Springe auf Hauptinhalt Springe auf Hauptmenü Springe auf SiteSearch
Vergleich der körperlichen Belastungen und physiologischen Beanspruchungen

Manuelle und technisch ­unter­stützte Gepäckabfertigung

Einleitung

Die Gepäckabfertigung am Großflughafen erfolgt teilweise manuell in den Gepäckhallen und am Parkplatz des Flugzeugs. Die manuelle Gepäckabfertigung führt bei Mitarbeitern zu hohen Belastungen durch manuelles Umsetzen von Lasten/Gepäckstücken und zu belastenden Körperhaltungen. Verschiedene Autoren (z.B. Bergsten et al. 2015; Bern et al. 2013) haben an unterschiedlichen Flughäfen gezeigt, dass bei Mitarbeitern in der Gepäckabfertigung vermehrt Beschwerden im Rücken (insbesondere Lendenwirbelsäule), Knie, Nacken, in den Handgelenken, Schultern und Ellenbogen auftreten. Das Risiko für Beschwerden nimmt mit dem Dienstalter zu (Bern et al. 2013).

Daher ist es sinnvoll, den körperlichen Belastungen durch die ergonomische Gestaltung des Arbeitsplatzes entgegenzuwirken. Eine aktuell realisierte technische Möglichkeit zur Reduzierung der Belastung ist eine Vakuum-Hebehilfe, mit der die Gepäckstücke angesaugt werden und an einem Kran zum Förderband geführt werden können. Sowohl im Labor (Lu et al. 2018) als auch nach der Einführung in der Praxis (Kohn 2011) wurde die Verwendung einer Vakuum-Hebehilfe bei der Gepäckabfertigung positiv bewertet. Kohn (2011) berichtet, dass die Vakuum-Hebe­hilfe mit guten Akzeptanzwerten an einem Großflughafen eingeführt wurde und sich die Körperhaltung der Mitarbeiter bei der Hand­habung von Gepäckstücken verbessert hat.

Um die Notwendigkeit technischer Unterstützungssysteme auch in schwer zugänglichen Arbeitsbereichen zu verdeutlichen, soll die Wirksamkeit einer Vakuum-Hebehilfe bei der Reduzierung der körperlichen Belastungen und Beanspruchung in einem exemplarischen Arbeitsbereich (Transferzentrale) an einem Großflughafen untersucht werden. Zusätzlich wurde ein weiterer Arbeitsbereich (Rundlauf) hinsichtlich der auftretenden physischen Belastungen und Beanspruchung analysiert.

Methodik und Studiendesign

Zur Analyse der körperlichen Belastungen wurden an Arbeitsplätzen in der Gepäckabfertigung, dem Rundlauf und der Transferzentrale (TZA) Analysen, Messungen und Beobachtungen durchgeführt (➥ Abb. 1).

Am Arbeitsplatz „Rundlauf“ ist die Haupttätigkeit, das Outbound-Gepäck nach einer Freigabe von der Gepäckförderanlage aus in bereitstehende Container und Leiterwagen zu laden. In der Transferzentrale (TZA) ist die Haupttätigkeit am untersuchten Arbeitsplatz, das ankommende Gepäck aus den Containern und von den Leiterwagen auf das Förderband der Gepäckanlage zu entladen. Dabei wird in der TZA zwischen Arbeitsplätzen mit Hebehilfe und Arbeitsplätzen ohne Vakuum-Hebehilfe (➥ Abb. 2) unterschieden. An den Arbeitsplätzen mit Hebehilfe ist diese bereits mehrere Jahre im Einsatz, und die Mitarbeiter erhalten eine Schulung zur Benutzung.

Abb. 2:  Vakuum-Hebehilfe im Einsatz in der Gepäckabfertigung
Foto: IAD
Abb. 2: Vakuum-Hebehilfe im Einsatz in der Gepäckabfertigung

Die Erhebung wurde im Frühjahr 2018 in der Frühschicht durchgeführt. In Vorgesprächen wurden Tage und Tagesabschnitte mit hoher Belastung ausgewählt.

Acht Mitarbeiter aus der Gepäckabfertigung nahmen freiwillig an den Erhebungen und Messungen teil. Alter, Arbeitserfahrung und Körpergröße der Mitarbeiter sind in ➥ Tabelle 1 dargestellt.

Tabelle 1:
Alter, Arbeitserfahrung und Körpergröße der untersuchten 8 Mitarbeiter

Die Analysen im Rahmen dieser Studie umfassten:

  • die Belastungsanalysen mittel IAD-BkB-Screening-Verfahren (z. B. Ahmadi 2008),
  • die Bewegungsanalyse mittels Captiv-Motion-Capturing-System,
  • die Messung der Aktionskräfte (Ganzkörperkräfte),
  • die EMG-Analysen von ausgewählten Muskeln in Rücken- und Schulterbereich, im Oberarm sowie im Oberschenkelbereich,
  • Analyse des subjektiven Beanspruchungs­empfindens.
  • Die für die Analysen verwendeten arbeitswissenschaftliche Methoden (IAD-BkB, Captiv, EMG) sind bereits in Steidel et al. 2019 und Bier et al. 2019 detailliert dargestellt.

