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Interview

„Mit Humor und Selbstironie schwierige Situationen meistern“

Interview mit Resilienz-Coach Petra Moske, Gründerin des Sozialunternehmens „nestwärme e.V.“

„Mastering Difficult Situations with Humor“ – an Interview with Resilience Coach Petra Moske, Founder of the Social Enterprise “nestwärme e.V.”

Mit welchen Anforderungen sind Pflegekräfte im Arbeitsalltag konfrontiert?

Moske: Die Anforderungen sind nicht nur vielseitig, sondern auch in jeder Hinsicht sehr hoch, sei es emotional, körperlich oder fachlich. So benötigen Pflegekräfte beispielsweise eine sehr große soziale Kompetenz für den Umgang mit den Pflegebedürftigen, die sich oft nur schwer artikulieren oder sogar nur nonverbal kommunizieren können und häufig auch stark unter ihrer Krankheit leiden. Für die Angehörigen sollen sie ebenfalls ein offenes Ohr haben und deren Gefühle auffangen, von der Sorge um die Pflegebedürftigen über die Trauer bis hin zu Aggressionen. Fachlich ist nicht nur Kompetenz im jeweiligen spezifischen Bereich gefordert, sondern auch darüberhinausgehende Kenntnisse, beispielsweise in pädagogischer, psychologischer oder technischer Hinsicht. Auch die körperliche Belastung, beispielsweise durch das viele Bücken oder schweres Heben, ist erheblich und führt oft zu gesundheitlichen Problemen wie chronischen Rückenschmerzen.

Das klingt anspruchsvoll. Zumal die Rahmenbedingungen auch nicht einfach sind, oder?

Moske: Dass in der Pflege Personalmangel herrscht, ist ja bekannt. Überstunden und Schichtdienst sind die Regel. Dies erschwert die Pflege der eigenen Sozialkontakte, die einen emotionalen Ausgleich ermöglichen würden, und bringt zudem den Biorhythmus der Pflegenden durcheinander. Die Folge sind oft Kopfschmerzen, Schlafstörungen und Müdigkeit bis hin zur Erschöpfung. Zudem bleibt den Beschäftigten in der täglichen Arbeit zu wenig Zeit für die einzelnen Patientinnen und Patienten und deren individuelle Bedürfnisse, was wiederum zu emotionalen Belastungen führt. Wer sich dann noch schwer von seinen Fällen abgrenzen kann und sie gedanklich mit nach Hause nimmt, kann nur schwer regenerieren.

Welche persönlichen Ressourcen brauchen Beschäftigte in der Pflege?

Moske: Pflegekräfte benötigen vor allem ein großes Maß an Resilienz, an psychischer Widerstandskraft, die sich aus vielen einzelnen Kompetenzen zusammensetzt. Eine wesentliche Voraussetzung ist beispielsweise die emotionale Bewusstheit: Nur wer Gefühle wahrnimmt und benennen kann, kann sie auch adäquat verarbeiten und impulsive Reaktionen vermeiden. Die meisten Ressourcen lassen sich aber zum Glück erlernen und trainieren. So helfen beispielsweise Achtsamkeits- und Selbstfürsorgeübungen, die eigenen Gefühle einzuordnen und zu steuern. Perspektivenwechsel tragen dazu bei, flexibel und in Lösungen, statt in Problemen zu denken und zu handeln. Sie gehen Hand in Hand mit einem realistischen Optimismus und der Fähigkeit, die Sinnhaftigkeit der eigenen Arbeit zu sehen.

Gleichzeitig müssen Pflegekräfte von ihrer Selbstwirksamkeit überzeugt sein und benötigen eine gewisse Risikobereitschaft: Sie müssen den Mut haben, Verantwortung zu übernehmen, und dürfen keine Angst vor Fehlern haben. Wer dann noch Empathie für seine Patientinnen und Patienten mitbringt und den Humor auch in schwierigen Situationen nicht verliert, ist für einen Pflegeberuf gut aufgestellt.

Sicher kennen Sie Strategien, die sich in der Praxis als zielführend erwiesen haben, um mit widrigen Situationen umzugehen?

Moske: Es gibt eine Vielzahl von Strategien, die situationsbedingt zum Einsatz kommen können. In der täglichen Arbeit ist es beispielsweise wichtig, Prioritäten richtig zu setzen, sich auf das Wesentliche zu fokussieren und mit Pflegebedürftigen, ihren Angehörigen und auch den Kolleginnen und Kollegen gewaltfrei zu kommunizieren. Dazu gehört auch, richtig zuhören zu können, Feedback einzuholen und zu geben. Regelmäßige Achtsamkeitsübungen und Meditationen wie Atemübungen oder Sinnesreisen helfen, die innere und die körperliche Haltung, die sich wechselseitig bedingen, im Blick zu haben.

