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Arbeitsbelastung: Welchen Belastungen sind die Beschäftigten in der Behindertenbetreuung ausgesetzt?

Arbeitsbelastung: Welchen Belastungen sind die Beschäftigten in der Behindertenbetreuung ausgesetzt?

Hintergrund und Ziele: Im Bereich der Behindertenbetreuung in Deutschland sah man früher das „auffällige“ Verhalten behinderter Menschen, meist im Zusammenhang mit ästhetischen Probleme und Ekelgefühlen, als wichtigsten Arbeitsbelastungsfaktor an. Hinweise in neueren Studien zeigen, dass heute andere Faktoren hier eine größere Rolle spielen könnten.

Methode: Im Rahmen der BMBD-Studie, bei der bundesweit 400 Betreuungskräfte in Wohneinrichtungen für behinderte Menschen v. a. zu ihrer Arbeitssituation befragt wurden, wurden daher auch verschiedene Faktoren betrachtet, die von den Betreuungskräften im Rahmen ihrer Arbeit möglicherweise als belastend empfunden werden. Die Daten wurden mit Hilfe uni- und bivariater Verfahren analysiert, mögliche statistische Zusammenhänge wurden durch eine Regressionsanalyse überprüft.

Ergebnisse: Mehr als die Hälfte der Betreuungskräfte in der stationären Behindertenhilfe in Deutschland fühlen sich hiernach durch ihre berufliche Situation belastet. Die meisten Faktoren, die von den Betreuern als belastend empfunden wurden, betreffen direkt oder indirekt die Arbeitsorganisation und die Arbeitszeitgestaltung. Besonders häufig werden zu wenig Zeit für eine gute Betreuung (59,7 %), die ansteigende Zahl an älteren Bewohnern mit höherem Pflegebedarf (39,5 %), das häufige kurzfristige Einspringen für die Kollegen (37,1 %), ungünstige Arbeitszeiten (34,8 %) und Stress durch Überforderung (31,9 %) genannt. Das auffällige Verhalten der Bewohner ist für gut 1/3 der Betreuer ein Belastungsfaktor.

Schlussfolgerungen: Eine Änderung der Arbeitsbedingungen könnte damit die Arbeitssituation der Beschäftigten in Behindertenwohneinrichtungen insgesamt deutlich verbessern.

Schlüsselwörter: Arbeitsbelastung – Behinderteneinrichtungen – Arbeitsbedingungen – Betreuer – stationäre Behindertenhilfe

Workload: What are the job-related burdens for employees in disability care in Germany?

Background and Aims: The “conspicuous” behaviour of people with disabilities used to be associated with aesthetic problems and feelings of revulsion and was once seen as the main factor in work-related stress in the field of disability work in Germany. Information from more recent studies shows that other factors may play a bigger role here today.

Method: As part of the BMBF study in which 400 carers in residential facilities for people with disabilities in Germany were questioned primarily about their work situation, various factors were considered that may cause carers to feel stressed at work. The data were analysed by means of univariate and bivariate methods and possible statistical correlations were reviewed as part of a regression analysis.

Results: More than half of the carers in residential facilities for disabled people in Germany feel burdened by their professional situation. Most of the factors perceived as stressful by the carers are directly or indirectly related to the organisation of work and the management of working time. Frequent mention was made of too little time for good care (59.7 %), the rising number of elderly residents with greater care needs (39.5 %), often stepping in for colleagues at short notice (37.1 %), unfavourable working hours (34.8 %) and stress through overwork (31.9 %). The behavioural problems of people with disabilities are a stress factor for a good third of carers.

Conclusions: Changes in working conditions could significantly improve the overall working situation of employees in residential facilities for people with disabilities.

Keywords: workload – residential facilities for disabled people – working conditions – carers – inpatient assistance for disabled people

Lotte Habermann-Horstmeier1

Kira Limbeck2

(eingegangen am 29.12.2015, angenommen am 25.04.2016)

ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2016; 51: –525

Hintergrund und Ziel der Untersuchung1

Im Bereich der Behindertenbetreuung sah man in früheren Jahrzehnten das Arbeiten mit behinderten Menschen selbst, ihr anderes, „auffälliges“, vielleicht auch aggressives Verhalten als den besonders belastenden Faktor an (z. B. Wacker et al 1985; Richardt 1998). Diskutiert wurden dort auch verschiedene Formen psychischer Belastung, wie z. B. ästhetische Probleme, Ekelgefühle, Probleme der Abgrenzung und ein ausuferndes Tätigkeitsprofil (Richardt 1998). Neuere Studien geben erste Hinweise darauf, dass heute ganz andere Arbeitsbelastungsfaktoren eine wesentlich größere Rolle spielen (Petrarca et al. 2013, 2014; Habermann-Horstmeier u. Bührer 2014; Habermann-Horstmeier u. Limbeck 2015a–c). So sehen Vertreter der Leitungsebene von Behindertenwohneinrichtungen ihre Mitarbeiter zwar auch in physischer und psychischer Hinsicht belastet. Genannt werden in diesem Zusammenhang jedoch v. a. hohe Arbeitsanforderungen und darüber hinaus eine stark zunehmende Belastung durch älter werdenden Bewohner mit ansteigendem Hilfe- bzw. Pflegebedarf (Habermann-Horstmeier u. Bührer 2014). Auch der Zeitdruck scheint hier, ähnlich wie im Bereich der Kranken- und der Altenpflege von zunehmender Bedeutung zu sein (Gregersen 2005; Resch et al. 2005; Simsa 2004). Angesichts des hohen Krankenstandes und der hohen Präsentismusquote im Bereich der Behindertenbetreuung (Habermann-Horstmeier u. Limbeck 2016a) ist es daher von großer Bedeutung, diese Belastungsfaktoren zu identifizieren und in der Folge dann die Arbeitssituation für die Betreuungskräfte – wenn möglich – zu ändern.

