Pflegebranche insbesondere der ambulanten Pflege sein. Für die Auslöser Desinfektionsmittel und Feuchtarbeit wurde für verschiedene Branchen kein auf- oder absteigender Trend über die 10 Jahre festgestellt. Allein das Friseurhandwerk verzeichnete eine Abnahme der BK-Fälle durch Feuchtarbeit, dies lässt sich mit einer intensiven Präventionsarbeit der BGW über viele Jahre begründen und unterstützt die Annahme, dass eine verstärkte Thematisierung der Gefährdungen, die durch den Umgang mit Desinfektionsmitteln und die Feuchtarbeit bestehen, in allen anderen Branchen auch zu einer Reduzierung der BK-Fälle führen könnte. Eine gewissenhafte Substitutionsprüfung, zusammen mit wirksamen Schutzmaßnahmen und geschultem Personal, bilden dafür eine vielversprechende Grundlage.

Die in diesem Artikel vorgelegten Fallzahlen spiegeln die gesundheitlichen Belastungen durch Desinfektionsmitteln ausschließlich in den Mitgliedsbetrieben der BGW wider. Dennoch ermöglichen die Routinedaten der BGW Trends in den BK-Meldungen, ausgelöst durch Desinfektionsmittel oder Feuchtarbeit, im Gesundheitsdienst und der Wohlfahrtspflege zu erkennen und gegebenenfalls Anstöße für neue Präventionsmaßnahmen zu geben. Die Einschränkungen der BK-DOK wie die fehlende Untergliederung in Desinfektionsmittelarten wurden bei der vorliegenden Auswertung beachtet. Eine weiterführende Untersuchung beziehungsweise Auswertung wäre möglich, wenn die elektronischen Datensätze mehr Informationen zu verwaltungstechnischen Dokumentationsabläufen oder zu ärztlichen Befunden in BK-Akten geben würden. Dies wäre mit einer Überarbeitung der BK-DOK realisierbar.

Schlussfolgerung

Die Auswertung der Daten hat gezeigt, dass heute immer noch zwei Drittel der BK-Verfahren gefahrstoffassoziiert sein können. Einige Inhaltsstoffe in Desinfektionsmitteln haben dabei als Gefahrstoffe eine relevante Rolle. Das Zusammenspiel aus Kontakt mit bestimmten Desinfektionsmitteln und Feuchtarbeit, die auch in Gesundheitsdienst-fremden Branchen vorkommen, führen wesentlich zur Entstehung von Hauterkrankungen und zu geringem Teil zu Atemwegserkrankungen und Erkrankungen durch chemische Stoffe.

Seit den 90er Jahren wurden deutliche Präventionserfolge verzeichnet. Insbesondere im Friseurhandwerk wurde noch von 2010 bis 2019 eine deutliche Reduzierung der BK-Meldungen um 49,6% aufgrund von Hauterkrankungen erzielt. Die Ergebnisse der aktuellen Auswertung der BK-DOK geben Hinweise, dass der gemeinsame Ansatz aus verstärkten Präventionskonzepten, einer sorgfältigen Gefährdungsbeurteilung sowie regelmäßiger Schulung der Beschäftigten, die Möglichkeit für die weitere Reduzierung von beruflichen Erkrankungen auch in anderen Branchen bietet.

Interessenkonflikt: Die Erstautorin und ihr Koautor geben an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.

Literatur

Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW): Jahres­berichte 2010–2018. Hamburg: BGW, 2010–2018.

Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW): Jahresinfo 2019. https://www.bgw-online.de/DE/UeberUns/Jahresinfo/Jahresinfo_node.html (zuletzt abgerufen am 03.08.2020).

Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA): Merkblatt zur BK 5101. BArBl 1996; 6: 22ff.

Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS): Technische Regel für Gefahrstoffe 525 – Gefahrstoffe in Einrichtungen der medizinischen Versorgung (Ausgabe September 2014). GMBl 2014; 63: 1294–1307; berichtigt: GMBl 2015; 27: 542.

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) – Gesetzliche Unfallversicherung, Artikel 1 des Gesetzes vom 07. August 1996. BGBl. I S.1254 (Stand: 14.10.2020).

Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV): BK-Report 1/2019 Aromatische Amine – Eine Arbeitshilfe im Berufskrankheiten-Ermittlungsverfahren. Berlin: DGUV, 2019.

Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV): DGUV Information 207-206 – Prävention chemischer Risiken beim Umgang mit Desinfektionsmitteln im Gesundheitswesen (Factsheets). Berlin: DGUV, 2016.

Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV): DGUV Information 213-032 – Gefahrstoffe im Gesundheitsdienst. Berlin: DGUV, 2021.

DIN EN ISO 374-1: 2018-10 Schutzhandschuhe gegen gefährliche Chemikalien
und Mikroorganismen – Teil 1: Terminologie und Leistungsanforderungen (ISO 374-1:2016 + Amd. 1:2018); Deutsche Fassung EN ISO 374-1:2016 + A1:2018.

DIN EN ISO 374-2: 2020-04 Schutzhandschuhe gegen gefährliche Chemikalien
und Mikroorganismen – Teil 2: Bestimmung des Widerstandes gegen Penetration (ISO 374-2:2019); Deutsche Fassung EN ISO 374-2:2019.

DIN EN ISO 274-4: 2020-04 Schutzhandschuhe gegen gefährliche Chemikalien und Mikroorganismen – Teil 4: Bestimmung des Widerstandes gegen Degradation durch Chemikalien (ISO 374-4:2019); Deutsche Fassung EN ISO 374-4:2019.

Dulon M, Peters C, Wendeler D, Nienhaus A: Trends in occupational airway diseases in german hairdressers: frequency and causes. Am J Ind Med 2011; 54: 486–493.

Eickmann U, Knauff-Eickmann R: Desinfektionsmittel im Gesundheitsdienst –
 eil 1: Informationen für eine Gefährdungsbeurteilung. Gefahrstoffe – Reinhaltung der Luft 2017; 77: 103–112.

Eickmann U, Knauff-Eickmann R: Desinfektionsmittel im Gesundheitsdienst – Teil 2: Arbeitsschutzbezogene Beurteilung von Produkten zur Flächendesinfektion, Instrumentendesinfektion sowie Hände- und Hautdesinfektion. Gefahrstoffe – Reinhaltung der Luft 2017; 77: 163–173.

Eickmann U, Thullner L: Tätigkeiten mit Formaldehyd im Gesundheitsdienst. Zentralbl Arbeitsmed Arbeitsschutz Ergonom 2017; 67: 22–31.

Kampf G, Wigger-Alberti W, Schoder V, Wilhelm KP: Emollients in a propanol-based hand rub can significantly decrease irritant contact dermatitis. Contact Der­matitis 2005; 53: 344–349.

Kampf G, Löffler H: Prevention of irritant contact dermatitis among health care workers by using evidence-based hand hygiene practices: a review. Ind Health 2007; 45: 645–652.

Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) beim RKI: Händehygiene in Einrichtungen des Gesundheitsdienstes. Bundesgesundheitsblatt 2016; 59: 1189–1220.

Löffler H, Kampf G: Hand disinfection: how irritant are alcohols? J Hosp Infect 2008; 70: 44–48.

Robert Koch-Institut (RKI): Vorwort und Einleitung der Kommission zur Richtlinie für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention. Bundesgesundheitsbl – Gesundheitsforsch – Gesundheitsschutz 2004; 47: 409–411.

Uter W, Geier J, Lessmann H, Schnuch A: Inhaltsstoffe von Hautschutz- und-pflegemitteln aus allergologischer Sicht. Analyse von IVDK-Daten und Literaturübersicht. Dermatol Beruf Umwelt 2005; 53: 172–182.

Zahradnik E, Raulf M: Tierallergene an Arbeitsplätzen und in öffentlichen Einrichtungen – Expositionsquellen entdecken – Allergenverschleppungen vermeiden. IPA-Journal 2016; 3: 12–16.

Kontakt

Dr. rer. nat. Lea Anhäuser
Berufsgenossenschaft für Gesundheits-dienst und Wohlfahrtspflege
Abt. Arbeitsmedizin, Gefahrstoffe und Gesundheitswissenschaften (AGG)
Bereich Gefahrstoffe & Toxikologie
Bonner Straße 337, 50968 Köln
Lea.Anhaeuser@bgw-online.de