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Medizinische Leitlinien in Deutschland

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Medical guidelines in Germany

Clinical Practice guidelines serve as decision aids for medical care and contribute to the structural development of the healthcare system. Healthcare professionals are strengthened in their care competency and patients are informed for their decision-making. In Germany, guidelines are developed by Scientific Medical Societies. These are made available to the public free of charge through the quality-assured guideline registry of the AWMF (Association of the Scientific Medical Societies in Germany).

Medizinische Leitlinien in Deutschland

Medizinische Leitlinien dienen als Hilfe bei medizinischen Versorgungsentscheidungen und tragen zur strukturellen Weiterentwicklung des Versorgungssystems bei. Angehörige der Gesundheitsberufe werden in ihrer Versorgungskompetenz gestärkt und Patientinnen/Patienten für ihre Entscheidungsfindung informiert. Leitlinien werden in Deutschland durch die wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften entwickelt und über das qualitätsgesicherte Leitlinienregister der Arbeitsgemeinschaft der Medizinisch Wissenschaftlichen Fachgesellschaften (AWMF e. V.) der Öffentlichkeit kostenfrei zur Verfügung gestellt.

Kernaussagen

  • Medizinische Leitlinien sind systematisch entwickelte Aussagen, die den gegenwärtigen ­Erkenntnisstand wiedergeben, um die Entscheidungsfindung von Ärztinnen und Ärzten, ­Angehörigen weiterer Gesundheitsberufe sowie Patientinnen und Patienten für eine ange­messene Versorgung bei spezifischen Gesundheitsproblemen zu unterstützen.
  • Sie sollten auf einer systematischen Sichtung und Bewertung der Evidenz und einer ­Abwägung von Nutzen und Schaden alternativer Vorgehensweisen basieren.
  • Leitlinien sind für Ärztinnen und Ärzte sowie weitere Anwendende rechtlich nicht bindend und haben daher weder haftungsbegründende noch haftungsbefreiende Wirkung (AWMF 2020).
  • Leitlinienanwendende sollten qualitätsgesicherte Leitlinien erkennen und deren Nutzung als handlungsleitende Empfehlungen zur Verbesserung der Versorgungsqualität und als Entscheidungshilfen für individuelle Beratungsanlässe im klinischen Alltag verstehen.
  • Was sind Medizinische Leitlinien und wozu dienen sie?

    Leitlinien sind Entscheidungshilfen für die Diagnose und Behandlung definierter gesundheitlicher Probleme in der Versorgungpraxis. Sie stellen den Stand des Wissens dar und sollen idealerweise auf Grundlage von systematischer Recherche, Bewertung und Synthese der bestverfügbaren Evidenz und strukturierter Konsensfindung durch ein für das Leitlinienthema repräsentatives Gremium konkrete Handlungsempfehlungen für die Praxis bereitstellen. Ihr Empfehlungscharakter lässt Raum für Besonderheiten jedes medizinischen Einzelfalls, für das fachliche Urteil der professionellen Versorgenden (Ärztinnen/Ärzte sowie Angehörige weiterer Gesundheitsberufe) und für Werteurteile und Präferenzen der betroffenen Patientinnen und Patienten sowie ihrer Angehörigen (Günster et al. 2023), dargestellt in ➥ Abb. 1.

    Leitlinien dienen dem Patientenwohl, bieten Hilfen zur Indikationsstellung, klären Behandlungsoptionen und geben Entscheidungshilfen für individuelle Situationen.

    Das vorrangige Ziel von Leitlinien ist die Verbesserung der medizinischen Versorgung. Die Auswahl eines Leitlinienthemas sollte daher durch die Aufzeigung realer Versorgungsprobleme mit konkreten, wissenschaftlich belegten Verbesserungspotenzialen begründet sein (ÄZQ 2002).

    Was macht hochwertige Leitlinien aus?

    Medizinische Leitlinien werden in Deutschland unter der Federführung von und überwiegend mit den Ressourcen der Mitgliedsfachgesellschaften der AWMF entwickelt. Die AWMF leistet, vertreten durch ihr Institut für Medizinisches Wissensmanagement (AWMF-IMWi), die methodische Beratung und führt das qualitätsgesicherte Leit­linienregister in Deutschland. Grundlage der Qualitätssicherung ist das den internationalen Anforderungen folgende AWMF-Regel­werk Leitlinien (AWMF 2020, s. Online-Quellen).

    Die Methodik basiert auf international anerkannten methodischen Standards, unter anderem der AGREE (Appraisal of Guide­lines, Research and Evaluation) Collaboration, des Guidelines International Network (GIN) und der Arbeitsgruppe GRADE (Grading of Recommendations Assessment, Development and Evaluation).