Ziel der vorliegenden Untersuchung war es nun, in einem ersten Schritt zu ermitteln, welche Faktoren es sind, die die Betreuungskräfte in den Wohneinrichtungen für behinderte Menschen belasten.

Methode

Dieser Veröffentlichung liegen die Daten der Anfang 2015 bundesweit durchgeführten BMBD-Studie zugrunde. Zur Kontaktaufnahme mit den Probanden wurden Leitungskräfte von insgesamt 821 privaten, kirchlichen und staatlichen Behinderteneinrichtungen per E-Mail angeschrieben und gebeten, einen neu entwickelten Fragebogen zur Arbeitssituation von Betreuungskräften an ihre Mitarbeiter weiterzugeben (Näheres dazu in Habermann-Horstmeier u. Limbeck 2015a). Die 51 überwiegend geschlossenen Fragen beschäftigten sich u. a. mit den Arbeitsbedingungen, aber auch mit dem Gesundheitszustand der Beschäftigten. Die Daten wurden mit EpiData 3.1 erfasst und anschließend mit STATA 12.0 ausgewertet. Neben uni- und bivariaten Analysen wurden Signifikanztests (Chi-Quadrat-Test, Exakter Fisher-Test) und ggf. eine Regressionsanalyse durchgeführt.

Studienpopulation

An der BMBD-Studie nahmen bundesweit 400 Betreuer aus privaten (55,1 %), kirchlichen (26,1 %) und staatlichen Behindertenwohneinrichtungen (18,8 %) teil. Sie arbeiteten vorwiegend in kleineren bis mittelgroßen Einrichtungen für Menschen mit geistiger Behinderung (51,4 %) und Menschen mit unterschiedlichen Behinderungsarten (35,4 %). Nur wenige gaben Einrichtungen für körper- (1,3 %) und sinnesbehinderte (2,1 %), psychische eingeschränkte (3,9 %) und mehrfach behinderte Menschen (5,9 %) an. Die Einrichtungen waren überwiegend Wohnstätten mit (54,1 %) und ohne Tagesstruktur (22,4 %). In Außenwohngruppen arbeiteten 10,3 % der Betreuer. Eine Mehrheit der Studienteilnehmer (74,4 %) waren Frauen. Das Durchschnittsalter lag bei 40,5 Jahren (STAB ± 12,2 J.; Min. 18 J.; Max. 65 J.). Die größte Gruppe der Betreuer waren ausgebildete Heilerziehungspfleger (32,0 %), gefolgt von Erziehern (18,9 %) und Kranken- oder Altenpflegern (9,6 %). Als Betreuer arbeiteten jedoch z. B. auch Heilpädagogen, Sozialpädagogen und Ergotherapeuten ebenso wie Personen mit fachfremder Ausbildung (z. B. Kaufleute, Kfz-Mechaniker oder Köche). Insgesamt nahmen nur wenige Auszubildende (4,0 %) und Praktikanten (1,5 %) an der Studie teil.

Ergebnisse

Deutlich mehr als die Hälfte der Betreuer in den Behindertenwohneinrichtungen empfinden ihre Tätigkeit als „sehr“ (11,1 %) oder „etwas“ belastend (45,0 %; Habermann-Horstmeier u. Limbeck 2016b). Nur für 2,5 % ist sie „überhaupt nicht“ belastend. Doch was genau ist es, das die Befragten als belastend empfinden?

Was empfinden Betreuer als belastend?

Den Probanden wurde eine Reihe von Faktoren vorgegeben, die von ihnen möglicherweise als belastend empfunden werden.  Abb. 1 zeigt die relative Häufigkeit der Nennung dieser vorgegebenen Faktoren. Als besonders belastend empfinden die Betreuer folgende sechs Faktoren:

Zu wenig Zeit für eine gute Betreuung der Bewohner

Besonders viele Betreuer (59,7 %), unabhängig von Alter und Geschlecht, empfinden es als belastend, dass sie ihrer Ansicht nach zu wenig Zeit für eine gute Betreuung der Bewohner haben. Allerdings nennen nur 49,4 % der Leitungskräfte diesen Belastungsgrund, aber 63,2 % der nicht leitenden Fachkräfte (p = 0,030). Unter den Leitungskräften sind es deutlich mehr Frauen (57,5 %) als Männer (37,5 %). Darüber hinaus zeigt sich, dass dies nur für 28,9 % der in der ambulanten Betreuung Tätigen ein Belastungsgrund ist, aber z. B. für 71,4 % der Betreuer in den Wohnstätten (p  0,001).

