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Technologien für mobile Sensorsysteme für Gerüche

Dem Geruch auf der Spur

Lessons Learned: Elektronische Nasen

Betrachtet man die Komplexität der menschlichen Geruchswahrnehmung, angefangen vom Molekültransport durch den Nasenschleim hin zu den selektiven und empfindlichen Geruchsrezeptoren, die spezifische Reizaufnahme, -weiterleitung und -verarbeitung, wird bewusst, dass die Übertragung dieser Wahrnehmung auf technische Sensorsysteme ein herausforderndes, interdisziplinäres Vorhaben ist. Inspiriert von populären Vorbildern wie dem Tricoder aus der Science-Fiction-Serie StarTrek und befeuert von den neuen Möglichkeiten in der Mi­krosystem- und Schaltungstechnik fasziniert die Idee, ein kleines Sensorsystem wie eine künstliche Nase an Objekten „riechen“ zu lassen, die wissenschaftliche Welt bereits seit Anfang der 90er Jahre.

Zum Beginn der elektronischen Nasen lag der Schwerpunkt auf einem stationären System, da die Komponenten nicht so stark miniaturisiert waren. Diese bestanden zumeist aus einer einfachen Kombination aus Gassensor-Arrays, deren Signalauswertung mit Algorithmen des maschinellen Lernens (z. B. künstliche neuronale Netze) automatisiert wurden. Die Miniaturisierung der Analysengeräte wurde erst durch die stärkere Integration mikrostrukturierter Komponenten realisiert. Obwohl diese teils kommerzialisierten Systeme erfolgreich zwischen vortrainierten Laborbedingungen unterscheiden konnten, kamen sie der Komplexität einer menschlichen Nase nicht gleich. Hohe Erwartungen an Electronic Noses, gepaart mit technologischen Grenzen, führten zu einem schnell sinkenden Interesse an diesen vielversprechenden Systemen. Unserer Ansicht nach ist es an der Zeit, einen technischen Neustart zu wagen.

Gasanalyse – Vom Goldstandard zum Handgerät

Der unumstrittene Goldstandard für die Analyse von Gaszusammensetzungen ist die Gaschromatographie (GC) mit anschließender Detektion der Einzelverbindungen an einem hochempfindlichen Detektor, beispielsweise mit Massenspektrometer (MS).
Da die Detektion an GC-MS-Geräten noch keine Aussage über die Geruchsqualität der Verbindungen zulässt, kann mittels eines
Olfaktometrie-Ports (O) parallel die menschliche Nase der Operateurin/des Operateurs als Detektor für die Geruchseigenschaft genutzt werden. Nur ein Bruchteil der flüchtigen Verbindungen einer Probe trägt tatsächlich zum Geruchseindruck der Probe bei. Mit GC-MS/O-Geräten ist eine vollständige Analyse aller flüchtigen Verbindungen in Proben sowie der Geruchseigenschaften olfaktorisch aktiver Verbindungen innerhalb weniger Stunden möglich. Derartige Laborgeräte kosten einige tausend Euro, sind etwa so groß wie ein Klavier und benötigen für die Handhabung ein hohes Maß an Fachkenntnis. Alles in allem sind sie für die Vor-Ort-Anwendung durch angelerntes Personal nicht geeignet, weil sie zu komplex sind. Denn in den meisten Anwendungsfällen, in denen flüchtige Verbindungen, die zum Geruchsprofil eines Produkts oder eines Rohstoffs beitragen, überwacht oder analysiert werden sollen, ist nur eine Handvoll chemischer Verbindungen von Interesse. Diese geruchsaktiven Verbindungen geben bereits ausreichende Informationen über den Zustand des Produkts oder des Rohstoffs. Dementsprechend ist es zielführend, applikationsspezifische Markerverbindungen in Proben zu identifizieren und Sensoren beziehungsweise Sensorarrays hinsichtlich der Detektion dieser Marker zu trainieren.

