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Urteil des bayerischen Landessozialgerichts vom 16.6.2021 – L 17 U 365/18

Keine Mindestexpositionszeit für Meniskusschäden der Profifußballer

Sachverhalt

Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung einer BK nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) streitig. Der 1981 geborene Kläger spielte nach seinen Angaben von 1990 bis 2000 in der Jugend eines Fußballclubs in Slowenien Fußball. Ab dem Jahr 2000 bis 2013 sei er Profifußballer in verschiedenen Vereinen gewesen, überwiegend als Lizenzspieler der zweiten und dritten Liga. Er habe in der Woche 10 Stunden trainiert und im Jahr etwa
35 Spiele absolviert.

Mit Schreiben vom 21.01.2014 beantragte der Kläger durch seinen Bevollmächtigten die Anerkennung einer Verletzung im linken Kniegelenk am 16.01.2005 als BK. Anlässlich dieser Verletzung sei am Innenmeniskus ein Korbhenkelriss im MRT (Magnetresonanztomographie)-Bericht vom 17.01.2005 festgestellt worden. Die Anerkennung eines Arbeitsunfalls aus Anlass dieser Verletzung war mit Bescheid vom 11.05.2005 abgelehnt worden. Mit Bescheid vom 02.09.2014 und Widerspruchsbescheid vom 10.02.2015 lehnte die Beklagte auch die Anerkennung einer BK Nr. 2102 ab. Sie stellte fest, dass Berufsfußballspieler aufgrund der Eigenart ihrer Tätigkeit untervollschichtig tätig seien. Ein geeigneter Weg zur Berücksichtigung gefährdender Tätigkeiten bei der Expositionsermittlung sei die Orientierung am Vollarbeiterrichtwert. Dieser entspreche den durchschnittlich von einer vollbeschäftigten Person im produzierenden Gewerbe und Dienstleistungsbereich tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden. Für die Erfüllung der arbeitstechnischen Voraussetzungen bedeute dies, dass zumindest eine gefährdende Tätigkeit im Umfang von 3200 Stunden (2 Jahre x 1600 Stunden) nachgewiesen sein müsse. Beim Kläger hätten sich erstmalig im MRT-Befund vom 17.01.2005 Hinweise auf eine Degeneration am linken Meniskushinterhorn gezeigt. Bis zu diesem Zeitpunkt ergebe sich eine Gesamtzahl an Spiel- und Trainingsstunden von lediglich 2553 Stunden. Eine gefährdende Tätigkeit im Umfang von mindestens 3200 Stunden liege daher nicht vor. Die Einholung eines ärztlichen Gutachtens halte die Beklagte nicht für erforderlich, da bereits die arbeitstechnischen Voraussetzungen beim Kläger nicht erfüllt seien.

Im Klageverfahren wurde eine primäre Meniskopathie am linken Knie des Klägers kernspintomographisch und arthroskopisch gesichert. Nach dem fachorthopädisch-unfallchirurgischen Gutachten wurde auch der Zustand nach Entfernung des Meniskusschadens als Folge der primären Meniskopathie beschrieben. Konkurrierende Erkrankungen seien nicht bekannt. Das Vorliegen einer BK Nr. 2102 sei zu bejahen, weil die Gesundheitsstörungen mit Wahrscheinlichkeit wesentlich ursächlich auf die berufliche Tätigkeit des Klägers zurückzuführen seien.

Mit Urteil vom 16.10.2018 hat das Sozialgericht (SG) unter Abänderung der Bescheide festgestellt, dass der Innenmeniskusschaden des Klägers im linken Kniegelenk eine BK Nr. 2102 darstelle. Der Begriff „mehrjährig“ bedeute nach seinem Wortlaut einen Zeitraum von mindestens zwei Jahren. Der Sachverständige M. habe schlüssig und nachvollziehbar ausgeführt, dass erhebliche Unterschiede in der Art der Meniskusbelastung zwischen den auch im Merkblatt zur BK Nr. 2102 genannten Untertagearbeitern oder Fliesenlegern, die in andauernder Hock- oder Kauerposition arbeiten müssten, und insbesondere Berufsfußballspielern bestünden. Insbesondere sei überzeugend, dass schon die Bewegungen und Einwirkungen nicht vergleichbar seien, weil es schnelle und ruckartige Belastungsspitzen bei Profifußballern gäbe, während bei den anderen Berufsgruppen, die im Rahmen der Berufskrankheit in Betracht kämen, Zwangshaltungen zu betrachten seien, die ein völlig anderes Einwirkungsvermögen auf das Meniskusgewebe nach sich zögen. Der Vollarbeiterrichtwert
sei kein geeignetes Kriterium, die Exposition eines Berufsfußballspielers zu errechnen.