Zunehmendes Alter der Bewohner und dadurch höherer Pflegebedarf

Auch das zunehmende Alter der Bewohner und den damit verbundenen höheren Pflege- und Betreuungsbedarf sehen viele Betreuer als belastend an. Frauen (40,3 %) fühlen sich dadurch tendenziell etwas stärker belastet als Männer (37,0 %). Ähnliches gilt für die Altersgruppe der 35- bis 44-Jährigen im Vergleich zu Jüngeren und Älteren. In diesem Alter ist dies v. a. für nicht leitende Fachkräfte ein Belastungsfaktor (55,8 %), weniger für Leitungskräfte (20,0 %; p = 0,008). Besonders groß ist der Unterschied zwischen Betreuern im ambulanten Dienst (8,9 %) und denen in Wohnheimen (49,8 %; p  0,001). Gut 50 % derjenigen, die zwischen 10 und 20 Jahre in einer Einrichtung tätig sind, nennen diesen Grund, aber nur 15,2 % der erst kurzfristig Beschäftigten (

Häufiges kurzfristiges Einspringen für Kollegen

Leitungskräfte (gesamt: 43,0 %; Frauen: 46,8 %, Männer: 37,5 %) sehen das häufige kurzfristige Einspringen für Kollegen tendenziell eher als Problem an als nicht leitende Fachkräfte (gesamt: 33,3 %; 1-sided Fisher’s exact = 0,079). Obwohl insgesamt kein signifikanter Zusammenhang mit dem Alter der Befragten nachweisbar ist, fällt auf, dass das kurzfristige Einspringen für die Altersgruppe der 25- bis 34-Jährigen häufiger ein Problem ist (45,7 %) als für ihre älteren Kollegen (36,8 – 38,6 %). Es sind in dieser Altersgruppe eher die Frauen (48,2 %; Männer 37,5 %), die dies als problematisch empfinden. Auch ist es häufiger ein Problem für Probanden, die Menschen mit schwerer Mehrfachbehinderung betreuen (72,7 %; andere Einrichtungen: ca. 36 %; p = 0,014). Betroffen sehen sich dort v.a. Frauen (87,5 %; Männer: 33,3 %; p = 0,011).

Ungünstige Arbeitszeiten

Ungünstige Arbeitszeiten sind v. a. für nicht leitende Fachkräfte belastend (39,4 %; Leitungskräfte 26,6 %; p = 0,041). Männer sehen ungünstige Arbeitszeiten tendenziell etwas häufiger (38,0 %; Frauen: 33,9 %) als belastend an. Der Unterschied zwischen den Geschlechtern ist bei Leitungskräften ausgeprägter als bei nicht leitenden Fachkräften (7,9 Prozentpunkte vs. 5,4 Prozentpunkten). Beschäftigte in der ambulanten Betreuung (51,1 %) fühlen sich durch ungünstige Arbeitszeiten häufiger belastet als solche in Wohnheimen (33,3 %) oder in Außenwohngruppen (27,0 %).

Auffälliges Bewohnerverhalten

Durch auffälliges Bewohnerverhalten fühlen sich Fachkräfte ohne Leitungsfunktion tendenziell häufiger belastet als Leitungskräfte (37,7 % vs. 27,9 %). Insgesamt lässt sich hier kein Unterschied im Hinblick auf das Alter und das Geschlecht der Betreuer nachweisen. Allerdings sind bei den nicht leitenden Fachkräften tendenziell mehr Frauen, bei den Leitungskräften tendenziell mehr Männer hierdurch belastet. Für diejenigen, die verstärkt auffälliges Bewohnerverhalten als Folge einer schlechten Betreuung feststellen, ist dieses Verhalten tendenziell auch häufiger belastend (80 %; p = 0,068). Hierdurch belastete Betreuer empfinden ihre Arbeit auch insgesamt als seelisch belastender (50,8 %; p = 0,002), sie befürchten für sich in Zukunft häufiger ein Burnout (p = 0,008).

Stress durch Gefühl der Überforderung

Frauen (35,2 %) geben deutlich häufiger an, dass sie sich bei ihrer Arbeit gestresst und dadurch überfordert fühlten als Männer (23,0 %; p = 0,024;  Abb. 2). Dies gilt v.a. für Fachkräfte ohne Leitungsfunktion (p = 0,018). Gestresst und überfordert fühlen sich besonders viele 25- bis 34-Jährige (38,1 %) sowie viele 45- bis 55-Jährige (37,3 %). Bei den übrigen Altersgruppen liegt der Anteil mit ca. 25 % deutlich darunter. Der Anteil der überforderten Probanden ist besonders hoch bei denen, die psychisch eingeschränkte Menschen und Menschen mit schwerer Mehrfachbehinderung betreuen, sowie bei denen, die ziemlich oft oder sogar ständig Überstunden machen müssen (p = 0,016). Es gibt jedoch keinen Unterschied im Hinblick darauf, ob Schichtdienst gearbeitet wird oder nicht. Gestresste und dadurch überforderte Betreuer geben deutlich häufiger an, dass die Betreuung in ihrer Einrichtung heute schlechter ist als vor zwei Jahren (p  0,001) und dass sie zu wenig Zeit für ihre Bewohner haben (p  0,001).

Arbeitsbedingungen, Arbeitsklima, Arbeitsfreude

Viele der im vorangegangenen Abschnitt genannten Arbeitsbelastungsfaktoren betreffen die Arbeitsbedingungen, und damit indirekt auch das Arbeitsklima und die Arbeitsfreude.

Arbeitsbedingungen

Die Einschätzung des Belastungsgrades durch die befragten Betreuer ist daher deutlich von ihrer Einschätzung der Arbeitsbedingungen insgesamt abhängig (p  0,001;  Abb. 3). Dies gilt für Frauen wie für Männer (jeweils p  0,001), sowohl für die leitenden (p = 0,007) als auch für die nicht leitenden Fachkräfte (p  0,001) und auch für alle Altersgruppen, außer für die 55- bis 65-Jährigen (p = 0,453).

