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Müdigkeit und Schläfrigkeit bei Schlafstörungen

Begriffe und Definitionen

Beim nicht erholsamem Schlaf beziehungsweise bei Schlafstörungen sind Ein- und/oder Durchschlafstörungen sowie hypersomnische Beschwerden in Form von Tagesmüdigkeit und Tagesschläfrigkeit die Leitsymptome. Die Tagesmüdigkeit ist ein Leitsymptom der Insomnie, die Tagesschläfrigkeit hingegen primär der Schlafapnoe oder der Narkolepsie. Die Tagesschläfrigkeit ist eine Folge des nicht erholsamen Schlafs, gekennzeichnet durch einen tageszeitabhängig reduzierten Grad der Wachheit und der Daueraufmerksamkeit sowie durch einen Einschlafdrang, der in monotonen Situatio­nen unfreiwillig, mit kurzer Latenz, zum Einschlafen führen kann (Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin 2009).

Müdigkeit wird hingegen als Einschränkung motorischer und/oder psychischer Funktionen sowie psychosozialer Leistun­gen angesehen und äußert sich in beanspruchungsbezogener Mattigkeit und Erschöpfung sowie einer eingeschränkten psychischen Leistungsfähigkeit. Dabei tritt Schlaf in Situationen, in denen dieser möglich oder erwünscht ist, meist nicht ein.
Müdigkeit besitzt im Gegensatz zu Schläfrigkeit keine ausgeprägte Tagesrhythmik. Unabhängig von Schlafstörungen wird Müdigkeit umgangssprachlich und in der hausärztlichen Praxis auch als weitgefasstes subjektives Empfinden aufgefasst, das mit einer Reihe anderer Erkrankungen assoziiert sein kann. Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM 2017) hat dafür eine Leitlinie „Müdigkeit“ entwickelt.

Das Symptom Müdigkeit

Stellt sich in einer Praxis eine Patientin oder ein Patient mit unklarer Müdigkeit vor, dann muss von einem breiten Spektrum möglicher Ursachen ausgegangen werden. Diese beinhalten sowohl internistische oder neuro­logisch/psychiatrische Erkrankungen beziehungsweise Symptome medikamentöser Nebenwirkungen, Drogenkonsum als auch Schlafstörungen. Entsprechend der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM 2009) zu „Nicht erholsamem Schlaf/Schlafstörungen“ ist anamnestisch zunächst abzuklären, ob ein adäquater Umgang mit dem Schlaf besteht und ob dieser dem zirkadianen Rhythmus angepasst ist (➥ Abb. 1).

Ist das gegeben, dann wäre darauffolgend die Einnahme von müde oder schläfrig machenden Substanzen zu klären. Dazu gehören zum Beispiel Methyldopa, kaliumsparende Diuretika, Schmerzmittel, Anticholinergika, Psychopharmaka und – weniger ausgeprägt – Clonidin, Antihypertensiva und Dopamin-Antagonisten. In der neurologischen Praxis sind es vor allem Carboxamid-Derivate, Barbiturate, Benzodiazepine, Antiepileptika und einige Parkinsonmittel. Zu den Psychopharmaka gehören Antidepressiva, Neuroleptika, Gammahydroxybuttersäure und Hypnotika, die als Müdigkeit verursachende Präparate in Frage kommen. Zusätzlich sind Drogenkonsum und ein Substanzabusus abzuklären. Derzeit sind es vornehmlich Alkohol, Liquid Ecstasy und Gammahydroxybuttersäure beziehungsweise Gammahydroxybutyrat (GHB) sowie Heroin, die müde machen. Zukünftig wird auch Cannabis durch den steigenden Konsum eine zunehmende Bedeutung haben.

