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Schutzimpfungen durch Betriebsärzte – Kosten gedeckt durch die GKV?

Das Präventionsgesetz in der Praxis gestalten, bedeutet neue Wege zu gehen, aber auch an die Schnittstelle zum Arbeitsschutz zu denken

Nach mehreren erfolglosen Anläufen ist im Jahr 2015 endlich das Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention, kurz: Präventionsgesetz (PrävG), in Kraft getretenen. Das PrävG soll einen wichtigen Beitrag zur Impfprävention leisten. Die Umsetzung des PrävG hinsichtlich der Verbesserung der Impfquote in der Bevölkerung ist ein nationales Gesundheitsziel und erfordert sinnvollerweise die Be­teiligung der „Betriebsärzte“, also der Fachärzte für Arbeitsmedizin sowie jener Ärzte mit der Zusatzbezeichnung Betriebsmedizin. Die Arbeitswelt mit ihren über
43 Millionen Beschäftigten stellt in unserer Gesellschaft das größte Präventionssetting dar. Dieses gilt es zu nutzen, wenn man das vorbenannte Gesundheitsziel umsetzen will. In den Unternehmen und Betrieben sind Menschen zu erreichen, die in der Vergangenheit häufig aus ganz unterschiedlichen Gründen die empfohlenen Schutzimpfungen nicht haben durchführen lassen.

Mit den Paragrafen 132e (Versorgung mit Schutzimpfungen) sowie 132f (Versorgung durch Betriebsärzte) wurden die Betriebsärzte erstmals zu Akteuren im Sozialgesetzbuch V und sind damit unter anderem im Feld der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verankert. ­Damit regelt das PrävG neben den durch den Arbeitgeber zu veranlassenden Impfungen bei einem erhöhten Risiko einer tätigkeitsbedingten Infektion nun auch die Leistungserbringung von Betriebsärzten zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen, um die Versorgung der Bevölkerung mit allgemeinen Schutzimpfungen zu verbessern. Darüber hinaus enthält das Präventionsgesetz mit §132e SGB V ein Kontrahierungsgebot sowie einen damit verbundenen Versorgungsauftrag sowohl für die Betriebsärzte als auch für die Krankenkassen, der weder für die Betriebsärzte als Leistungserbringer noch für die Krankenkassen als Kostenerstatter ins Belieben gestellt ist. Der Gesetzgeber hat dieses Kontrahierungsgebot zudem mit der Option eines Schiedsverfahrens verbunden, um den oben genannten Versorgungsauftrag zum Wohle der Versicherten ausdrücklich zu beglaubigen.

Die Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin (DGAUM) hat inzwischen bundesweit die ersten Selektivverträge zur Regelung von Schutzimpfungen durch Betriebsärzte mit Krankenkassen abgeschlossen. Darüber hinaus konnte die DGAUM zusammen mit dem Dienstleistungsunternehmen HELMSAUER, Nürnberg, ein datengestütztes, elektronisches Abrechnungssystems etablieren, das unabhängig von der Kassenzugehörigkeit des Beschäftigten es allen Betriebsärzten ermöglicht, ihren Versorgungsauftrag flächendeckend auch im Feld der gesetzlichen Krankenversicherung zu erbringen und effizient abzurechnen. Durch DGAUM-Selekt wird das Impfen im Betrieb erheblich vereinfacht. Markus Götz stellt in seinem Beitrag das Abrechnungsverfahren vor, bei dem die Software dem Betriebsarzt in wenigen Schritten aufzeigt, ob für die Krankenkasse eines Versicherten ein Selektivvertrag vorliegt oder die Abrechnung über die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) zu erfolgen hat. Zudem ist das System in der Lage, den Nutzer intuitiv durch die Abrechnungserstellung zu führen.