Arbeitsklima

Die empfundene Belastung ist darüber hinaus auch von der Beurteilung des Arbeitsklimas in der Einrichtung abhängig (p = 0,003). Betreuer, die das Arbeitsklima als „schlecht“ oder „sehr schlecht“ einschätzen, schätzen die Arbeitsbelastung deutlich höher ein als ihre Kollegen, für die das Klima am Arbeitsplatz besser ist. Dies gilt allerdings nur für Fachkräfte ohne Leitungsfunktion (p = 0,036), nicht für Leitungskräfte (p = 0,932), und eher für Männer (p = 0,013) als für Frauen (p = 0,462).

Arbeitsfreude

Der empfundene Grad der Belastung korreliert eng mit der Freude an der Tätigkeit (p  0,001). Beschäftigte, für die die Belastung sehr hoch ist, zeigen überhaupt keine Freude an ihrer Tätigkeit. Dies gilt für Frauen (p  0,001) wie für Männer (p = 0,004), für leitende (p = 0,005) und nicht leitende Fachkräfte (p  0,001), jedoch nur für die Altersgruppen ab 35 Jahre.

Arbeitsbedingungen und Arbeitsfreude erklären im Rahmen einer Regressionsanalyse gemeinsam 16,3 % der Datenvariabilität im Hinblick auf die empfundene Arbeitsbelastung. Die Arbeitsbelastung steht auch in Zusammenhang mit einem Faktorenbereich, der sich aus Arbeitsklima, häufigen Überstunden, häufigen Wochenenddiensten (s. Habermann-Horstmeier u. Limbeck 2016b) und der Zufriedenheit mit der Bezahlung zusammensetzt. Hierüber lassen sich insgesamt 10,8 % der Datenvariabilität erklären.

Qualität der Betreuung

Die oben genannten Hauptbelastungsfaktoren („Zu wenig Zeit für eine gute Betreuung der Bewohner“) betrifft neben den Arbeitsbedingungen auch die Qualität der Betreuung.

Die Betreuer, die der Meinung sind, dass „ihre“ Bewohner heute gut betreut werden, empfinden ihre Tätigkeit als weniger belastend als diejenigen, die nicht dieser Ansicht sind (p = 0,001). Betreuer empfinden ihre Tätigkeit auch als weniger belastend, wenn sie der Meinung sind, dass in ihrer Einrichtung jederzeit genügend Personal anwesend ist (p = 0,001). Betreuer, die angeben, dass es heute schwieriger als vor zwei Jahren ist, mit den Bewohnern Auswärtstermine (etwa Arzttermine, Besuch von Veranstaltungen etc.) zu organisieren, sind ebenfalls öfter der Ansicht, dass die Arbeitsbelastung für sie höher ist (p = 0,016).

Im Rahmen einer Regressionsanalyse erklären die Einschätzungen zur gegenwärtigen Qualität der Betreuung und darüber, ob zu jedem Zeitpunkt genügend Personal anwesend sei, gemeinsam 6,2 % der Datenvariabilität bei der empfundenen Arbeitsbelastung.

Weitere Belastungsfaktoren

Die Probanden hatten auch die Gelegenheit aufzuschreiben, was sie über die aufgelisteten Punkte hinaus im Rahmen ihrer Arbeit noch belastet ( Tabelle 1). Insgesamt 91 Betreuer nahmen diese Gelegenheit wahr. Die von ihnen genannten Faktoren wurden in die folgenden fünf Kategorien eingeordnet: Arbeitsorganisation‚ Interaktion in der Einrichtung, Betreuer und Kollegen, Bewohner und ihre Angehörigen sowie Kosten/Bürokratie. Auch hier stehen damit wieder verschiedene Faktoren der Arbeitsorganisation im Vordergrund, die sich v. a. auch auf die Interaktion zwischen den Hierarchieebenen in der jeweiligen Einrichtung und den Umgang der Betreuer untereinander auswirken. Ein weiterer Faktor ist die Bürokratie, insbesondere in Form einer als ausufernd empfundenen Bürokratie. Die Bewohner selbst und ihr „auffälliges Verhalten“ werden nur selten als Belastungsfaktor genannt. Belastend ist in diesem Zusammenhang eher, dass die Bewohner nicht ausreichend Unterstützung erhalten. Einige wenige Betreuer nennen auch den Umgang mit Angehörigen als Belastungsfaktor.

Diskussion

Bislang gibt es nur in wenigen aktuellen Studien Hinweise dazu, wodurch sich Betreuungskräfte in Behindertenwohneinrichtungen in Deutschland belastet fühlen (Petrarca et al. 2013, 2014; Habermann-Horstmeier u. Bührer 2014; Habermann-Horstmeier u. Limbeck 2015a–c). Aus verwandten Berufen wie der Krankenpflege weiß man, dass dort das Arbeiten unter hohem Zeitdruck einer der wichtigsten Belastungsfaktoren ist (Gregersen 2005). In der Altenpflege, wo neben einer hohen körperlichen und psychischen Belastung ebenfalls der erhebliche Zeitdruck eine große Rolle spielt, werden darüber hinaus z. B. auch unsichere Dienstzeiten, geteilte Dienste, Überstunden, Schichtarbeit und allgemein unbefriedigende organisatorische Bedingungen als belastend genannt (Resch et al. 2005; Simsa 2004). Aufgrund der unterschiedlichen Herangehensweise in den einzelnen Studien lassen sich die Angaben aus den Pflegeberufen im Hinblick darauf, wie viele Arbeitskräfte sich durch ihre Arbeit insgesamt belastet fühlen, nicht direkt vergleichen. Im Folgenden sollen nun einzelne Faktoren diskutiert werden, die die Betreuungskräfte in Behindertenwohneinrichtungen bei ihrer Arbeit als belastend empfinden.