Die hiergegen gerichtete Berufung hatte keinen Erfolg. Die Feststellungen des SG wurden vom Landessozialgericht (LSG) bestätigt. Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten lägen die arbeitstechnischen Voraussetzungen mit dem Profifußballspiel vom Januar 2000 bis Januar 2005 hier vor. Der Kläger sei – wie von der BK Nr. 2102 gefordert – bezüglich der gefährdenden Einwirkungen aufgrund seiner versicherten Tätigkeit als Profifußballspieler einer deutlich höheren Belastungsdosis als die Gesamtbevölkerung ausgesetzt gewesen (vgl. § 9 Abs. 1
SGB VII).

Merkblatt zur BK 2102

Zur Beantwortung der im Zusammenhang mit der Anerkennung der BK Nr. 2102 zu prüfenden Frage, welche Voraussetzungen die „äußeren Einwirkungen“ aufgrund der versicherten Tätigkeit erfüllen müssen, sei zunächst auf die Definition der betreffenden BK abzustellen. Die BK Nr. 2102 setze „mehrjährig andauernde oder häufig wiederkehrende, die Kniegelenke überdurchschnittlich belastende Tätigkeiten“ voraus. Angesichts dieser sehr weiten Definition der äußeren Einwirkung sei ergänzend auf die Ausführungen im Merkblatt für die ärztliche Untersuchung zur BK Nr. 2102 abzustellen.

Solchen Merkblättern komme zwar keine rechtliche Verbindlichkeit zu, sie seien aber als Interpretationshilfe und zur Wiedergabe des bei seiner Herausgabe aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstandes heranzuziehen. Danach sei eine überdurchschnittliche Belastung der Kniegelenke biomechanisch gebunden an eine Dauerzwangshaltung, insbesondere bei Belastungen durch Hocken oder Knien bei gleichzeitiger Kraftaufwendung, oder an eine häufig wiederkehrende erhebliche Bewegungsbeanspruchung, insbesondere Laufen oder Springen mit häufigen Knick-, Scher- oder Drehbewegungen auf grob unebener Unterlage. Als eine mögliche Gefahrenquelle würden in dem Merkblatt auch Ballsportarten wie Fußball oder Tennis ausdrücklich genannt, soweit diese durch einen Berufssportler ausgeübt werden.

Dauer der Belastung

Bei der weiteren Konkretisierung dieser vorgenannten Kriterien ist zu beachten, dass die Einwirkung nicht nur ihrer Art nach, sondern auch nach ihrer Dauer und Intensität zur Verursachung der Krankheit geeignet sein muss, wobei insoweit maßgeblich auf den aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstand abzustellen sei. Der Begriff „mehrjährig“ bedeute bereits nach seinem Wortlaut einen Zeitraum von mindestens zwei Jahren. In Literatur und Rechtsprechung sei anerkannt, dass eine zweijährige Tätigkeit, die eine ausreichende Belastung im Sinne der BK Nr. 2102 darstellt, auch dann gegeben ist, wenn eine derartige Tätigkeit im Verlaufe des Berufslebens insgesamt zwei Jahre mit Unterbrechungen verrichtet wurde. Fehlzeiten (Urlaub, Krankheit, Freistellung) seien nicht abzuziehen.

Der Kläger wäre daher zum Zeitpunkt der Kernspintomographie vom 17.01.2005, mit der die Diagnose einer Innenmeniskusschädigung am linken Knie gesichert wurde, bereits fünf Jahre als Profifußballer überdurchschnittlich meniskusbelastend tätig gewesen. Soweit die Beklagte für die Erfüllung der arbeitstechnischen Voraussetzungen auf eine Mindestexpositionszeit von 3200 Stunden für zwei Jahre abstelle, entbehre dies sowohl einer gesetzlichen als auch einer wissenschaftlichen Grundlage.