Es liegt auf der Hand, dass insbesondere bei neuen Applikationen für Sensorsysteme der Laborstandard nicht außer Acht gelassen werden darf. Daher wird in einem speziellen Aufbau ein GC-MS-System mit parallelem Sensorport eingesetzt. Die Probe wird chromatographisch in ihre einzelnen Verbindungen aufgetrennt, die Verbindungen zeitaufgelöst detektiert und parallel ein Sensorsignal aufgenommen. Eine speziell entwickelte Software zur automatisierten Markeridentifikation wählt geeignete Markerverbindungen aus. Durch Fusion der Sensordaten mit den Markerdaten wird das intelligente Sensorarray gezielt auf die Erkennung der Markerverbindungen trainiert. So müssen neue Proben nur ein einziges Mal im Labor analysiert werden.

Eine Gasprobe – tausend Verbindungen?!

In der Anwendung liegen die im Labor identifizierten Marker in einer komplexen Matrix vor. Störverbindungen, gerade auch ubiquitäre Permanentgase wie Wasserstoff, stellen für den Sensor eine große Herausforderung dar, die negative Auswirkungen auf die Signalstabilität und Lebensdauer des Sensors haben. Obwohl die Empfindlichkeit mikrostrukturierter Sensoren sämtliche Anforderungen erfüllt, lässt die Selektivität oftmals zu wünschen übrig. Eine Reinigung beziehungsweise Selektion der Gasmischung vor der Detektion am Sensor verlängert nicht nur die Stabilität des Signals wesentlich, sondern ermöglicht auch eine selektive Detektion der Markerverbindungen. Hierfür werden mikrostrukturierte Präkonzentratoren auf Basis von metal organic frameworks (Metallorganische Gerüstverbindungen, MOFs) zur Abscheidung von Störgasen und Feuchtigkeit genutzt. Zusätzlich ermöglichen einige MOFs die gezielte Anreicherung von Markerverbindungen: Die Markerverbindungen verbleiben im Präkonzentrator und werden anschließend thermisch freigesetzt. Sie treffen schließlich auf die chromatographische Trennsäule, werden gemäß ihrer Eigenschaften, in erster Näherung ihrer Flüchtigkeit, aufgetrennt und zuletzt am Sensorarray detektiert.

Mit dem Ziel, Entwicklungs- und Forschungskosten deutlich zu reduzieren, hat das Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung einen hybriden Baukasten erarbeitet, der bei der Entwicklung applikationsspezifischer Sensorsysteme hilft. Nach Identifikation der applikationsspezifischen Markersubstanzen im Labor entwirft der Baukasten ein geeignetes Sensorsystem, das sich an dem Goldstandard der Gasanalyse orientiert. Es stehen verschiedene Systembauteile in den Kategorien Probennahme, Gastrennung und Detektion zur Verfügung. Komplementiert wird der hybride Baukasten durch Tools zur Temperaturkompensation für Anwendungen, die keine Heizung der Trennsäule benötigen, oder einer internen Kalibrierung. Die Systembauteile werden in einen Teststand eingesetzt und gezielt mit der Probenluft getestet. Eignet sich das Sensorsystem für die Anwendung, kann es anschließend direkt prototypisiert werden, da die Systembauteile kommerzialisiert sind.

Automatisierte Datenauswertung für intelligente Sensorsysteme

In vielen Anwendungen eignet sich eine Kombination aus verschiedenen Sensoren oder auch verschiedenen Messprinzipien am besten. Dementsprechend fällt eine große Menge an Daten an, die prozessiert und ausgewertet werden müssen. Das Expertenteam des Fraunhofer-Instituts hat für Datenkorrelation und Datenwissenschaften Inhouse für jedes Sensorsystem eine geeignete Software zur Datenauswertung und Datenbewertung entworfen – nach Wunsch auch mit einem User Interface.

Sensorsysteme im Einsatz: ­Lebensmittelverderb und Innenraum-Geruchsqualität

Verschiedene Anwendungsszenarien erfordern unterschiedliche Sensorsysteme zur Geruchsüberwachung. Während in der Lagerung und Warenannahme von Betrieben koffergroße Sensorsysteme mit einem optischen oder akustischen Output gefragt sind, werden für die Überwachung von Produktionsstraßen und Innenräumen möglichst kleine, energiearme und robuste Sensorsysteme benötigt. Im Rahmen öffentlich geförderter Projekte werden verschiedene Anwendungsszenarien beachtet und eine Plattform für die Entwicklung applikationsspezifischer Sensorsysteme entwickelt. Dabei steht die Anwendbarkeit auch für nicht geschulte Nutzerinnen und Nutzer im Vordergrund. Für die Entwicklung eines tragbaren Gaschromatographen mit IR-Sensoren zur Detektion des Fruchtreifegases Ethen wurde am Institut ein Algorithmus entwickelt, der es ermöglicht, Temperaturschwankungen in der Umgebungsluft zu kompensieren und so eine stabile Analyse in Kühlräumen wie in der Warenannahme und Lagerung bereitzustellen. Mittels einer im Handgerät integrierten Software kann sich eigenständig ein Umgebungsgas kalibrieren.