Was empfinden die Betreuer als belastend?

Die Antworten der befragten Betreuer zeigten deutlich, dass es nicht in erster Linie der Umgang mit den behinderten Menschen selbst ist, der sie belastet. Nur 2,6 % gaben dies als Belastungsgrund an. Vielmehr sind es v. a. Faktoren, die direkt oder indirekt mit der Arbeitsorganisation und der Arbeitszeitgestaltung zusammenhängen.

Zu wenig Zeit für gute Betreuung der Bewohner

Zu wenig Zeit für die „eigentlichen Aufgaben“, d. h. für eine gute Betreuung der Bewohner, ist der mit Abstand häufigste Belastungsgrund in der Behindertenbetreuung. Damit ähnelt die Situation den Bedingungen in der Alten- (Resch et al. 2005; Simsa 2004) und der Krankenpflege (Gregersen 2005). In der Altenpflege werden als Gründe für den starken Zeitdruck u. a. „ein enges Personalkontingent, offene Stellen oder überdurchschnittliche Krankenstände bei gleichzeitig hohen Qualitätsansprüchen an eine aktivierende, an den Bedürfnissen der Bewohner orientierte Pflege“ angegeben. Besonders belastend ist dabei das Gefühl, dass dadurch keine gute (Kranken-)Pflege mehr möglich ist (Braun et al. 2011). Der Anteil derjenigen, die sich dadurch an den Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit sehen, ist im Vergleich zu anderen „typischen Frauenberufen“ bei den examinierten Pflegerinnen am höchsten (GEK 2004). Dass Zeitdruck in der Behindertenarbeit unabhängig vom Geschlecht als belastend empfunden wird, stimmt mit der Beobachtung von Beermann et al. (2008) überein, die bei der subjektiven psychischen Arbeitsbelastungen ebenfalls nur geringe Unterschiede zwischen den Geschlechtern fanden. Es ist leicht einsehbar, dass Zeitdruck in Behindertenwohneinrichtungen alle Beschäftigten trifft, die direkt in der Betreuung tätig sind – unabhängig vom Alter und vom Geschlecht.

Probanden, die in der ambulanten Betreuung tätig sind, fühlten sich wesentlich seltener durch Zeitdruck belastet als Betreuer in Wohneinrichtungen. Dies könnte damit zusammenhängen, dass sie selten im Schichtdienst und häufiger Teilzeit arbeiten, auch fallen dort weniger Überstunden an. Ambulante Betreuer waren daher auch häufiger der Ansicht, dass in ihrer Einrichtung genügend Personal vorhanden ist (45,0 % vs. 14,4 % in Wohnheimen; p  0,000).

Als eigentlichen Grund für das „Zu-wenig-Zeit-Haben“ nennt der Soziologe Rosa (2013) einen Beschleunigungsprozess in unserer Gesellschaft, dem Zeitdruck, Zeitnot und ein stressförmiger Beschleunigungszwang innewohnen. Wir sehen uns gezwungen, unsere „Erledigungsgeschwindigkeit“ immer weiter zu erhöhen. Dass sich dieser Prozess in den letzten Jahren paradoxerweise auch auf die Bereiche Pflege und Betreuung ausweiten konnte, liegt u. a. an der Ausbreitung neoliberaler Vorstellungen z. B. in der Sozialgesetzgebung. Rosa (2013) bezeichnet sie als externe Triebkräfte der Beschleunigung. Solche externen Triebkräfte wären im Bereich der Krankenhäuser z. B. die Einführung der DRGs (Braun et al. 2011) und im Bereich der Kranken- und Altenpflege der extrem hohe Dokumentationsaufwand (Schwarzwälder 2010) sowie die Übernahme zusätzlicher Aufgaben durch die Mitarbeiter, ohne dass der Personalschlüssel geändert wurde.

Zunehmendes Alter der Bewohner und dadurch höherer Pflegebedarf

Aufgrund des demografischen Wandels werden nicht nur die Betreuer im Durchschnitt älter, sondern auch die Bewohner (Habermann-Horstmeier u. Bührer 2014). Es sind besonders weibliche Fachkräfte im mittleren Alter (ohne Leitungsfunktion), die sich durch den zunehmenden Pflege- und Betreuungsbedarf derzeit schon belastet fühlen, und v. a. solche, die bereits länger als 10 Jahre in diesem Bereich arbeiten. Das Problem an sich wird allerdings etwas häufiger von Leitungskräften als von nicht leitenden Fachkräften (55,0 % vs. 46,8 %) und auch hier wieder von Arbeitskräften, die schon länger dort tätig sind, als solches erkannt. Dass die Beschäftigten im ambulanten Dienst das zunehmende Durchschnittsalter der behinderten Menschen kaum als Belastung wahrnehmen, liegt daran, dass die dort Betreuten im Durchschnitt noch jünger und fitter sind als in den stationären Wohnformen. Allerdings scheint auch hier das Durchschnittsalter zuzunehmen (BMFSFJ 2006).

