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Einfluss von verhaltens- und verhältnispräventiven Maßnahmen auf die Arbeitsbewältigungsfähigkeit in der Sekundär- und Tertiärprävention im Setting Büro (Bildschirmarbeitsplatz)

S. Nyhuis

D. Breithecker

(eingegangen am 09.04.2020, angenommen am 11.08.2020)

Effect of behavioural and situational prevention on work ability in secondary and tertiary prevention in an office setting (display screen equipment (DSE) workstation)

Objectives: The subject of work ability is becoming increasingly important in light of changing work requirements in parallel with an ageing workforce. It is already noticeable that a large number of employees do not work until the statutory retirement age due to physical and mental complaints (Statista Research Department 2019). A lack of movement (sedentary behaviour), unilateral repetitive strain and a workspace that is not ergonomically designed to individual requirements all play a decisive role in an office setting. This study investigated the effect of the Sedus ergo+ concept (combination of situational and behavioural prevention) on the work ability of health-impaired office workers.

Methods: The data of n = 21 employees were collected over 12 weeks in a pre-post test design in order to assess work ability (single parameter of the Work Ability Index [WAI]). The distribution of the data was examined and the data were analysed by using the t-test for dependent samples or Wilcoxon test.

Results: With regard to the work ability score (WAS), the study showed that current work ability increased by 26.57 % (p < 0.001). The assessment of current work ability in relation to the physical and mental demands of the job showed an increase of 16.88 % and 8.64 % respectively (p < 0.05 and p = 0.141 respectively). A similar result was found with regard to the estimated impairment of job performance due to sickness, with an increase of 14.22 % (p < 0.05).

Conclusions: It can be assumed that measures which take account of behavioural and situational prevention as well as the individual requirements of employees in workspace design have positive effects in terms of physical and mental health and work ability.

Keywords: work ability – prevention – health promotion – sedentary behavior – display screen equipment (DSE) workstation

ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2019; 55: 570-577

Einfluss von verhaltens- und verhältnispräventiven ­Maßnahmen auf die Arbeitsbewältigungsfähigkeit in der Sekundär- und Tertiärprävention im Setting Büro (Bildschirmarbeitsplatz)

Zielstellung: Im Zuge sich veränderter Arbeitsanforderungen und einer parallel immer älter werdenden Arbeitsgesellschaft nimmt die Thematik der Arbeitsfähigkeit bis zum Rentenalter immer mehr an Bedeutung zu. Schon jetzt ist zu beobachten, dass eine Vielzahl von Beschäftigten das gesetzlich vorgegebene Rentenalter aufgrund unterschiedlicher physischer und psychischer gesundheitlicher Beschwerden nicht erreicht (Statista Research Department 2019). Dabei spielen im Setting Büro Bewegungsmangel (sedentäres Verhalten) und einseitige Belastungen sowie ein nicht auf den Einzelnen angepasstes ergonomisches Arbeitsumfeld eine mitentscheidende Rolle. In der vorliegenden Studie wurde untersucht, welchen Einfluss das Sedus ergo+-Konzept (Kombination verhältnisorientierter und verhaltens­orientierter Maßnahmen) hinsichtlich der Arbeitsbewältigungsfähigkeit auf bereits gesundheitlich eingeschränkte Beschäftigte im Setting Büro hat.

Methoden: Zu diesem Zweck wurden im Prä-Post-Testdesign die Daten von n = 21 Beschäftigten zur Arbeitsbewältigungsfähigkeit (Einzelparameter des Work-Ability-Index [WAI]) über einen Zeitraum von 12 Wochen erhoben. Diese wurde auf ihre Verteilung geprüft und mittels t-Test für verbundene Stichproben bzw. dem Wilcoxon-Test ausgewertet.

Ergebnisse: Die Ergebnisse zeigten bezüglich des Work Ability Score (WAS) eine Steigerung der aktuellen Leistungsfähigkeit um 26,57 % (p < 0,001). Die Einschätzung der derzeitigen Arbeitsfähigkeit hinsichtlich der körperlichen und psychischen Arbeitsanforderungen ergab eine Erhöhung um 16,88 % bzw. 8,64 % (p < 0,05 bzw. p = 0,141). Ein ähnliches Ergebnis konnte mit einer Steigerung von 14,22 % (p < 0,05) auch bezüglich der geschätzten Beeinträchtigung der Arbeitsleistung durch eine Krankheit nachgewiesen werden.

Schlussfolgerungen: Es ist anzunehmen, dass Maßnahmen, die sowohl verhaltens- auch als verhältnispräventive Ansätze verbinden sowie der Individualität der Beschäftigten bei der Arbeitsplatzgestaltung Rechnung tragen, zu positiven psychophysischen Effekten führen und die Arbeitsfähigkeit positiv beeinflussen.