Sind die Sozialanamnese und der Tablettenstatus erhoben, folgt das Abklären möglicher Grunderkrankungen beziehungsweise deren nicht-adäquat erfolgte Therapie. Internistisch sind die häufigsten Ursachen für Müdigkeit die Hypothyreose, die Hypotonie und die Anämie. Seltener liegen eine Hypoglykämie, Urämie oder jegliche Art von Tumorerkrankungen vor. Als weitere Ursachen kommen endokrinologische Erkrankungen wie Morbus Addison, Conn-Syndrom, Cushing-Syndrom oder Hypopituitarismus, metabolische Erkrankungen wie Morbus Meulengracht oder die Hyperkalziämie, Infektionen wie Tuberkulose, HIV, Borreliose oder Tropenkrankheiten, rheumatologische Erkrankungen wie der Lupus oder die Fibromyalgie, kardiologische Erkrankungen wie die Endokarditis oder Myokarditis, neurologische Erkrankungen wie die Parkinson-Erkrankung, Multiple Sklerose oder das stattgehabte Schädel-Hirn-Trauma und das prämenstruelle Syndrom dazu (DEGAM 2017). Häufige psychiatrische Ursachen sind Depression, Schizophrenie und Demenz.

Findet sich keine der oben genannten Ursachen, dann ist eine schlafmedizinische Differenzialdiagnostik vorzunehmen. Aus schlafmedizinischer Sicht können alle den sechs großen Gruppen nach der internatio­nalen Klassifikation von Schlafstörungen (ICSD-3: Insomnien, schlafbezogene Atmungsstörungen, zentrale Störungen mit Hypersomnolenz, zirkadiane Schlaf-Wach-Rhythmusstörungen, Parasomnien, schlafbezogene Bewegungsstörungen) zugeordneten einzelnen Schlafstörungen Müdigkeit (aber auch Schläfrigkeit) verursachen (Mayer et al. 2015).

Im Rahmen der Ausschlussdiagnostik kommt auch das – wegen unterschiedlicher Falldefinitionen kontrovers diskutierte – chronische Müdigkeitssyndrom/chronische Erschöpfungssyndrom (CFS) in Betracht (DEGAM 2017). Dies sollte in der Regel aber erst dann erfolgen, wenn schlafmedizinische Ursachen ausgeschlossen sind und wenn die Müdigkeit mit rezidivierenden chronischen Schmerzen und Infektionen einhergeht.

Unfreiwillige Müdigkeit und Schläfrigkeit am Tage sind Ausdruck eingeschränkter ­Leistungsfähigkeit bei verschiedenen Schlafstörungen

Foto: © Schulz-Design-stock-adobe.com

Unfreiwillige Müdigkeit und Schläfrigkeit am Tage sind Ausdruck eingeschränkter ­Leistungsfähigkeit bei verschiedenen Schlafstörungen

Das Symptom Schläfrigkeit

Schläfrigkeit und in der Folge unfreiwilliges Einschlafen am Tage – meist in monotonen Situationen – kann zum einen die Folge all derjenigen Umstände sein, die bei müden Patientinnen und Patienten aufgezählt wurden, wahrscheinlicher sind aber andere Ursachen. Zunächst ist eine Über- oder Unterdosierung von Medikamenten (Psychopharmaka, Hypnotika, Schmerzmittel, Insulin, Kardiaka etc.) in Betracht zu ziehen und dann eine Schlafstörung. Auch laut DEGAM-Leitlinie (DEGAM 2017) sind im Gegensatz zur Müdigkeit bei chronischer Schläfrigkeit daher schlafmedizinische Erkrankungen – seltener Schlaganfälle – die häufigste Ursache. Hinweisend dafür sind zum Beispiel eine Schläfrigkeit trotz ausreichend und sogar extrem langer Schlafdauer, intermittierendes Schnarchen oder das Syndrom der unruhigen Beine (Restless-Legs-Syndrom, RLS). Die mit dem intermittierenden Schnarchen assoziierte obstruktive Schlafapnoe (OSA), das Obesitas-Hypoventilationssyndrom oder die Bewegungsstörungen im Schlaf sind die häufigsten organischen Auslöser für einen unmerklich nicht effektiven Schlaf. Dieser ist häufig charakterisiert durch ein Tiefschlafdefizit das, wie auch ein Schlafdefizit, in der Folge nicht nur zu Müdigkeit, sondern auch zu extremer Tagesschläfrigkeit führen kann. Das gestörte Schlafprofil bei Schlafapnoe-Erkrankten ist dafür exemplarisch. Das Auftreten von nächtlichen Atmungsstörungen – mit oder ohne nächtliche Aufwachreaktionen (Arousal) –, die den Tiefschlaf nicht beeinträchtigen, führen meist auch nicht zu einer ausgeprägten Tagesschläfrigkeit. Daher gibt es auch mehr Betroffene mit OSA als solche mit einem OSA-Syndrom (OSAS), das das Auftreten von Tagesschläfrigkeit inkludiert. In einer populationsbasierten Studie von Fietze et al. (2019) zeigte sich, dass etwa 21 Prozent der deutschen Erwachsenen eine behandlungsbedürftige OSA mit einem Apnoe-Hypopnoe-Index (AHI) von mehr als 15 Atmungsaussetzern pro Stunde Schlaf haben. Weniger als die Hälfte von ihnen sind auch schläfrig. Mehr bei den Frauen als den Männern hängt die Schläfrigkeit vom Ausmaß der Atmungsstörungen ab. Je mehr Atmungsstörungen, desto schläfriger sind die Betroffenen.