Wer positive Umdeutung gelernt hat, fokussiert nicht die negativen Konsequenzen, sondern erkennt auch in schwierigen Situationen leichter die Sinnhaftigkeit einer Herausforderung – und weiß, dass der eigene, wertvolle Erfahrungsschatz durch herausfordernde Situationen erweitert wird. Das bedeutet aber, dass Pflegende nicht nur ihre Stärken kennen, sondern auch ihre Schwächen akzeptieren und sich bewusst machen müssen, dass sie aus ihren Fehlern lernen. Was immer hilft und nahezu jede Situation entschärfen kann, das ist Selbstironie.

Was bedeutet das in diesem Zusammenhang?

Moske: Damit meine ich, über sich selbst lachen zu können. Das tut gut, denn es entlastet ungemein in herausfordernden Situationen, zu lachen. Oft hilft es, nicht so streng mit sich selbst für die eigenen Schwächen und Fehler zu sein. Selbstironie bietet Leichtigkeit. Wenn einmal etwas im Pflegealltag nicht auf Anhieb funktioniert und man sich selbst nicht zu ernst nimmt, entspannt dies die eigene Anspruchslage ungemein. Und Selbstironie kann auch bestärken. Sich selbst zu loben, fällt oft schwer, doch kann mittels Selbstironie einfacher gelingen. Eine Pflegekraft, die etwas gut gemacht hat und dies erkennt, kann sich beispielsweise mittels Selbstironie loben, indem sie sagt „Ich bin ja wie ein Roboter“ oder „Ich bin ein richtiger Superheld“.

Aber wie kommen Pflegekräfte bei der hohen Belastung zu einer so positiven Einstellung?

Moske: Die lässt sich tatsächlich erlernen und trainieren. Ganz grundlegend ist die zuvor beschriebene emotionale Bewältigung: Eigene Werte müssen definiert, klar benannt und gelebt werden, eigene Bedürfnisse müssen erkannt und vor allem auch befriedigt
werden.

Das bedeutet beispielsweise, dass sich Pflegende trotz der hohen Belastung Zeit nehmen, Kraft zu tanken. Sie können sich hierfür beispielsweise ein stabiles, vertrautes Netzwerk innerhalb der Familie, im Freundeskreis oder unter Kolleginnen und Kollegen aufbauen und pflegen oder sich Zeit für Hobbys nehmen, die ihnen guttun. Das sorgt für den nötigen Ausgleich und trägt dazu bei, Stress abzubauen. Hilfreich ist auch, sich seiner Erfolge und seines persönlichen Wachstums bewusst zu werden, beispielsweise indem man es sich notiert oder seinem Netzwerk erzählt und sich dann auch selbst dafür belohnt.

Die Resilienz von Teams lässt sich – wie die persönliche Resilienz – in allgemeine situationsunabhängige Faktoren unterteilen, wie etwa eine gemeinsame Vision oder partizipative Sicherheit, und in konkrete Verhaltensweisen in einer akuten Situation. Welche Ressourcen und Prozesse sind aus Ihrer Sicht in der Pflege besonders bedeutsam?

Moske: Für Pflegeteams sind gemeinsame Visionen, Ziele und Werte, die ein harmonisches Miteinander und den Teamgeist fördern und prägen, das A und O. So tragen beispielsweise gegenseitige Wertschätzung, Arbeiten auf Augenhöhe, Verlässlichkeit und Sicherheit, ein offener Umgang und konstruktive Kritikfähigkeit zur Resilienz des gesamten Teams bei. Ebenso wichtig ist, dass innerhalb des Teams eine gemeinsame wie auch persönliche Entwicklung und Entfaltung möglich ist.

Dafür müssen Prozesse etabliert werden, durch die aufkommende Diskrepanzen, Probleme und Lücken, die mit den eigenen Ressourcen nicht zu stemmen sind, rasch erkannt werden. Lösungen müssen innovativ gestaltet und umgesetzt werden, wobei sich die Beschäftigten gegenseitig Hilfestellung leisten, Tipps und Feedback geben sollten. Bei schwerwiegender emotionaler Belastung können Supervisionen zum Einsatz
kommen.

Das resiliente Verhalten von Beschäftigten und Teams ist eingebettet in die organisationale Resilienz, die förderliche Rahmenbedingungen sicherstellen soll. Was ist aus Ihrer Sicht hier besonders wichtig, um Beschäftigte und Teams in ihrer Resilienz zu unterstützen?