Gesundheitspolitik ist immer auch ein Stück weit Gesellschafts- und Sozialpolitik und unterliegt damit jenen Prinzipien des gesellschaftlichen Diskurses, die einer repräsentativ-demokratisch verfassten Gesellschaft eigen sind. Dies lehrt uns nicht nur das langjährige Ringen um ein Präventionsgesetz, sondern auch die aktuelle politische Debatte um eine Verbesserung der medizinischen Primärprävention durch eine Impfpflicht für Kinder und Jugendliche in Gemeinschaftseinrichtungen wie zum Beispiel in Kitas und in Schulen. Der vom Bundeskabinett am 17. Juli 2019 verabschiedete Gesetzentwurf zu einem Masernschutzgesetz enthält ebenfalls eine Impfpflicht für Ärzte und sonstiges Personal in ambulanten und stationären Einrichtungen des Gesundheitswesens sowie für das Personal in Betreuungseinrichtungen, einschließlich der Ehrenamtlichen. Der Öffentliche Gesundheitsdienst soll dabei die Überwachung der Impfpflicht übernehmen. Jürgen Rissland und Joseph Kuhn fragen in ihrem Beitrag, ob ein solches Gesetz der erhoffte Durchbruch auf dem Weg zur Masern­elimination sein kann oder aber „nur“ ein unverhältnismäßiges Mittel mit möglichen Kollateralschäden darstellt.

Im Kontext der politischen Debatte ist ebenfalls der Referentenentwurf aus dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) zu einem Gesetz zur „Stärkung der Vor-Ort-Apotheken“ zu sehen, den Annegret Schoeller in ihrem Heftbeitrag diskutiert: Die Bundesärztekammer (BÄK) und die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) begrüßen zwar das Ziel dieser am 11. April 2019 veröffentlichten Gesetzesinitiative, um die flächendeckende Arzneimittelversorgung durch Apotheken zum Schutze der Gesundheit der Bevölkerung sicherzustellen und die Bewahrung der Grundprinzipien des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung auch weiterhin zu gewährleisten. Allerdings wird bezweifelt, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen geeignet sind, das vorgegebene Ziel zu erreichen. Zudem sind aus ärztlicher Sicht jene Regelungsvorschläge abzulehnen, die Apothekern im Rahmen von Modellvorhaben erlauben sollen, Grippeschutzimpfungen durchzuführen. In Deutschland bestehen für die Versicherten ausreichende Zugänge zur Versorgung mit Schutzimpfungen, etwa bei niedergelassenen Ärzten, aber auch im Rahmen von Modellvorhaben bei qualifizierten Ärzten nach §§ 132e, 140a und 295a SGB V.

In Deutschland werden nach Einschätzung des Robert Koch-Instituts (RKI) Schutzimpfungen immer noch zu selten, zu spät und mit regionalen Unterschieden durchgeführt. Eine Folge davon ist, dass nach RKI-Schätzungen im Zeitraum von 2007 bis 2017 insgesamt etwa 190 000 Menschen an Erkrankungen gestorben sind, gegen die geimpft werden kann. Darauf verweist Sabine Wicker und stellt nochmals die Arbeit der „Ständige Impfkommission (STIKO)“ vor. Jedes Jahr erscheinen Ende August die Empfehlungen der STIKO, aber wie ist das eigentlich mit den STIKO-Empfehlungen? Werden diese mit Spannung erwartet? Oder vielleicht gar nicht erst zur Kenntnis genommen? Und was ist überhaupt die STIKO?

Die Perspektive wird ferner geweitet durch einen Blick auf die globalen Entwicklungen für die Entstehung und Entwicklung von Gesundheit fördernden Rahmenbedingungen geworfen. Bereits in der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen (UN) aus dem Jahre 1948 heißt es: „Jeder hat das Recht auf einen Lebensstandard, der seine und seiner Familie Gesundheit und Wohl gewährleistet, einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Versorgung und notwendige soziale Leistungen.“ Diese nachhaltigen Entwicklungsziele der UN finden Ausdruck in der Überzeugung der Weltgemeinschaft, bis 2030 globale Probleme zusammen und im Einklang von wirtschaftlichem Fortschritt, sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Nachhaltigkeit zu lösen. Diese Ziele wurden zusammen mit der weltweiten Zivilgesellschaft erarbeitet, das heißt, auch Nichtregierungsorganisationen waren dann beteiligt. Thomas Menn stellt in seinem Artikel die global ausgerichtete Gesundheitsarbeit der Nichtregierungsorganisation Action Medeor vor, die weit über das Thema Impfen hinausgeht.

In dem Artikel zur Reisemedizin werden aktuelle Entwicklungen der Impfungen gegen Typhus und die Hepatitiden sowie Malariaprophylaxe fachgerecht von Burkhard Rieke vorgestellt.

Autor
Dr. phil. Thomas Nesseler
Hauptgeschäftsführer DGAUM
Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umwelt­medizin e. V.
Schwanthaler Straße 73 b
80336 München
Privat