Die periodischen Beinbewegungen im Schlaf (PLMs) sind dann schlafstörend, wenn sie mit Arousal, detektiert im Elektroenzephalogramm (EEG), assoziiert sind. Ein PLM-AI (Anzahl der PLMs, die mit Arousal einhergehen) pro Stunde Schlaf von mehr als 10 in der Stunde ist auffällig und begründet die Diagnose eines PLM-Syndroms (PLM Disease, PLMD).

Das Auftreten von langen Schlafzeiten, schwerer Erweckbarkeit am Morgen und gleichzeitig unfreiwilligem Einschlafen am Tage sind Symptome, die typisch sind für Hypersomnolenzstörungen; meist handelt es sich dabei entweder um die Narkolepsie vom Typ 1 oder Typ 2 oder um eine idiopathische Hypersomnie. Das Eintrittsalter ist häufig die Pubertät und das frühe Erwachsenenalter. Die Schläfrigkeit gehört hier zu den Hauptsymptomen der Erkrankung.

Darüber hinaus kann die Schläfrigkeit auch mit allen anderen Schlafstörungen assoziiert sein, sofern sie die Qualität des Schlafs beträchtlich beeinflussen. Dominierend bei den anderen Schlafstörungen, zu denen die Schlaf-Wach-Rhythmusstörungen, die Parasomnien und die Insomnie gehören, ist aber eher die Tagesmüdigkeit. Die schwere Insomnie ist dabei die einzige Schlafstörung, die nicht mit Schläfrigkeit, sondern mit ausgeprägter Müdigkeit (und Erschöpfung) einhergeht. Betroffene mit einer ausgeprägten Insomnie schlafen zwar nachts extrem schlecht und/oder kurz, sind auch den ganzen Tag müde, können aber, selbst wenn die Gelegenheit und die Zeit vorhanden sind, nicht einschlafen.

Der nicht erholsame Schlaf

Überwiegt ein nicht erholsamer Schlaf ohne beeinträchtigende Müdigkeit oder Schläfrigkeit, kommen differenzialdiagnostisch auch alle oben genannten Ursachen in Betracht. Aus schlafmedizinischer Sicht liegt meist eine kurze Schlafdauer oder ein qualitativ nicht effektiver Schlaf vor. Zumindest sind diese möglichen Ursachen abzuklären, was mit einer Objektivierung des nächtlichen Schlafprofils geschehen sollte. Eine erste Schätzung mit Consumer-Produkten wie Schlaf-Apps oder Wearables ist in einigen Fällen möglich, aber derzeit noch nicht geeignet, die Schlafstadien valide zu ermitteln. Daher ist eine ambulante Schlafmessung (Einkanal-EEG oder Mehrkanal-EEG-Aufzeichnung ggf. mit Elektrookulogramm [EOG] und EMG) indiziert. Stehen diese Methoden nicht zur Verfügung oder werden diese von den Krankenkassen nicht vergütet, kann eine Untersuchung im Schlaflabor mittels Polysomnografie (PSG) erfolgen. Eine PSG ist meist auch dann notwendig, wenn organisch bedingte Schlafstörungen abzuklären sind.