Schlüsselwörter: Arbeitsbewältigungsfähigkeit – Prävention – Gesundheitsförderung – sedentäres Verhalten – Bildschirmarbeitsplatz

Einleitung

Die gesundheitliche Fürsorge von Unternehmen für ihre Beschäftigten hat in den letzten Jahren und Jahrzehnten zugenommen. Damit reagieren Unternehmen auf die ebenfalls seit Jahren und Jahrzehnten steigenden Zahlen von krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeits­tagen (AU-Tagen) und dem damit verbundenen Ausfall der Arbeitskraft der Beschäftigten samt dem dadurch entstehenden wirtschaftlichen Schaden (Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin 2018). Gleichzeitig versprechen sich Unternehmen durch eine gesteigerte gesundheitliche Fürsorge für die Beschäftigten auch eine gesteigerte Arbeitsbewältigungsfähigkeit (engl. „work ability“) bis ins Rentenalter, die hinsichtlich des demografischen Wandels und einer im Durchschnitt immer älter werdenden Arbeitnehmerschaft an Bedeutung gewinnt (Freude u. Pech 2005). Eine genauere Betrachtung der auslösenden Faktoren der AU-Tage zeigt, dass muskuloskelettale Erkrankungen weiter die Spitzenposition einnehmen, wobei zu beobachten ist, dass auch der Anteil von psychischen und metabolischen Erkrankungen stetig zunimmt (BKK Dachverband 2019). Bedeutsam für eine bedarfsgerechte und damit zielgerichtete BGM-Strategie (Betriebliches Gesundheitsmanagement) ist die Erkenntnis, dass sich die Gründe für eine etwaige Arbeitsunfähigkeit über das Arbeitsleben hinweg verändern, wobei mit höherem Alter die muskuloskelettalen Erkrankungen gegenüber allen anderen Erkrankungen an Bedeutung gewinnen (BKK Dachverband 2019). Dieser Erkenntnis sowie individueller krankheitsspezifischer Bedarfe sollte bei gesundheitsfördernden Maßnahmen Rechnung getragen werden, so dass Angebote im BGM die veränderten Anforderungen an und Bedarfe von Beschäftigten während des Arbeitslebens berücksichtigen sollten. Häufig ist jedoch zu beobachten, dass im Bereich der Gesundheitsförderung lediglich allgemeine und unspezifische Maßnahmen angeboten werden, die zwar für einen Großteil der Beschäftigten als primärpräventive Maßnahme ausreichend sind, jedoch für Beschäftigte mit bereits bestehenden gesundheitlichen Problemen zu allgemein gehalten sind. Gleichzeitig ist bekannt, dass die meisten präventiven Angebote vorrangig „nur“ von jenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wahrgenommen werden, die ohnehin ein Bewusstsein für gesundheitsfördernde Verhaltensweisen zeigen. Die „Querschnittsaufgabe“, also die Ansprache und Mitnahme aller Beschäftigten, ist damit jedoch nicht gelöst. Vielmehr muss es das Ziel gesundheitsfördernder Maßnahmen sein, alle Beschäftigten gleichermaßen zu erreichen, also auch jene, die für „sportliche“ Aktivitäten wie den Lauftreff oder den Sportkurs in der Mittagspause nicht gewonnen werden können oder aufgrund bereits vorliegender Erkrankungen nicht teilnehmen können.

Diese Aufgabe erfüllen Maßnahmen, die den individuellen Bedürfnissen angepasst sind, sich in den Arbeitsalltag integrieren lassen und somit einen weniger punktuell und einmaligen, sondern vielmehr einen prozessbezogenen und damit dauerhaften Ansatz verfolgen. Diesbezüglich wurde in den letzten Jahren die direkte Arbeitsplatzumgebung, vor allem der klassische Bildschirmarbeitsplatz, in den Blickpunkt der Betrachtung gestellt. Dieses Setting ist dahingehend von elementarer Bedeutung, da mittlerweile 59 % der Erwerbstätigen ihre Arbeitsleistung an einem Sitzarbeitsplatz im Büro verrichten (Industrieverband Büro und Arbeitswelt 2020). Damit einher gehen Sitzzeiten sowie allgemein ein bewegungsarmes und inaktives (sedentäres) Verhalten von mehr als sieben Stunden pro Tag, wobei auch Sitzzeiten von mehr als zehn Stunden pro Tag keine Seltenheit darstellen (Froböse u. Wallmann-Sperlich 2016; Hagströmer et al. 2007; Matthews et al. 2008). Diese oftmals ununterbrochene Inaktivität wird wiederum mit muskuloskelettalen, metabolischen und sogar psychischen Erkrankungen in Verbindung gebracht (Biswas et al. 2015; Edwardson et al. 2012; Wilmot et al. 2012), also jenen Erkrankungen, die eine hohe Korrelation mit einer frühzeitigen Arbeitsunfähigkeit aufzeigen. Wilmot et al. (2012) konnten sogar für Sitzzeiten beziehungsweise für ein sedentäres Verhalten von mehr als sechs Stunden einen Zusammenhang mit einer früheren Sterblichkeit nachweisen. Im Setting Büro geht es also zunächst einmal darum, passive Sitzzeiten beziehungsweise ein sedentäres Verhalten am Arbeitsplatz zu vermeiden. Um dies zu bewerkstelligen, gehen arbeitsplatzbezogene präventive Maßnahmen dazu über, Arbeitsräume so zu gestalten, dass die dort zu bewältigende Arbeit nicht mehr zwingend an den Sitzarbeitsplatz gebunden ist und das Büroumfeld sowie die Arbeitsplatzorganisation eine flexibles und mobiles Arbeitsverhalten zulassen. Gleichwohl muss festgehalten werden, dass trotz aller Bemühungen, die Sitzzeit im Setting Büro zu reduzieren, Sitzphasen nicht gänzlich eliminiert werden sollen, da das Sitzen durch seine mitunter entlastende Funktion für die unteren Extremitäten und auch bedingt für die rumpfstabilisierende Strukturen durchaus seine Berechtigung hat und gleichzeitig lange ununterbrochene starre Stehphasen auf Dauer ebenso gesundheitsschädlich sein können. Vielmehr ist ein stetiger Wechsel von Sitzen und Stehen bedeutsam. Bezüglich der Sitzphasen sollte jedoch zum einen darauf geachtet werden, dass auch im Sitzen eine Sitzdynamik beziehungsweise allgemein Bewegung möglich ist und zum anderen, dass die Individualität der Beschäftigten bezüglich der optimalen ergonomischen Einstellung der direkten Arbeitsmittel (Stuhl, Tisch, Monitor etc.) berücksichtigt wird.