    Die Untersuchung und die Analysen fanden an den einzelnen Arbeitsplätzen vor Ort statt. Die Entladung in der Transferzentrale wurde, wie eingangs beschrieben, von den Mitarbeitern in mehreren Messgängen jeweils mit und ohne Vakuum-Hebehilfe durchgeführt.

    Belastungsanalyse

    Lastenhandhabung in der ­Gepäck­anfertigung

    An den analysierten Arbeitsplätzen fokussiert sich die Belastungsanalyse auf die Lastenhandhabung von Gepäckstücken mit einem Gewicht von durchschnittlich 10–20 kg. Die Lastenhandhabung wurde dabei in den Bereichen „Heben und Umsetzen“, „Ziehen und Schieben <5 m”, und „Freien Tätigkeiten“ analysiert. Hinsichtlich der Belastungsdauer entfallen im Rundlauf ca. 35 % der analysierten Gesamtzeit auf „Heben und Umsetzen“; ca. 64 % der Zeit sind freie Tätigkeiten. In der TZA entfallen – ohne Nutzung der technischen Unterstützung – 50% der analysierten Gesamtzeit auf „Heben und Umsetzen“ und ca. 48% der Zeit sind freie Tätigkeiten.

    Bei Nutzung der technischen Unterstützung kommt in der TZA die Lastenhandhabung „Ziehen und Schieben <5 m“ hinzu. Sie macht einen Zeitanteil von ca. 60% der analysierten Gesamtzeit aus. Dementsprechend reduziert sich der Zeitanteil der Lastenhandhabung „Heben und Umsetzen“ auf ca. 9% und ca. 30% der Zeit sind freie Tätigkeiten. Es zeigt sich also, dass die Verwendung der Hebehilfe dazu führt, dass die Lastenhandhabung insgesamt einen größeren Zeitanteil beim Entladen der Container ausmacht.

    Körperhaltung während der Lasten­handhabung

    An den Arbeitsplätzen der Gepäckanfertigung wird die Last im Stehen gehandhabt. Dabei nehmen die Mitarbeiter vornehmlich eine aufrechte oder gebeugte Haltung mit einem Rumpfwinkel zwischen 20° und 60° ein. Dabei wird die gebeugte und verdrehte Haltung vornehmlich bei der Aufnahme der Koffer und beim Absetzen der Koffer eingenommen.

    Tabelle 2:

    Ergebnis der Belastungsbewertung der Arbeitsplätze nach IAD BkB (Farbkodierung der Gesamtpunktzahl: x < 25 Grün, niedriges Risiko – empfehlenswert; 25 < x < 40 Gelb I, mögliches Risiko – nicht empfehlenswert, höhere Belastung; 40 < x < 50 Gelb II, mögliches Risiko – nicht empfehlenswert, hohe Belastung; x ≥ 50, Rot, hohes Risiko – zu vermeiden)

    In der TZA reduziert sich beim Einsatz der Hebehilfe der prozentuale Anteil an der Gesamtzeit der Lastenhandhabung in gebeugter Körperhaltung und stark gebeugter Haltung von 56% auf 37%. Dafür erhöht sich der Zeitanteil an der Gesamtzeit der Lastenhandhabung, in denen die Mitarbeiter die Arme auf oder über Schulterhöhe haben, deutlich von 16% auf 34%.

    Belastungsbewertung

    Für die Bewertung der körperlichen Belastungen wurde das manuelle Handhaben von Lasten und die Arbeitshaltung anhand der von am Institut entwickelten IAD-BkB-Verfahren (Ahmadi 2008) vorgenommen. Dabei wurden folgende Annahmen getroffen: Das Lastgewicht der Koffer wurde nach Angaben des Flughafenbetreibers an allen Arbeitsplätzen auf 10–20 kg gemittelt, ebenso gab der Betreiber eine Anzahl von bis zu 1000 verladenen Koffern an beiden Arbeitsplätzen an. Die Ausführungsbedingungen sind an allen Arbeitsplätzen gut, da sich keine Hindernisse im Arbeitsbereich befinden und der Boden rutschfest ist. Die freien Körperhaltungen wurden anhand der gemessenen Haltungsanteile während der Entladung der Container bewertet. Es wurde davon ausgegangen, dass die Mitarbeiter in ihren Pausen mit Abstützung sitzen.

    Die mit den Annahmen errechneten Belastungswerte sind in ➥ Tabelle 2 dargestellt und entsprechend der EN 614-2 bewertet. Der Rundlauf im so genannten roten Risikobereich und die TZA ohne Verwendung der Hebehilfe im so genannten gelben Bereich. Mit Verwendung der Hebehilfe bewegt sich der Arbeitsplatz in der TZA im den grünen Bereich.