Diagnostik von Schlafstörungen

Mittels einer PSG in einem Schlaflabor werden hauptsächlich Patientinnen und Patienten mit einer OSA und ausgeprägter Komorbidität oder Verdacht auf nicht-obstruktive Atmungsstörungen, Personen mit Verdacht auf eine Parasomnie (Schlafwandeln, REM-Schlafverhaltensstörung [REM, engl. „rapid eye movement“ = „rasche Augenbewegung“]), Verdacht auf eine Hypersomnie und eine Bewegungsstörung im Schlaf (PLMD, Pavor nocturnus) untersucht. Während der PSG werden der ultradiane Rhythmus (Wechsel Non-/REM-Schlaf), die Schlafstadienverteilung, die Anzahl der Arousal, die Schlaflänge sowie die Schlafeffizienz (Verhältnis Schlafzeit zu Bettzeit) bestimmt. Des Weiteren werden der Muskeltonus beurteilt, Beinbewegungen und Körperlagewechsel detektiert, Schnarchen, Bruxismus, die Atmung, die Blutgase und die Herz-Kreislauf-Funktion erfasst. Mittels Videografie wird das Verhalten aufgezeichnet, um auch Parasomnien wie das Schlafwandeln oder eine REM-Schlafverhaltensstörung zu objektivieren.

Ohne eine PSG im Schlaflabor werden vornehmlich Betroffene mit einer Insomnie und mit Schlaf-Wach-Rhythmusstörungen diagnostiziert. Hier kommt als Messverfahren neben validierten Fragebögen hauptsächlich eine Bewegungsmessung am Handgelenk (Aktigrafie) in Betracht, die wie eine Armbanduhr in der Regel für 1–2 Wochen kontinuierlich getragen wird und eine Abschätzung des Schlaf-Wach-Zyklus über einen längeren Zeitraum ermöglicht.

Die OSA (ohne Komorbidität) und die PLMs lassen sich auch mit einem ambulanten 6-Kanal-Monitoring (Polygrafie) bereits gut abklären. Daher ist bei subjektiven Angaben zu Schnarchen oder Bruxismus oder unruhigen Beinen im Schlaf ein solches Messverfahren immer möglich. Es ist darüber hinaus in der Regel auch deshalb notwendig, weil in Deutschland die Polygrafie Voraussetzung ist, um Patientinnen und Patienten in einem Schlaflabor mittels PSG untersuchen zu können (G-BA-Richtlinie 2006).

Diagnostik von Müdigkeit und ­Tagesschläfrigkeit

Für die Quantifizierung von Müdigkeit gibt es kein Standardverfahren, sondern nur indirekte Messmethoden wie Fragebögen, den Psychomotor-Vigilanz-Test (PVT) oder andere kognitive Leistungstests wie zum Beispiel das Wiener Testsystem, die Mathwork Clock und der Fahrsimulator.

Die Schläfrigkeit lässt sich dagegen im Schlaflabor objektivieren. Personen, die bei 4 bis 5 Sessionen am Tag (z. B. ab 9 Uhr alle
2 Stunden) im Zeitraum von 40 min (Multipler Wachhalte-Test, MWT) oder 20 min (Multipler Schlaf-Latenz-Test, MSLT) im Mittel schneller als in 10 Minuten einschlafen, sind schläfrig und bekommen die Diagnose einer Hypersomnie, wenn die mittlere Einschlaf­latenz weniger als 8 Minuten beträgt. Derartige Messverfahren sind aufwendig, aber zur Diagnosestellung, für die Beurteilung der Fahreignung von Berufskraftfahrern oder für Gutachtenfragen zwingend erforderlich. Andere Testverfahren wie die Pupillografie oder kognitive Leistungstests sind weniger aussagefähig.