Die Erfahrungen aus der Praxis zeigen jedoch, dass die reine Zurverfügungstellung einer auf Ergonomie und Dynamik ausgerichteten Büroausstattung nicht zwangsläufig zu einem lang anhaltenden gesundheitserhaltenden und gesundheitsfördernden Effekt führt. Dies liegt zum einen daran, dass der Individualität der Beschäftigten in Bezug auf die Zurverfügungstellung der direkten Arbeitsplatzumgebung häufig nicht Rechnung getragen wird und zum anderen, dass der verhaltensorientierte Ansatz, also die Sensibilisierung der und die Wissensvermittlung an die Beschäftigten, oftmals nicht ausreichend berücksichtigt wird. Bekannt ist jedoch, dass Maßnahmen, die allein auf dem verhaltens- oder dem verhältnispräventiven Ansatz beruhen, nur einen Teil der Problemlösung darstellen können. Bereits vorliegende Studien und Übersichtsarbeiten (u. a. Backé et al. 2019; Kreis et al. 2018; Richenhagen 2007) konnten diesbezüglich nachweisen, dass weder der verhältnispräventive noch der verhaltenspräventive Ansatz allein ausreichend ist, um die physische und psychische Gesundheit beziehungsweise die Arbeitsbewältigungsfähigkeit am Arbeitsplatz über Jahre hinweg aufrecht zu erhalten. Daraus lässt sich ableiten, dass verhaltens- und verhältnispräventive Maßnahmen nicht losgelöst voneinander, sondern immer in Verbindung miteinander angeboten werden sollten. Demnach ist es auch bezüglich der Ausstattung der Büroräumlichkeiten sowie der existierenden Verhältnisse unabdingbar, eine auf das Verhalten der späteren Nutzerinnen und Nutzer abzielende und aufklärende Beratung anzubieten, so dass die Beschäftigten mit den vorfindbaren Möglichkeiten umzugehen wissen. Darüber hinaus zeigt die Erfahrung, dass – ähnlich wie bei im Rahmen von BGF-Maßnahmen (Betriebliche Gesundheitsförderung) angebotenen Bewegungskursen – keine „one size fits all“-Strategie angewandt werden kann. Das heißt, dass der Individualität der Beschäftigten Rechnung getragen werden muss, indem maßgeschneiderte und bedarfsgerechte Lösungen für gesundheitserhaltende und gesundheitsfördernde Verhaltensweisen, insbesondere im Bereich der Sekundär- und Tertiärprävention, gefunden werden müssen.

Methoden

Probandinnen und Probanden

Die Studie wurde mit 25 Testpersonen durchgeführt, die in vier Unternehmen rekrutiert werden konnten und alle einer klassischen Bürotätigkeit (Bildschirmarbeitsplatz) nachgingen. Die Probandinnen und Probanden zeichneten sich darüber hinaus dadurch aus, dass bei ihnen bereits bestehende muskuloskelettale Erkrankungen vorlagen. Die Rekrutierung erfolgte dabei durch den jeweiligen Betrieb (Betriebliches Gesundheitsmanagement und Betriebsärztlicher Dienst). Von vier getesteten Personen lagen zu Untersuchungsende keine vollständigen Datensätze vor, so dass in der Auswertung die Daten von 21 Personen Berücksichtigung fanden (Alter: 46,69 ± 12,34 Jahre, Körpergröße: 178,69 ± 6,27 cm, Gewicht: 83,08 ± 9,87 kg). Die Testpersonen wurden über die Studieninhalte und Fragestellungen aufgeklärt und gaben ihr schriftliches Einverständnis zur freiwilligen Teilnahme.

Studiendesign

Grundlage für das Studiendesign war das von der Sedus Stoll AG in Zusammenarbeit mit der TSV Bayer Dormagen Gesundheits-GmbH entwickelte Präventionskonzept „Sedus ergo+“, das in Anlehnung an die Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie (GDA) erfolgte (➥ Abb. 1). Das Konzept ist als Settingansatz gemäß Gesundheitsförderungsprozess § 20b SGB V angelegt und entsprechend dem Leitfaden Prävention des GKV-Spitzenverbandes auf Leitfadenkonformität geprüft. Um eine höchstmögliche Akzeptanz der Maßnahmen zu erzielen, wurden vor dem Start der Interventionsphase sämtliche Akteure des Betrieblichen Gesundheitsmanagements (Betriebsmedizin, Arbeitssicherheit, Gesundheitsschutz, BGF, Betriebsrat) in die Prozessplanung miteinbezogen (Modul 1). Das Beratungskonzept ist modular gestaltet und somit anpassbar an die Bedürfnisse eines Unternehmens. In der vorliegenden Untersuchung wurden die Module Vorbereitung (Modul 1), Impulsvortrag Ergonomie (Modul 2), Individualdiagnostik inklusive Einordnung in Fokusgruppe (Modul 3) und Ergonomieberatung am Arbeitsplatz (Modul  4) wie nachfolgend dargestellt umgesetzt.