    Das AWMF-Regelwerk Leitlinien sieht eine Stufenklassifikation von S1 bis S3 vor. Diese ermöglicht einerseits den Leitliniengruppen, das methodische Vorgehen in Abhängigkeit von Leitlinienthema und Ressourcen zu wählen und andererseits den Leitlinienanwendern in der Praxis, den methodischen Aufwand hinter einer Leitlinie zu erkennen. S1-Handlungsempfehlungen haben wenige methodische Anforderungen, bei S2k-Leitlinien ist eine formale Konsensfindung einer repräsentativen Leitliniengruppe, bei S2e Leitlinien eine systematische Recherche und kritische Bewertung der Evidenz zu beachten. S3-Leitlinien vereinen S2k- und S2e-Anforderungen (➥ Abb. 2).

    Die Fachgesellschaften folgen freiwillig den transparent hinterlegten Kriterien und Verfahrensregeln für Aufnahme ihrer Leitlinien in das AWMF-Register, da die Aufnahme in das AWMF-Register ein Güte­siegel darstellt. Dieses bildet die Grundlage für Transparenz und Akzeptanz für die Anwendenden und fördert die Umsetzung der Leitlinien/Handlungsempfehlungen. Eckpunkte von vertrauenswürdigen Leitlinien mit deren Begründung werden im Folgenden dargestellt.

    Abb. 2:  Leitlinienstufenklassifikation im AWMF-Leitlinienregister

    Abb. 2: Leitlinienstufenklassifikation im AWMF-Leitlinienregister

    Das Interessenkonfliktmanagement dient dem Schutz vor möglichen Verzerrungen und damit der Vertrauensbildung.

    Für alle Publikationen im AWMF-Leitlinienregister ist die Darlegung von Interessen und das Management von Interessenkonflikten aller Mitwirkenden an einer Leitlinie/Handlungsempfehlung obligat (AWMF 2025,
    s. Online-Quellen). Für Leitliniennutzende bedeutet dies: Sichtbarkeit einer standardisierten, tabellarischen Zusammenfassung in jeder Leitlinie/Handlungsempfehlung im AWMF-Register.

    Neben Vertretenden der Wissenschaft und der klinischen Versorgung werden Patientenvertretungen in die Leitlinienentwicklung einbezogen. Die Beteiligungsoption wird durch ein Anmeldeverfahren gesichert.

    Der Einbezug der Perspektive von Betroffenen ist ein Kernaspekt des AWMF-Regel­werks Leitlinien und auch in allen Stufen­klassifikationen erstrebenswert. Dazu gehören ärztliche und andere Berufsgruppen, die als Adressaten die Leitlinienempfehlungen in ihrem Praxisalltag umsetzen, ebenso wie die Option, dass auch Patien­tinnen und Patienten, informiert entscheiden.

    Im AWMF-Leitlinienregister wird jedes Leitlinienprojekt öffentlich angemeldet mit Angabe der geplanten S-Klassifikation (➥ Abb. 3). Die Anmeldungen werden entsprechend AWMF-Regelwerk durch das AWMF-IMWi geprüft. Die Anmeldung von Leitlinienprojekten dient der Möglichkeit, dass interessierte Gruppen ihren Wunsch zur Beteiligung an die dafür Verantwortlichen richten können.

    Die Evidenzbasierung ist das Herzstück für die Vermittlung vertrauenswürdigen Wissens in hochwertigen Leitlinien.

    Für evidenzbasierte Leitlinien (S2e und S3) ist entsprechend AWMF-Regelwerk die systematische Recherche, Auswahl und Bewertung der Evidenz obligat. Im Kern geht es dabei um folgende Frage: Sind gesundheit­liche Interventionen geeignet, für Patientinnen und Patienten relevante Gesundheitsziele zu erreichen und mit welcher Sicherheit? Dieser Frage widmen sich Herausgebende von S2e- und S3-Leitlinien systematisch und stellen entsprechend AWMF-Regelwerk Evidenzprofile zur Verfügung.

    Leitlinien werden legitimiert durch formale Verabschiedung seitens der Vorstände der beteiligten wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften und Organisationen.

    Alle Leitlinien und Handlungsempfehlungen werden zum Abschluss des Erstellungsprozesses durch die beteiligten Fachgesellschaften und Organisationen formal verabschiedet. Dies erhärtet die Legitimation der Empfehlungen für die Umsetzung in der Praxis. Zudem werden alle Publikation im AWMF-Leitlinienregister auf Erfüllung der Kriterien entsprechend angestrebter Stufenklassifikation nach AWMF-Regelwerk durch das AWMF-IMWi auf ihren aktuellen Stand geprüft.

    Die Aktualität von Leitlinien ist essenziell.