Ein Fragebogen-Selbsttest zur Schläfrigkeit ist auch eine validierte und anerkannte Methode. Wird in diesem 8-Item-Fragebogen ein Summenwert über 10 erreicht, besteht der Verdacht auf eine erhöhte Einschlafneigung am Tage. In der Konsequenz sollte zum Beispiel kein Fahrzeug mehr geführt werden (Bundesanstalt für Straßenwesen 2022) und eine schlafmedizinische Abklärung erfolgen.

Abb. 2:  Klinischer Algorithmus für die Diagnose und Therapie von Ursachen von exzessiver Tagesschläfrigkeit (adaptiert und mit freundl. Genehmigung aus Pagel 2009)

Abb. 2: Klinischer Algorithmus für die Diagnose und Therapie von Ursachen von
exzessiver Tagesschläfrigkeit (adaptiert und mit freundl. Genehmigung aus Pagel 2009)

Therapie von Müdigkeit und ­Schläfrigkeit am Tage

Das Prinzip der Therapie von Müdigkeit besteht zunächst in der Behandlung der Grunderkrankung beziehungsweise in der Beseitigung möglicher Ursachen. Eine spezifische nicht-medikamentöse oder medikamentöse Therapie steht nicht zur Verfügung. Die Anwendung von weißem oder blauem Licht, von wachmachenden Phytopharmaka und Coffein-haltigen Produkten können Optionen der Intervention sein.

Für die Therapie der Tagesschläfrigkeit gibt es zugelassene Medikamente, die dann zum Einsatz kommen sollten, wenn die Schläfrigkeit mittels der oben genannten Tests im Schlaflabor objektiviert wurde. Pitolisant (Wakix®) ist ein Arzneistoff aus der Gruppe der H3-Antihistaminika und Solriamfetol (Sunosi®) ein Arzneistoff aus der Gruppe der selektiven Noradrenalin- und Dopamin-Wiederaufnahmehemmer. Beide Präparate sind zugelassen für die Behandlung der Narkolepsie und der Restschläfrigkeit bei therapierten Schlafapnoe-Erkrankten.

Alle andere wachmachenden Medikamente wie Modafinil, Antidepressiva, Amphetamine und andere sind eine Off-label-Therapie und können gegebenenfalls dann zum Einsatz kommen, wenn die bereits erwähnten Medikamente nicht indiziert oder nicht wirksam sind (Kallweit u. Lieberich 2021). ➥ Abbildung 2 beschreibt zusammengefasst einen Algorithmus zum diagnostischen Vorgehen und den Therapieoptionen für verschiedene Ursachen von Tagesschläfrigkeit (Pagel 2009).

Folgen unbehandelter Tagessmüdigkeit und Tagesschläfrigkeit

Eine Therapie von Tagesmüdigkeit, mehr noch von Schläfrigkeit dient nicht nur der Wachheit und Verbesserung der Lebensqualität, sondern schützt auch vor der Gefahr der Eigen- oder Fremdverletzung. Eine nicht behandelte oder nicht behandelbare, im Schlaflabor diagnostizierte, pathologische Schläfrigkeit kann zu Unfällen im Straßenverkehr, im häuslichen Umfeld oder am Arbeitsplatz führen, durch Fehler im Job zu weitreichenden finanziellen und gesundheitlichen Konsequenzen und gar zu einer Arbeits- und Erwerbunfähigkeit führen.

In den folgenden Ausführungen ist von Müdigkeit, nicht von Schläfrigkeit die Rede, da die Umfragen zu diesem Thema ja nicht den objektiven Nachweis von Schläfrigkeit im Schlaflabor beinhalten.