    Bewertung der physiologischen ­Beanspruchung

    Die gewonnenen Elektromyographie-(EMG-)Ergebnisse der muskulären Beanspruchungen (s. Bier et al. 2019) zeigen, dass die eingesetzte Vakuum-Hebehilfe insgesamt zu einer Entlastung der Muskulatur beiträgt. Dies macht sich vor allem im Nacken- und Schulterbereich bemerkbar. Diese Ergebnisse wurden auch in der Analyse der subjektiven Beanspruchungsempfinden bestätigt. Der analysierte Muskel im Bereich des Rückens wurde weniger entlastet. Insgesamt ist die subjektive Wahrnehmung in allen Körperbereichen bei der Arbeit mit der Vakuum-Hebehilfe positiv.

    Fazit

    In der vorliegenden Studie wurden Erkenntnisse hinsichtlich Belastungshöhe und -dauer, sowie hinsichtlich der Beanspruchung an den untersuchten Arbeitsplätzen gewonnen. Dabei konnte ein positiver Effekt der Vakuumhebehilfe gezeigt werden.

    Jedoch treten individuelle Variationen in der muskulären Beanspruchung auf. Diese sind zum einem auf eine teilweise ungeübte Handhabung der Hebehilfe durch die Arbeitspersonen und zum anderen auf die schwierige Zugänglichkeit der von oben verschlossenen Frachtcontainer zurück zu führen.

    Die Möglichkeit des Einsatzes einer ähnlichen Vakuum-Hebehilfe oder einer anderen Gestaltungsmaßname am Rundlauf sollte geprüft werden. Dabei ist allerdings vor allem die geschlossene Containerform problematisch, die das Absetzen der Koffer mit der Hebehilfe verhindert.

    Interessenkonflikt: Die Autoren geben an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.

    Für die Autoren
    Verena Steidel
    Institut für Arbeitswissenschaft
    Technische Universität ­Darmstadt
    Otto-Berndt-Straße 264287 Darmstadt
    IAD
    Koautoren
    Mitautoren des Beitrags sind Jurij Wakula und Lukas Bier, beide Institut für Arbeitswissenschaft, Technische Universität Darmstadt

    Literatur

    Ahmadi K: Evaluation der Anwendbarkeit eines neuen Verfahrens zur Belastungsbewertung manueller Arbeitsprozesse in der Fertigung: Beitrag zur Belastungsermittlung im Rahmen der ERA-Entgeltfindung (Disserta­tion). Darmstadt: Technische Universität, 2008.

    Bergsten EL, Mathiassen SE, Vingård E: Psychosocial work factors and musculoskeletal pain: a cross-sectional study among Swedish Flight Baggage Handlers. BioMed Res Int 2015; 2015: 798042

    Bier L, Sarmand S, Steidel V, Wakula J: Körpersegmentbezogener Beanspruchungsvergleich bei Mitarbeitern der Gepäck- und Flugzeugabfertigung eines Großflughafens. In: 65. Frühjahrskongress der Gesellschaft Für Arbeitswissenschaft, Dresden Beitrag A. 3.1, GfA 2019.

    DIN EN 614-2: Sicherheit von Maschinen - Ergonomische Gestaltungsgrundsätze – Teil 2: Wechselwirkungen zwischen der Gestaltung von Maschinen und den Arbeitsaufgaben; Deutsche Fassung EN 614-2:2000+A1:2008.

    Kohn M (Hrsg.): Abschlusspublikation zum Projekt TAQP „Technologieinnovation, Arbeitsorganisation, Qualifizierung, Prävention – Systematisches Handlungskonzept für Produktivität und Gesundheit (TAQP), Teilvorhaben Prävention in altersgemischten Belegschaften – Umsetzung, Akzeptanz, Transfer“. Berlin: Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV), 2011.

    Lu M-L, Dufour JS, Weston EB, Marras WS: Effectiveness of a vacuum lifting system in reducing spinal load during airline baggage handling. Appl Ergonom 2018; 70, 247–252.

    Steidel V, Wakula J, Meissner F, Bier L: Vergleich der körperlichen Belastungen bei der manuellen und technisch unterstützen Gepäckabfertigung in den Gepäckhallen eines Großflughafens. In: 65. Frühjahrskongress der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft, Dresden, Beitrag A.19, GfA 2019.

    Weitere Infos

    Bern SH, Brauer C, Møller KL, Koblauch H, Thygesen LC, Simonsen EB Mikkelsen S.: Baggage handler seniority and musculoskeletal symptoms: is heavy lifting in awkward positions associated with the risk of pain? BMJ Open 2013; 3: e004055

    https://bmjopen.bmj.com/content/3/11/e004055.info

    Jetzt weiterlesen und profitieren.

    + ASU E-Paper-Ausgabe – jeden Monat neu
    + Kostenfreien Zugang zu unserem Online-Archiv
    + Exklusive Webinare zum Vorzugspreis

    Premium Mitgliedschaft

    2 Monate kostenlos testen