Keine Teilzeitbeschäftigung

Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten konnte sich der Senat nicht davon überzeugen, dass auf der Grundlage der dargelegten Parameter bei Berufsfußballspielern von einer Teilzeitbeschäftigung auszugehen sei, mit der Folge, dass bei der Expositionsermittlung eine Teilzeitquote festzulegen wäre. Der Vollarbeiterrichtwert wäre – worauf das SG zutreffend hinweist – kein geeignetes Kriterium, die Exposition eines Berufsfußballspielers zu berechnen.

Der von der Beklagten angenommene Berechnungsmodus überzeuge nicht. Insoweit habe die Beklagte – unzulässig – die Zeitdauer des Trainings- und Spielbetriebs bei einem Profifußballer mit einer achtstündigen Arbeitsschicht sonstiger Arbeitnehmer in Relation gesetzt. Der Berechnungsmodus der Beklagten, wonach innerhalb der geforderten „zwei Jahre“ mindestens eine tägliche Belastung von acht Stunden, das heißt in zwei Jahren 3200 Stunden (eines Vollarbeiters = 200 Schichten pro Jahr), als Voraussetzung für die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals „häufig wiederkehrende, die Kniegelenke überdurchschnittlich belastende Tätigkeiten“ zugrunde zu legen sei, finde weder eine Stütze im Verordnungstext der BK Nr. 2102 noch im Merkblatt zur BK Nr. 2102. Im Gegensatz zur BK Nr. 2112 setze die BK Nr. 2102 nicht den Nachweis einer bestimmten in Stunden zu berechnenden Mindestexpositionszeit voraus. Bereits das LSG Sachsen habe in seiner Entscheidung vom 18.09.2008 (L 2 U 148/07) zu Recht ausgeführt, dass die Annahme einer erforderlichen Exposition von mindestens einem Drittel der Arbeitszeit keine Stütze im Tatbestand finde, ebenso sei die von der Beklagten angenommene „Stundenzahl eines Vollarbeiters“ als untere Belastungsgrenze unschlüssig.

Kein geeignetes Abschneidekriterium

Die Tatbestandsvoraussetzung „mehrjährige andauernde oder häufig wiederkehrende, die Kniegelenke überdurchschnittlich belastende Tätigkeiten“ bedeute vielmehr bereits nach ihrem Wortlaut eine mindestens zweijährige Tätigkeit mit einer Exposition, die weder acht Stunden täglich, noch zu einem Drittel der (Regel?-)Arbeitszeit verrichtet worden sein müsse. Nicht nur die grammatikalische, sondern auch die systematische und teleologische Interpretation der BK Nr. 2102 – unter Berücksichtigung des gesetzgeberischen Willens des Verordnungsgebers – spräche gegen die von der Beklagten als Voraussetzung normierte Mindestexpositionszeit. In diesem Zusammenhang führe das LSG Baden-Württemberg (a.a.O.) überzeugend aus: „Es kann dahinstehen, ob diese zeitliche Begrenzung als Abschneidekriterium überhaupt arbeitsmedizinisch empirisch begründbar ist, was in der Rechtsprechung einiger Landessozialgerichte gestützt auf Sachverständigengutachten verneint wird. Jedenfalls sei eine solche Zeitgrenze, die aus der statischen Belastung durch Kniezwangshaltung bei stark abgewinkelten Knien entwickelt wurde, sportmedizinisch auf die dynamische Bewegungsbeanspruchung des Kniegelenks nicht übertragbar. Eine geeignete Belastungsdosis läge nach der Rechtsprechung dann vor, wenn das Erscheinungsbild der Tätigkeit durch überdurchschnittliche Meniskusbelastungen geprägt ist, wobei keine prozentuale Mindestbelastung zu fordern sei.“

Gerade aufgrund der fehlenden Dosis-Wirkung-Beziehung bei der BK Nr. 2102 sei die Forderung der Beklagten nach 3200 Stunden meniskusbelastenden Tätigkeiten nicht zielführend. Der Annahme der Beklagten, dass professionell betriebener Fußballsport – bezogen auf die Kniegelenke – keine Vollzeitbelastung darstelle, vermöge der Senat nicht zu folgen. Denn die Intensität der Trainings- und Spielbelastung auf Profiniveau führe zu deutlich höheren Belastungsspitzen als die von der ersten Belastungsalternative erfassten Tätigkeiten, die sich vielmehr durch die Gleichförmigkeit der Belastungen auszeichnen.