Die Untersuchung bestand aus einer Eingangs- und Ausgangsmessung sowie einer dazwischen durchgeführten zwölfwöchigen Interventionsphase. Nach Durchführung des Eingangstests (Work-Ability-Index-(WAI)-Fragebogen) und vor Beginn der Interventionsphase wurden die Testpersonen mit dem Ziel der Wissensvermittlung durch einen Impulsvortrag für die Thematik gesundheitsfördernder Verhältnisse und Verhaltensweisen sensibilisiert (Modul 2). Im Anschluss durchliefen sämtliche an der Studie teilnehmende Personen eine sportwissenschaftliche Individualdiagnostik (Anamnese und Haltungsanalyse), auf Basis derer sie in Haltungstypen mit spezifischem Präventionsbedarf eingeteilt wurden (Modul 3). Abhängig vom Haltungstyp wurden die zur Verfügung stehenden Möblierungsmodelle (verschiedene Ausführungen des Bürodrehstuhls movigo+ und des Pendelhockers se:fit [temporärer Einsatz], Sedus Stoll AG) ausgewählt und den Teilnehmenden zur Verfügung gestellt. Anschließend erfolgte eine 30-minütige 1:1-Ergonomieberatung am neu gestalteten Arbeitsplatz (personalisierte Einstellung der Möblierung auf Grundlage der deutschen Arbeitsstättenverordnung sowie der vorliegenden Erkenntnisse aus Anamnese und Diagnostik, Hinweise zur Arbeitsplatzorganisation und zum Sitz- und Bewegungsverhalten). Des Weiteren wurde den Probandinnen und Probanden ein Ergonomie-Kit (u. a. Faszienball 8 cm, Theraband, Ergonomie-Pass,
Magnetreminder) ausgehändigt sowie eine zum diagnostiziertem Haltungstyp passende Auswahl an Übungen zusammengestellt, die von den Teilnehmenden über den zwölfwöchigen Interventionszeitraum eigenständig ausgeübt werden sollten (Modul 4). Zur Sicherstellung der Compliance wurden im Interventionszeitraum drei Reminder-E-Mails versendet. Darüber hinaus bestand für alle getesteten Personen die Möglichkeit, bei aufkommenden Fragen über eine Hotline eine persönliche Beratung zu erhalten. Aufgrund des regelmäßigen telefonischen Austauschs zwischen den Testpersonen und der Ergonomieberatung konnte die Umsetzung der erlernten Inhalte und deren feste Implementierung in den Arbeitsalltag sichergestellt werden. Jeder Teilnehmende hatte mindestens einmal monatlich Kontakt zu seiner/seinem persönlichen Ergonomieberaterin/Ergonomieberater, die/der ihm bei der Umsetzung der Verhaltensänderungen unterstützte. An der Durchführung des Konzepts waren ausnahmslos Trainerinnen oder Trainer beteiligt, die den Qualitätskriterien des aktuellen Präventionsleitfadens entsprechen.

Datenerhebung

Zur Messung der Arbeitsfähigkeit kam im Eingangs- und Ausgangstest der standardisierte WAI-Fragebogen (Kurzversion) zum Einsatz. Der WAI stellt ein etabliertes, international anerkanntes, validiertes und standardisiertes Verfahren zur Erfassung der Arbeitsbewältigungsfähigkeit dar und gibt als operationalisierendes Instrument über einen Summenscore Aufschluss über das Vermögen, Arbeitstätigkeiten in Abhängigkeit der psychophysischen Ressourcen auszuführen (Amler et al. 2018; Ilmarinen u. Tuomi 2004; Nordenfelt 2008; Tuomi et al. 1997). Für die Auswertung wurden aufgrund eines
studienspezifisch höheren Kausalitätsgrades in einer Einzelbetrachtung der Work Ability Score (WAS; erste Dimension des WAI), die Arbeitsfähigkeit in Bezug auf die körperlichen und psychischen Arbeitsanforderungen (zweite Dimension des WAI) sowie die geschätzte Beeinträchtigung der Arbeitsleistung durch eine Krankheit (vierte Dimension des WAI) herangezogen.

Fragestellung und Statistik

Die zu überprüfende Fragestellung war, ob sich durch die oben beschriebenen Maßnahmen (Sedus ergo+-Konzept, Kombination von verhaltens- und verhältnispräventivem Ansatz) die Arbeitsbewältigungsfähigkeit (Einzelparameter des WAI) von gesundheitlich vorbelasteten Beschäftigten (sekundär- und tertiärpräventiv) beeinflussen lässt. Das Sedus ergo+-Konzept wurde als Untersuchungsgegenstand gewählt, da dieses durch die Berücksichtigung bereits vorerkrankter Berufstätiger – und der gleichermaßen sich daraus ergebenden Berücksichtigung individueller Bedarfe dieser Subpopulation – einen entgegen kollektiver BGM-Maßnahmen komplementären Ansatz verfolgt, dessen Wirksamkeit einer wissenschaftlichen Untersuchung unterzogen werden muss.