    Medizin unterliegt der Wandlung von Erkenntnissen durch neue Forschungsergebnisse. Nicht aktualisierte Leitlinien werden daher nach fünf Jahren aus dem AWMF-Register gelöscht, sofern sie nicht kuratiert werden – nachweislich durch eine Anmeldung zur Aktualisierung.

    Die Auffindbarkeit relevanter Leitlinien­inhalte zur schnellen Beantwortung relevanter Fragestellungen ist zu verbessern.

    Aus Sicht der Anwendenden empfiehlt sich, neben einer ausführlichen Langversion einer Leitlinie auch weitere, in der Praxis schnell nutzbare Formate wie Algorithmen, Kurzversionen, Entscheidungshilfen oder laienverständliche Versionen und digitale Formate zu entwickeln, um die Attraktivität der Nutzung zu erhöhen.

    Digitale, vertrauenswürdige Leit­linien zur Förderung des Wissens­transfers in die Praxis: das AWMF-IMWi forscht im Auftrag der AWMF und ihrer Mitgliedsgesellschaften

    Die Zukunft von Leitlinienwissen ist digital. Das AWMF-Institut für Medizinisches Wissensmanagement (AWMF-IMWi) betreibt Forschungsprojekte zur Digitalisierung für die Zukunft des digitalen Wissensmanagements (Gemeinsamer Bundesausschuss, Innovationsausschuss; s. Online-Quellen). Ziele sind eine schnellere, für Leitlinienentwickelnde leichtere und zugleich vertrauenswürdige Bereitstellung von Leitlinienwissen am „point of care“ (AWMF 2025).

    Unterstützung der Fachgesellschaften in der AWMF zur Entwicklung und Förderung von Leitlinien

    Das AWMF-IMWi organisiert Seminare für Leitlinienentwickelnde und bietet methodische Beratung für Leitlinienprojekte an, unter anderem auch für Förderungen von Leitlinienprojekten (AWMF 2025, s. Online-Quellen).

    Im Jahr 2020 wurden für evidenzbasierte Leitlinien zwei gesetzliche Unterstützungsmöglichkeiten im Sozialgesetzbuch (SGB V) geschaffen. Dies ist zum einen die jährliche Förderung von Leitlinienvorhaben (5 Mio. Euro) über den Innovationsfonds des G-BA für die (Weiter)Entwicklung von Leitlinien nach § 92a und zum anderen die Möglichkeit zur Unterstützung des IQWiG (Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen) für die Erstellung von Evidenzberichten zu ausgewählten Fragestellungen durch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) nach § 139b. Zusätzlich fördert die Deutsche Krebsgesellschaft Onkologische Leitlinien.

    Interessenkonflikt: Die Autorin gibt an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt. Eine vollständige Darlegung der Interessen ist verfügbar unter https://www.awmf.org/die-awmf/imwi/mitarbeitende-des-awmf-imwi#c2194.

    Literatur

    Ärztliche Zentralstelle Qualitätssicherung (ÄZQ): Priorisierung von Gesundheits- oder Versorgungsproblemen als Themen des Leitlinien-Clearingverfahrens. Z Arztl Fortbild Qualitatssich 2002; 96: 16–24.

    Armstrong MJ, Mullins CD, Gronseth GS, Gagliardi AR: Impact of patient involvement on clinical practice guideline development: a parallel group study. Implement Sci 2018; 13: 55. doi:10.1186/s13012-018-0745-6 (Open Access).

    Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) – Ständige Kommission Leitlinien. AWMF-Regelwerk Leitlinien. 2. Aufl. 2020, S. 10.

    Günster C, Klauber J, Klemperer D, Nothacker M, Robra BP, Schmuker C: Versorgungs-Report Leitlinien: Evidenz für die Praxis. Berlin: Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, 2023.

    Online-Quellen

    Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) – Jahresbericht 2023

    https://www.awmf.org/service/awmf-aktuell/default-621339d7bddc2836aa3ee…

    AWMF: AWMF-Portal „Interessenerklärung Online“

    https://www.awmf.org/leitlinien/interessenportal

    AWMF: Dissolve-E Projekt­beschreibung

    https://www.awmf.org/die-awmf/imwi/projekte/dissolve-e

    Gemeinsamer Bundesausschuss, Innovationsausschuss: Dissolve-E – Digitalisierung des AWMF-Leitlinienregisters für ein offenes, leitlinienbasiertes, vertrauenswürdiges Evidenz-Ökosystem

    https://innovationsfonds.g-ba.de/projekte/versorgungsforschung/dissolve…

    Abb. 3:  Querschnittsanalyse des AWMF-Leitlinienregister zum 01.11.2024

    Abb. 3: Querschnittsanalyse des AWMF-Leitlinienregister zum 01.11.2024

    Kontakt

    Frauke Schwier
    c/o AWMF-Geschäftsstelle; Birkenstr. 67; 10559 Berlin

    Foto: Sven Bratulic

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