Indirekte Kosten entstehen durch die von Müdigkeit verursachten Arbeitsausfälle und Unfälle am Arbeitsplatz, zu Hause oder im Verkehr. Bei Verkehrsunfällen potenziert sich der Kostenfaktor durch die Beteiligung Dritter. In den USA verursacht allein der Sekundenschlaf im Straßenverkehr etwa 100.000 Unfälle im Jahr mit 1500 Toten. Von den insgesamt 328.000 jährlichen Verkehrsunfällen in den USA passieren etwa 20 Prozent müdigkeitsbedingt, und ungefähr 21 Prozent aller Unfälle mit tödlichem Ausgang (von 6400 Toten jährlich) sind auf Müdigkeit zurückzuführen, was annähernd den oben genannten Betroffenen mit dem Sekundenschlaf entspricht (Fischer 2016). In einer Untersuchung bei Kraftfahrern in den US-Bundesstaaten Washington DC und Virginia wurde Müdigkeit als wesentlicher Faktor bei 12 Prozent aller Unfälle registriert (Dingus et al. 2006).

In Deutschland sind etwa 11 Prozent der Unfälle wegen eingeschränkter Verkehrstüchtigkeit auf Müdigkeit zurückzuführen. Im Jahr 2019 wurden durch Müdigkeit am Steuer insgesamt 2037 Verkehrsunfälle mit 3303 Verunglückten dokumentiert; davon 1028 Schwerverletzte und 49 Getötete (Statistisches Bundesamt 2021). Diese Art der Unfälle nimmt im gesamten mittel- und west­europäischen Raum ab. Ursache ist nicht die abnehmende Müdigkeit/Schläfrigkeit, diese nimmt eher zu, als vielmehr die zunehmenden Alkohol- und Geschwindigkeitskontrollen und -restriktionen, ein gesteigertes Gefahrenbewusstsein und moderne Autos mit Sicherheitsassistent und intelligenten Warnsystemen.

Laut einer Umfrage des Deutschen Verkehrssicherheitsrats (DVR) geben 26 Prozent aller deutschen Autofahrerinnen und Autofahrer an, bereits einmal am Steuer eingeschlafen zu sein.

Zu den Berufsunfällen wegen Müdigkeit gibt es gute Daten aus der Schweiz (Uehli et al. 2013, 2014a,b). Eine Veröffentlichung von 2009 berichtet von 360.000 tödlichen Berufsunfällen jährlich und mehr als 960.000 verletzten Beschäftigten jeden Tag! Je niedriger die Sicherheit am Arbeitsplatz desto gravierender ein solches Ausmaß. In der Schweiz erhöhen Schlafprobleme das Risiko für einen Berufsunfall um 78 Prozent, in Deutschland sind es „nur“ 63 Prozent. Katrin Uehli, Spezialistin für Betriebliches Gesundheitsmanagement in der Schweiz, hat herausgefunden, dass pro Jahr rund 290 Millionen Schweizer Franken für die Folgen von Berufsunfällen aufgewendet werden, die auf Schlafprobleme zurückzuführen sind. Dies entspricht bei einer arbeitenden Bevölkerung von 4,6 Millionen im Erhebungsjahr 2010 etwa 63 Schweizer Franken pro Beschäftigten. Die Analyse der Berufsunfalldaten ergab auch, dass die bei Schlafproblemen am häufigsten vorkommenden Unfallarten Stürze und Verletzun­gen
des Bewegungsapparats sind. Eine ebenso große Rolle spielen Unfälle mit oder durch Werkzeuge/Maschinen. Auch nicht zu unterschätzen sind Unfälle, die bei Tätigkeiten passieren, die eher nebenher also routinemäßig erledigt werden wie Aufräumen, Putzen oder einfach Herumgehen. Von Berufsunfällen, die mit Schlafproblemen assoziiert werden, sind hauptsächlich Arbeitende betroffen, die älter als 30 Jahre sind, die pro Nacht 7 oder weniger Stunden schlafen und pro Woche 50 Stunden und mehr arbeiten. Schlafapnoe-Betroffene sind in der Regel älter als 30 und leiden meist nicht an zu kurzer Schlaflänge, aber an mangelnder Schlafqualität. Sie ist der wesentliche Grund für eine Tagesschläfrigkeit bei OSA mit den oben genannten Folgen.