Belastungsalternativen der BK Nr. 2102

Die beiden Belastungsalternativen der BK Nr. 2102 erfassten somit unterschiedliche Meniskusbelastungen, mit der Folge, dass die Geeignetheit der Meniskusbelastung jeweils differenziert beurteilt werden müsse. Daher sei es nicht zulässig, die Zeitdauer des Spiel- und Trainingsbetriebs eines Profisportlers mit der achtstündigen Arbeitsschicht sonstiger Arbeitnehmer in Relation zu setzen. Aus den dargelegten Gründen sei der Senat auch nicht gehalten, die belastenden Einwirkungen während der versicherten Tätigkeit anhand des Arbeitsablaufs aufgrund des bisherigen Ermittlungsergebnisses der Beklagten festzustellen beziehungsweise weitere Ermittlungen gemäß §106 SGG durchzuführen.

Denn es komme nach dem Wortlaut, der Systematik und dem Sinn und Zweck des Verordnungstextes der BK Nr. 2102 und dem dazugehörigen Merkblatt gerade nicht auf die von der Beklagten angestrebte, dezidierte (rechnerische) Trennung zwischen den belastenden und den nicht belastenden Einwirkungen bei Ausübung des Profifußballsports an. Dementsprechend sei in der Literatur und Rechtsprechung anerkannt, dass eine zweijährige Tätigkeit, die eine ausreichende Belastung im Sinne der BK Nr. 2102 darstelle, auch dann gegeben ist, wenn eine derartige Tätigkeit im Verlaufe des Berufslebens insgesamt zwei Jahre mit Unterbrechungen verrichtet wurde, und Fehlzeiten (Urlaub, Krankheitstage, Freistellung) nicht abzuziehen sind. Im Rahmen der BK Nr. 2102 – anders als etwa bei der BK Nr. 2112 (Gonarthrose) – gäbe es keine Dosis-Wirkung-Beziehung zwischen der beruflichen Belastung und der Meniskopathie, die einer Beurteilung durch einen technischen Sachverständigen zugänglich wäre.

Unabhängig davon habe das Bundessozialgericht anlässlich der Probleme bei der Konkretisierung der arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr. 2108 darauf hingewiesen, dass es Sache des Gesetz- und Verordnungsgebers ist, diese Voraussetzungen wie allgemein die Bedingungen für die Anerkennung einer BK in dem für einen rational begründbaren und berechenbaren Gesetzesvollzug notwendigen Umfang selbst festzulegen. Die Konkretisierung und Festlegung der erforderlichen Belastungsdosis sei somit Aufgabe des Gesetz- und Verordnungsgebers und nicht der Verwaltung. Somit erfülle ein unter professionellen Bedingungen ausgeübter Fußballsport die Anforderungen an eine die Kniegelenke überdurchschnittlich belastende Tätigkeit im Sinne der BK Nr. 2102.

Extreme dynamische Belastung

Da der Kläger diesen Sport auch mehrjährig ausgeübt habe, seien die arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt. Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten entspricht diese Beurteilung dem aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstand. Im Fußballsport träten extreme dynamische Belastungen auf, daher sei es zur Überzeugung des Senats nicht zwingend erforderlich, dass die Tätigkeit „auf grob unebener Unterlage“, wie zum Beispiel bei Rangierern, verrichtet worden zu sein braucht.

Der gerichtliche Sachverständige M. habe unter Bezug auf den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand für den Senat überzeugend ausgeführt, dass erhebliche Unterschiede in der Art der Meniskusbelastung zwischen den ebenfalls im Merkblatt zur BK Nr. 2102 genannten Untertagearbeitern oder Fliesenlegern, die in andauernder Hock- oder Kauerposition arbeiten müssen, und Berufsfußballspielern bestehen. Die Belastungsmomente, die bei Profifußballspielern auf das Meniskusgewebe einwirkten, unterschieden sich nämlich deutlich von denen eines Untertagearbeiters oder beispielsweise eines Fliesenlegers. Schon die Bewegungen und Einwirkungen sind nicht vergleichbar, weil es schnelle und ruckartige Belastungsspitzen bei Profifußballern gebe, während bei den anderen Berufsgruppen, die im Rahmen der BK Nr. 2102 in Betracht kämen, Zwangshaltungen zu betrachten seien, die ein völlig anderes Einwirkungsvermögen auf das Meniskusgewebe nach sich zögen.