Moske: Zu den nötigen grundlegenden Ressourcen zählen gemeinsame, von Vertrauen geprägte Werte, gewaltfreie Kommunikation und transparente (Entscheidungs-)Strukturen ebenso wie eine wertschätzende und konstruktive Fehlerkultur und ein gutes Konfliktmanagement. Idealerweise identifiziert sich das möglichst diverse Team mit dem Unternehmen und seinen Visionen.

Unterstützt wird dies durch regelmäßige Schulungen zur Erweiterung der fachlichen, persönlichen und/oder sozialen Kompetenzen der einzelnen Teammitglieder, beispielsweise hinsichtlich ihrer Resilienz. Wichtig ist dabei, dass das Angebot nicht nur die Theorie umfasst, sondern auch Trainings- und praktische Übungen. Nur so können die Pflegekräfte im Notfall automatisiert auf ihre persönlichen Ressourcen zurückgreifen, um die psychische Belastbarkeit zu gewährleisten. Auch sollte ein regelmäßiger Austausch zwischen verschiedenen Teams untereinander stattfinden, in einzelnen Projekten interdisziplinäre Teams zusammengestellt und die daraus entstehenden Ideen und Innovationen gefördert werden.

Vielen Dank für das Gespräch!

Interessenkonflikt: Die Resilienzkurse sind kostenpflichtig. Die Einnahmen fließen an die Organisation Nestwärme zur Unterstützung.

doi:10.17147/asu-1-288786

Weitere Infos

Informationen zum Verein nestwärme und zu den Resilienz-Angeboten
www.nestwaerme.de

Homepage des ResilienzCampus des nestwärme e.V.
www.resilienz.nestwaerme.de

Fotos: nestwärme e.V.

Schwer kranke und behinderte Kinder brauchen oft viel Zuwendung von Pflegekräften, die dieser hohen Anforderung gewachsen sein müssen

Fotos: nestwärme e.V.

Schwer kranke und behinderte Kinder brauchen oft viel Zuwendung von Pflegekräften, die dieser hohen Anforderung gewachsen sein müssen

Das Gespräch führte:

www.pla-text.de

Kernaussagen

  • Emotionale Bewusstheit gehört zu den wesentlichen Voraussetzungen, um Widerstandskraft zu entwickeln: Nur wer Gefühle wahrnimmt und benennen kann, kann sie auch adäquat verarbeiten und impulsive Reaktionen vermeiden.
  • In der täglichen Arbeit ist es wichtig, Prioritäten richtig zu setzen, sich auf das Wesentliche zu fokussieren und mit Pflegebedürftigen, ihren Angehörigen und auch den Kolleginnen und Kollegen gewaltfrei zu kommunizieren.
  • Für Pflegeteams sind gemeinsame Visionen, Ziele und Werte, die ein harmonisches Miteinander und den Teamgeist fördern und prägen, das A und O.
  • Info

    Spezielles Trainingskonzept

    Resilienz kann gezielt gefördert und trainiert werden: Daher hat das Sozialunternehmen nestwärme e.V. Deutschland 2014 gemeinsam mit dem Institut für Angewandte Pädagogik I.F.A.P. in Graz und dem Bildungsinstitut Neukirch in Trier ein Resilienz-Trainingskonzept entwickelt. Mit über 20 Jahren gebündelter Erfahrung und Kompetenz in der Entlastung und Stärkung von belasteten Familiensystemen mit behinderten und schwer kranken Kindern in Krisensituationen, konnten in der Zwischenzeit zahlreiche Familien und nestwärme-Engagierte in ihren herausfordernden Situationen gestützt und getragen werden. Die zertifizierten Resilienz-Angebote finden an verschiedenen Standorten in Präsenz und auch online statt und richten sich an Familien, Ehrenamtliche und Menschen, die ihr Leben resilient und gesund meistern wollen und sich persönlich weiterentwickeln möchten. Für Betriebe, Organisationen, Institutionen und Träger bietet der Verein individuell abgestimmte Resilienz-Formate zur Aus- und Weiterbildung ihrer Beschäftigten an. Aktuell baut nestwärme zudem eine E-Learning-Plattform auf, über die ein passgenaues Lern- und Unterstützungsangebot für Resilienz bereitgestellt werden soll, das den unterschiedlichen Lernbedürfnissen und -präferenzen von belasteten Familienmitgliedern und Ehrenamtlichen gerecht wird.

    Das PDF dient ausschließlich dem persönlichen Gebrauch! - Weitergehende Rechte bitte anfragen unter: nutzungsrechte@asu-arbeitsmedizin.com.

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