Die Arbeits- und Wegeunfälle aufgrund von Schlafproblemen wurden kürzlich auch von Alhainen et al. (2022) bei 89.543 finnischen Beschäftigten zwischen 2000 und 2012 objektiviert. Sowohl die Schlafdauer als auch Schlafprobleme waren mit Unfällen asso­ziiert. Personen mit weniger als 6,5 Stunden Schlaf hatten eine Odds Ratio von 1,07 für Arbeitsplatz- und 1,14 für Wege­unfälle. Arbeitnehmende mit Schlafproblemen, worunter auch die Schlafapnoe fällt, hatten eine Odds Ratio von 1,09 für Arbeits- und 1,14 für Wegeunfälle.

Die gesundheitlichen Folgen von Schläfrigkeit sind ein erhöhtes Herzkreislaufrisiko, eine erhöhte Hospitalisierungsrate und ein erhöhtes ambulantes Aufkommen (Mazzotti
et al. 2019; Ronksley et al. 2011). Das trifft auch für Patientinnen und Patienten mit OSA zu. Betroffene mit einer begleitenden Tagesschläfrigkeit, OSAS, haben ein höheres Gesundheitsrisiko. Xie et al. (2018) zeigten dies für Patientinnen und Patienten nach Myokardinfarkt mit und ohne OSA. Personen mit exzessiver Tagesschläfrigkeit hatten eine höhere Rate von schweren kardialen Ereignissen und Re-Infarkten.

Interessenskonflikt: Ingo Fietze ist Berater von Bioprojet, Hennig Arzneimittel, Idorsia, Lilly, Jazz Pharmaceuticals und Stada. Martin Glos hat ein Forschungsstipendium von Phasya erhalten. Die Autoren sind allein verantwortlich für den Inhalt und das Verfassen des Artikels.

Ethikvotum: Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.

Literatur

Akerstedt T, Bassetti C, Cirignotta F et al.: Sleepiness at the wheel, White paper. Paris: Institut National du Sommeil et de la Vigilance, 2018.

Alhainen M, Härmä M, Pentti J et al.: Sleep duration and sleep difficulties as predictors of occupational injuries: a cohort study. Occup Environ Med 2022; 79: 224–232.

Bundesanstalt für Straßenwesen: Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung. 2022.

Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM): S3-Leitlinie Müdigkeit. 2017.

Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM): S3-Leitlinie Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen. Somnologie – Schlafforschung und Schlafmedizin 2009; 13: 1–160.

Dingus TA, Klauer SG, Neale et al.: The 100-Car Naturalistic Driving Study, Phase II – Results of the 100-Car Field Experiment. Springfield, VA: Transportation U.S. Department of Transportation National Technical Information Service, 2006.

Fietze I, Laharnar N, Obst A et al. (2019) Prevalence and association analysis of obstructive sleep apnea with gender and age differences - Results of SHIP-Trend. J Sleep Res 2019; 28: e12770.

Fischer P: WAKE UP CALL! Understanding drowsy driving and what states can do. Washington, DC: Governors Highway Safety Association, 2016.

Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA): Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung (Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung). 2006.

Kallweit U, Lieberich L: Neue europäische Leitlinie zur Behandlung der Narkolepsie. DNP – Der Neurologe & Psychiater 2021; 22: 18–19.

Mayer G, Rodenbeck A, Geisler P et al.: Internationale Klassifikation der Schlafstörungen: Übersicht über die Änderungen in der ICSD-3. Somnologie – Schlafforschung und Schlafmedizin 2015; 19: 116–125.

Mazzotti DR, Keenan BT, Lim DC et al.: Symptom subtypes of obstructive sleep apnea predict incidence of cardiovascular outcomes. Am J Respir Crit Care Med 2019; 200: 493–506.

Pagel JF: Excessive daytime sleepiness. American Family Physician 2009; 79: 391–396.