Unterschiede der Berufsgruppen

M. führte insoweit zutreffend aus, dass sowohl im Training wie auch im Spiel das Gewebe eines Profifußballers anderen Belastungsmechanismen ausgesetzt ist, wie beispielsweise Springen, raschen Drehungen des Körpers und der Kniegelenke, auch Körperkontakten mit Gegenspielern. Es handelt sich dabei nicht um langsam entstehende Überlastungen in monotonen Körperhaltungen, sondern um abrupte unphysiologische Belastungsspitzen. Deshalb sei nicht – für nicht vergleichbare Belastungen des Meniskusgewebes bei verschiedenen Berufsgruppen und verschiedener Art und Weise der Einwirkung auf das Meniskusgewebe – bei der Bewertung der arbeitstechnischen Voraussetzungen von denselben Bewertungsmaßstäben und Berechnungsgrundlagen auszugehen.

Die von der Beklagten vorgenommene Berechnung der Expositionszeit, die sich an der Berechnung der Expositionszeit für Untertagearbeiter orientiert, sei nicht überzeugend, weil sie dabei die tatsächlichen unterschiedlichen Gegebenheiten der Tätigkeit eines Fußballspielers vollkommen außer Acht lasse. Eine Berechnungsgrundlage, die für eine spezielle Berufsgruppe zutreffen mag, kann nicht einfach auf einen divergenten Sachverhalt übertragen werden, ohne die Spezifikation des anderen Tätigkeitssachverhaltes mit völlig anderen Belastungsmodalitäten zu berücksichtigen. Da es beim andauernden Hocken und Kauern der genannten Untertagearbeiter zu anhaltender Quetschung des Meniskusgewebes komme, wovon in besonderem Maße das Innenmeniskushinterhorn betroffen sei, könne ausschließlich bei den im Merkblatt zur BK Nr. 2102 genannten Berufsgruppen der Bergmänner, Ofenmaurer und Fliesen- oder Parkettleger davon ausgegangen werden, dass sich das Meniskusgewebe erholen kann, wenn die Zwangshaltung des Kniegelenks zumindest vorübergehend beendet wird.

Bereits in der 1968 von Pressel erstellten Studie, auf die M. verweist, sei festgestellt worden, dass sich das Erkrankungsalter eines Lizenzfußballers deutlich von dem eines Untertagearbeiters sowie der Normalbevölkerung unterscheide. Während Bergleute nach dieser Studie mit durchschnittlich 38,2 Jahren erkrankten, betrug das Alter der erstmaligen Erkrankung bei Fußballspielern durchschnittlich lediglich 28,6 Jahre. Auch die Expositionszeit – also der Zeitraum zwischen Aufnahme der kniebelastenden Tätigkeit und dem Auftreten des Meniskusschadens – war nach dieser Studie bei den Fußballspielern mit 7,6 Jahren im Vergleich zu den Bergleuten (12 Jahre) erheblich kürzer. Da seit Einführung der Fußballbundesliga im Jahr 1962 die Professionalisierung des Fußballsports immer weiter zugenommen habe, bestünden auch für den Senat im Anschluss an die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen M. keine Zweifel, dass seit dieser Studie die sportartspezifischen Belastungen sowie Art und Umfang kniebelastender sportlicher Beanspruchung – auch durch veränderte Trainingsmethoden – inzwischen nochmals deutlich angestiegen seien.