Ungünstige Arbeitszeiten und häufiges kurzfristiges Einspringen für Kollegen

Das kurzfristige Einspringen für Kollegen2 wird von Leitungskräften etwas häufiger als Problem angesehen als von Fachkräften ohne Leitungsfunktion. Dies mag damit zusammenhängen, dass sie es ja sind, die dieses Problem häufig „managen“ müssen. In der Praxis betrifft es dann jedoch insbesondere die Kollegen in den Wohngruppen und hier insbesondere die jüngeren Frauen (Altersgruppe 25 – 34 Jahre), für die das kurzfristige Einspringen v. a. im Hinblick auf die Betreuung ihrer eigenen Kinder ein großes Problem sein kann. Dass dies besonders oft weibliche Betreuer als Problem sehen, die mit Menschen mit schwerer Mehrfachbehinderung arbeiten, kann in den schwierigeren Arbeitsbedingungen dort liegen (s. Habermann-Horstmeier u. Limbeck 2016b). Ungünstige Arbeitszeiten – d. h. insbesondere Schichtdienst, geteilter Dienst, Nacht- und Wochenenddienst sowie häufige Überstunden – sind Teil der Arbeitsbedingungen in der stationären Behindertenarbeit. Die angegebene Belastung hierdurch zeigt einen erheblichen Verbesserungsbedarf im Bereich des Arbeitszeitmanagements vieler Behinderteneinrichtungen. Dies gilt nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass chronobiologisch belastende Arbeitsbedingungen wie Überstunden und Wechselschichten u. a. das Risiko für einen Suizid um das Dreifache erhöhen (Baumert et al. 2014).

Stress durch Gefühl der Überforderung

Stress im Zusammenhang mit dem Gefühl der Überforderung ist häufiger ein weibliches als ein männliches Phänomen, sowohl bei den Fachkräften als auch bei den Führungskräften. Dies zeigen auch die Daten von Beermann et al. (2008). Allerdings scheint der Anteil derjenigen, die sich ständig überlastet und ausgebrannt fühlen, bei den Krankenpflegekräften mit knapp 50 % (GEK 2004) deutlich höher zu sein als im Bereich der Behindertenbetreuung. Dass es hier wiederum die Gruppe der 25- bis 34-Jährigen ist, die sich durch die Arbeit gestresst und überfordert fühlt, bestätigt die in Habermann-Horstmeier u. Limbeck (2016b) geäußerte These, dass v. a. die weiblichen Betreuer in dieser Altersgruppe durch Beruf und Familie besonders belastet sind. Es lässt sich aufgrund der hohen körperlichen und psychischen Arbeitsanforderungen auch gut nachvollziehen, dass der Anteil der gestressten Betreuungskräfte dort besonders hoch ist, wo psychisch eingeschränkte Menschen und Menschen mit schwerer Mehrfachbehinderung betreut werden. Ebenfalls plausibel ist es, dass häufige Überstunden mit dem Gefühl der Überforderung einhergehen können. Auch ist es einleuchtend, dass diejenigen, die ihrer Ansicht nach zu wenig Zeit für die Bewohner haben, sich besonders häufig gestresst und überfordert fühlen. Da Mitarbeiter in der Behindertenbetreuung „mit hoher psychophysischer Überforderung ein 8fach erhöhtes Risiko emotionaler Erschöpfung aufweisen“ (Driller 2008), führt dieser Punkt direkt zu den Folgen der Arbeitsbelastung im Bereich der stationären Behindertenbetreuung (Habermann-Horstmeier u. Limbeck 2016c).

Arbeitsbedingungen, Arbeitsklima, Arbeitsfreude

Unsere Ergebnisse zeigen, dass es v. a. die Arbeitsbedingungen sind, die für die Betreuungskräfte in Behindertenwohneinrichtungen zur Belastung werden. Viele der von den Probanden genannten Belastungsfaktoren lassen sich in den Bereich Arbeitsorganisation (besonders: Arbeitszeitorganisation) einordnen (s. dazu Abschnitt „Was empfinden die Betreuer als belastend?“).

Die frei formulierten Antworten (s. Tabelle 1) machen darüber hinaus deutlich, dass in diesem Zusammenhang auch die Interaktionen zwischen den Hierarchieebenen und die Interaktionen innerhalb der Kollegenschaft eine große Rolle spielen. Bei den nicht leitenden Fachkräften in den Wohngruppen gibt es daher einen deutlichen Zusammenhang zwischen Arbeitsbelastung und Arbeitsklima (Habermann-Horstmeier u. Limbeck 2016a). Leitungskräfte, die oft überwiegend administrativ tätig sind, arbeiten dagegen nicht selten isolierter. Sie sind oft kaum über das Arbeitsklima in den Wohngruppen und im ganzen Haus unterrichtet. Kroll et al. (2011) konnten darüber hinaus nachweisen, dass Männer eine Beeinträchtigung des Arbeitsklimas noch deutlich stärker als gesundheitliche Belastung wahrnehmen als Frauen. Nach unseren Daten gilt dies auch für männliche Betreuer in Behindertenwohneinrichtungen ohne Leitungsfunktion.

Themen wie Finanzen („zu wenig Geld“) und überbordende Bürokratie werden dagegen überraschenderweise – und anders als im Pflegebereich – wesentlich seltener genannt.