Zur statistischen Auswertung kamen das Programm Excel 2016 und SPSS 25 zum Einsatz. Die Daten wurden auf ihre Verteilung geprüft und nachfolgend durch den t-Test für verbundene Stichproben oder den Wilcoxon-Test ausgewertet.

Ergebnisse

Work Ability Score (erste Dimension des WAI)

Bezüglich des WAS zeigte sich ein stringentes Bild einer Verbesserung der derzeitigen Arbeitsfähigkeit im Vergleich zu der besten, je erreichten Arbeitsfähigkeit. In Summe konnte eine Steigerung des WAS von 5,57 auf 7,05 Punkte nachgewiesen werden, was einer Steigerung von 26,57 % gleichkommt (➥ Abb. 2). Eine genauere Betrachtung zeigte zudem eine Verbesserung des WAS bei 14 von 21 Testpersonen. Drei Personen wiesen im Eingangs- und Ausgangstest die gleichen WAS-Werte auf, bei vier Teilnehmenden stellte sich eine Verschlechterung ein (siehe Abb. 6). Zusammengefasst konnte durch die Intervention eine positive und statistisch signifikante Veränderung (p <0,001) der derzeitigen Arbeitsfähigkeit herbeigeführt werden.

Abb. 2: Veränderung der derzeitigen Arbeitsfähigkeit (WAS)
Fig. 2: Changes of the current work ability (WAS)

Arbeitsfähigkeit in Bezug auf die Anforderungen (zweite Dimension des WAI)

Die ebenfalls in einer Einzelbetrachtung getesteten Parameter der körperlichen und psychischen Arbeitsfähigkeit in Bezug auf die Arbeitsanforderungen (zweite Dimension des WAI) zeigten ebenfalls eine positive Beeinflussung durch die Intervention.

Bezugnehmend auf die Testung der derzeitigen Arbeitsfähigkeit auf die körperlichen Arbeitsanforderungen ergab die Auswertung eine signifikante Steigerung von 3,14 auf 3,67 Punkte (Δ 16,88 %) auf der fünfstufigen Likert-Skala (p <0,05, ➥ Abb. 3). Dabei führte die Intervention bei 11 von 21 Probandinnen und Probanden zu einer Verbesserung. Sieben Personen zeigten in der Eingangs- wie in der Ausgangsmessung die gleichen Ergebnisse und drei Getestete wiesen eine reduzierte Arbeitsfähigkeit auf (siehe Abb. 6).

Bezüglich der derzeitigen Arbeitsfähigkeit auf die psychischen Anforderungen konnte eine ebenfalls positive Beeinflussung von 3,24 auf 3,52 Punkte (Δ 8,64%) identifiziert werden, die jedoch keine statistische Signifikanz darstellte (p=0,141, ➥ Abb. 4). Der statistischen Auswertung entsprechend zeigte sich in der quantitativen Betrachtung der individuellen Veränderungen ein heterogenes Bild. So konnte lediglich bei sechs Personen eine Verbesserung nachgewiesen werden, wohingegen mit zwölf Getesteten ein Großteil der an der Studie Teilnehmenden keine Veränderung erkennen ließ. Drei Testpersonen zeigten eine Verschlechterung auf (siehe Abb. 6).

Abb. 3: Veränderung der Arbeitsfähigkeit in Bezug auf die körperlichen Arbeitsanforderungen
Fig. 3: Changes of the work ability in relation to the physical demands of the work

Abb. 4: Veränderung der Arbeitsfähigkeit in Bezug auf die psychischen Arbeitsanforderungen
Fig. 4: Changes of the work ability in relation to the mental demands of the work

Geschätzte Beeinträchtigung der Arbeitsleistung durch eine Krankheit (vierte Dimension des WAI)

Die Betrachtung des Parameters der geschätzten Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit durch eine Krankheit zeigte eine positive Beeinflussung von 4,29 auf 4,90 Punkte (Δ 14,22%, ➥ Abb. 5) auf der von 1–6 gestuften Skala auf, wobei eine Punktzahl von 6 keine Beeinträchtigung darstellt und eine Punktzahl von 1 eine (subjektiv empfundene) völlige Arbeitsunfähigkeit beschreibt. Mit 13 von 21 Testpersonen verbesserte sich bei mehr als der Hälfte der Getesteten die subjektiv empfundene Beeinträchtigung der Arbeitsleistung durch eine Erkrankung. Sechs Teilnehmende zeigten wiederum keine Veränderung auf. Lediglich zwei Getestete gaben in der Ausgangsmessung eine stärkere Beeinträchtigung der Arbeitsleistung durch eine Erkrankung an (➥ Abb. 6). In der Summe konnte über alle Probandinnen und Probanden hinweg eine statistisch signifikante Reduktion der Beeinträchtigung der Arbeitsleistung durch eine Krankheit identifiziert werden (p <0,05).