Keine Beidseitigkeit erforderlich

Schließlich ergäbe sich auch keine andere Beurteilung aufgrund des Aufsatzes von Bolm-Audorff, Braunschweig, Grosser, Ochsmann und Schiltenwolf vom 08.05.2020 („Das Krankheitsbild im Sinne der Berufskrankheit 2102 Meniskopathie“ – Ergebnisse einer interdisziplinären Arbeitsgruppe“, veröffentlicht in: „Der Orthopäde“). Insoweit berufe sich die Beklagte darauf, dass die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) etablierte interdisziplinäre Arbeitsgruppe in diesem Aufsatz beim Krankheitsbild der BK Nr. 2102 zu der Auffassung gelange, dass für die Anerkennung einer BK Nr. 2102 eine beidseitige drittgradige Meniskopathie vorwiegend im Bereich des Innenmeniskushinterhorns erforderlich sei. Die Beklagte verkenne in diesem Zusammenhang jedoch, dass die Aussage, es sei eine beidseitige, mindestens drittgradige Meniskopathie nach Stoller et al. im Bereich des Innenmeniskus zu fordern, auf den Studienergebnissen von Rytter et al. zur Meniskusbelastung von Bodenlegern aus dem Jahr 2009 beruhe, das heißt, die Ausführungen beziehen sich somit nur auf die erste Belastungsalternative nach dem Merkblatt zur BK Nr. 2102. Dies hätten die Autoren in einem zweiten Aufsatz als Reaktion auf einen Leserbrief von Spahn et al. („Zur Diskussion über das Krankheitsbild im Sinne der Berufskrankheit 2101 Meniskopathie“, veröffentlicht in: „Der Orthopäde“ 10/2020, S. 925 bis 927) ausdrücklich klargestellt und darauf verwiesen, dass die Studie von Rytter et al. keine Aussage für die zweite Belastungsalternative nach dem Merkblatt der Bundesregierung in Form einer häufig wiederkehrenden erheblichen Bewegungsbeanspruchung, insbesondere Laufen oder Springen mit häufigen Knick-, Scher- oder Drehbewegungen auf grob unebener Unterlage machen kann. Beide Aufsätze enthalten daher keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse zur hier einschlägigen zweiten Belastungsalternative und zur Berufsgruppe der Profiballsportler, das heißt auch der Profifußballspieler.

Teilursächlichkeit genügend

Da es für die Bejahung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Belastung aufgrund der versicherten Tätigkeit und dem Eintritt der zur Entschädigung berechtigenden Gesundheitsstörung ausreichend ist, dass die berufliche Belastung zumindest eine rechtlich wesentliche Teilursache im vorgenannten Sinn darstelle, stehe dem Anspruch des Klägers auch nicht entgegen, dass dieser bei einer Aufnahme des Fußballsports im Alter von 9 Jahren (1990) und nach Durchlaufen aller Jugendmannschaften bis zum Übergang zum Profifußball möglicherweise ein vorgeschädigtes Meniskusgewebe aufgewiesen habe. Denn die Belastung der Kniegelenke durch die Ausübung der Tätigkeit als Profifußballspieler in den bei der Beklagten versicherten Beschäftigungsverhältnissen stelle für den Eintritt der Meniskuserkrankung zumindest eine wesentliche Teilursache dar.

Interessenkonflikt: Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.

doi:10.17147/asu-1-198097

Kernaussagen

  • Bei der überdurchschnittlichen Belastung der Kniegelenke im Sinne der BK Nr. 2102 ist biomechanisch zu unterscheiden zwischen der Belastung durch Dauerzwangshaltung (mehrjährig andauernd) und durch erhebliche dynamische Bewegungsbeanspruchung (häufig wiederkehrend).
  • Bei dynamischer Bewegungsbeanspruchung, zum Beispiel der Profiballspieler oder Skifahrer, liegt bereits eine geeignete Belastungsdosis vor, wenn das Erscheinungsbild der Tätigkeit durch überdurchschnittliche Meniskusbelastungen geprägt ist. Es bedarf keiner prozentualen Mindestbelastung.
  • Der Begriff „mehrjährig“ im Sinne der BK Nr. 2102 erfordert einen Zeitraum von mindestens zwei Jahren, wobei eine solche zweijährige Tätigkeit auch dann gegeben ist, wenn die Tätigkeit im Lauf des Berufslebens insgesamt zwei Jahre mit Unterbrechungen verrichtet wurde.
  • Die berufsgruppenspezifische Berechnungsgrundlage zur Beurteilung der arbeitstechnischen Voraussetzungen kann nur dann auf einen divergenten Sachverhalt übertragen werden, sofern die Spezifikation des anderen Tätigkeitssachverhalts mit abweichenden Belastungsmodalitäten berücksichtigt ist.
  • Kontakt

    Reinhard Holtstraeter
    Rechtsanwalt; Lorichsstraße 17; 22307 Hamburg

    Foto: privat

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