Qualität der Betreuung

Es ist offenkundig, dass sich schlechte Arbeitsbedingungen auch auf die Betreuungsqualität in den Einrichtungen auswirken können (vgl. analog auch in der Krankenpflege, GEK 2004). Daher ist es nicht verwunderlich, dass Betreuer ihre Tätigkeit als weniger belastend empfinden, wenn die Bewohner ihrer Ansicht nach gut betreut werden und wenn genügend Personal da ist, um mit ihnen z.B. auch auswärtige Termine ohne Probleme wahrnehmen zu können.

Schon Driller (2008) zeigte, dass die Betreuungskräfte weniger die Beziehungsqualität zu den Bewohnern als belastend empfinden, sondern vielmehr die Quantität der zu betreuenden Bewohner. Viele Betreuer haben eine enge Bindung an „ihre“ Bewohner (Richardt1998) und auch umgekehrt ist es so, dass Bewohner ihre Betreuer „als eine Art Familie“ sehen (s. Walica 2015). Diese „Familie“ z. B. aufgrund von Zeitmangel nicht gut betreuen zu können, kann stark belasten. Ein ähnliches Phänomen scheint es in der Altenpflege zu geben, wo Resch et al. (2005) von einem starken Zeitdruck bei gleichzeitig hohen Qualitätsansprüchen an eine aktivierende, an den Bedürfnissen der Bewohner orientierte Pflege sprechen. Hier ist allerdings nicht ganz klar, ob sie v. a. die von außen (z. B. durch gesetzliche Vorgaben) an die Altenpflegekräfte herangetragenen Qualitätsansprüche meinen oder die eigenen Ansprüche der Pflegekräfte, die Arbeit so gut wie möglich zu machen. Auch Braun et al. (2011) formulieren es für den Bereich der Krankenpflege ähnlich, wo „ein ausgeprägtes Spannungsverhältnis [herrscht] zwischen dem Anspruch, psychosoziale Versorgung erbringen zu wollen und einer Praxis, die ihnen dies in den meisten Fällen nicht oder nicht ausreichend gestattet.“ Ihrer Ansicht nach ist dies eine Frage, die „Kernbereiche des traditionellen pflegerischen Berufsbildes“ berührt. Entsprechend groß kann die Belastung hierdurch sein.

Auffälliges Bewohnerverhalten

In den frei formulierten Antworten der Probanden spielt „auffälliges Bewohnerverhalten“ kaum eine Rolle. Gewalttätige Übergriffe von Seiten der Bewohner wurden nur von einem Probanden angeführt. Probleme mit Angehörigen oder gesetzlichen Betreuern wurden ebenfalls selten genannt. Warum dies in früheren Jahrzehnten offensichtlich anders war (vgl. Wacker et al. 1985; Richardt 1998), könnte daran liegen, dass sich die Einstellung der Betreuungskräfte gegenüber den zu betreuenden behinderten Menschen geändert hat. Es könnte jedoch auch sein, dass sich die Bedingungen, unter denen behinderte Menschen in Wohneinrichtungen leben, geändert haben, so dass sie heute weniger „auffälliges“ (z. B. im Sinne von aggressivem) Verhalten zeigen. Ein wahrscheinlicherer Grund ist jedoch, dass hier eine Art Bias vorliegt, und zwar derart, dass bei der Formulierung der Fragestellungen Vorstellungen der Untersucher – im Sinne von Vorurteilen – mit einflossen. Ursache solcher Vorurteile könnte sein, dass die Autoren mit der Welt behinderter Menschen nicht allzu vertraut waren.

Insgesamt ist es jedoch immerhin gut ein Drittel der Befragten, das sich durch auffälliges Bewohnerverhalten belastet fühlt, und zwar tendenziell mehr Fachkräfte ohne Leitungsfunktion als Leitungskräfte. Es scheinen v. a. diejenigen zu sein, für die der Umgang mit Behinderung grundsätzlich belastend ist und die ihre Arbeit als seelisch so belastend empfinden, dass sie für sich in Zukunft ein Burnout befürchten. Für die Institutionen ist es wichtig, diese Mitarbeiter zu identifizieren, da bei ihnen ein hohes Risiko für einen Arbeitsausfall besteht. An dieser Stelle ist auf die Verpflichtung der Betriebe zur Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen (DGUV 2015; Beck et al. 2016) zu verweisen. Eventuell ist sogar zu fragen, ob diese Mitarbeiter der Ansicht sind, die falsche Berufswahl getroffen zu haben, da sie die entsprechenden persönlichen Voraussetzungen (protektive Faktoren, Resilienz) nicht mitbringen oder da die beruflichen Bedingungen nicht dem entsprechen, was sie sich bei ihrer Berufswahl unter ihrem Beruf vorgestellt haben. Dies ist jedoch anscheinend nicht der Fall, da die Betreuer, die auffälliges Bewohnerverhalten als belastend empfinden, nicht signifikant häufiger darüber nachdenken, aus dem Beruf auszusteigen.