Abb. 5: Veränderung der geschätzten Beeinträchtigung der Arbeitsleistung durch eine Krankheit
Fig. 5: Changes of the estimated work impairment due to a disease
Abb. 6:  Individuelle Veränderungen der EinzelparameterFig. 6: Individually changes of the signle parameter.

Abb. 6: Individuelle Veränderungen der Einzelparameter
Fig. 6: Individually changes of the signle parameter.

Diskussion

Sedentäres Verhalten am Arbeitsplatz nimmt nicht zuletzt durch die Zunahme von Bildschirmarbeitsplätzen stetig zu (Hagströmer et al. 2015). Healy et al. (2014), Neuhaus et al. (2014) und Froböse u. Wallmann-Sperlich (2016) zufolge verbringen im Büro Beschäftigte dabei knapp 75% ihrer Arbeitszeit im Sitzen. Dieses inaktive Verhalten ist jedoch nachweislich gesundheitsgefährdend. Aktuelle Erkenntnisse zeigen sogar auf, dass sedentäres Verhalten als eigenständiger Risikofaktor gesehen werden muss (Biswas et al. 2015). Neben gesundheitsgefährdenden Einflüssen auf körperliche Merkmale sind auch negative Beeinflussungen auf psychische und kognitive Parameter bekannt (Wheeler et al. 2017). Im Zuge einer immer älter werdenden Gesellschaft, die nunmehr auch immer später das Rentenalter erreichen wird, stellen physische sowie psychische und kognitive Gefährdungspotenziale eine enorme sozioökonomische Problematik dar. Dabei erlangt nicht nur der krankheitsbedingte Ausfall der Arbeitskraft (AU-Tage) durch Erkrankungen, sondern auch die Arbeitsbewältigungsfähigkeit, also die Fähigkeit, die Arbeitsleistung adäquat verrichten zu können, eine für Unternehmen vor allem wirtschaftlich immer wichtigere Bedeutung. Vänni et al. (2012) konnten diesbezüglich nachweisen, dass der Produktivitätsverlust durch eine dauerhaft reduzierte Arbeitsbewältigungsfähigkeit ähnliche Ausmaße annehmen kann, wie durch temporäre AU-Tage.

Die in dieser Studie erhobenen Einzelparameter des WAI deuten darauf hin, dass es durch verhaltens- und verhältnispräventive bewegungsfördernde Maßnahmen zu einer Verbesserung der psychophysischen Gesundheit beziehungsweise der Arbeitsbewältigungsfähigkeit kommen kann. Der genauer untersuchte WAS (erste Dimension des WAI) zeigte, dass die aktuelle Arbeitsfähigkeit bei der vorliegenden spezifischen Probandenpopulation signifikant gesteigert werden konnte. Anzumerken ist, dass – bedingt durch die Vorerkrankungen der getesteten Personen – eine deutlich geringere WAS-Kennzahl im Eingangstest (5,57 Punkte) im Verhältnis zu Vergleichsstudien (Ø 8 Punkte; u. a. Foley et al. 2016; Gao 2017; Tobin et al. 2016; Zheng Rui Ting et al. 2019) identifiziert werden konnte. Einerseits lässt sich dadurch der in vorliegender Studie – im Unterschied zu den Arbeiten von Tobin et al. (2016) und Zheng Rui Ting et al. (2019) – signifikante Anstieg des WAS erklären, andererseits zeigen die Daten aber auch auf, dass durch eine individuell angepasste BGM-Strategie der Parameter des WAS insbesondere bei gesundheitlich eingeschränkten Beschäftigten von einem schlechten in einen moderaten bis tendenziell guten Bereich angehoben werden kann. Im Vergleich zur Studie von Gao (2017) bedeutete dies, dass in vorliegender Untersuchung durch die manipulativen Veränderungen eine absolute Veränderung des WAS um 1,48 Punkte hervorgerufen werden konnte, während die Untersuchung von Gao (2017) lediglich eine Veränderung von 0,3 Punkten (prä: 8,4 Punkte, post: 8,7 Punkte) identifizieren konnte. Vänni et al. (2012) gehen diesbezüglich davon aus, dass eine Steigerung des WAS um einen Punkt zu einer Steigerung der Produktivität um ca. 5% führt. Gerade für Beschäftigte mit einem sehr geringen WAS (bereits gesundheitlich eingeschränkte Personen) und einer sich dadurch ergebenden hohen Steigerbarkeit desselben, ergeben sich demnach für Unternehmen tendenziell bedeutsame wirtschaftliche Optimierungsmöglichkeiten. Im Gegensatz zu den Studien von Gao (2017) und Tobin et al. (2016), die lediglich eine verhältnisorientierte Veränderung der Arbeitsplatzbedingungen vorgenommen haben (Zurverfügungstellung höhenverstellbarer Schreibtische), beinhaltete das untersuchte Konzept neben dem verhältnis- auch einen verhaltensorientierten Ansatz. Diese Kombination ist per se Präventionsprogrammen vorzuziehen, die lediglich auf einer Ebene wirksamen sind (Richenhagen 2007). Es lässt sich also festhalten, dass der WAS durch die Kombination von verhaltens- und verhältnispräventiven Maßnahmen positiv beeinflusst werden kann. Klinisch betrachtet konnten Boschmann et al. (2017) eine moderate negative Korrelation zwischen dem aktuellen WAS und muskuloskelettalen Schmerzen nachweisen. Parallel zu diesen Ergebnissen konnte die Forschergruppe identifizieren, dass aktuelle muskuloskelettale Schmerzsymptomatiken mit einer zukünftigen geringeren Arbeitsfähigkeit einhergehen. Ähnliche Ergebnisse publizierten Madeleine et al. (2013) bezüglich des gesamten WAI. Dabei konnten sie aufzeigen, dass neben der durch muskuloskelettale Schmerzsymptomatiken reduzierten Arbeitsfähigkeit auch die Produktivität negativ beeinflusst wird. Durch die bereits in einigen Studien nachgewiesene positive Korrelation von WAS und WAI (u. a. Ahlstrom et al. 2010; El Fassi et al. 2013) kann davon ausgegangen werden, dass die aktuelle Arbeitsfähigkeit (WAS) und die allgemeine Arbeitsbewältigungsfähigkeit (WAI) eng miteinander verbunden sind. Maßnahmen, die – wie in dieser Studie – eine positive Beeinflussung des psychischen Wohlbefindens bewirken, haben durch die enge Verflechtung mit einer hohen Wahrscheinlichkeit auch eine ebenso positive Beeinflussung des physischen Wohlbefindens zur Folge.