Eine eigens entworfene Sensorkammer ermöglicht die Detektion flüchtiger Verbindungen, die durch die Hackfleisch-Verpackung (MAP) diffundieren und Aufschluss über den Zustand der leicht verderblichen Ware geben. Laufende Untersuchungen zielen auf eine Detektion von Bakterien und weiteren Mikroorganismen anhand der Gasphase in der Fleischverpackung ab. Das Projekt „ZL2030“ wird gefördert durch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages.

Zur Innenraum-Geruchqualitäts-Detek­tion wurde ein MOS-Sensor mit zwei unterschiedlichen MOF-Präkonzentratoren ausgestattet, um gezielt Benzol in einer Mischung mit weiteren flüchtigen Verbindungen wie Toluol, Xylenen und Ethylbenzol zu detektieren. Beide Präkonzentratoren eignen sich, um Benzol in einer Probenmischung bis zu 10 ppb zu detektieren und übertreffen damit die Probenahmemethoden für die Labor­analytik um Weiten.

Interessenkonflikt: Das Autorenteam gibt an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.

Literatur

Baur T, Schütze A, Sauerwald T: Optimierung des temperaturzyklischen Betriebs von Halbleitergassen­soren. tm-Technisches Messen 2015; 82: 187–195.

Leidinger M, Rieger M, Sauerwald T, Alépée C,
Schütze A: Integrated pre-concentrator gas sensor microsystem for ppb level benzene detection. Sensors and Actuators B: Chemical 2016; 236: 988–996.

Spinelle L, Gerboles M, Kok G, Persijn S, Sauerwald T: Review of portable and low-cost sensors for the ambient air monitoring of benzene and other volatile organic compounds. Sensors 2017; 17: 1520.

Schütze A, Sauerwald T: Dynamic operation of semiconductor sensors. In: Semiconductor Gas Sensors. Sawston: Woodhead Publishing, 2020, S. 385–412.

Köhne M, Zeh G, Schmidt C, Sauerwald T: P13.4 – Entwicklung eines kostengünstigen Gaschromatographie-Systems für die Messung von Reifegas mit Kompensation der Temperatureinflüsse auf die Säule. Poster 2021; 338–342.

doi:10.17147/asu-1-204741

Weiterführende Infos

Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV: Entwicklung applikationsspezifischer Sensorsysteme
https://www.ivv.fraunhofer.de/de/produktwirkung/entwicklung-applikation…

Kernaussagen

  • Geruchsdetektion erfordert selektive und empfindliche Gassensorik, am besten mit vorangeschalteter Gasselektion.
  • Ganzheitliche, mikrostrukturierte Sensorsysteme, die der Gaschromatographie nachempfunden sind, mit Probenahme, Trennung, Detektion und automatischer Datenauswertung, finden in vielen Branchen aufgrund ihrer geringen Größe, günstiger Systemkosten und Vollautomatisierung Anwendung.
  • Metalloxid-Halbleitergassensoren und Infrarot-Sensoren eignen sich aufgrund ihres niedrigen Preises, ihrer hohen Empfindlichkeit und der zerstörungsfreien Analysemethode für die Gas- und Geruchsdetektion.
  • Elektronische Nasen faszinieren die Wissenschaft bereits seit mehr als einem halben Jahrhundert. Technologie-Weiterentwicklungen und große Fortschritte im Bereich der Datenwissenschaften ebnen nun den Weg für eine neue Generation selektiver, empfindlicher elektronischer Nasen.
  • Kontakt

    Dr. Gina Zeh
    Fraunhofer-Institut für ­Verfahrenstechnik und ­Verpackung; Giggenhauser Str. 35; 85354 Freising

    Fraunhofer IVV

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