Limitationen der Studie

Die Limitationen der BMBD-Studie insgesamt wurden bereits ausführlich erläutert (Habermann-Horstmeier u. Limbeck 2015b,c). Hierzu gehört, dass es sich bei den Probanden der Studie nicht um eine repräsentative Stichprobe der Grundgesamtheit „Betreuungskräfte in Behindertenwohneinrichtungen in Deutschland“ handeln kann, da die exakte Zahl der Betreuer in Wohneinrichtungen für behinderte Menschen in Deutschland nicht bekannt ist. Die Eigenschaften der Stichprobe nähern sich jedoch stark denen der gewünschten Grundgesamtheit, etwa im Hinblick auf Trägerschaft, Größe und Art der Einrichtung (z. B. mit/ohne Tagesstruktur), in denen die Betreuer arbeiteten, den Umfang der Tätigkeit der Betreuer sowie die Art der dort betreuten behinderten Bewohner (vgl. Habermann-Horstmeier u. Bührer 2015). Der Frauenanteil ist etwas niedriger als im vermuteten Bundesdurchschnitt, der Anteil an Leitungskräften etwas höher (vgl. Habermann-Horstmeier u. Bührer 2014). Darüber hinaus handelt es sich bei den erhobenen Daten um subjektive Einschätzungen und Standpunkte der befragten Betreuungskräfte und nicht um objektive Daten.

Eine Limitation speziell dieser Untersuchung könnte sein, dass wir die Faktoren vorgegeben haben, die von den Betreuern möglicherweise als belastend empfunden werden. Einige dieser Faktoren waren uns zuvor von Führungskräften in Behinderteneinrichtungen genannt worden (Habermann-Horstmeier u. Bührer 2014), andere wurden aus Untersuchungen zur Arbeitsbelastung in Pflegeeinrichtungen übernommen (z. B. Gregersen 2005; Resch et al. 2005; Simsa 2004). Den Betreuern wurde darüber hinaus auch die Möglichkeit gegeben, zusätzliche Belastungsfaktoren zu nennen.

Zusammenfassendes Fazit

Es wurde eine Reihe von Belastungsfaktoren identifiziert, denen Betreuungskräfte in der stationären Behindertenhilfe ausgesetzt sind. Viele betreffen direkt oder indirekt die Arbeitsorganisation und die Arbeitszeitgestaltung. Besonders wichtig sind hierbei die folgenden Faktoren:

  • zu wenig Zeit für eine gute Betreuung,
  • Zunahme der Zahl an älteren Bewohnern mit höherem Pflegebedarf,
  • ungünstige Arbeitszeiten und häufiges kurzfristiges Einspringen für die Kollegen,
  • Stress durch das Gefühl der Überforderung.

Dass diese Faktoren weibliche und männliche Betreuer, junge und ältere Betreuer, Leitungskräfte und nicht leitende Fachkräfte sowie Betreuer in verschiedenen Einrichtungsarten in unterschiedlichem Maße betreffen, wurde hier und in Habermann-Horstmeier u. Limbeck (2016b) ausführlich diskutiert. Die Identifizierung dieser Belastungsfaktoren erlaubt es nun, über eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen – und hier insbesondere der als belastend empfundenen Arbeits- und Arbeitszeitgestaltung – auf das Wohlbefinden und die gesundheitliche Situation von Beschäftigten einzuwirken. Auf diese Weise könnten der hohe Krankenstand und die hohe Präsentismus-Quote im Bereich der Behindertenbetreuung (Habermann-Horstmeier u. Limbeck 2016a) positiv beeinflusst werden. Wir gehen darüber hinaus davon aus, dass damit auch das Wohlbefinden und die Gesundheit der Bewohner verbessert und die Anzahl der vorzeitigen Berufsaussteiger gesenkt werden können.

Danksagung: Die Autorinnen bedanken sich herzlich bei den Betreuungskräften, die zu einer Teilnahme an der vorliegenden Untersuchung bereit waren und hierfür ihre Zeit zur Verfügung gestellt haben. Viele haben den ausgefüllten Fragebogen sogar per Post auf eigene Kosten zugeschickt hat. Ganz herzlichen Dank dafür!

Interessenskonflikt: Es bestehen keinerlei Interessenskonflikte. Die Teilnehmer und ihrer Arbeitgeber haben keinen Einfluss auf den Inhalt dieser Studie ausgeübt. Dies gilt auch für sonstige Interessenvertreter im Bereich der Behinderten-Betreuung.

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Für die Verfasser

Dr. med. Lotte Habermann-Horstmeier, MPH

Villingen Institute of Public Health (VIPH) der Steinbeis-Hochschule Berlin

Klosterring 5

78050 Villingen-Schwenningen

Habermann-Horstmeier@studium-public-health.de

Fußnoten

1 Villingen Institute of Public Health (VIPH) der Steinbeis-Hochschule Berlin

2 Zur Zeit der Untersuchung: Hochschule Furtwangen (HFU), Campus Schwenningen, Fakultät Medical and Life Sciences

1 Im folgenden Text wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit und zur Verkürzung des Textes die männliche Form verwendet. Selbstverständlich sind damit jeweils Frauen und Männer gleichermaßen gemeint, dies gilt insbesondere, da in der Behindertenbetreuung überwiegend Frauen tätig sind.

2 Anlass für das kurzfristige Einspringen für Kollegen sind z. B. akute Erkrankungen (etwa Infektionskrankheiten, die sich schnell in einer Einrichtung ausbreiten und dann gleich mehrere Kollegen betreffen können), oft bei einem insgesamt schon hohen Krankenstand in der Institution und/oder bei nicht ausreichend vorhandenem Ersatz für Kolleginnen und Kollegen in Schwangerschaft/Mutterschutz/Elternzeit. Der eigentliche Grund ist jedoch meist eine unzureichende Personalplanung und das Nichtvorhandensein eines Pools an Ersatzkräften („Springern“).