Für die Veränderung der derzeitigen Arbeitsfähigkeit in Bezug auf die körperlichen und psychischen Arbeitsanforderungen (zweite Dimension des WAI) konnte eine ebenfalls positive, wenn auch nur für den Parameter der körperlichen Arbeitsfähigkeit statistisch signifikante Beeinflussung identifiziert werden. Diese Ergebnisse stehen im Einklang mit jenen von Dutta et al. (2014). Deren Studie konnte aufzeigen, dass durch eine auf Bewegungsförderung ausgelegte Umgestaltung der Arbeitsplatzumgebung (primär Zurverfügungstellung eines höhenverstellbareren Schreibtisches) neben einer positiven Beeinflussung auf das Stehverhalten auch eine Verbesserung des psychischen Wohlbefindens nachgewiesen werden kann. Dagegen zeigte sich bei der Untersuchung von Tobin et al. (2016), die ebenfalls den Effekt von höhenverstellbaren Schreibtischen untersucht haben, dass es zu keiner positiven Beeinflussung gekommen ist. Auch hierbei könnte wiederum der bei Tobin et al. (2016) hohe Basiswert (4,5 bzw. 4,0 Punkte) im Verhältnis zu den in vorliegender Studie eingangs gemessenen Werten von 3,14 beziehungsweise 3,24 Punkten für die derzeitige Arbeitsfähigkeit in Bezug auf die körperlichen und psychischen Anforderungen entscheidend gewesen sein. Ähnlich der Ergebnisse bezüglich des WAI konnten Boschmann et al. (2017) nachweisen, dass muskuloskelettale Beschwerden eine, wenn auch nur moderate, statistisch signifikante negative Korrelation mit der aktuellen Arbeitsfähigkeit in Bezug auf die körperlichen Arbeitsanforderungen aufweisen. In einer inversen Betrachtung kann also darauf geschlossen werden, dass eine positive Beeinflussung der Arbeitsfähigkeit in Bezug auf die körperlichen Arbeitsanforderungen zu reduzierten muskuloskelettalen Beschwerden führen kann. Die in vorliegender Untersuchung im quantitativen Maße ähnlichen positive Veränderung der körperlichen und psychischen Komponente der Arbeitsfähigkeit unterstreicht zudem die bereits in der Vergangenheit diskutierte enge Verflechtung von Körper und Geist (Breithecker 2017), was aufzeigt, dass psychisches und physisches Wohlbefinden meist nicht zu trennen sind und eine hohe Korrelation aufweisen. Diese Effekte können jedoch ebenfalls in umgekehrter Richtung wirken. Auch der Einfluss der im Rahmen der Intervention durch die Beschäftigten erfahrenen Wertschätzung könnte dazu geführt haben, dass sich die Testpersonen in einem körperlich besseren Zustand empfunden haben.

Der untersuchte Parameter der geschätzten Beeinträchtigung durch eine Krankheit (siebte Dimension des WAI) zeigte die gleiche positive Tendenz wie die beiden bereits diskutierten Parameter. Die trotz eines extremen Ausreißers (Testperson 8, siehe Abb. 5 und 6) signifikante positive Beeinflussung lässt eine auf die durchgeführten Maßnahmen zurückführbare Veränderung vermuten. Es ist also zu erkennen, dass der auf die Bedürfnisse der getesteten Personen angepasste verhaltens- und verhältnispräventive Ansatz die globale Beeinträchtigung durch eine Erkrankung reduzieren konnte. Dies steht wiederum im Einklang mit den Ergebnissen von Boschmann et al. (2017). Diese konnten reduzierte krankheitsrelevante Symptome durch die Kombination von verhaltens- und verhältnispräventiven Maßnahmen nachweisen. Vor allen die eingangs beschriebenen, mit zunehmendem Arbeitsalter (Employee Life Cycle) ansteigenden und in ihrer Relevanz auf AU-Tage zunehmenden muskuloskelettalen Erkrankungen, können dabei durch arbeitsplatzbezogene Maßnahmen positiv beeinflusst werden. Wiederum ähnlich der beiden vorhergehend diskutierten Parameter kann davon ausgegangen werden, dass der Effekt umso höher ausfällt, desto stärker eine Krankheit bereits zu einer Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit geführt hat.