Ronksley PE, Hemmelgarn BR, Heitman SJ et al.: Excessive daytime sleepiness is associated with increased health care utilization among patients referred for assessment of OSA. Sleep 2011; 34: 363–370.

Statistisches Bundesamt: Verkehrsunfälle Zeitreihen. Wiesbaden: Destatis, 2021.

Uehli K, Miedinger D, Bingisser R et al.: Sleep problems and work injury types: a study of 180 patients in a Swiss emergency department. Swiss Medical Weekly 2013; 143: w13902.

Uehli K, Mehta AJ, Miedinger D et al.: Sleep problems and work injuries: a systematic review and meta-analysis. Sleep Med Rev 2014a; 18: 61–73.

Uehli K, Miedinger D, Bingisser R et al.: Sleep quality and the risk of work injury: a Swiss case-control study. J Sleep Res 2014b; 23: 545–553.

Xie J, Sert Kuniyoshi FH, Covassin N et al.: Excessive daytime sleepiness independently predicts increased cardiovascular risk after myocardial infarction. J Am Heart Assoc 2018; 7: e007221.

doi:10.17147/asu-1-217710

Kernaussagen

  • Unfreiwillige Müdigkeit und Schläfrigkeit am Tage sind ein Ausdruck eingeschränkter ­Leistungsfähigkeit bei verschiedenen Schlafstörungen.
  • Müdigkeit – als Einschränkung motorischer und/oder psychischer Funktionen sowie psycho­sozialer Leistungen – ist ein Leitsymptom der Insomnie.
  • Tagesschläfrigkeit – als tageszeitabhängig reduzierter Grad der Wachheit und Daueraufmerksamkeit mit gleichzeitig vorhandenem Einschlafdrang (z. B. in monotonen Situationen) – ist ein Leitsymptom der Schlafapnoe und der Hypersomnie (z. B. Narkolepsie).
  • Bei Müdigkeit ist eine initiale Ursachenabklärung hinsichtlich Medikamenteneinnahme, ­Drogen-/Substanzabusus und Vorhandensein möglicher Grunderkrankungen essenziell.
  • Weitere u. U. notwendige schlafmedizinische Differenzialdiagnostik hat bei Müdigkeit die ­Klärung vorhandener schlafmedizinischer Erkrankungen zum Ziel.
  • Müdigkeit in Kombination mit Erschöpfung, rezidivierenden Infekten und Schmerzen lässt ein chronisches Erschöpfungssyndrom vermuten (CFS).
  • Neben Über- oder Unterdosierung von Medikamenten sind bei Schläfrigkeit meist Schlaf­störungen ursächlich, die apparativ entweder mittels stationärer Polysomnografie (PSG)
    oder ambulanten Messverfahren (Aktigrafie, Einkanal-EEG, 6-Kanal-kardiorespiratorische
    Polygrafie) untersucht werden.
  • Elektrophysiologische Messungen am Tage mittels dem Multiplen Schlaf-Latenz-Test (MSLT), dem Multiplen Wachhalte-Test (MWT) und anderen Verfahren ermöglichen die Objektivierung von Schläfrigkeit.
  • Für die Behandlung von Schläfrigkeit bei der Hypersomnie und bei therapierten Schlafapnoe-Erkrankten stehen mit Pitolisant (Wakix®) aus der Gruppe der H3-Antihistaminika und ­Solriamfetol (Sunosi®) aus der Gruppe der selektiven Noradrenalin- und Dopamin-Wiederaufnahmehemmer zugelassene Medikamente zur Verfügung.
  • Koautor

    Dr. rer. medic. Martin Glos
    Interdisziplinäres Schlafmedizinisches Zentrum, Charité – Universitätsmedizin Berlin.

    Kontakt

    Prof. Dr. med. Ingo Fietze
    Interdisziplinäres ­Schlafmedizinisches Zentrum; Charité – Universitätsmedizin Berlin; Charitéplatz 1; 10117 Berlin

    Foto: privat

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