Festzuhalten bleibt, dass durch die individuelle Fokussierung auf den einzelnen Beschäftigten durchweg positive Beeinflussungen bezüglich der Arbeitsfähigkeit zu beobachten waren. Aufgrund des studienspezifisch geringeren kausalen Zusammenhangs im Vergleich zu den gewählten Einzelparametern wurde in dieser Studie bewusst auf die detaillierte Darstellung des WAI verzichtet. Zur Vergleichbarkeit dieser Forschungsarbeit mit weiteren in diesem Kontext existenten Studien soll hier jedoch zumindest erwähnt werden, dass sich auch der globale WAI signifikant verbessert hat (32,3 auf 41,8 Punkte; Δ 29,41%; p <0,001). Aufgrund eines höheren Validitätsgrades und eines stärkeren Ursache-Wirkungs-Zusammenhangs empfehlen die Autoren jedoch, bezüglich des Einflusses von Arbeitsplatzinterventionen mit tendenziell geringgradigen Veränderungen der Arbeitsbedingungen und einer kurzen Interventionszeit (<1 Jahr) vor allem auf den WAS sowie auf weitere Einzelparameter des WAI als operationalisierende Instrumente für einen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang gesundheitsfördernder Maßnahmen zurückzugreifen.

Schlussfolgerungen

Gesundheitsförderung im Setting Büro ist und bleibt eine Herausforderung. Auch wenn das Ziel bekannt ist, lassen sich doch unterschiedliche Wege zur Zielerreichung einschlagen. Im gegebenen Überangebot an Maßnahmen die richtigen auszuwählen, ist komplex und bedarf des Zusammenwirkens der Expertinnen und Experten des betrieblichen Gesundheitsmanagements, da die Maßnahmen ebenso vielfältig sind wie die jeweiligen Individuen im Büro, also die Beschäftigten. Ein und dasselbe Angebot wird niemals der Individualität der Beschäftigten gerecht werden und für alle Beschäftigten das passende sein. Gleichzeitig wird die Implementierung gesundheitsfördernder Maßnahmen nur dann einen lang anhaltenden Effekt erzielen, wenn sich Maßnahmen ohne spürbaren Mehraufwand in den Arbeitsprozess integrieren lassen. Zudem ist selbst bei niederschwelligen Angeboten die Compliance der Beschäftigten ausschlaggebend für die resultierende langfristige Wirksamkeit. Ein Grundproblem gesundheitsfördernder Maßnahmen ist und bleibt dabei, dass sie meist nur von jenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern angenommen werden, die ohnehin eine Affinität zu Gesundheitsthemen haben. Die Risikogruppen innerhalb der Arbeitnehmerschaft, die jedoch für die Mehrheit an AU-Tagen verantwortlich sind, werden durch solche Maßnahmen selten erreicht, da diese den Bedürfnissen der Beschäftigten, die sich im Bereich der Sekundär- und Tertiärprävention befinden, nicht gerecht werden können. Genau das muss aber Ziel einer „Gesundheitsförderung für alle“ sein. Als wirksame Maßnahme, die zudem eine große Beschäftigungsgruppe erreichen kann, hat sich die individualisierte Gestaltung des Arbeitsplatzes und des Arbeitsumfeldes herauskristallisiert. Grundlegendes Ziel dieser Maßnahme ist es, den Beschäftigten eine auf ihre individuellen Anforderungen angepasste Lösungsstrategie anzubieten. Das in dieser Studie untersuchte Konzept Sedus ergo+ greift diesen Ansatz unter Berücksichtigung der Verhaltens- und Verhältnisprävention auf. Dadurch soll ermöglicht werden, im Rahmen der Notwendigkeit möglichst viele Beschäftigte zu erreichen und demnach eine maximale Abdeckung der Beschäftigtenpopulation bei bestmöglicher Individualisierung in einem Unternehmen zu gewährleisten. Die Ergebnisse zeigten dabei, dass für die untersuchte Personengruppe der bereits gesundheitlich eingeschränkten Beschäftigten ein solch individueller Ansatz zu positiven Effekten auf die körperliche und psychische Arbeitsfähigkeit führen kann.

Danksagung: Wir danken Michael Kläsener und Philipp Gießelmann (Sedus Stoll AG) für die Zurverfügungstellung der gesundheitsfördernden Büroausstattung sowie Michael Kläsener, Philipp Gießelmann (Sedus Stoll AG) und Axel Wertz (TSV Bayer Dormagen Gesundheits GmbH) für die Offenlegung und Nutzung des Sedus ergo+ Konzeptes für die wissenschaftliche Grundlagenforschung. Weiterer Dank gilt Rüdiger Schüller (pronova BKK) für die Prüfung der Leitfadenkonformität des vorliegenden Konzepts.

Interessenkonflikt: Die Autoren geben an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.

Literatur

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Kontakt
Dr. phil. Steffen Nyhuis
Bundesarbeitsgemeinschaft für Haltungs- und Bewegungsförderung e.V.
Kirchhohl 14
65207 Wiesbaden
nyhuis@haltungbewegung.de